Winter 2022/23 – seine Milde wurde oft grob richtig vorhergesagt

Stefan Kämpfe

Alle Jahre wieder: Nach Ende des meteorologischen Winters stellt sich die Frage: Wie brauchbar waren die im Spätherbst besprochenen Winterprognosen? Zwar schaffte es dieser Winter nicht unter die zehn mildesten seit 1881, dennoch fiel er deutlich zu mild aus. Ähnlich, wie im Vorwinter, lag also richtig, wer auf „zu mild“ getippt hatte. Diesmal waren alle vorgestellten Prognosen grob zutreffend. Der Autor, welcher „zu mild, aber etwas weniger mild als der Vorgängerwinter und etwas kälterer Dezember“ geunkt hatte, lag am besten, aber das ist keinesfalls ein Grund zu Übermut und auch KEIN Beweis für die Brauchbarkeit von Langfristprognosen! Weil alle Vorhersagen aber eine gewisse Vorhersageleistung, wenn auch mit qualitätsmäßigen Unterschieden, erbrachten, erübrigt sich diesmal eine eingehendere Bewertung. Bliebe die Frage: Warum verlief dieser Winter zu mild, und welche Witterungsregeln führten auf die richtige Prognose-Fährte?

Wer nochmals alle Prognosen sehen und selbst bewerten möchte, findet sie am Ende dieses Beitrages hier.

Zwar zu mild, aber ein Schaukelwinter – Mittelwerte sagen eben nicht Alles

Abbildung 1: Temperaturverlauf (Tagesmaxima, -mittel und –minima) an der DWD-Station Erfurt/Weimar, deren Temperaturen in etwa dem Deutschland-Mittel entsprechen. In diesem Schaukelwinter wechselten sich unterschiedlich lange Kalt- und Warmphasen ab; das sehr milde und sehr lange Weihnachts- und Silvestertauwetter trieb die Wintertemperaturen nach oben. Der Vorfrühling um den 20. Februar hatte keinen Bestand; zum Winterausklang folgte der Absturz in den Spät- oder Märzwinter.

Die sehr unterschiedlichen Großwetterlagen sind für diese großen, aber keineswegs ungewöhnlichen Temperatursprünge verantwortlich.

Abbildungen 2a und 2b: Oben (2a) Östliche Wetterlage vom 2. Dezember 2022 mit Winterkälte und Schnee. Man erkennt ein sehr kräftiges Russland-Hoch, dessen Keil über Skandinavien bis zu den Britischen Inseln reicht. Am Boden deuten nur kleinere Ausbuchtungen der Isobaren auf den zyklonalen Einfluss hin; in der Höhe ist er deutlich sichtbar (Großwetterlage XXZZT, nach HESS/BREZOWSKY HFZ, Luftmasse xP). Unten (2b) die extrem milde Südwestlage des Silvestertages 2022, bei der verbreitet Maxima von 15 bis 18°C, am Oberrhein und am Alpenrand vereinzelt über 20°C, erreicht wurden. Die Druckgebiete und die Strömungsrichtung sind nun im Vergleich zur Abb. 2a vertauscht und viel kräftiger; nur mit viel Wind (teils Föhn) und Sonnenschein konnten diese hohen Temperaturen erreicht werden. Bildquellen: wetterzentrale.de

Schaukelwinter 2022/23 – bei der deutschen Stromproduktion eine Energiewende rückwärts

hier und hier. Im Februar 2023 setzte sich das für Stromproduzenten sehr störende Wechselspiel fort – ganz anders als im fast durchgehend windigen Februar 2022.

Abbildungen 3a und 3b: So sieht die deutsche Energiewende rückwärts aus. Oben (3a) der Februar 2022 für Energiewende-Fans zum Genießen: Fast durchgängig viel Wind ließ über lange Zeiträume 40 bis 60% Strom aus Windkraft zu. Unten der ernüchternde Februar 2023 – es gab nur drei kürzere mäßig windige Phasen; oft stammten 50 bis 70% des erzeugten Stroms aus fossilen Trägern, vor allem der Braunkohle. Die Sonne scheint im Februar zu kurz, um dauerhaft wesentliche Strommengen zu erzeugen; Biomasse (grün) und Wasserkraft (blau) sind kaum noch ausbaufähig; die Kernenergie (rot) wird im April endgültig stillgelegt. Bildquellen energy-charts.info (ergänzt).

Werden unsere Winter wieder wärmer? Die maximale Erwärmung scheint ausgereizt.

Abbildung 4: Entwicklung der Wintertemperaturen im deutschen Flächenmittel seit dem Winter 1987/88.

Mitteleuropa, die milde Insel der Glückseligkeit im sonst eher kalten Nordwinter 2022/23?

Diesmal blieb also Mitteleuropa nicht gänzlich von der Winterkälte verschont. Aber überwiegend lagen die troposphärischen Kältepole über Grönland/Nordostkanada sowie über Nordasien, wo teilweise neue Rekord-Tiefsttemperaturen gemessen wurden. Die Sturmtiefs zogen hingegen oft nach Europa. Folgerichtig verlief dieser Winter der Nordhalbkugel fast nur in Mittel- und Westeuropa über längere Zeiträume sehr mild, was eben seine Ursache in der hier zeitweise dominanten südwestlichen bis westlichen Anströmrichtung hatte („milder“ Atlantik- und Mittelmeereinfluss). Schon in Nordeuropa gab es im Dezember/Januar längere recht kalte Phasen, unterbrochen von einer sehr milden im Februar, und besonders in Nordamerika, Russland und in Ostasien, aber auch in Indien und Kleinasien, häuften sich Berichte über Kälte- und Schneerekorde – wie schon im Südwinter 2022. Näheres finden Interessierte in den zahlreichen Kältereports von Christian Freuer beim EIKE, beispielsweise hier.

Die „goldene“ Sommer- und Herbstregel, der heimliche Sieger des Winter- Prognose-Wettbewerbes

Abbildung 5: Bei Betrachtung des Deutschland-Temperaturmittels aus den meteorologischen Jahreszeiten Sommer und Herbst zusammen ergibt sich ein bemerkenswerter positiver Zusammenhang; besonders, wenn man nur diejenigen Fälle betrachtet, in denen das zu hohe Temperaturmittel von Sommer und Herbst (Juni bis November) die einfache Standardabweichung von 1881 bis 2021 erreicht oder überschreitet. Von den 22 Fällen mit deutlich zu hohem Sommer- und Herbstmittel folgten also nur zwei etwas zu kalte Winter; die übrigen 20 waren allesamt mehr oder weniger deutlich zu mild. Berücksichtigt man von diesen 22 Fällen nur die 11, bei denen auch der Sommer und der Herbst jeweils für sich ihre einfache Temperatur-Standardabweichung erreichten oder überschritten (pink markiert), so waren sogar alle ihnen folgenden Winter zu mild, darunter die extrem milden 2006/07 und 2019/20 sowie 2021/22.

Der Zeitraum Sommer/Herbst 2022 war nun mit knapp 15°C zwar der zweitwärmste, welcher seit 1881 in Deutschland registriert wurde – aber warum folgte ihm trotzdem nicht der zweitmildeste Winter aller Zeiten? Erstens ist der Zusammenhang nie so eng, dass er exakte Temperaturprognosen ermöglicht. Zweitens gibt die Herbstwitterung 2022, welche in der zweiten Septemberhälfte und um den 20. November markante Kaltphasen aufwies, eine eindeutige Antwort, denn solche herbstlichen Kaltphasen wiederholen sich wegen der Erhaltungsneigung der Witterung (Persistenz) dann oft auch noch in den Folgemonaten. Der „Schaukelwinter“ 2022/23 war also das Ergebnis zweier Witterungstypen, eines zwar sehr warmen Sommers und Herbstes, wobei aber Letzterer durch Kaltphasen unterbrochen wurde.

Warten auf den Frühling: Wie lange quält uns der Märzwinter?

Stefan Kämpfe, unabhängiger Natur- und Klimaforscher