Hochsommer 2022 in Deutschland – wie warm wird er?
Sehr widersprüchliche Signale – eine seriöse Prognose ist kaum möglich
Stefan Kämpfe
Wie immer zum „Siebenschläfer-Zeitraum“, stellt sich die Frage nach dem Witterungsverlauf in den Urlaubsmonaten Juli/August. Sie kann leider nicht seriös beantwortet werden, denn Langfristprognosen sind trotz aller wissenschaftlich-technischen Fortschritte unmöglich, und die Vorwitterung 2022 verlief zwar warm, aber mit widersprüchlichen Signalen in der letzten Juni-Dekade. Daher kann ein mehr oder weniger zu warmer, eher wechselhafter Hochsommer nur vage vermutet werden.
Den Juni 2022 hatten die Langfrist-Modelle unterschätzt
Wer auf Langfristmodelle schaut, sollte deren experimentellen Charakter kennen – sie sind aufgrund des chaotischen Charakters der Witterung nicht besonders zuverlässig. Noch bis zum Monatswechsel Mai/Juni hatte das amerikanische CFSv2-Modell über viele Tage hinweg stets einen normal temperierten Juni in Mitteleuropa erwartet und musste dann eine Lernkurve in Richtung „warm“ durchlaufen.
Der Autor, welcher seinen Monatsrückblicken häufig auch Ausblicke für den kommenden Monat anfügt, hatte diese Entwicklung schon vermutet; Näheres dazu hier.
Die statistischen Vorzeichen sind widersprüchlich
Wie der Autor hier schon festgestellt hatte, beeinflusst die mittlere Höhenlage der 500hPa-Fläche über Deutschland das Temperaturniveau des Jahresrestes positiv. Das gilt auch für den Sommer, wenngleich in abgeschwächter Form:
Weil die 500-hPa-Fläche im Januar 2022 über dem Mittelpunkt Deutschlands weit überdurchschnittlich hoch lag (rotes Kreuz auf der waagerechten Achse), ist ein sehr kühler Sommer mit unter 15,5°C im DWD-Mittel statistisch sehr unwahrscheinlich – am ehesten wird sich die Sommertemperatur zwischen 16,5 und 18,5°C bewegen. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch bei allen einzelnen Sommermonaten; im Juni am wenigsten, am deutlichsten im August. Einen etwas deutlicheren Einfluss scheint das Temperaturmittel aus April und Mai auszuüben:
Weil der April 2022 (relativ kühl) und Mai (warm) diesmal aber sehr unterschiedlich verliefen, lohnt es sich, ähnliche Verhaltensfälle zu betrachten: 1986, 88, 90, 92, 2001, 08, 12 und 17. Fast alle der darauf folgenden Sommer waren normal bis leicht übernormal temperiert; nur 1992 deutlich zu warm; das gilt auch für die beiden Hochsommermonate. Der Sommer 2022 wird der neunte nach dem letzten Maximum im SCHWABE-Sonnenzyklus sein; die vergangenen Sommer auf dieser zeitlichen Position verliefen etwas kühler als der Langjährige Durchschnitt:
Auch wenn diese statistischen Zusammenhänge für Hitzefreunde nicht die allerbesten sind – die seit Februar 2018 mit nur kurzen Unterbrechungen anhaltenden Zirkulationsstörungen könnten doch zu mehr Hochdruckgebieten über Mitteleuropa, Skandinavien und dem Nordmeer und damit zu zeitweise sommerlich warmer Witterung führen; freilich unterbrochen von kühleren Phasen. Und der Temperaturtrend für den Sommer war in den letzten vier Jahrzehnten sehr positiv – was ebenfalls für eine mehr oder weniger deutliche Fortsetzung der im Juni recht sommerlichen Witterung spricht.
Die Siebenschläfer-Regel – diesmal keine eindeutigen Vorzeichen
Entscheidend ist bei dieser wohl bekanntesten Witterungsregel nicht der 27. Juni (welcher wegen der Kalenderreform von 1583 ohnehin auf den 7. oder 8. Juli verschoben werden müsste – und ein Einzeltag sagt wenig über die künftige Witterung), sondern der Witterungstrend der Zeit zwischen etwa dem 20.06. und spätestens dem 10.07., weil sich die einmal eingetretene Großwetterlage kurz nach dem Sonnenhöchststand meist über einen längeren Zeitraum von einigen (keinesfalls aber genau sieben) Wochen fortsetzt. Besonders, wenn sich in diesem Zeitraum tiefer Luftdruck zwischen Großbritannien und Skandinavien einstellt, und/oder das Azorenhoch eine eher südwestliche Position einnimmt, ist ein wechselhafter, eher kühler Juli sehr wahrscheinlich (Vergleichsfälle 1993, 96, 98, 2000, 04, 07, 17, 18 und teilweise auch 2011, 21). Auch deutlich zu tiefer Luftdruck über Nordeuropa, dem Nord/Ostseeraum oder über Mitteleuropa in der letzten Juni-Dekade bis Anfang Juli, reicht oft schon für einen wechselhaften Juli aus (Vergleichsfälle 1993, 96, 98, 2000, 07, bedingt auch 2011, 21).
In der ersten Hälfte des „Siebenschläferzeitraumes“ 2022 fehlten aber eindeutige Prognosesignale. Ein langwelliger Höhentrog über Westeuropa lenkte zwar zeitweise sehr warme Luft nach Mitteleuropa, aber es blieb wechselhaft. Für die zweite Hälfte (erste Julidekade) deuten die meisten Modelle zwar eine Abkühlung an; doch sind sie sehr unsicher.
Es ist sowieso fraglich, ob die Siebenschläferregel unter den aktuellen Bedingungen des Klimaoptimums ihre volle Gültigkeit behält. Und die „Reichweite“ der Siebenschläferregel endet meist schon nach etwa zwei bis fünf Wochen. Die August-Witterung kann erst anhand des Witterungstrends rund um die Monatswende Juli/August grob abgeschätzt werden. Noch eine andere Regel ist zumindest erwähnenswert: „Im Juni viel Donner, verkündet trüben Sommer“. Die recht rege Gewittertätigkeit im letzten Junidrittel 2022 könnte also, ähnlich wie im vergangenen Jahr, auf einen eher durchwachsenen Juli hinweisen; für den August ist sie fast bedeutungslos.
Was sagen die Langfrist-Modelle?
Im Folgenden die Prognosen wichtiger Langfrist-Modelle. Sie tragen aber allesamt nur experimentellen Charakter und sind keinesfalls zuverlässig!
Und die NASA (hier nicht gezeigt) sagte einen nur unwesentlich zu warmen Juni, aber einen merklich zu warmen Juli und August vorher.
Zwar sehr warmer Juni 2022 in Deutschland, aber kaum zu warmer in Zentralengland – wie kann das sein?
Im Deutschlandmittel ist ein Juni-Wert von um die 18,5°C noch möglich; er wäre damit nach 2019, 2003, 2021, 1917 und 1889 der sechstwärmste seit 1881. Aber in Zentralengland (Midlands) ist mit um die 15°C nur ein im oberen Mittelfeld liegender Wert zu erwarten. Auch langfristig hat sich dort der erste Sommermonat, anders als in Deutschland, kaum erwärmt. Ursache hierfür ist eine in der aktuellen AMO-Warmphase immer wieder zu beobachtende Luftdruckverteilung: Ein Trog über Westeuropa oder ein Tief über den Britischen Inseln sorgt dort für eher kühles Wetter, lenkt aber gleichzeitig sehr warme Luft nach Mitteleuropa.
Zusammenfassung: Eher wechselhafter, mehr oder weniger zu warmer Hochsommer 2022 – die sommerliche Erwärmung des aktuellen Klimaoptimums ist vermutlich ausgereizt
In die Betrachtung der deutschen Sommertemperaturen muss auch die AMO einbezogen werden, deren Warmphase vermutlich demnächst endet.
Einen signifikanten, positiven Einfluss auf die deutschen Sommertemperaturen üben außerdem die Sonnenscheindauer sowie die Häufigkeitsverhältnisse der erwärmend wirkenden Großwetterlagen aus – doch beide haben Grenzen (astronomisch, und ein Sommer hat nur 92 Tage); sie können nicht ewig weiter zunehmen.
Die seit etwa Mitte der 2000er Jahre sehr geringe Sonnenaktivität begünstigt Extremwetterlagen. In den Jahren 2018 und 2019 verlief der gesamte Sommer sehr heiß, 2020 folgte einem eher kühlen Juli ein heißer August, und 2021 folgten einem schwül-heißen Juni ein mäßig warmer, verregneter Juli und ein wechselhafter, kalter August. Diesmal war schon der Juni durch große Witterungsgegensätze geprägt. Insgesamt deutet sich – bei freilich enormer Unsicherheit, ein mäßig warmer bis warmer, leicht unbeständiger Hochsommer 2022 an, wobei der Juli etwas weniger warm und wechselhafter als der August ausfallen könnte. Das besonders in einigen Regionen Mitteldeutschlands zwischen März und Juni verheerende Niederschlagsdefizit wird nicht überall ausgeglichen; eine gebietsweise schlechte Ernte dürfte die aktuelle Krise weiter verschärfen.
Stefan Kämpfe, Diplomagraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher