Es soll Zeiten gegeben haben, in denen Redakteure so etwas wie Recherche betrieben, bevor sie ihr „Herzblut in einen Artikel verströmten“. Diese Zeiten sind längst vorbei, aus Kostengründen, aus Unkenntnis, aus Ideologie, aus Gehorsam dem Zeitgeist gegenüber oder eben aus Dummheit. Letzteres schlägt das berühmte Rasiermesser Hanlons vor. Lassen wir also Milde walten, und gehen wir von Dummheit der beiden Redakteure aus. Und haben wir ein wenig Mitgefühl, denn es ist angesichts des überdimensionalen Misthaufens von Falschinformationen über Kernkraftwerke und ihre Gefahren tatsächlich nicht ganz so einfach zu den Fakten vorzudringen.

Eines der seltenen Beispiele guten Journalismus bot die wohl unverdächtige ZEIT mit dem Artikel von Hartmut Wewetzer „Wie viele Opfer forderte Tschernobyl wirklich?“, ZEIT Online, 21. April 2011, zu finden unter https://www.zeit.de/wissen/2011-04/tschernobyl-gesundheitsfolgen-bericht. Der Link ist hier bewusst ausgeschrieben, denn einfach in Google mit Titel, Redakteur und Quelle in üblicher Weise suchen, führt ausnahmsweise nicht zum Erfolg. Zufall oder Opfer von zu viel Informationsmist? Schwer zu sagen. Dieser ZEIT-Artikel gibt jedenfalls ziemlich korrekt die Gesamtzahl der gesicherten Todesfälle infolge des Tschernobyl-Desasters von 24. April  1986 im gesamten betroffenen Bereich der verbreiteten radioaktiven Strahlung mit 62 (in Worten zwei-und-sechzig) an und erklärt zudem, woher die nicht nur in der RNZ immer wieder kolportierten Märchenzahlen stammen.

Zumindest auf den wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) hätten die beiden RNZ-Redakteure anlässlich ihres Artikles kommen können. UNSCEAR beschäftigt überwiegend internationale Experten aus dem staatlichen Forschungsbereich, die als neutral und vertrauenswürdig gelten. Aber auch hier wieder milde Nachsicht, denn in der deutschen Öffentlichkeit ist diese wohl wichtigste Organisation der friedlichen Kernenergienutzung so gut wie unbekannt, die Medien ignorieren das UNSCEAR.

Vertrauenswürdig ist auch die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA, zu deren Aufgaben die Förderung der friedlichen Nutzung der Kernenergie gehört. Ihre Hauptaufgabe ist die Überwachung kerntechnischer Anlagen. Die IAEA informiert aber auch über den Zustand und den Ausbau von Kernreaktoren, bringt Sicherheitsberichte heraus und veranstaltet wissenschaftlich-technische Konferenzen. Obwohl 2005 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, begegnet man gelegentlich dem Vorwurf, die IAEA sei ein „Lobbyverein“. Belege für diese Behauptungen gibt es nicht. Der Lobbyvorwurf ist regelmäßig der letzte Notanker, wenn Argumente fehlen.

Um es kurz zu machen, liebe Leser(innen), Sie können selber in UNSCEAR und IAEA nachschauen und sich dabei etwas in Recherche üben, was in heutigen Fake-Zeiten wärmstens zu empfehlen ist. Im Wesentlichen bestätigen diese Organisationen die Zahlen des oben erwähnten ZEIT-Artikels. Wer noch Detaillierteres über die besonders interessanten Spätfolgen erfahren möchte, sei auf den Fachaufsatz von R. Michael Tuttle et al. [1] verwiesen.

Auch wenn es die neue Grün-Schwarze Regierung von Baden-Württemberg und alle Wähler, die in der Wahlkabine das Kreuzchen so gerne bei ihren eigenen Metzgern machen, partout nicht wahrhaben wollen: Kernenergie ist die mit Abstand sicherste Erzeugungsmethode für elektrischen Strom. Kann doch gar nicht stimmen, wer kommt denn auf so etwas Verrücktes, ist jetzt wohl zu vernehmen. Nun, es wird ganz einfach das wohlbekannte und bewährte Kriterium „Anzahl von Todesopfern pro erzeugte elektrische Energie mit einem bestimmten Verfahren“ angewendet. Ist ähnlich wie bei der Sicherheitsermittelung von Verkehrsträgern als „Anzahl von Todesopfern pro Flugzeug-Kilometern“ oder „Todesfälle pro gefahrenen Autokilometern“. Begreifen sogar Abiturienten in Baden-Württemberg seit Grün-Schwarz auch das Bildungsministerium verantwortet.

Zur Sicherheit bzw. Gefahr von Kernkraftwerken gibt es drei Studien, alle nach Tschernobyl, welches somit berücksichtigt wurde. Die beiden ältesten Studien wurden vor dem Fukushima-Unglück von 2011 erstellt (Fukushima hatte kein einziges Strahlungsopfer, es gab aber 16 000 Tsunami-Tote, die von den deutschen Medien durch geschickte Wortwahl als kernkraftverursacht suggeriert wurden). Die älteste Studie wurde 1998 vom Paul Scherrer Institut (PSI) veröffentlicht, dem staatlichen Schweizer Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften [2]. In einer Lancet-Publikation von 2007 wurden die Gesundheitsgefahren der elektrischen Stromerzeugung dann erneut untersucht [3]. Speziell für Deutschland gibt es schlussendlich eine Untersuchung der Universität Stuttgart [4] von 2013. Alle diese Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie aus folgendem Bild anschaulich hervorgehen:

Bild: Todesfälle pro TWh erzeugten elektrischen Stroms. Der Anteil von Uran ist mit 0,05 Todesfällen pro TWh so klein, dass er in der Grafik nicht mehr erkennbar ist. Das Bild vom Autor erstellt aus den in Tabelle 2 der Lancet-Studie angegeben Daten.

Nun glauben Sie bloß nicht, dass der Spitzenplatz bei Kohle den Abgasen oder Staub aus Schornsteinen geschuldet ist. Heute sind moderne Filteranlagen so wirkungsvoll, dass die Luft an Rhein und Ruhr vielleicht von allem Möglichen, aber nicht mehr von Kohlekraftwerken belastet wird. Der deutsche Kohleausstieg ist daher hirnrissig, zumal China, Indien und Afrika ungerührt immer mehr Kohle verbrennen, aber das ist dann wieder eine andere Geschichte. Nein, es ist einfacher, denn der Abbau von Kohle erfolgt meist unter Tage, die Grubenunglücke machen es. Übrigens ist die Umweltenergie „Wasser“ auch nicht so ohne (Staudammbrüche) und auch die grünen Lieblingskinder (mittelalterliche Windmühlen in modern-schickem Design) haben es in sich, denn von diesen überdimensionalen Riesen heruntergefallene Monteure finden nicht den Weg in Zeitungen. Schwere Gesundheitsschäden von Windradanrainern durch Infraschall haben es ähnlich schwer in die Medien zu gelangen [7].

Man kann es drehen und wenden wie man will, Kernenergie ist die sicherste und zugleich umweltfreundlichste Form der elektrischen Stromerzeugung. Ihre Ablehnung durch die Grünen gibt nicht nur Aufschluss über deren „Technikkenntnisse“, sondern zeigt jedem Klarsichtigen, wozu diese Leute wirklich fähig sind, wenn sie einmal an der Macht sind. Wer mehr über Kernenergie, ihren weltweiten Anstieg und vieles Weitere drumherum erfahren möchte, in [5], [6] finden Sie es.

 

Quellen

[1] R. Michael Tuttle et al., Clinical presentation and clinical outcomes in Chernobyl-related paediatric thyroid cancers: what do we know now? What can we expect in the future?, Clinical Oncology 23 (2011) 268. Vgl. https://dx.doi.org/10.1016/j.clon.2011.01.178

[2] Severe accidents in the energy sector. Paul Scherrer Institut, Bericht Nr. 98, 16.11.1998.

[3] A. Markandya, A., Wilkinsen, P., 2007, Electricity generation and health. Lancet, 370.

[4] P. Preiss, P., Wissel, S., Fahl, U., Friedrich, R., Voß, A., et al., 2013. Die Risiken der Kernenergie in Deutschland im Vergleich mit Risiken anderer Stromerzeugungs-technologien, https://www.ier.uni-stuttgart.de/publikationen/arbeitsberichte/downloads/Arbeitsbericht_11.pdf.

[5]  Horst-Joachim Lüdecke: Energie und Klima. Chancen, Risiken, Mythen.
Expert-Verlag, Tübingen, 4. überarbeitete Auflage 2020, ISBN 978-3816934851
Mit einem Geleitwort von Arnold Vaatz MdB. Details, Besprechungen

[6] Götz Ruprecht und Horst-Joachim Lüdecke: Kernenergie: Der Weg in die Zukunft. Schriftenreihe des Europäischen Instituts für Klima und Energie Bd. 7., TvR Medienverlag, Jena 2018, ISBN 978-3-940431-65-3.

[7] https://www.eike-klima-energie.eu/2015/09/22/fakten-und-quellen-zu-windraedern/

 

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