Wodurch wird ein weiterer Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Deutschland begrenzt?
Sigismund Kobe, Detlef Ahlborn und Rolf Schuster
- Einleitung 1
- Begrenzung durch Flächenbedarf 2
- Begrenzung durch Entnahme von Energie aus der Umgebung 3
- Begrenzung durch die Notwendigkeit der Einspeisung in das öffentliche Netz 4
- Zusammenfassung und Ausblick 8
- Quellen 10
Einleitung
Unter dem Begriff der Energiewende werden Maßnahmen zur Umstellung des Energiesystems in Deutschland zusammengefasst. Diese werden mit der Notwendigkeit begründet, möglichen Auswirkungen globaler Klimaveränderungen zu begegnen. Letztere werden auf eine durch Menschen verursachte Zunahme des Anteils sogenannter Klimagase in der Atmosphäre zurückgeführt. Beim Einsatz von fossilen Energieträgern, die weltweit 2020 noch einen Anteil von 83 % am Primärenergieverbrauch hatten, wird z. B. CO2 freigesetzt [1].
Ein Prozent der Weltbevölkerung lebt in Deutschland und zwei Prozent der Primärenergie werden hier verbraucht. Szenarien zur Erreichung von Klimaneutralität in Deutschland gehen davon aus, dass mit einem beschleunigten Ausbau von Windenergie- und Photovoltaikanlagen (WEA und PV) der Anteil von Elektroenergie, der CO2-emissionsfrei bereitgestellt wird, wesentlich erhöht werden kann. Weiterhin sollen durch die Entwicklung von großtechnisch anwendbaren Technologien zur Wandlung von elektrischer in speicherbare chemische Energie (Power-to-Gas) die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass auch die anderen Sektoren des Energiesystems, Wärme und Verkehr, zunehmend CO2-frei gestaltet werden können.
Die im Vergleich zu fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas sehr geringe Energiedichte von Elektroenergie aus Wind und Sonne macht es erforderlich, den Bedarf an Landschaftsfläche zu berücksichtigen, die zu deren Bereitstellung benötigt wird. Eine Begrenzung des Ausbaus ergibt sich aus dem Anteil der Gesamtfläche von Deutschland, der dafür zur Verfügung steht.
Neben dem Bedarf an Landesfläche müssen jedoch auch weitere Randbedin-gungen beachtet werden, die einen Ausbau von WEA und PV in Deutschland einschränken oder begrenzen können. Werden Energiemengen in der Größenordnung des Bruttostromverbrauchs in Deutschland aus der Umgebung entnommen, können mögliche Rückwirkungen auf das lokale oder auch globale Wettergeschehen nicht ausgeschlossen werden. Schließlich müssen physikalische Bedingungen beachtet werden, die mit der Weiterverwendung des Stroms nach seiner Erzeugung verknüpft sind. Durch die großen Fluktuationen der Leistungen von WEA und PV kommt es zunehmend zu neuen Herausforderungen an das Energiesystem, da der erzeugte Strom in das öffentliche Netz eingespeist, gespeichert bzw. anderweitig gewandelt werden muss. In diesem Zusammenhang muss auch der Bedarf an großtechnisch nutzbaren und flexiblen Speichern neu bewertet werden.
Begrenzung durch Flächenbedarf
Der Flächenbedarf kann durch die Flächenleistungsdichte der jeweiligen Erzeugungsart abgeschätzt werden. Diese beträgt für PV im örtlichen und jahreszeitlichen Mittel in Deutschland 10 W/m² [2]. Für WEA liegt die Flächen-leistungsdichte zwischen etwa 45 W/m² und 200 W/m². Diese bezieht sich allerdings auf die überstrichene Rotorfläche, die senkrecht zur Landschaftsfläche steht. Die Flächenleistungsdichte bezogen auf die Rotorfläche für eine WEA der 5,5-MW-Klasse (Beispiel: Enercon E-160) mit einer mittleren Leistung von ca. 1,4 MW und einem Durchmesser von 160 m beträgt etwa 70 W/m2.
Bei Abschätzungen über den Bedarf an Landschaftsfläche zur Errichtung von WEA müssen sowohl die Flächen für die Fundamente, als auch für Infrastruktur, Netzanbindung und Zufahrtswege berücksichtigt werden. Bei einer Anordnung von WEA in Windparks wird durch Einhaltung von Mindestabständen zu benachbarten Anlagen vermieden, dass leistungsmindernde Windabschattung auftritt.
Angaben zum Flächenbedarf bzw. -verbrauch unterscheiden sich stark. So wurde von Lüdecke [2] ein Richtwert von 1,1 W/m² angeben, der sich auch aus Winddaten in Deutschland für das Jahr 2016 ergibt, wenn man von einem Flächenbedarf von 0,3 km² pro WEA ausgeht.
Andererseits wird in Prognosen des Umweltbundesamtes unterstellt, dass für die Errichtung von WEA mit einer installierten Leistung von 71 GW 0,8 Prozent der Landesfläche (d. h. 2.856 km²) bereitgestellt werden müssen [3]. Die bei einer installierten Leistung von 71 GW erreichbare mittlere Erzeugungsleistung beträgt etwa 18 GW. Damit ergibt sich unter den genannten Bedingungen eine Leistungsdichte von 6,3 W/m².
Wir folgen an dieser Stelle zur Abschätzung des Landschaftsbedarfs solchen Ansätzen, die diesen an die von den WEA überstrichenen Rotorflächen koppeln [4]. Nimmt man an, dass der Landschaftsflächenbedarf einer WEA das Zwölffache seiner Rotorfläche beträgt, könnten z. B. vier moderne Anlagen der 5,5-MW-Klasse (s. o.) auf einem Quadratkilometer errichtet und eine Leistungsdichte bezogen auf die Landschaftsfläche von 5,6 W/m² erreicht werden. Da die Erzeugungsleistung proportional zur Rotorfläche ist, gilt dieser Wert näherungsweise auch unabhängig von der Größe der WEA, die im konkreten Fall eingesetzt werden.
Nach den Plänen der Regierung sollen zwei Prozent der Landesfläche (7.140 km²) als Vorrangfläche für den Ausbau von WEA vorgehalten werden. Im Idealfall könnten unter den gemachten Voraussetzungen WEA mit einer installierten Leistung von 160 GW bei einer mittleren Leistung von 40 GW jahreskumuliert eine Energiemenge von etwa 350 TWh bereitstellen. Auf die Fragen, ob und inwieweit eine solche Energiemenge auch der Umgebung entnommen werden und verbraucherdienlich verwendet werden kann, wird in den nachfolgenden Abschnitten 3 und 4 eingegangen.
Des Weiteren deuten die andauernden öffentlichen Diskussionen um Abstandsregeln zu Wohnbebauungen, Konflikte mit Natur-, Gesundheits- und Artenschutz und anderen Schutzgütern darauf hin, dass solche Zielkonflikte der Umsetzung der Ausbauziele der Regierung entgegenstehen.
Begrenzung durch Entnahme von Energie aus der Umgebung
Die von WEA und PVA bereitgestellte Elektroenergie wird der Umgebung entnommen. Daher muss die Frage untersucht werden, ob und in welchem Maße eine Entnahme von Energie zu Rückwirkungen auf die lokalen und globalen Strahlungs- und Luftströmungsverhältnisse und so zu einer Beeinflussung des Wettergeschehens führen kann.
Die Gesamtfläche, die von den Rotoren aller ca. 30.000 WEA an Land in Deutschland überstrichen wird, lässt sich aus dem Jahresertrag abschätzen. Im Jahr 2021 betrug dieser 93 TWh entsprechend einer mittleren Leistung von 10,65 GW. Bei einer mittleren Rotorflächen-Leistungsdichte von 70 W/m² ergibt sich demnach eine Fläche von 150 km², in der die kinetische Energie der strömenden Luft in elektrische Energie gewandelt wird. Das entspricht ungefähr der Fläche eines Rechtecks mit einer Höhe von 190 m, das sich von Konstanz bis Flensburg quer durch Deutschland erstreckt. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, dass die großflächige Energieentnahme aus der Umgebung keine vernachlässigbare Größe sein kann. Die Frage, welcher Energiebetrag der strömenden Luft maximal entnommen werden darf, ohne die Strömungsverhältnisse großflächig zu stören, wurde von Kleidon [5] untersucht. Durch die Ergebnisse dieser Modellrechnungen wird nahegelegt, dass die mittlere elektrische Leistung, die durch WEA im großflächigen Mittel zur Verfügung gestellt werden kann, weniger als 0,25 W/m² beträgt. Bezogen auf die Fläche Deutschlands liegt der maximale jährliche Ertrag von Windenergie an Land demnach bei 750 TWh. Bei einem weiteren Ausbau von WEA müssen die mög-lichen Folgen der Entnahme von Energie aus der Umgebung stärker beachtet werden [6].
Begrenzung durch die Notwendigkeit der Einspeisung in das öffentliche Netz
Volatilität
Zielvorgaben des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland werden aus der Forderung abgeleitet, die bisher durch fossile Energiequellen erzeugte Elektroenergie zunehmend durch Strom aus WEA und PV zu ersetzen. Deren Bereitstellung von elektrischer Leistung unterliegt starken Schwankungen, die von Zufälligkeiten des Wettergeschehens abhängig sind. Zudem liefern PV nur tagsüber Strom in Abhängigkeit vom Sonnenstand. Deren Ertrag in den Wintermonaten ist gering.
Zur Charakterisierung des Ausbaus von erneuerbaren Energien werden die in einem Jahr aggregierten Energiemengen angegeben. Die mittlere Leistung ist der Quotient aus der Energiemenge und der Anzahl der Stunden eines Jahres. In Abbildung 1 ist die Entwicklung der mittleren Leistung für WEA an Land seit 2010 dargestellt (gelb).
Als weitere Kenngröße wird die installierte Leistung (schwarz) verwendet, die die Summe der Nennleistungen aller WEA angibt. Ausbauziele bis 2030 werden durch Vorgaben für die installierte Leistung markiert.

Abb. 1: Kenngrößen der Leistung von WEA an Land in Deutschland von 2010 bis 2021 (●) mit Ausbauzielen bis 2030 [7] () bzw. Szenarien der dena-Leitstudie Klimaneutralität [8] (▲): mittlere Leistung (gelb), installierte Leistung (schwarz), minimale Leis-tung (rot), maximale Leistung (blau)
Sowohl Analysen der bisherigen Entwicklung als auch Prognosen für einen weiteren Ausbau erweisen sich als unvollständig, wenn sie keine quantitativen Aussagen über den Einfluss der Schwankungen der Erzeugungsleistung ent-halten. Diese werden in Abbildung 1 durch die in jedem Jahr auftretenden minimalen (rot) und maximalen (blau) Leistungen gekennzeichnet.
Die minimalen Erzeugungsleistungen liegen im Zeitraum von 2010 bis 2021 praktisch bei null. Diese Situation wird auch durch weiteren Zubau nicht ver-ändert, während andererseits die Maximalwerte der jährlichen Erzeugungs-leistung mit der installierten Leistung kontinuierlich ansteigen.
Ausbaupläne der Regierung [7] und Studien auf der Grundlage von Szenarien zur Klimaneutralität (z. B. [8]) beruhen im Wesentlichen auf Kenndaten für die installierte Leistung. Eine Extrapolation der zu erwartenden zugehörigen minimalen und maximalen Leistungen macht den zunehmenden Einfluss der Volatilität deutlich. Zudem kommt es mit der Zunahme der Differenz zwischen minimaler und maximaler Leistung auch zu einem Anwachsen der Leistungs-gradienten.
Eine mathematische Analyse der Wahrscheinlichkeitsdichte für die Erzeugungsleistung von WEA wurde von Ahlborn [9] und Linnemann und Vallana [10] vorgestellt. Sie wird durch eine Weibull-Funktion mit folgenden Eigenschaften charakterisiert: Die Wahrscheinlichkeitsdichte ist unsymmetrisch. Der wahrscheinlichste Wert der Erzeugungsleistung ist geringer als der Mittelwert. Mit einer Zunahme der installierten und der mittleren Leistung steigt auch die Standardabweichung weiter an. Die Fluktuationen der Leistung decken unabhängig vom erreichten Ausbaustand nahezu den gesamten Bereich zwischen Werten nahe Null (Flaute) und maximaler Leistung bei Starkwind und Sturm ab.
Die Besonderheiten dieser statistischen Verteilung, die sich von denen einer Gaußschen Verteilung stark unterscheiden, spiegeln sich in Abbildung 2 wider. Dargestellt sind in einem Histogramm mit der Histogrammbreite 1 GW die Anzahl der Stunden des Jahres 2021 in Abhängigkeit von der Leistung aller volatilen erneuerbaren Quellen (WEA an Land, WEA auf See, PV). Sie ergeben sich aus den Zeitreihen (Ganglinien) der Erzeugung. Die gleiche Darstellungsform wird auch für die Netzlast gewählt. Deren Häufigkeitsverteilung reicht von einem Mindestbedarf während der Nachtstunden im Sommer bis zum einem Höchstwert an einem kalten Wintertag. Die Doppel-Peak-Struktur ist eine Folge des unterschiedlichen Bedarfs in den Tag- und Nachtstunden. Die Flächen der Histogramme sind auf die Gesamtstundenzahl eines Jahres normiert.

Abb. 2: Häufigkeitsverteilung der Erzeugungsleistung von WEA und PV: Anzahl der Stunden eines Jahres in Abhängigkeit von der Erzeugungsleistung als Histogramm mit einer Histogrammbreite von 1 GW; 2021 (grün), die Modellrechnung für 2030 (blau) basiert auf folgenden installierten Leistungen: Wind an Land 115 GW, Wind auf See 30 GW, PV 200 GW. Zum Vergleich: Häufigkeitsverteilung der Netzlast 2021 (rot)
Physikalische Gesetze der Elektrodynamik erfordern für die Einspeisung von Elektroenergie in das öffentliche Netz ein Gleichgewicht zwischen der elektrischen Leistung, die durch alle Erzeuger bereitgestellt wird, und der Netzlast in jeder Sekunde.
Der Anteil von WEA und PV an der Bruttostromerzeugung ist seit 2010 stetig angestiegen und betrug 2021 im Jahresmittel bereits 28,8 Prozent [11]. Es gelingt jedoch nicht, allein durch eine weitere Erhöhung dieses Anteils Erzeugung und Verbrauch zur Deckung zu bringen. Die mit einem weiteren Zubau verbundenen Änderungen der statistischen Verteilung der Erzeugungsleistung auf das Gesamtsystem müssen berücksichtigt werden.
In Anlehnung an die Ausbauziele der Regierung [7] wird zusätzlich auch die Häufigkeitsverteilung für 2030 durch eine Modellrechnung für folgende installierte Leistungen abgeschätzt: 115 GW für WEA an Land, 30 GW für WEA auf See und 200 GW für PV. Diese wurde aus den stündlichen Erzeugungsdaten und den installierten Leistungen für 2021 ermittelt, die sich aus dem jeweiligen Verhältnis der installierten Leistungen für beide Jahre ergibt. Unter der Annahme gleicher Netzlast für 2030 und 2021 zeigen die Ergebnisse dieser Modellrechnungen, dass zu einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl der Stunden eines Jahres die Erzeugungsleistung der volatilen Quellen größer ist als die Netzlast, d. h. der erzeugte Strom kann nicht vollständig in das öffentliche Netz eingespeist werden. Zu anderen Zeiten kann jedoch auch weiterhin die Netzlast nicht vollständig abgedeckt werden und es muss zusätzlich Leistung aus konventionellen und nicht volatilen erneuerbaren Energiequellen und Speichern bereitgestellt werden.
Residuallast
Installierte Leistungen von WEA und PV und die damit jährlich erzeugten Energiemengen werden als Kenngrößen der Energiewende verwendet und dienen als Grundlage für Modellannahmen z. B. in Szenarien zur Klimaneutralität. Das Gesamtsystem der Energieversorgung ist aber nicht auf die Erzeugung beschränkt, sondern umfasst auch weitere Prozesse, die mit der Einspeisung in das öffentliche Netz, Wandlung in andere Energieformen, Speicherung, Transport und Verbrauch zusammenhängen.
Die Residuallast R wird definiert als Differenz aus der aktuellen Netzlast und der Summe der Erzeugungsleistungen aller WEA und PV und liefert so quantitative Aussagen über den Einfluss der Fluktuationen. Ihre Häufigkeitsverteilung wird durch ein Histogramm repräsentiert, in dem die Anzahl der Stunden eines Jahres zu jedem Wert von R dargestellt werden (Abbildung 3).

Abb. 3: Häufigkeitsverteilung der Residuallast: Anzahl der Stunden eines Jahres in Abhängigkeit von der Residuallast R als Histo-gramm mit einer Histogrammbreite von 1 GW; 2021 (grün), Modellrechnung für 2030 (blau) entsprechend folgender installierter Leistungen: Wind an Land 115 GW, Wind auf See 30 GW, PV 200 GW
Der konkrete Wert von R gibt an, welche zusätzliche Leistung durch konventionelle Erzeuger, nicht-volatile erneuerbare Quellen und Speicher jeweils bereitgestellt werden muss, um die Netzstabilität zu sichern. Bisher traten nur positive Werte von R auf. Allerdings wurde mit der Zunahme des Anteils volatiler erneuerbarer Energien auch die Häufigkeitsverteilung von R immer breiter. Im Jahr 2021 reichte sie von einem Wert nahe Null (WEA und PV können die Netzlast decken) bis ca. 70 GW (WEA und PV leisten kaum einen Beitrag: Dunkelflaute). Wegen der Volatilität der Erzeugungsleistung einerseits und der durch die Verbraucher verursachten Schwankungen der Netzlast andererseits ist auch R eine stark fluktuierende Größe. Durch diese werden die Anforde-rungen an das Systemmanagement wesentlich mitbestimmt.
Mit einem weiteren Zubau von WEA und PV ändert sich die Häufigkeitsverteilung von R nicht nur quantitativ, sondern es kommt durch das Auftreten von negativen Werten der Residuallast auch qualitativ zu neuen Systemzuständen. Für das verwendete Modellsystem lassen sich diese wie folgt charakterisieren: Die Anzahl der Stunden mit positivem R verringert sich, d. h. Back-up-Kapazitäten und Speicher werden nur noch zu ca. 70 % der 8.760 Stunden des Jahres benötigt. Allerdings muss deren maximale Leistung weiter wie bisher komplett vorgehalten werden, da nach wie vor zu manchen Zeiten die Erzeugungsleistung von WEA und PV sehr gering ist. Zu anderen Zeiten mit negativer Residuallast kann nur der Teil der insgesamt erzeugten Leistung in das öffentliche Netz eingespeist werden, der die aktuell vorliegende Netzlast abdeckt. Der Rest ist Überschuss-Energie. Deren Gesamtmenge beträgt in dem verwendeten Modell 96 TWh und muss an ca. 2.400 Stunden des Jahres direkt gespeichert, in eine andere Energieform gewandelt oder abgeregelt werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Im Vergleich mit der Bereitstellung von Elektroenergie durch konventionelle Kraftwerke auf der Basis von fossilen und nuklearen Energieträgern muss beim Einsatz erneuerbarer Energiequellen die weitaus geringere Energiedichte berücksichtigt werden. Die Stromerzeugung wird somit begrenzt durch den Anteil der Landesfläche, der für jede dieser Energieformen (Wind, Solar, Wasserkraft, Biomasse) im Einzelnen zur Verfügung steht.
Keine der genannten Energiequellen ist unbegrenzt verfügbar. Es ist deshalb sorgfältig zu prüfen, ob es durch Entnahme von Energie aus der Umgebung zu unerwünschten Rückwirkungen kommt. Bei einem weiteren Zubau von WEA kann die durch die Rotoren der Luftströmung entnommene Energie dazu führen, dass z. B. durch Verwirbelungen die Strömungsverhältnisse verändert und die Luftfeuchtigkeit im Rückraum der WEA beeinflusst werden.
Pläne für einen weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien in Deutschland beziehen sich überwiegend auf die Nutzung von Windenergie und solarer Strahlungsenergie, da ein Neubau von Wasserkraftwerken aus geologischen Gründen und der Anbau von Biomasse aufgrund der insgesamt vorhandenen Landwirtschaftsflächen nur begrenzt möglich ist.
Die Bereitstellung von elektrischer Leistung aus WEA und PV ist jedoch hochgradig volatil. Mit der Erhöhung dieser Anteile an der Bruttostromerzeugung wird es immer schwieriger, den erzeugten Strom auch vollständig in das öffentliche Netz einzuspeisen. Als Kenngröße zur quantitativen Charakterisierung dieses Konflikts wird die Residuallast benutzt.
Positive Werte der Residuallast treten unabhängig davon auf, welcher Ausbaustand von WEA und PV erreicht wurde, und machen die Zuschaltung von Back-up-Kraftwerken und Speichern erforderlich. Zudem muss von letzteren eine Leistung in der Höhe der Netzlast zu jedem Zeitpunkt vorgehalten werden.
Negative Werte der Residuallast erfordern ein differenziertes Vorgehen beim Systemmanagement. Die Erzeugungsleistung muss aufgeteilt werden in einen Anteil, der der aktuellen Netzlast entspricht und die Einspeisung von Strom in das öffentliche Netz ermöglicht. Der Rest, charakterisiert durch die Größe |R|, ist Überschuss-Leistung. Überschuss-Strom, der natürlich gleichfalls volatil ist, muss direkt aus WEA und PV ohne Umweg über das Netz gespeichert, in eine andere Energieform gewandelt oder abgeregelt werden.
Da ein weiterer Zubau von WEA und PV auch eine Zunahme von Überschuss-Strom zur Folge hat, dürfen die damit verbundenen technologischen Anforderungen und ökonomischen Randbedingungen nicht außer Acht gelassen werden.
Nach den Plänen der Regierung sollen die Ziele der Energiewende hauptsächlich durch einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien erreicht werden. Dazu wurden Ausbaupfade für die installierten Leistungen vorgegeben. Die hier vorgestellten Untersuchungen über mögliche Beschränkungen eines weiteren Zubaus legen die Notwendigkeit einer Diskussion über einen Pa-radigmenwechsel bei der Energiewende und deren wesentlichen Inhalte nahe:
Zu jedem Zeitpunkt muss die bedarfsgerechte Versorgung mit Elektroenergie gesichert sein. Diese zentrale Anforderung an das Energiesystem besitzt höchste Priorität. Alle Maßnahmen, insbesondere auch solche im Zusammenhang mit Sektorenkopplung, müssen diesem Ziel untergeordnet werden [12]. Ein weiterer Ausbau von WEA und PV ist deshalb nur dann zielführend und steht unter dem Vorbehalt, dass
- Residuallast durch Back-up-Kraftwerke und Speicher mit einer maximalen Leistung vorgehalten werden kann, die der Netzlast entspricht,
- Speicher und Wandler existieren, die Überschuss-Strom direkt aus WEA und PV aufnehmen können,
- Verbraucher existieren, die entsprechend dem Leistungsangebot von WEA und PV sekundengenau zeitsynchron zugeschaltet werden können.
Quellen
- bp Statistical Review of World Energy, 2021.
- Lüdecke, H.-J.: Naturgesetzliche Schranken der Energiewende. In: Beckmann, M.; Hurtado, A. (Hrsg.): Kraftwerkstechnik 2019. Freiberg: SAXONIA, 2019, S. 689-700.
- https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/ windenergie-an-land#flaeche (Stand: 17.07.2022).
- Überblick Windenergie an Land: Wirkung von Höhenbegrenzungen auf den Flächen-bedarf für Windenergieanlagen an Land. Fachagentur Windenergie an Land (Hrsg.). Berlin, 2019.
- Kleidon, A.: Physical limits of wind energy within the atmosphere and its use as rene-wable energy: From the theoretical basis to practical implications. In: Meteorologische Zeitschrift 30 (2021), H. 3, S. 203-225.
- Aßmann, R.: Potenzial der Windenergie – kinetische Energie versus Strömungsenergie des Windes. In: Niederhausen, H. (Hrsg.): Generationenprojekt Energiewende, Elek-troenergiepolitik im Spannungsfeld zwischen Vision und Mission. Norderstedt: BoD – Books on Demand, 2022, S. 137-154.
- Entwurf eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der er-neuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor, Deutscher Bundestag, Drucksache 20/1630, 02.05.2022.
- dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität, Deutsche Energie-Agentur GmbH (Hrsg.), 2021.
- Ahlborn, D.: Statistische Verteilungsfunktion der Leistung aus Windkraftanlagen. In: World of Mining – Surface & Underground 67 (2015), No. 4, S. 272-277.
- Linnemann, T.; Vallana, G. S.: Windenergie in Deutschland und Europa – Status quo, Potenziale und Herausforderungen in der Grundversorgung mit Elektrizität, Teil 1: Ent-wicklungen in Deutschland seit dem Jahr 2010. In: VGB Power Tech. 6 (2017) S. 63-73.
- https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Erzeugung/Tabellen/bruttostromerzeugung.html (Stand: 17.06.2022)
- Ahlborn, D.: Nutzung überschüssiger Wind- und Solarenergie durch Power-to-X-Konzepte. In: Niederhausen, H. (Hrsg.): Generationenprojekt Energiewende, Elektroenergiepolitik im Spannungsfeld zwischen Vision und Mission. Norderstedt: BoD – Books on Demand, 2022, S. 109-123.