In ihrem unter dem Titel „Atomenergie in Osteuropa Nicht ohne mein Kernkraftwerk“ erschienenen Artikel beweist die Historikerin umfassende technische Kenntnisse beim Vergleich des Standes der Kernkrafttechnologie in Russland und im Westen. Mit der im Mai erfolgten Inbetriebnahme des VVER-1200/392M im russischen Kernkraftwerks Nowoworonesch II sei erstmals in Europa ein Druckwasserreaktor der sogenannten Generation III+ in Betrieb genommen worden, dessen Sicherheitscharakteristika die der Anlagen im westlichen Teil des Kontinents übertreffen – auch die der deutschen. Merkmal dieser Reaktorgeneration der russischen Familie „AES-2006“ seien neben ihrer höheren Wirtschaftlichkeit vor allem die Sicherheitssysteme, die den neuesten EU-Anforderungen für Neuanlagen entsprechen müssen. Diese sind so ausgelegt, dass sie auch im „Fukushima-Fall“ – dem Totalausfall jeglicher interner wie externe Stromversorgung – eine sichere Abfuhr der Nachzerfallswärme aus einem Kernreaktor gewährleisten sollen. Hierbei kommen passive Systeme zum Einsatz, die ohne elektrisch betriebene Komponenten arbeiten. Dazu wird der im Dampferzeuger entstehende Dampf nicht im üblichen Wasser-Dampf-Kreislauf kondensiert und mittels Kondensat- und Speisewasserpumpen wieder in den Dampferzeuger zurückbefördert, sondern über ein außenluftgekühltes System kondensiert, und das Kondensat wird per Naturumlauf, ohne „aktive“ Pumpen, wieder dem Dampferzeuger zugeführt. Damit entspricht die Sicherheitsstufe des russischen Systems dem des französisch-deutschen EPR-Reaktors und ist den aktuell in Deutschland laufenden Vorkonvoi- und Konvoi-Anlagen von Siemens-KWU weit voraus. Allerdings ist der europäische EPR noch längst nicht in Betrieb, weil die EPR-Projekte in Frankreich, Finnland und China unter großen Anlaufschwierigkeiten durch Kostenexplosionen, Skandale, Rechtsstreitigkeiten und Bauverzögerungen leiden, während der russische Reaktor bereits läuft [ROSA]. Dr. Wendland hebt insbesondere die Effizienz in der Umsetzung hervor: Die russischen Reaktorbauer wickelten ihre nuklearen Großprojekte wesentlich kostengünstiger und zügiger ab als die Europäer, aber auch als Amerikaner und Japaner. In Russland, China, Indien und demnächst auch Finnland errichteten sie ihre Anlagen mit stoischer Routine und hoher Professionalität, scheinbar ohne durch die „klassischen“ russischen Probleme – Korruption, darniederliegende Infrastruktur, Bildungsmisere, fehlende Rechtssicherheit – beeinträchtigt zu werden.

Ihr Geheimnis sei nicht nur die Erfahrung, sondern auch die besondere Organisationsform ihrer Staats-Kerntechnik, die Lösungen aus einer Hand anbiete und keine komplexen Subunternehmensgeflechte an den Baustellen kenne. Gerade Auftraggeber aus Schwellenländern, die auf das Preis-Leistungs-Verhältnis schauen, bevorzugten daher russische Anlagen.

Historischer Wechsel der Technologieführerschaft

Deutschland, so Dr. Wendland, habe mit der Aufgabe seine frühere Spitzenposition im kerntechnischen Anlagenbau einen großen Fehler insbesondere mit Blick auf Osteuropa begangen. Dort staune man über die deutsche Selbstdemontage, habe man deutsche Kernkraftwerke dort doch lange als Goldstandard für kerntechnische Sicherheit angesehen. Vor drei Jahrzehnten, als die damals noch sowjetische zivile Kerntechnik in Tschernobyl in Trümmern lag, hätte niemand die Vorhersage gewagt, dass sich Osteuropäer einmal an die Spitze der Entwicklung setzen würden. Doch während Tschernobyl und Fukushima in Deutschland einen Stimmungsumschwung gegen Kernkraft bewirkten, habe man in Russland, der Ukraine und den Länder Ostmitteleuropas die Atomangst überwunden und die Krise als Chance genutzt. Weder in der Ukraine noch in Russland, weder in Tschechien, Polen, der Slowakei oder Ungarn gebe es starke Anti-Atom-Bewegungen. Dabei habe man in den nichtrussischen Ländern Osteuropas aufgrund der sich verschärfenden politischen Differenzen teilweise Lösungen gefunden, die sowohl auf russischer als auch auf westlicher Technologie beruhten.

Bild rechts oben:

Grafische Darstellung des modernen russischen Kernkraftwerks der Generation 3+ in Nowoworonesch (http://www.rosenergoatom.ru/media/files/magazine/REA0_0108.pdf (Seite 32/33)) Original uploader was TZV at de.wikipedia)

Die Bundesregierung „fordert in harschem Ton Gefolgschaft“

Wenig Gegenliebe findet die deutsche Energiepolitik nach Erkenntnissen von Dr. Wendland auch wegen ihrer Intoleranz und dem damit gepaarten Machtanspruch. Trotz unterschiedlicher Motive und politischer Präferenzen – Polen und die Ukraine setzten auf westliche Partner, Tschechen und Ungarn auf russische – seien sich die östlichen Nachbarn in ihrem Unmut über den deutschen Energiewende-Alleingang einig. In Windspitzenzeiten destabilisiere nicht gebrauchter deutscher Strom die Netze in Polen und Tschechien. Die Ostmitteleuropäer unterstützten EU-Initiativen zu innovativer Kernforschung, während Berlin dieselben als „rückwärtsgewandt“ abkanzele und in Brüssel sogar Druck mache, um sie zu stoppen. Deutschland fordere in harschem Ton Gefolgschaft, zuletzt mit einem Einmischungsversuch in Belange der belgischen Atomaufsicht. Die östlichen Nachbarn reagierten darauf zunehmend verärgert und stellten die Frage, warum  Berlin europäische Solidarität für seine stockende Energiewende einfordere, wenn es sich bei der entsprechenden Beschlussfassung nicht mit seinen Nachbarn beraten habe? Auch missfalle den Osteuropäern der „moralische Imperialismus“ in den deutschen Aussagen. So handele man ohne Konsultation Polens eine für die Sicherheit Europas sensible russisch-deutsche Gastrasse aus, weil dies dem Frieden und der Entwicklungspartnerschaft diene. Man tadele die Polen, Tschechen und Ungarn für ihre Kernenergiepläne und behaupte, diese Kritik erfolge im Interesse des Überlebens der Menschheit. So ertönt in ganz Europa das Berliner Gerassel, und ungern hört man dies.

Hoffnung für Deutschland

Das Bemerkenswerte an diesem Beitrag von Dr. Wendland ist, dass er Hoffnung macht. Noch scheint es in Deutschland unabhängige und ernstzunehmende Wissenschaftler zu geben, die sowohl Sachkunde als auch den Mut mitbringen, dem grünen Mainstream nicht nach dem Mund zu reden. Wenn der „Dekarbonisierungs“-Alptraum irgendwann hoffentlich vorbei ist, sollte man sich an solche Namen erinnern und dafür sorgen, dass das ganze speichelleckende Völkchen, das eine tonangebende Predigertochter als „Berater“ der deutschen Regierung in Sachen Energie- und Klimapolitik in den verschiedensten Gremien wie Ethikkommission, Sachverständigenrat für Umweltfragen etc. pp. installiert hat, in die Wüste geschickt und durch wirklich kompetente Leute ersetzt wird. Womit man gleichzeitig auch noch einen Beitrag dazu leisten könnte, das Verhältnis zu unserem größten Nachbarn im Osten zu entkrampfen.

Russland hat jedenfalls durch die erfolgreiche Inbetriebnahme in Nowoworonesch seine Bedeutung als weltweit ernstzunehmende Techniknation bestätigt, auf die bereits Mitte Mai in einem Artikel bei EIKE hingewiesen wurde [MUEL]. Immerhin sind weltweit über 570 Kernkraftwerke entweder im Bau, in der Planungsphase oder zumindest in der Diskussion, und mit diesem Erfolg hat es seine Chancen, an diesem Riesenmarkt zu partizipieren, deutlich verbessert.

Fred F. Mueller

Quellen

[FAZ] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/atomenergie-in-osteuropa-nicht-ohne-mein-kernkraftwerk-14311657.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[MUEL] http://www.eike-klima-energie.eu/news-cache/fakten-die-man-nicht-ignorieren-sollte-russland-ein-kommender-globaler-energieriese/

[ROSA] http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa_cee/4981378/AtomExport_Rosatom-sieht-sich-technologisch-an-der-Weltspitze

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