Das Wehklagen über die hohen Preise von Öl, Gas und Strom ist gross. Staatsführer versuchen, die Belastung für die Bevölkerung zu verringern. Dabei entspricht die Verteuerung genau dem, was die Klimapolitik immer gefordert hat: Fossile Energie müsse mehr kosten, damit der Verbrauch abnehme.

 

von Alex Reichmuth

«Er ist da, der Preisschock. Gut so!» Mit diesen Worten leitete Detlef Flintz kürzlich einen Kommentar in den deutschen «Tagesthemen» ein. Nur wenn Öl und Gas spürbar teurer würden, bekäme man die Erderwärmung in den Griff, fuhr der ARD-Journalist fort. Jetzt sei man gezwungen, Konsum und Produktion zu ändern. «Bitte also keine Diskussionen darüber, wie wir× ähnlich wie Junkies wieder an billigere fossile Rohstoffe kommen», so Flintz (siehe hier).

«Ein Kommentar, der vor Arroganz nur so trieft.»

CDU-Europaparlamentarier Dennis Radtke zu einem ARD-Kommentar

Dem Kommentar folgte ein Sturm der Entrüstung. «Kaum zu glauben», schrieb die «Bild»- Zeitung. «Ein Kommentar, der vor Arroganz nur so trieft», enervierte sich der CDU- Europaparlamentarier Dennis Radtke. «Hier braucht man starke Nerven», twitterte  Polizeigewerkschafts-Chef Manuel Ostermann. «Es gibt gute Gründe, warum sich viele Menschen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abwenden.»

Hohe Preise sollen einen Anreiz zum Verzicht sein

Über solche Reaktionen kann man sich eigentlich nur die Augen reiben. Denn in der Tat gehört die Verteuerung von fossiler Energie und Strom, der mit Kohle, Öl und Gas erzeugt wird, zu den zentralen Forderungen der Klimapolitik. Und Umfragen zeigen, dass breite Kreise der Bevölkerung den Klimaschutz mittragen – zumindest auf dem Papier.

Durch die Verteuerung fossiler Brennstoffe soll der Anreiz gesetzt werden, weniger davon zu verbrauchen. Alternative, sogenannt saubere Energieträger wie Windkraft oder Photovoltaik sollen einen Wettbewerbsvorteil erhalten. Die Hoffnung ist, dass damit der Ausstoss an Klimagasen zurückgeht.

Hauptsache teurer – sollte man meinen

In der Regel wird eine Verteuerung durch die Besteuerung von CO₂ oder die Pflicht zum Kauf von Emissionszertifikaten propagiert. Dass nun andere Gründe – seien es der Markt oder das Kalkül von Russlands Machthaber Putin – zu höheren Notierungen bei Öl, Gas und Strom geführt haben, ist eigentlich einerlei. Hauptsache teurer – sollte man meinen.

Windturbinen produzieren wegen Flaute weniger Strom, so dass fossile Kraftwerke einspringen müssen.

Die Ursachen der Preishausse sind in der Tat unterschiedlich. Kohle und Gas sind wegen des Aufschwungs der Weltwirtschaft nach dem Abflauen der Pandemie knapp geworden. Russland bedient lieber asiatische Staaten statt Europa mit Gas. Windturbinen produzieren wegen Flaute weniger Strom, so dass fossile Kraftwerke einspringen müssen. Und die Notierungen für europäische Emissionszertifikate haben nach der Ankündigung einer scharfen Klimapolitik Rekordstände erreicht.

Politiker sind aufgeschreckt

Ärger macht sich breit. Autofahrer bekommen die hohen Preise an der Tankstelle zu spüren. Hausbesitzer kommen ins Grübeln, wenn sie für viel Geld ihre Öltanks füllen müssen. Und Mieter machen die Faust im Sack, wenn die Heizkostenabrechnung ins Haus flattert.

Die hohen Energiepreise stossen auch bei Politikern auf Widerstand. Diese sind regelrecht aufgeschreckt. Irgendwie kann man es ihnen nicht verübeln, denn die Folgen sind zum Teil gravierend.

In ganz Europa leben immer mehr Menschen in Energiearmut und können ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen.

In Grossbritannien hat die Preisexplosion mehrere kleine Energieversorger in die Pleite getrieben, weil sie die Erhöhung nicht auf die Konsumenten überwälzen konnten. In Deutschland und Norwegen wurden Fabriken abgeschaltet. Auf dem ganzen Kontinent leben immer mehr Menschen in Energiearmut und können ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen. Wenn der Winter kommt, müssen sie wohl in ihren Wohnungen frieren.

In Spanien gingen Menschen auf die Strasse

Darum fürchten Staatsführer soziale Spannungen und Energieproteste. In Spanien gingen schon im Sommer viele Menschen wegen der hohen Strompreise auf die Strasse. In Frankreich haben Sommer viele Menschen wegen der hohen Strompreise auf die Strasse. In Frankreich haben gewalttätige Demonstrationen der Gelbwesten-Bewegung Präsident Emmanuel Macron vor zwei Jahren dazu gezwungen, geplante Erhöhungen bei den Spritpreisen zurückzunehmen

So beeilen sich die Regierungen, die Härten der hohen Energiepreisen abzumildern. Sie schicken Schecks an Haushalte, unterstützen notleidende Unternehmen und setzen Energiesteuern aus.

Italien hat 4,5 Milliarden Euro an Staatshilfen und Steuersenkungen angekündigt. Frankreich will 5,8 Millionen Bürgern je 100 Euro für die Stromrechnungen zukommen lassen. Spanien hat vor, Gewinne in der Höhe von 3 Milliarden Euro von Energiekonzernen abzuschöpfen und den Konsumenten gutzuschreiben.

EU schlägt Massnahmen vor

Insgesamt haben schon 22 der 27 EU-Staaten Massnahmen ergriffen, um die Folgen der hohen Energiepreise zu lindern. EU-Energiekommisssarin Kadri Simson hat den Mitgliedstaaten kürzlich eine Art Werkzeugkasten zur Verfügung gestellt, wie sie die Bevölkerung in Übereinstimmung mit den EU-Gesetzen entlasten können. Dazu zählen das Verschicken von Gutscheinen an arme Haushalte, die Übernahme von Stromrechnungen und die Senkung von Gas- und Stromsteuern.

«Kurz vor der Uno-Klimakonferenz in Glasgow giert die Welt nach Öl, Gas und Kohle.»

Neue Zürcher Zeitung

Auch weltweit scheinen die Klimaziele plötzlich vergessen zu sein. Die USA haben die OpecStaaten aufgefordert, mehr Erdöl zu fördern. Die Internationale Energieagentur hat Russland dazu aufgerufen, die Erdgas-Lieferungen aufzustocken. «Kurz vor der Uno-Klimakonferenz in Glasgow giert die Welt nach Öl, Gas und Kohle», stellte die «Neue Zürcher Zeitung» fest.

Ersatz für fossile Brennstoffe kaum in Sicht

Dabei habe man doch mit einer CO₂-Bepreisung genau erreichen wollen, dass die Preise für «dreckige Energieformen» nach oben schiessen, schrieb die «NZZ» weiter. «Wenn es jedoch keinen Ersatz gibt und das Resultat davon – überspitzt gesagt – ein Blackout der Gesellschaft sein kann, ist dies nicht zielführend.» Aussteigen aus den fossilen Brennstoff ja, aber noch nicht jetzt – so lautet die Devise. Es ist allerdings fraglich, ob ein Verzicht auf Öl, Gas und Kohle in einigen Jahren leichter fällt. Dann mag es zwar mehr Windräder und Solarpanels geben, die – je nach Wetter – Strom liefern oder auch nicht. Aber ein zuverlässiger Ersatz für fossile Brennstoffe wird auch dann kaum in Sicht sein.

Soziale Härten sind unausweichlich

Klimaschutz kann aber nur durchgesetzt werden, wenn fossile Energie mehr kostet – viel mehr. Soziale Härten sind fast unausweichlich. Wie jetzt gesehen, knicken Regierungen allerdings sofort ein, wenn die Preise nach oben gehen. Politiker machen sich Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung und haben Angst vor der Wut der Bevölkerung.

Den Menschen wurde pausenlos eingebläut, dass Klimaschutz kaum etwas koste.

Die gegenwärtige Entwicklung zeigt eindrücklich, warum Klimaschutz, der wirklich einschenkt, nicht funktionieren kann. Denn sobald die Energiepreise nach oben gehen, wehren sich die Menschen dagegen – mit Strassenprotesten oder, wie es in der Schweiz beim CO₂-Gesetz passiert ist, an der Urne. Ihnen wurde ja pausenlos eingebläut, dass Klimaschutz kaum etwas koste. Die Bevölkerung wird darum verhindern, dass man ihr Öl, Gas und Kohle wegnimmt – und ihre Staatsführer dazu zwingen, sich um preisgünstige Energie zu kümmern.

Der Beitrag erschien zuerst im Nebelspalter hier

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