Die Organisatoren der Glasgower Konferenz wollten die Vertreter der Kernenergie an der Teilnahme hindern. Erst ein geharnischter Brief sorgte für Abhilfe. Allgemein kann aber die Bedeutung der Atomkraft als klimafreundliche Energieform immer weniger ignoriert werden.

image

von Alex Reichmuth

Es fehlte nicht an dramatischen Vergleichen zum Auftakt der Klimakonferenz im schottischen Glasgow. «Wir schaufeln unser eigenes Grab», mahnte Uno-Generalsekretär Antonio Guterres in seiner Eröffnungsrede. «Lasst uns die Bombe entschärfen», rief der britische Premierminister Boris Johnson den versammelten Staatsvertretern zu. Ziel der Konferenz ist es, Wege zu finden, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken und den Ausstoss an Klimagasen entsprechend drastisch zu verringern.

Doch ausgerechnet die Atomkraft, die weitgehend CO₂-frei ist und einen wesentlichen Beitrag zu Erreichung der Klimaziele leisten könnte, ist an der Konferenz höchstens geduldet. Die Organisatoren wollten die Vertreter des Branchenverbands World Nuclear Association (WNA) eigentlich sogar fernhalten und daran hindern, in der «grünen Zone» des Konferenzgeländes einen Ausstellungsstand aufzubauen. In dieser Zone gibt es Platz für Dutzende von Interessengruppen.

Offener Brief an den Konferenz-Präsidenten

Um die Teilnahme doch noch zu ermöglichen, schrieb die WNA einen offenen Brief an Alok Sharma, den Präsidenten der Klimakonferenz. «Jede Bewerbung der Kernenergie für einen Platz in der grünen Zone wurde zurückgewiesen», beschwerte sich darin WNA-Generaldirektorin Bilbao y Leon. Sie bitte sehr darum, Kernenergie «fair zu behandeln und angemessen neben den anderen CO₂-armen Energiequellen zu präsentieren». Das half: Die Atomvertreter dürfen an der Konferenz nun doch mittun.

Die schlechten Erfahrungen der WNA-Chefin sind kein Einzelfall. Immer wieder versuchen an der Klimakonferenz vor allem Umweltschutzverbände, Druck gegen den Auftritt von Atomkraftvertretern zu machen. «Mir wurde abgeraten, überhaupt zur Weltklimakonferenz zu kommen», sagte Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der 2019 in Madrid teilnehmen wollte. «Verschiedene Berater warnten mich, dass man auf den Klimakonferenzen der Kernenergie fundamental feindlich begegnet», bemerkte Grossi zur deutschen «Welt».

Atomfreundliche Klimademonstranten ausgegrenzt

Wie ablehnend die meisten Klimaschützer der Atomkraft gegenüberstehen, müssen auch immer wieder Teilnehmer an Klimademos erfahren, wenn sie offen für die Kernenergie einstehen. Schlechte Erfahrungen machte etwa Werner Bechtel, auch bekannt als «Atomwerni», der Ende September an einer Klimademonstration in Zürich mitmarschierte.

Er trug ein Transparent mit der Aufschrift «Kernenergie für’s Klima» mit sich. Bechtel wurden von den Organisatoren weggewiesen, mit polizeilicher Unterstützung. Die Polizei konfiszierte zudem sein Transparent.

Am gleichen Tag wurde die Pro-Atom-Aktivistin Britta Augustin in Berlin Opfer eines tätlichen Angriffs. Auch sie war an der dortigen Klimademo mit einem atomfreundlichen Schild unterwegs. Das provozierte den Angriff eines anderen Teilnehmers, der ihr das Schild mit Gewalt und viel Körpereinsatz entriss und es zerstörte (siehe hier).

Klimaziele nur mit Kernenergie erreichbar

Dabei haben die Atomkraft-Befürworter alle Argumente auf ihrer Seite, was die Klimafreundlichkeit ihrer Technologie angeht. Der Weltklimarat hat die Atomkraft mehrmals als wichtig im Kampf gegen die Erderwärmung bezeichnet. Die Uno-Wirtschaftskommission für Europa (Unece) kam zum Schluss, dass die internationalen Klimaziele nur mit Hilfe der Kernenergie erreichbar sind.

Auch die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission (Joint Research Center, JRC) gab dieses Jahr ein Votum pro Kernkraft ab. Es gebe «keine wissenschaftlich fundierten Belege» dafür, dass die Kernenergie der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt mehr Schaden zufüge als andere klimafreundlichen Stromerzeugungstechnologien, schrieb das JRC (siehe hier).

Trotzdem lobbyieren nicht nur Konferenzveranstalter und Demo-Organisatoren gegen die Atomkraft, sondern sogar Staaten. An vorderster Front mischt Deutschland mit, das bis Ende nächsten Jahres seinen Atomausstieg vollenden und die letzten sechs AKW abstellen will. Danach müsse im Ausland weitergekämpft werden, machte Bundesumweltministerin Svenja Schulze im letzten März klar. «Weitere konsequente Schritte« gegen die Kernenergie seien erforderlich. Ziel sei «der Schulterschluss der atomkritischen Staaten».

Schweiz akzeptiert Atomkraft bei der Klimakompensation nicht

Zu den atomkritischen Staaten gehört auch die Schweiz. Sie macht es bei Abkommen zur Klimakompensation mit anderen Ländern zu Bedingung, dass die von der Schweiz finanzierte CO₂-Minderung nicht durch Atomkraft erfolgen darf. Diese Klausel ist etwa Teil der Klimaschutzabkommen mit Senegal und Ghana. «Mit der Energiestrategie 2050 hat die Schweiz den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen», begründete der Bund die Klausel im letzten Sommer. «Mit diesen Abkommen will sie umweltfreundliche Energien fördern.» (siehe hier)

In der Europäischen Union macht Deutschland zusammen mit Österreich, Luxemburg, Dänemark und Spanien Druck gegen eine Klassierung der Kernenergie als klimafreundliche Technologie. Konkret geht es um die sogenannte Taxonomie, eine Art grüner Bibel, die festlegen soll, welche Investitionen als nachhaltig gelten. Von dieser Taxonomie wird es abhängen, ob in den kommenden Jahren in der EU Geld von Unternehmen und Staaten in den Bau von Kernkraftwerken fliessen kann.

Für die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie machen sich Frankreich, Finnland und die meisten osteuropäischen Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien stark. Der Entscheid der EU-Kommission wird in den nächsten Wochen erwartet.

Die Hälfte der Befragten ist gegen die Atom-Stilllegung

Vermutlich ist die Sache bereits entschieden – zugunsten der Kernenergie. Die «Welt» berichtete, dass Deutschland gegenüber Frankreich nachgegeben habe. Darauf deute insbesondere eine Bemerkung von Ursula von der Leyen an einem EU-Gipfel im Oktober. Die Präsidentin der EU-Kommission habe dort angekündigt, einen Vorschlag für das EU-Nachhaltigkeitslabel vorzulegen, der unter anderem die Atomkraft einschliesse.

Auch in der öffentlichen Meinung gewinnt die Kernenergie offenbar an Boden. In Deutschland ergab eine repräsentative Umfrage der «Welt am Sonntag», dass 50 Prozent der Befragten die Stilllegung der restlichen deutschen Atommeiler bis Ende nächsten Jahres ablehnen. Nur 36 Prozent sind für die Ausserbetriebnahme. Vor zwei Jahren ergab eine ähnliche Umfrage noch, dass rund 60 Prozent die Beendigung des Atomzeitalters befürworten. Jetzt aber sind 44 Prozent gar für die Errichtung neuer AKW.

Economiesuisse: Atomausstieg war ein «Fehler»

In der Schweiz gab es in letzter Zeit keine ähnlichen Umfragen. Aber es verdichten sich die Zeichen, dass sich auch hierzulande die Stimmung in Sachen Atomkraft aufhellt. Support gibt es etwa von der Wirtschaft: Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder bezeichnete kürzlich den vom Bundesrat angestossenen Atomausstieg, den das Stimmvolk 2017 abgesegnet hat, als «Fehler». Allgemein bringen die Diskussionen um die Stromlücke, die sich immer deutlicher abzeichnet, die Option Kernenergie zurück ins Spiel.

Der Beitrag erschien zuerst im Nebelspalter hier

 

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken