Von Alex Reichmuth Nebelspalter

In Deutschland ist der Ausbau der Windkraft ins Stocken geraten. Nun sollen die Regeln für den Bau neuer Windräder gelockert und mehr Flächen dafür reserviert werden – auch im Wald. In der Schweiz kommt die Windenergie ebenfalls nicht vom Fleck.

Jedes fünfte neue Windrad in Deutschland wird in den Wald gebaut. Bild: Shutterstock

(Lesen Sie hier Teil 1: In Deutschland stockt der Ausbau)

Deutschland will seine Stromerzeugung ganz auf erneuerbare Energiequellen umstellen. Das Land nimmt laufend Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz. Die letzten AKW sollen nächstes Jahr abgestellt werden. Der Kohleausstieg soll bis 2038 gelingen. Deutschland plant, den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern.

Heute sind es 45 Prozent.

Doch der Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion stockt. In Deutschland häufen sich darum×Stimmen, die vor einem Strommangel warnen. Wenn Fotovoltaik und Windenergie nicht schneller ausgebaut würden, könnte sich der Ausstieg aus der Kohleverstromung um viele Jahre verzögern, mahnte etwa das Marktforschungsunternehmen EUPD. Schon in zwei Jahren sei mit einer erheblichen Unterdeckung des Strombedarfs zu rechnen. Die Bundesregierung renne «sehenden Auges» in eine Stromlücke.

«Wir müssen durch die verschärften Klimaziele Deutschlands und der EU von einem deutlich höheren Strombedarf ausgehen, als es bisher zugrunde gelegt wurde.»

Peter Altmaier, Wirtschaftsminister Deutschland

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat kürzlich eingeräumt, sein Ressort habe unterschätzt, wie stark der Strombedarf in Deutschland künftig steige – dies etwa wegen der Elektrifizierung des Strassenverkehrs und der Umstellung auf Wärmepumpen zum Heizen. «Wir müssen durch die verschärften Klimaziele Deutschlands und der EU von einem deutlich höheren Strombedarf ausgehen, als es bisher zugrunde gelegt wurde», sagte Altmaier zur «Wirtschaftswoche». Nötig seien viel mehr Windkraft- und Solaranlagen.

Mindestabstände verhindern Windkraft-Projekte

Vor allem der Ausbau der Windenergie kommt in Deutschland nur noch schleppend voran. Während 2016 und 2017 noch Windparks mit einer Leistung von 4625 Megawatt (MW) beziehungsweise 5334 MW neu in Betrieb genommen wurden, waren es 2018 noch 2402 MW, 2019 noch 1078 MW und letztes Jahr 1431 MW. In einzelnen Bundesländern, wie Bayern oder Baden-Württemberg, werden fast gar keine neuen Windräder mehr errichtet.

Aufwändige Planungs- und Genehmigungsverfahren stehen der Windkraft im Weg. Die vorgeschriebenen Mindestabstände zu Siedlungen verhindern viele Projekte. Auflagen in Sachen Lärm und Vogelschutz erschweren den Ausbau. Vielerorts kämpfen Anwohner erbittert gegen geplante Windparks und nutzen jede rechtliche Möglichkeit zur deren Verhinderung.

Vielen bestehenden Windparks in Deutschland droht die Abschaltung. Denn nach zwanzig Jahren Betrieb eines Windrads läuft die finanzielle Förderung aus.

Zudem droht vielen bestehenden Windparks die Abschaltung. Nach zwanzig Jahren Betrieb eines Windrads läuft die finanzielle Förderung aus. Ohne garantierte Abnahmepreise aber lohnt sich der Weiterbetrieb meistens nicht. Bis 2025 könnten darum 15’000 MW WindkraftLeistung wegfallen – mehr als ein Viertel der Leistung, die an Land installiert ist.

Um der Windenergie neuen Schwung zu verleihen, sollen in Deutschland nun die

Bedingungen für den Ausbau gelockert werden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich für ein einfacheres und zügigeres Verfahren zur Bewilligung von Windkraftanlagen ausgesprochen. Es brauche schnellere Verfahren und andere Regeln in Sachen Naturschutz, sagt er zur «Wirtschaftswoche». Die Genehmigungen sollten künftig wenn immer möglich innerhalb eines Jahres erteilt werden. Zudem müssten nicht einzelne Tiere vor den Rotoren geschützt werden, so Altmaier, sondern nur Tierarten als Ganzes. Sonst werde die Energiewende nicht gelingen.

Zwei Prozent der Fläche für Windräder

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert, mehr Flächen für den Bau von Windparks zu reservieren. «Wer ja sagt zu mehr Klimaschutz, der muss auch ja sagen zu mehr Strom aus Wind und Sonne», sagte sie zur Deutschen Presse-Agentur. Zwei Prozent der Landesfläche müssten für die Errichtung von Windrädern zur Verfügung stehen. Denn ohne ausreichende Flächen brächten die schnellsten Genehmigungsverfahren nichts.

Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg × gingen beim Windkraft-Ausbau «im Schneckentempo» voran, kritisierte

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD).

Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg gingen beim Windkraft-Ausbau «im Schneckentempo» voran, kritisierte Schulze. «So kann es nicht weitergehen, wenn wir unseren Industriestandort mit seinem Energiebedarf nicht gefährden wollen.»

Mehr Flächen für Windräder zu reservieren, würde aber mit Sicherheit bedeuten, dass vermehrt Standorte im Wald vorgesehen werden. Im Bundesland Hessen etwa will die Regierung zwei Prozent der Landesfläche zu Windvorranggebieten erklären. Naturschützer warnen vor gravierenden Folgen für die letzten ungestörten Wälder, etwa den weitläufigen Pfälzerwald. Auch die Regierung von Baden-Württemberg will zwei Prozent der Fläche für erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Ziel sei es, den Staatswald stärker für den Ausbau zu öffnen, und dort bis zu 500 Windanlagen zu bauen.

In den letzten zehn Jahren wurden in Deutschland schon 1400 Hektaren Wald für den Bau von Windparks gerodet – eine Fläche so gross wie 2000 Fussballfelder. Mittlerweile stehen 2020 Anlagen in Waldgebieten, was sieben Prozent aller Windparks ausmacht. Von den neu gebauten Windräder kommen sogar 20 Prozent im Wald zu stehen.

Erst 43 Windturbinen in der Schweiz

Auch in der Schweiz geht bezüglich dem Ausbau der Windkraft fast nichts. Hierzulande sind gerade mal 43 Windturbinen in Betrieb. Der Widerstand der Bevölkerung gegen den Bau neuer Windanlagen ist gross. So brachte die Gemeindeversammlung von Muttenz bei Basel vor einigen Tagen ein geplantes Windrad im Hardwald zu Fall. Auch in der Ortschaft

Murzelen bei Bern gibt es keinen Windpark: Der Gemeinderat hat sich gegen den Bau von vier Anlagen mit einer Höhe von 240 Metern entschieden – auch wegen der Gegenwehr der Anwohner. Seit der Bundesrat vor zehn Jahren die Energiestrategie aufgegleist hat, kamen nur gerade in Haldenstein, auf dem Gotthard und in Peuchapatte neue Windräder zu stehen. Gemäss der Botschaft zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie von 2013 sollte die Windenergie 2020 eigentlich 0,66 Terawattstunden zur Schweizer Stromproduktion beitragen. Doch de facto waren es 2019 erst 0,1 Terawattstunden.×

Vor allem in der Deutschschweiz gehe der  Windenergie «langsam die Puste aus», schreibt Freie Landschaft Schweiz, der Verband der Windkraftgegner.

Im Rahmen der Energiestrategie des Bundes ist seit 2013 vorgesehen, dass die Windkraft 2050 jährlich 4,3 Terawattstunden Strom beisteuert. Das sind verglichen mit dem Verbrauch von 2020 fast acht Prozent. Der Bundesrat hält im revidierten Energiegesetz, das er letzte Woche an das Parlament überwiesen hat, zwar an diesem Ziel fest, hat aber das Zwischenziel für 2035 gesenkt: von 1,76 Terawattstunden auf 1,2 Terawattstunden.

Doch selbst das scheint schwer zu erreichen. Vor allem in der Deutschschweiz gehe der Windenergie «langsam die Puste aus», schreibt Freie Landschaft Schweiz, der Verband der Windkraftgegner. Insgesamt gebe es diesseits des Röstigrabens nicht einmal mehr zwölf Standorte, wo aktiv ein Windstrom-Projekt in der Planung vorangetrieben werde. Dagegen seien in der Schweiz in den letzten fünf Jahren 16 Windparks abgelehnt oder sistiert worden, zwölf davon in der Deutschschweiz. «Die Politik muss einsehen: Die Windenergie-Pläne des Bundes zerbrechen je länger je mehr am Widerstand der Bevölkerung», bilanziert Freie Landschaft Schweiz.

 

Der Beitrag erschien zuerst beim Nebelspalter hier

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