Die Argumente in „Die Welt nach Fukushima“ bestechen und verfangen. Sie machen uns klar, mit welchen Maßstäben wir nicht nur die Kernenergie, sondern die ganze Welt betrachten müssen.
Physiker oder Ingenieure kommen vorsichtshalber nicht zu Wort. Ihre Beschwichtigungen würden nur die Aussagekraft und den Wahrheitsgehalt einer objektiven Dokumentation schmälern. Die sind doch erst Schuld an der ganzen Misere.
Der deutsche Soziologe Ulrich Beck spricht von einem Katastrophenpotential durch die Kernenergie, das sich unserem Vorstellungsvermögen und unserer politischen Beantwortung (sic!) entzieht. Das nennt er die Weltrisikogesellschaft. Und man kann nur hinzufügen: Richtig so. Ein Erdbeben und ein Tsunami, mit 16000 Toten und 3000 Vermissten sind gut vorstellbar und beherrschbar. Doch eine Reaktorkatastrophe- wie soll man sich das vorstellen? Ist die so unvorstellbar, dass man die Verwechslung von Reaktorkatastrophe und Naturkatastrophe den Medien und Politikern nachsehen muss?
Wir erkennen, dass dies der richtige Maßstab ist, an dem man die Sicherheit oder Gefahr einer potentiellen Katastrophe messen muss. Sehr gut vorstellbar ist der Tod an den Folgen der Kohleverfeuerung (global 170‘000 Tote pro PWh (Petawattstunden – Billion Kilowattstunden)) Der Strombedarf Deutschlands betrug 2012 etwa 0,594 PWh, 2008 weltweit 144 PWh).
Ein hustender Mensch, der an einer Lungenkrankheit stirbt, oder ein Bergarbeiter, begraben unter einer Millionen Tonnen Gestein: Gut vorstellbar und damit ungefährlich. Ein Installateur, der vom Dach oder einem Turm fällt und sich das Genick bricht- so was haben wir tausend Mal im Fernsehen gesehen. Kein Grund sich davor zu fürchten (440 Tote pro PWh in der Solarenergie, 150 durch Windenergie). Doch die unheimlichen Toten der Kernenergie, die im dunklen wahrscheinlich glühen und durch irgendwelche unsichtbaren Zellprozesse sterben. Die entziehen sich der Vorstellungskraft, und damit der Verantwortbarkeit (90 Tote pro PWh). (Zahlenquelle)
Wahrlich eine Weltrisikogesellschaft, die zulässt, dass Technologien mit unvorstellbaren Gefahren aufwarten. Wir Menschen sollten Abstand nehmen von jeder Technologie, die unsere Vorstellungskraft sprengt. Und dabei sprengt alles an der Kernenergie unsere Vorstellungskraft. Das beginnt schon beim Energiegehalt. Ein Kilogramm Zucker enthält eine Energie von 19 Megajoule. Kohle 24, Fett 39, Benzin 46. Das lässt sich gut vorstellen und wird darum zu Recht unbedacht in Haushalt und Industrie verwendet. Ein Kilogramm Zucker- das hat jeder im Küchenschrank. Doch Uran hat den unvorstellbaren Energiegehalt von Sechsundsiebzigmillionen Megajoule pro Kilogramm. Unglaubliche 1652173 Mal so viel wie dieselbe Menge gut vorstellbarer Kohle.
Bild: XKCD Log Scale
Auch die Art wie man diese unvorstellbare Energiemenge gewinnt, ist kaum vorstellbar, und damit nicht zu verantworten. Brennende Kohle- das ist ein wohliger Anblick, den wir alle verstehen und allsommerlich zelebrieren. Die Vorgänge in einem Motor sind nicht ganz so einfach, aber doch zumindest nachvollziehbar. Aber die Vorgänge in einem Kernreaktor? Kann sich jemand vorstellen, wie ein Neutron ein Uranatom spaltet und dabei Bindungsenergie frei wird? Viel zu kompliziert um den Händen von fehlbaren Menschen überlassen zu werden.
Bild: Brennende Kohle – einfach und sicher.
Bild: Verbrennungsmotor – komplizierter aber verständlich
Bilder: Kernreaktor und Kernreaktionen – zu kompliziert, unvorstellbar und deshalb gefährlich
Die Welt nach Fukushima hat jedem Zuschauer die Augen geöffnet über die unbeherrschbaren, unvorstellbaren und unvergleichlichen Gefahren, die von der Nutzung der Kernenergie ausgehen. Wir von Kerngedanken haben erkannt, dass 1,139 µSv/h künstlicher Verstrahlung gefährlicher sind als 20 µSv/h natürlicher Strahlung und zeigten daher auf, welche Gebiete Europas evakuiert werden müssen.
Der Zuschauer der ARTE Sendung hat verstanden, wie unbeherrschbar und undemokratisch eine Technologie ist, für deren Schutz man möglicherweise Menschenleben opfern muss, und Kerngedanken hat erkannt, welche unverantwortlichen Risiken nicht nur die Kernenergie, sondern auch die Architektur in unserem täglichen Leben und unserer Demokratie darstellen.
Und uns wurde erklärt, dass eine unvorstellbare Gefahr, eine unverantwortliche Gefahr ist.
„Wie misst man das Unmessbare, wie berechnet man das Unberechenbare?“ fragt der Erzähler in Die Welt nach Fukushima betroffen. Und nur ein zynischer Kleingeist kann hier antworten: „Mit Geigerzähler und Taschenrechner.“
Der Originalbeitrag (hier)
4 Kommentare
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Hallo Herr Paul Schoeps, schöne Zahlen und schöne Quellen,
die zeigen, dass alles irgendwie „messbar“ ist.
Falsch sind allerdings die Vorstellungen vom „spezifischen Stoffwechseltod“, an dem wir schließlich alle sterben, wenn und ein „gewaltsamer Tod“ erspart bleibt.
„….die im dunklen wahrscheinlich glühen und durch irgendwelche unsichtbaren Zellprozesse sterben.“
und hier haben wir das echte wirkliche Dilemma aller ideologischen Kernkraftgegner. Einem Lungenkrebs kann man nicht ansehen, ob er durch Bestrahlung oder durch chemische oder genetische Faktoren ausgelöst wurde. Es fehlt an strahlenspezifischen Merkmalen!!!
Man hat NICHTS in der Hand, das ist in der Tat unheimlich,
noch nicht einmal eine vernünftige Statistik!
mfG
mhh, tja…mit dem Messen ist das ja oft so eine Sache. Ich vertraue da eher der Statistik! diese zeigt uns deutlich, dass es keine 100%ige Sicherheit gibt – und zwar in keinem Bereich der Technologien. Aber man merkt in den letzten Jahren deutlich, dass die Energiewende neue (alte) Risiken mit sich bringt. Dazu braucht man keinen Geigerzähler, sondern es reicht allein die Nase;) Die Renaissance der oft (nassen) Holz-Heizer und Kohleverfeuerer lässt einem beim Spaziergang durch die Stadt oft wehmütig an die 60iger erinnern…Hach, einfach herrlich diese Stickoxide.
„„Wie misst man das Unmessbare, wie berechnet man das Unberechenbare?“ fragt der Erzähler…“
Dem Erzähler empfehle ich eine Anfrage beim PIK.
„Wenn die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben Sie nicht an Nichts sondern an alles mögliche.“
Chesterton