Pressemitteilung Nr.138, 11.6.2016 

Unscheinbarer Start

Wie bei einem richtigen Krebsgeschwür war es ein unscheinbarer Anfang. Um die Stromerzeugung aus Wind und Sonnenstrahlung zu erproben und zu fördern, wurde das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen. Der Betreiber einer regenerativen Stromanlage erhielt über zwanzig Jahre eine feste Vergütung. Die Vergütung deckte die Erzeugungskosten und bescherte dem Betreiber darüber hinaus noch eine überdurchschnittliche Rendite. Die für das Gesetz maßgeblich verantwortlichen Politiker haben dem Ökostrom-Prediger Franz Alt offensichtlich geglaubt, als er mit dem  Satz „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“ durch Deutschland zog und eine preiswerte und nie versiegende Stromversorgung voraussagte.

Da zunächst nur wenige Anlagen gebaut wurden, konnte der damalige grüne Umweltminister, Jürgen Trittin, die Deutschen mit der Aussage beschwichtigen, die Energiewende koste einem Durchschnittshaushalt nicht mehr als eine Kugel Eis im Monat. So erschien auch die erste EEG-Umlage, mit der die Vergütung bezahlt wird, mit weniger als 0,5 Cent pro Kilowattstunde nicht als bedrohend.

Das Geschwür wächst

Doch die lukrativen Vergütungen zogen viele Investoren an. Die Banken sahen in der gesetzlich versprochenen hohen Vergütung über 20 Jahre eine sichere Anlage für ihre Kredite. Städte und Gemeinden glaubten, eine neue Quelle für Gewerbesteuer zu haben. Die Ratsmitglieder stimmten dem Bau von Anlagen zu, zumal diese vorgeblich das Klima retten sollten. Es wurde aber weder hinterfragt noch klar gesagt, wer hierfür letztlich die Kosten aufzubringen habe.

So schossen Windkraftanlagen bis zu 200 Meter in die Luft. Sie sind weit höher als der Kölner Dom. Hausdächer und sogar Kirchendächer, Brachflächen, aber auch Ackerland wurden mit Solarplatten verspiegelt. Auf wertvollem Ackerland wurden Energiepflanzen angebaut für die Erzeugung von Biogas, Ethanol und Biodiesel. Für Naturschutzgebiete, für unsere Wälder und für die von den Ökostromanlagen benachteiligten Anwohner gab es keine Schonung. So drehen sich in Deutschland heute mehr als 30.000 Windkraftanlagen mit über 45.000 Megawatt (MW) installierter Leistung. Nach den gerade ausgehandelten Vereinbarungen der Regierungsparteien soll die Leistung der Windstromanlagen jedes Jahr um weitere 2800 MW steigen. Das sind 1000 bis 1500 neue Windstromgeneratoren. Das Endziel ist, die Windstromleistung zu verdoppeln. Die installierte Leistung der Solaranlagen kommt mit derzeit mehr als 40.000 MW noch hinzu, die gleichfalls weiter wachsen soll.

Gebraucht dagegen wird in Deutschland je nach Tageszeit und Bedarfsschwankung nur eine Leistung von 40.000 bis 75.000 MW. An Wochentagen während der Arbeitszeit ist die nachgefragte Leistung am höchsten, nachts und am Wochenende sinkt sie deutlich ab. Dabei muss, was die Stromverbraucher an Leistung gerade nachfragen, zu jeder Sekunde haargenau bereitgestellt werden. Gelingt das nicht, wird das Netz entweder überlastet und Überlastsicherungen sprechen an, oder die Synchronisation der Wechselstromfrequenz wird gestört. Das bedeutet: In beiden Fällen kommt es zum Stromausfall.

Mit diesen Zahlen wird die Problematik des wetterwendischen und nicht planbaren Windstroms und Solarstrom verständlich. Bei Starkwind und Sonnenschein haben wir an Ökostrom heute schon zuviel. Aber er muss verbraucht werden, um das Netz nicht zu überlasten. Am einfachsten ist, ihn über das europäische Verbundsystem in die Nachbarländer zu leiten. Doch damit verschieben wir das Problem Überschussstrom zu unseren Nachbarn.  Wie bei einem richtigen Krebsgeschwür entwickeln sich nun Metastasen, an die die Gesetzgeber wohl nicht gedacht haben.

Metastase 1. Nachbarländer werden mit Ökostrom überflutet

Unsere Nachbarländer schützen sich vor dem Überschussstrom aus Deutschland mit Sperren an den Grenzen. Dafür sind große Transformatoren mit Phasenverschiebung  erforderlich. Es sind Investitionen im zweistelligen Millionenbereich. Sie sind zum Teil fertig gestellt oder in der Planung. Nur so können die Nachbarn ihr eigenes Netz sichern. Damit wird die Entsorgung des unbrauchbaren Ökostroms in die Nachbarländer deutlich erschwert.

Metastase 2. Entsorgung von überschüssigem Ökostrom kostet viel Geld

Den unzuverlässigen und nicht berechenbaren Ökostrom will niemand zu den hohen Vergütungskosten haben. Um ihn trotzdem in das Netz einspeisen zu können, wurde das EEG erweitert. Der teure Ökostrom wird an der Börse zu jedem noch so niedrigen Preis angeboten. So hatte der Ökostrom, der im Jahr 2015 mit rund 25 Milliarden Euro vergütet wurde, an der Börse nur noch einen Wert von zwei Milliarden Euro. Bei einem Überangebot an Ökostrom werden sogar Zuzahlungen („Negativpreise“) geleistet. Zu Ostern und am Muttertag dieses Jahres mussten für die Entsorgung überschüssigen Ökostroms jeweils mehr als 20 Millionen Euro gezahlt werden. Mit jeder neuen Ökostromanlage wird dies häufiger und mit höheren Beträgen geschehen. Die Metastase wächst.

Metastase 3. Erzeugungskosten konventioneller Kraftwerke steigen

Ökostrom muss nach dem EEG bevorzugt in das Netz eingespeist werden. Um das zu ermöglichen, müssen die konventionellen Kraftwerke, also die Kernkraftwerke, die Kohlekraftwerke und die Gaskraftwerke gedrosselt werde. Ihre Jahresproduktion wird vermindert, aber die Kosten für Abschreibungen, Personal und Wartung bleiben gleich hoch. Doch die Kosten je produzierter Kilowattstunde (kWh) nehmen zwangsläufig zu. Verzichten können wir auf die konventionellen Kraftwerke aber nicht. Sie müssen bereitstehen und einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Die Kosten für die Bereitschaft der konventionellen Kraftwerke werden auf über 4 Milliarden Euro im Jahr geschätzt.

Metastase 4. Ökostrom-Dumping treibt konventionelle Kraftwerke in den Ruin

Das vom EEG geforderte Verhökern des Ökostroms an der Börse zu jedem Preis, also weit unterhalb der Gestehungskosten, ist Dumping. Dumping zwingt den finanzschwächeren Kontrahenten in die Pleite. Dies sind die konventionellen Stromerzeuger. Und dieses Dumping müssen wir alle mit der EEG-Umlage finanzieren. So werden selbst die günstigsten Kernkraftwerke und Braunkohlekraftwerke in den Ruin getrieben, obwohl sie den Strom zu einen Fünftel der mittleren EEG-Vergütung produzieren.

Es ist eine unsinnige Behauptung von Politikern und von den Medien, die großen Stromkonzerne hätten die Energiewende verschlafen. Dies sei die Ursache für ihre Verluste. Der Grund ist eindeutig das gesetzlich geforderte Dumping des Ökostroms. Es ist  also staatliche Politik, die die Kohlekraftwerke in die Pleite treibt. Das ist derart offenkundig, dass es dafür keiner weiteren Beweisführung bedarf.  Doch ohne Kohlekraftwerke (oder Kernkraftwerke) gibt es keine Stromversorgung, die sicher ist. Daher müssen sie mit Steuergeldern oder mit einer neuen Umlage auf den Strompreis stets betriebsbereit gehalten werden.

Metastase 5. Stromerzeuger der Nachbarländer werden unwirtschaftlich

Die Stromversorger unserer Nachbarländer kaufen den deutschen Billigstrom an den Strombörsen. Er ist preiswerter als die Erzeugungskosten ihrer eigenen Kraftwerke. Damit gelangen auch die Stromerzeuger unserer Nachbarländer  in die Verlustzone. So haben die großen Stromproduzenten der Schweiz einen Ausfall der Dividenden für die nächsten Jahre bekannt gegeben. Selbst der staatliche französische Energieversorger EDF gerät in wirtschaftliche Bedrängnis.

Metastase 6. Stromvergeudung statt Stromsparen

Die Politik hat erkannt, stromintensive Betriebe sind mit den hohen und weiter steigenden EEG- Umlagen nicht wirtschaftlich. Daher wurde diesen Firmen die EEG-Umlage erlassen. Als stromintensiv gelten Betriebe, die für eine Wertschöpfung von 1000 Euro mehr als eine gesetzlich festgelegte Energiemenge (kWh) brauchen. Firmen, die leicht unter dieser Grenze liegen, werden bei dieser Sachlage nicht Strom sparen, sondern Strom unnütz verbrauchen, damit sie den Grenzwert überschreiten. Der Erlass der EEG-Umlage ist für sie viel günstiger als der zusätzliche Stromverbrauch. Zahlen müssen diesen Unsinn alle, die mit der Umlage belastet werden. Wir!

Metastase 7. Die Industrie wandert ab

Die hohen Stromkosten und die unberechenbare deutsche Energiepolitik haben viele Firmen dazu gebracht, ihre Zukunft im kostengünstigen und strompolitisch berechenbaren Ausland zu suchen. Dazu werden die bestehenden Betriebe nicht in das Ausland verlagert, sondern es werden neue Betriebe mit den modernsten Fertigungsanlagen im Ausland aufgebaut. Investitionen in Deutschland werden dagegen reduziert oder ganz eingestellt und mit den abgeschriebenen Anlagen gute Gewinne erzielt, aus denen die Auslandsinvestitionen bezahlt  werden. Gefertigt werden die neuen Anlagen für das Ausland vorwiegend  in Deutschland, was hier zu einem vorrübergehenden Boom der Investitionsindustrie führt. Wenn in den deutschen abgeschriebenen Betrieben die Wartungskosten zu hoch werden,  gehen sie an „Heuschrecken“ über, die sie in die Insolvenz treiben.

Dieser Prozess findet seit mehr als zehn Jahren statt. Er ist schleichend und wird von der Politik kaum wahrgenommen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Eine Rückwanderung der verlorengegangenen Betriebe wird Jahrzehnte dauern, wenn in Deutschland wieder eine wirtschaftliche Energieversorgung herrscht.

Metastase 8. Umverteilung von unten nach oben

Dank der deutschen Energiepolitik bringen Investitionen in regenerative Energieanlagen hohe Renditen. Die Renditen müssen wir alle als EEG-Umlage mit unserer Stromrechnung bezahlen. Die privaten Haushalte, ob arm oder reich, brauchen alle etwa die gleiche Strommenge. Denn wir kochen und waschen elektrisch. Der Kühlschrank, die Gefriertruhe, das Fernsehgerät, der Computer und die anderen Haushaltsgeräte werden mit Strom betrieben. Nicht vergessen sollten wir das elektrische Licht. Vielfach brauchen die armen Haushalte sogar mehr Strom, weil sie nicht das Geld haben, stromsparende Geräte zu kaufen. Die armen Haushalte tragen überdurchschnittlich zur EEG-Umlage bei, die jedoch allein reichen Haushalten zufließt. Denn die Armen haben kein Kapital zum Investieren. Das EEG ist damit ein Gesetz zur Umverteilung von Arm nach Reich oder von unten nach oben. Es führt zu immer größeren sozialen Spannungen. Die Zahl der Haushalte, die ohne Strom leben müssen, weil sie die Stromrechnung nicht bezahlen konnten, nähert sich der Millionengrenze.

Metastase 9. Teurer und unnötiger Netzausbau

Das deutsche Stromnetz ist zur Versorgung mit Strom aus konventionellen Kraftwerken ausgelegt. Für das Einsammeln, Synchronisieren und Transformieren des regenerativen Stroms aus Anlagen, die über das Land verstreut sind, eignet es sich nur bedingt. Wegen Engpässen im Netz kann schon heute nicht immer der erzeugte Ökostrom in das Netz eingespeist werden. Die Erzeuger stört das wenig, da sie in diesen Fällen entschädigt werden. Dies gilt auch für Strom von Windkraftanlagen auf dem Meer, wenn die Landverbindung nicht rechtzeitig erstellt wird oder versagt. Bezahlen muss der Stromverbraucher mit immer höheren Stromkosten.

Zu verlegen sind neue Leitungen in den Verteilernetzen zum Einsammeln des Ökostroms, die nach Schätzungen des neuen Geschäftsführers des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fünfzig Milliarden Euro kosten. Zusätzlich sollen noch Stromtrassen gebaut werden zwischen Nord- und Süddeutschland. Solche Überlandleitungen kosten mehr als eine Million Euro pro Kilometer. Für eine Erdverkabelung steigen die Kosten nach Auskunft des Netzbetreibers Tennet auf das Siebenfache. Da es erhebliche Proteste gegen die Überlandleitungen gibt, will die Politik die Leitungen trotz der hohen Kosten in die Erde verlegen, um eine höhere Akzeptanz bei den Anliegern zu erreichen. Geld spielt keine Rolle. Der Stromverbraucher muss ja zahlen. Auch die Stromverluste auf den langen Leitungen, die über 10 Prozent liegen, werden stillschweigend in Kauf genommen. Die Energiewende soll weitergehen, auch wenn Kosten ohne Ende entstehen.

Die Volkswirtschaft wird immer schwächer

Wie bei einem biologischen Krebsgeschwür schwächen die Energiewende-Gesetze die gesamte Volkswirtschaft. Die Stromkosten, ein elementarer Wirtschaftsfaktor, steigen immer weiter. Wirtschaftliche Arbeitsplätze werden in das Ausland verlagert. Hoch subventionierte Arbeitsplätze im Ökostrombereich sind kein Ersatz. Strom wird verschleudert und vernichtet, statt ihn wirtschaftlich zu nutzen. Soziale Spannungen werden durch eine gesetzliche Umverteilung von unten nach oben vergrößert. Die Umwelt wird durch immer mehr Ökostromanlagen belastet und zerstört.

Wie wird es weiter gehen? Wird die Energiewende fortgeführt, muss die Volkswirtschaft einen  Kollaps erleiden. Deutschland wird dann zu einem Entwicklungsland.  Werden Politiker und Parteien dagegen Front machen und die Energiewende mit ihren planwirtschaftlichen Gesetzen beenden? Oder werden sie sich gegen die Profiteure der Energiewende nicht durchsetzen, weil viele von ihnen selbst zu den Profiteuren gehören? Wird das Volk, also der Wähler, gegen die Energiewende endlich  aufstehen? Werden sich politische Parteien finden, die die derzeitige Indoktrination, die schon in den Schulen anfängt, bekämpfen? Noch ist es Zeit zur Umkehr. Nur eine Totaloperation des Krebsgeschwürs „Energiewende“ kann uns vor einem Ende mit Schrecken bewahren.

Prof. Dr. Hans-Günter Appel
Pressesprecher NAEB e.V. Stromverbraucherschutz

 
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