Den Ausbau der Windenergie werde man nun „generalstabsmäßig“ angehen, sagte der Kanzler zur „Bild am Sonntag“. Das weckt hohe Erwartungen an staatliches Handeln, das meist alles andere als planmäßig ist. 

Von Frank Hennig

„Dann muss wahrscheinlich ein Plan her . . . “, sagte die ehemalige Kanzlerin auf dem „Tag der Industrie“ im Juni 2021. Sie bezog das auf E-Mobilität, größere Rechen- und Serverleistungen und einen größeren Netzausbau. Nach 20 Jahren Energiewende dachte sie über einen Plan nach. Der aktuelle Kanzler will nun sogar generalstabsmäßig vorgehen – beim Ausbau der Windkraft.

Den Ausbau der Windenergie werde man nun „generalstabsmäßig“ angehen sagte der Kanzler zur „Bild am Sonntag“. Das weckt hohe Erwartungen an staatliches Handeln, das meist alles andere als planmäßig ist.

Bevor man plant, zumal im Generalstab, muss eine Bestandsaufnahme über die zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel her. Niemand kann vorher alles wissen und planen kann man die Maßnahmen erst, wenn man seine Möglichkeiten kennt. Die Wahrnehmung von Realitäten gehört nun gerade nicht zu den Stärken der Ampelregierung, die vor allem reagiert statt regiert. Ein Überblick ist zugegeben auch schwierig zu erlangen in einem gefährlich deformierten deutschen Energiesystem.

Wir erinnern uns an einen im Amt neuen Verteidigungsminister, der als erste Amtshandlung Panzer zählen ließ. Als Zivilist stellt man sich vor, dass jemand im Verteidigungsministerium eine Excel-Tabelle hat und vielleicht nur noch die Enter-Taste drücken muss, um die Anzahl der Panzer zu ermitteln. Vielleicht gibt es aber doch noch Karteikarten, die man erst sichten muss. Vielleicht lag die Zahl auch schon vor und Herr Pistorius wollte nur Zeit gewinnen, das ist unbekannt. Aber beide Erklärungen sind schlechte Gründe und im Ausland wird man sich wieder über die Deutschen gewundert haben.

Dagegen meint allerdings der Kanzler mit dem generalstabsmäßigen Vorgehen nicht das Energiesystem oder die Energiewende an sich, sondern ausschließlich den Ausbau der Windkraft, durch den sich wohl alle anderen Probleme wie von selbst lösen sollen. Vier bis fünf Windkraftanlagen (WKA) sollen bis 2030 jeden Tag ans Netz gehen, auf See mehr als eine Anlage pro Tag. Die Folge: Der Netzausbau würde immer mehr hinterher hinken, die Systemkosten würden ins Uferlose steigen. Das interessiert die politischen Windlobbyisten nicht, denn die Betreiber bekommen auch den Phantomstrom bezahlt.

In einem Generalstab würde man erst mal die Panzer zählen, hier im übertragenen Sinne die Voraussetzungen für eine solche Vielzahl von Anlagen in kurzer Zeit. Dabei ist es schwierig, den Überblick zu bekommen über die Möglichkeiten zu einem „Energiewende-Turbo“ oder „Energiewende-ICE“ oder welche populistischen Slogans man für den exzessiven Ausbau von WKA auch wählen will.
Es ist schwieriger als Panzer zu zählen, die fertiges Gerät sind und nicht in der Besenkammer vergessen werden können. Die gigantischen Mengen an WKA, die man vorhat zu installieren, liegen aber derzeit noch als Salze der seltenen Erden in China, als Bauxit oder Eisenerz, als Kobalt oder Lithium, als Zink oder Nickel in der Erdkruste. Und eher nicht unter der deutschen Grasnarbe.

Die Beschaffung des Materials aus solchen Rohstoffen muss zunächst eruiert werden, wie viel davon ist nötig und beschaffbar? Die Herstellung der Komponenten wie Türme, Kabel, Generatoren, Rotorblätter und Elektrik findet zunehmend nicht mehr in Deutschland statt, dem Land mit hohen Arbeitskosten und Rekord-Energiepreisen. Deshalb haben etablierte Hersteller der Windindustrie ihre Produktion hierzulande runtergefahren oder eingestellt. Die energieintensive Solarindustrie war nach 2012 bereits zum größten Teil aus dem Land verschwunden. Die Windbranche wandert heute langsam hinterher.

In Magdeburg und Fürstenwalde werden keine Stahltürme mehr produziert (die Stahl- und Energiepreise entzogen die Wirtschaftlichkeit), der Spezialgusshersteller Heger in Rheinland-Pfalz ist insolvent, auch anderen europäischen Gießereien geht es auf Grund des Energiepreis-Turbos schlecht. Die Fertigung von Rotorblättern in Lauchhammer und Rostock wurde aufgegeben, damit existiert keine Rotorblattproduktion in Deutschland mehr. Der Wind schickt offenbar doch eine Rechnung, die für manche im Mutterland des Wind- und Sonnenstroms zu hoch ist.
Die Windrevolution erdrosselt ihren eigenen Nachwuchs.

Maßgebliche seltene Rohstoffe wie Neodym, unverzichtbar in modernen WKA, kommen zu 90 Prozent aus China, wiederum zum Großteil aus Xinjang. Dort wohnen die Uiguren, die nach Medienberichten in ihren Menschenrechten beschnitten werden. Nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LksG) sollte man hier die Lieferkette besonders sorgfältig betrachten. VW tat dies kürzlich in seinem Zweigwerk vor Ort und konnte keine Unregelmäßigkeiten entdecken. Das sollte bei den deutschen Kunden der Seltenen Erden tunlichst auch so sein, ansonsten ist der Generalstabsplan reine Makulatur – oder das Lieferkettengesetz.
Wir sehen, die „Freiheitsenergien“ machen uns abhängig, nicht nur vom Wetter, auch vom Weltmarkt und auch von Ländern, die nicht von lupenreinen Demokraten regiert werden. Es kann diplomatisch kompliziert werden und es bleibt nur zu hoffen, dass unsere schnellsprechende Außenministerin nicht nebenbei China den Krieg erklärt.
Dann wäre der ausfallende Windkraftausbau unser kleinstes Problem.

Schaffe, schaffe, Mühle baue

Das Ziel des Generalstabs-Plans ist, fünf WKA pro Tag ans Netz zu bringen ist. Nun müsste hochgerechnet werden, welche Vorleistungen das erfordert. Nötig wären mindestens eine Million Tonnen Zement pro Jahr, hunderte zusätzliche Betonmischerfahrten pro Tag, die unterwegs sein müssten in Konkurrenz zum Wohnungsbau und zum Industriebedarf.
Sollte der eingebrochene Wohnungsneubau auf niedrigem Niveau verharren, wäre das eine gute Nachricht für den Windkraftausbau. Großkräne mit einer Ausladung von etwa 200 Metern und einer Hubstärke von mehr als 400 Tonnen hat niemand auf dem Hof herumstehen und wartet auf Aufträge. Auch das Wetter ist ein Risiko. Ausgerechnet der Wind kann die Montage von WKA verzögern.

Die Windbranche sucht bereits heute händeringend Fachkräfte für die Montage und Instandhaltung. Auch für den parallel laufenden Rückbau werden sie gebraucht. Gut qualifiziert müssen die Leute sein, vorzugsweise Mechatroniker, die Mechanik und Elektrik gleichermaßen gut können. Dazu kommen die Höhentauglichkeit, körperliche Belastbarkeit und die Bereitschaft zu Montage- und Schichtarbeit. Ein großer Teil der nachwachsenden Generation bevorzugt eher Berufsbilder wie Blogger, Influencer, wenn möglich Model, und manche werden Straßenkleber.

Die Generation Babyboomer, die noch das Schinder-Gen ihrer Eltern- und Großelterngeneration in Teilen geerbt hatte, ist nicht mehr verfügbar. Sie war bereit, für gutes Geld hart und viel zu arbeiten. Aber schon die Generation Commodore, Walkman und Tamagochi sah das teilweise anders. Ein zunehmend auf Beliebigkeit und Abwählbarkeit von Schulfächern ausgerichtetes Bildungssystem bremste den Ehrgeiz. Große Teile der „Generation Z“ leben nun von klein auf an der Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide, das heißt, sie streben schon beim Heranwachsen ihre Selbstverwirklichung an. Ein Arbeitsleben mit wenig Arbeitszeit, viel Freizeit, Homeoffice und Work-Life-Balance ist das Ziel. Selbst Geld als Anreiz zieht kaum, weil viele den Mangel an diesem im Hotel Mama nie wirklich kennenlernten. Natürlich beschreibt das nur einen Teil dieser Generation. Auch sie ist vielfältig und an ihren Rändern leben die extremen Flügel der Überbehüteten und der Verwahrlosten, aus denen aber auch keine Windkraftmonteure und –innen erwachsen werden.

Der General-Staatsplan

Wenn staatlicherseits hohe Geschwindigkeit verkündet wird, lohnt ein Blick in den Rückspiegel auf andere staatlich initiierte Vorhaben. Der „Fluchhafen“ Berlin-Brandenburg brauchte 14 statt sechs Jahren Bauzeit, der Stuttgarter Hauptbahnhof wird es wohl auf 15 statt neun Jahren bringen. Das neue Schiffshebewerk in Niederfinow nahm sich 14 Jahre Zeit, der Vorgängerbau in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts brauchte nur sieben. Andere Großprojekte wie die Rheintal-Schiene reichen weit in die Zukunft.

Als Mutmacher wird ein angeblich neues Deutschland-Tempo angeführt mit den Beispielen LNG-Terminal Wilhelmshaven und Tesla Grünheide. Beide Projekte taugen nicht zum Leuchtturm staatlichen Handelns. Das LNG-Terminal ist im Grunde nur an Schiffsanleger mit einigen Kilometern Pipeline. Elon Musk investierte nicht bei Berlin, weil die Standortbedingungen für die Produktion in Deutschland so gut sind, sondern er wollte mit der Gewalt des Geldes im Mutterland des Automobils ein Zeichen setzen und trieb die Genehmigungsbehörden vor sich her.

Eine weitere Gemeinsamkeit dieser verhinderten Erfolgsgeschichten besteht darin, dass die geplanten Kosten aus dem Ruder laufen. Auch international geht manches schief, aber der Bau des Gotthard-Basistunnels zeigt, dass auch Großprojekte sogar den Zeit- und Kostenrahmen unterschreiten können.

So viel wie möglich

Die Windbranche selbst weiß natürlich, dass des Kanzlers Zahlen illusionär sind, aber politisch hat sie erreicht, was sie wollte: Die meisten Hürden aus Baugesetz, Naturschutzgesetzen, für Verwaltungs- und Einspruchsverfahren sind ausgeräumt. Naturschutz gibt es nur noch dann, wenn ein Feldhamster an der geplanten Umgehungsstraße wohnt oder eine seltene Fledermausart im Bereich einer geplanten Elbbrücke vermutlich gesehen wurde. Hunderttausende durch Windkraftanlagen zu Tode gekommene Fledermäuse der verschiedensten Arten, Milliarden von Insekten („Rettet die Bienen“) und tausende großer Greifvögel spielen für Naturschutzorganisationen und eine ehemalige Naturschutzpartei keine Rolle mehr. Heuchlerisch wird auf Brasilien gezeigt, während eigene Wälder gnadenlos für die Windkraft eingeholzt werden, Lebensräume für Wildtiere zerschnitten, Bodenfunktionen wie die Grundwasserbildung und die Wasserspeicherung eingeschränkt werden. Nun kann gebaut werden, soviel man halt schafft.

Es gibt freie Fahrt durch die „Änderung des Raumordnungsgesetzes“, auf die eine „EU-Notfallverordnung“ draufgepackt wurde, die man nur zwei Tage nach Bekanntwerden des Entwurfs durch den Bundestag peitschte. Es wird der Eindruck erweckt, der schnellere Ausbau der Windkraft sei auf Grund eines „Notfalls“ unbedingt nötig. Das verhindert allerdings den Notfall nicht, dass der Wind zuweilen nicht weht.

Der wirtschaftliche Rückenwind bleibt allerdings aus, es gibt sogar Gegenwind. Die vergangenen vier Ausschreibungen „Windenergie an Land“ waren allesamt unterzeichnet, das heißt, für die ausgeschrieben Volumina gab es zu wenige Gebote. Trotz auf 7,35 Cent pro Kilowattstunde erhöhter Vergütung (vorher 5,88) blieb auch die erste Ausschreibung 2023 unter den Erwartungen. Für eine ausgeschriebene Menge der zu installierenden Leistung von 3.210 Megawatt (MW) standen am Ende nur 1.440 MW bezuschlagte Leistung. Die Investoren wissen um das Risiko der Inflation, der Rohstoff- und Materialsituation, der Varianz des Windaufkommens. Das unterscheidet sie von einer Regierung, die einfach Wünsche in Pippi-Langstrumpf-Manier als Ziele formuliert.

Schon erschallt der Ruf nach Staatsbürgschaften. Im Klimaministerium sind sie wohlwollend aufgenommen worden, in der Ampelregierung wären sie aber noch durchzusetzen. Sie würden den Ausbau beschleunigen, denn die Investoren könnten erst mal „drauflosbauen“. Das Risiko hängt dann beim Steuerzahler und der ist so schön anonym.

Desaster voraus

Der Generalstabs-Plan wird nicht aufgehen, weil er die vorhandenen Kräfte und Mittel nicht realistisch berücksichtigt. Vermutlich wird es beim absehbaren Scheitern des Windkraftausbaus wieder Aussagen geben von Wumms und Doppelwumms. Die Infantilisierung der Sprache zeigt im Grunde das kindliche Wesen von Politikern, Wünsche ungeprüft zu äußern.

Nun warnt McKinsey vor akuten Strommangel in den nächsten Jahren und beziffert die drohende Versorgungslücke 2030 in Spitzenzeiten von bis zu 30 Gigawatt. Die Annahme der Bundesregierung, man könne bis 2030 neue Gaskraftwerke mit einer Kapazität in dieser Größenordnung neu bauen, ist angesichts der Vorlaufzeit von fünf bis sieben Jahren illusionär. Das Klimaministerium will jetzt „in kürzester Zeit“ die Ausschreibungen starten. Dann müssten mehr als 30 Gaskraftwerke nahezu zeitgleich errichtet werden. Dazu hätte es – schon vor Jahren – eines Generalstabsplans bedurft.

Die neuen Gaskraftwerke werden staatlich finanziert oder zumindest gefördert werden müssen. Damit greift der Subventionsbereich auch auf die konventionelle Kraftwerkslandschaft über und es entsteht ein im Grunde komplettes (öko-) planwirtschaftliches System. Wie wir aus realsozialistischen Zeiten wissen, führt eine Planwirtschaft dauerhaft nicht zum Erfolg.

Der Beitrag erschien zuerst bei TE hier

 

 

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