STUTTGARTER ZEITUNG 10. Juni 2016: [3] Weltweit einzigartig: Naturstromspeicher Strom kommt aus Wind und Wasser
In Gaildorf entsteht der weltweit erste Naturstromspeicher, der eine flexible Energieversorgung sicherstellen soll.
Riesige Speicher
Die Idee klingt für technische Laien bestechend einfach: Als Oberwasserbecken dient nicht wie etwa in den Alpen ein riesiger Stausee. Das Wasser befindet sich größtenteils in 40 Meter hohen, mit 16,8 Meter Durchmesser recht gewaltigen Windrad-Sockeln. Diese wiederum stehen in einem Außenbecken mit 63 Metern Durchmesser, das bis zu 13 Meter hoch mit Wasser gefüllt ist. Insgesamt sind hier 160 000 Kubikmeter gespeichert.
Ein Druckrohr verbindet die Windräder untereinander und mit dem 200 Meter tiefer im Tal gelegenen Pumpspeicherwerk. Zusätzlich erhöhen so genannten Aktivspeicher das Fundament der Anlagen und damit die Nabenhöhe der Rotoren. Samt Rotor ist eine Gesamthöhe von bis zu 240 Metern möglich – dadurch ist die Windausbeute um 20 Prozent höher als gewöhnlich. Das unterhalb des Pumpspeicherwerks gelegene Unterbecken misst 400 mal 150 Meter und soll als „attraktiv gestaltetes Gewässer“ der Naherholung dienen. Es kann mit einem so genannten Naturwärmespeicher nachgerüstet werden, der zur Energiequelle für Nah- und Fernwärmeversorgung wird: „Naturversorgung“ heißt das im PR-Auftritt des Unternehmens. Natur pur.
Der Naturstromspeicher ist ein „typisch deutsches Produkt – innovativ und intelligent“, ereifert sich der Initiator Alexander Schechner. Die Politik sieht das offenbar ebenso: Mit 7,5 Millionen Euro aus dem Innovationsprogramm fördert das Bundesumweltministerium die Entwicklung. In Gaildorf entsteht der kleinste von drei Anlagentypen. Die Wasserkraftanlage – auch sie ist modular gebaut – kommt mit Voith-Turbinen auf 16 Megawatt (MW) installierte Leistung; überdies werden Anlagen mit 24 und 32 MW entwickelt. Mit 50 und 100 Millionen Euro pro Gesamtkraftwerk liege die Anlage im Investitionsrahmen von Stadtwerken und Regionalversorgern. Und im Trend: „Wir wollen möglichst viel Strom vor Ort erzeugen, statt lange Leitungen durchs Land zu bauen, die politisch schwer durchsetzbar und teuer sind“
Was ist neu an diesem weltweit einzigartigen Stromspeicher?
Ein Zyniker würde sagen: Die Menge an Unsinn und Kosten, sowie eine neue und bisher ungeahnte Dimension großflächiger Landschaftszerstörung. Leider handelt es sich um keine Ironie, sondern die kompromisslose Weiterführung der bereits im Artikel: Wälder brauchen Windräder angesprochenen, bedingungslosen EEG-Landschaftszerstörung.
Die Erfinder stellen „einfach“ unter und in den Sockel eines Windrades zusätzlich einen Beton-ummantelten Wasserbottich mit 63 m Durchmesser und 16 m Tiefe. Im Prinzip also nichts anderes, als ein ordinärer Pumpspeicher, aber hypermodern kleinteilig und dezentral errichtet. In der Werbung sieht dies wie folgt aus (Bild 1),
Bild 1 [6] Prinzipbild des Naturstromspeichers. Quelle: Homepage der Entwicklungsfirma NATURSPEICHER, Broschüre: Der Naturstromspeicher
… und in der Natur dann so (Bild 2):
Bild 2 [1] Baubild eines Naturstromspeichers als „Sockel“ eines Windrades. Quelle: Homepage der Entwicklungsfirma NATURSPEICHER
Während schon eine normale Windradgründung einen Wald massiv „durchlöchert“ (Bild 3), vergrößert sich diese durch die „Naturstromspeicher“ um Dimensionen (Bild 4).
Bild 3 mit der Darstellung, wie Windrad-Gründungen, Freiflächen und Zufahrtsstraßen einen Wald zerstören. Quelle: ARD, Film „Der Kampf um die Windräder“. Aus dem Artikel: Wälder brauchen Windräder
Bild 4 [6] Coverbild des Werbeprospektes. Quelle: Homepage der Entwicklungsfirma NATURSPEICHER, Broschüre: Der Naturstromspeicher
Als konkrete Anlage umgesetzt sieht das Prinzip von Bild 1 im Pilotprojekt wie folgt aus (Bild 5):
Bild 5 [6] Realisierungsbild Projekt Gaildorf. Quelle: Homepage der Entwicklungsfirma NATURSPEICHER, Broschüre: Der Naturstromspeicher. Bild vom Autor ergänzt.
Projekt-Daten
Wie bei solchen „Leuchtturmprojekten“ üblich, ist es unmöglich, an Daten über die Kosten zu kommen. Es war dem Autor nicht möglich, anhand der pauschalen Kostenspanne die der Pumpspeicher-Installation zu extrahieren, über Betriebskosten findet sich überhaupt keine Angabe.
Projekt Gaildorf [3] [6]:
-4 St. Windräder
-Windrad-Typen:
-Windenergie-Leistung: 20 MW (5 MW je Windrad)
-Windenergie-Erzeugung: 44 GWh Jahreserzeugung (11 GWh / Windrad lt. Prospekt)
-Stauhöhe Aktivbecken (Umbau des Windradfußes): 31 m
-Stauhöhe Passivbecken (Speicherbecken um den Windradfuß-Grund): 8 … 13 m
-Höhendifferenz Speicher-Druckleitung: 200 m (erforderlich: 150 … 350 m)
-Speicherkapazität Pumpspeicher-Kraftwerke: 70 MWh
-Leistung Pumpspeicher-Kraftwerke: 16 MW
-Speichervermögen an Nennleistung der eigenen Windräder: 3,5 Stunden
-Kosten Gesamt-Projekt: 50 … 100 Mio EUR
-Die Kosten für 1 MWh Speichervermögen könnten sich vielleicht um 1 Mio EUR bewegen[7].
Wie viele Naturstromspeicher würden benötigt
Gerechnet wird mit den Prospektangaben, die bestimmt stark geschönt sind. Aber auch damit erkennt man die Dimensionen.
-Durchschnittlicher Strombedarf Deutschland: 70 GW
-Mittlere Speicherkapazität eines Naturstromspeicher-Windrades im Projekt: 17,5 MWh
-Anzahl bisher in Deutschland installierter Windräder (Stand 31.12.2015): 26.500 St.
Benötigte Anzahl Naturstromspeicher zur Überbrückung bei fehlender EEG-Stromlieferung von Deutschland:
-Für 1 Stunde: 4.000 St. (8 … 12.000* St.)
-Für 24 Stunden: 96.000 St. (192 … 288.000* St.)
-Für 1 Woche: 16.128.000 St. (32 … 48.000.000* St.)
Wobei die Speicherung nur für eine Woche bei Weitem nicht ausreicht.
*Natürlich reicht das nur, wenn jedes Windrad zum Füll- und Entleersee ca. 200 m Höhendifferenz hat. Windräder unter 150 m möglicher Wasser-Fallhöhe fallen als unrentabel ganz aus. Und die Speicher müssen bei Bedarf immer ganz voll sein. Zur wirklichen Nutzung die „kleine“ Bedarfsstückzahl also ruhig nochmals mit den Faktoren Zwei*, eher Drei multiplizieren.
Viele schöne Landschaften werden allerdings nicht Ökofabrik-nachhaltig ausgerüstet werden können, weil die erforderliche Fallhöhe nicht erreicht wird, oder das erforderliche Wasser mit dem kleinen See fehlt.
Förderung durch das BMUB und die Landespolitik
Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit als Musterprojekt propagiert und mit Mitteln in Höhe von 7.150.000 € aus dem Umweltinnovationsprogramm gefördert.
Vorteile der Erfindung sind in der Projektbeschreibung des BMUB gelistet:
[8] Dadurch entfallen Baumaßnahmen sowie An- und Abtransport der Aushubmasse. Es können ca. 19.000 Lkw – Fahrten mit einem CO2-Ausstoß von ca. 400 Tonnen vermieden werden. Weiterhin entfallen Rodungsarbeiten einer Waldfläche von 2 bis 4 Hektar
Die Politik ist von der Erfindung begeistert [6]:
Annette Sawade, SPD, Vorsitzende des Unterausschusses Kommunales, Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, Mitglied im Petitionsausschuss
„Mit der Förderung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ist ein ganz wichtiger Meilenstein für die Umsetzung dieses innovativen Projektes erreicht. Ich bin überzeugt und hoffe sehr, dass der Gaildorfer Naturstromspeicher seinen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten kann.“
Frank Zimmermann, Bürgermeister von Gaildorf
„Ich bin überzeugt: das Projekt „Naturstromspeicher“ ist gut für Gaildorf. Wir sind mit innovativer Technik jetzt ganz vorne bei der Energiewende mit dabei.“
Man muss dafür wohl Verständnis haben. Schließlich bekommt eine Gemeinde so praktisch „umsonst“ noch einen Freizeitsee geschenkt und sofern man ganz innovativ weiter baut, kann dieser auch noch mit einem Wärmespeicher hochgerüstet werden. Gerade einen Niedertemperatur-Fernheizungsausbau werden viele ländlichen Kleinstädte und Gemeinden schon lange vermisst haben – und nun bezahlt diesen Wunsch alleine das EEG – Schlaraffenland, ich komme.
[6] Das Unterbecken kann zusätzlich mit einem Naturwärmespeicher ausgerüstet werden. So steigt Ihr Kraftwerk zusätzlich in die hocheffiziente Wärmeversorgung von ganzen Stadtquartieren ein. Wir nennen die Kombination unserer Lösungen für Stromspeicherung und Wärme Naturversorgung.
Die ferne Zukunft ist schon nah
Falls sich der „Naturstromspeicher“ und die „Naturversorgung“ entgegen den Erwartungen der Herstellfirma und der Politik doch nicht durchsetzen sollte, steht als ultimative Lösung schon die nächste, wieder ganz innovative Erfindung kurz vor den Startlöchern.
Klimaretter.Info: [9] Biogasanlagen: Vom Koch zum Kellner
… Krautkremer arbeitet mit seinen Institutskollegen an einer Rehabilitierung der Bioenergie. Die sollte in Zukunft zum einen auf Rest- und Abfallstoffe setzen statt großflächig auf Anbaupflanzen. Sie könnte zum anderen ein wichtiger Partner einer anderen Technologie werden, die derzeit besonders angesagt ist.
Die Rede ist von Power-to-Gas. Bei dem Verfahren wird Strom, im Idealfall überschüssiger Ökostrom, genutzt, um Wasser durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. In einem nächsten Schritt wird der Wasserstoff mithilfe von CO2 in Methan umgewandelt, den Hauptbestandteil von Erdgas. Methan lässt sich zum Beispiel im Erdgasnetz speichern – und bei Bedarf in einem Gaskraftwerk verfeuern.
Diese Innovation, diesmal vom berühmten Forschungsinstitut für neue Energien IWES, ist noch nicht so weit wie das Projekt Gaildorf, mit dessen Bau bereits begonnen wurde. Aber im Herbst soll bereits eine Pilotanlage mit 50-Kilowatt beginnen zu entstehen. Die Lösung der aktuell immer wichtigeren Speicherproblematik steht als schon vor dem zweiten Startloch – auch diesmal gefördert, allerdings mit weniger Volumen:
[9] Das hessische Umwelt- und Energieministerium fördert das Vorhaben mit einer Million Euro.
Nach der Erprobungsphase soll die Idee in einer zehnmal größeren Anlage umgesetzt werden, hat Hessens Energie-Staatsministerin Priska Hinz (Bündnis 90/Die Grünen) angekündigt.
Wenn das mit den Innovationgeschwindigkeiten so weiter geht, werden vielleicht bald mehr Innovationen als EEG-Strom gefördert und Deutschland wird Grünes Innovationsland.
Zufügung
Der Autor dankt Ruhrkultour, welches mit seinem Artikel: [4] “Naturstromspeicher” – Der Erfolg eines Lügensystems
auf das Projekt Naturstromspeicher Gaildorf hingewiesen hat.
Quellen
[1]
Homepage NATURSPEICHER
http://www.naturspeicher.de/de/pilotprojekt/pilotprojekt.php
[2]
RUNDSCHAU Südwest-Presse 24.08.2016: Keine Sommerpause beim Naturstromspeicher
http://www.swp.de/gaildorf/lokales/gaildorf/Keine-Sommerpause-beim-Naturstromspeicher;art1223023,3977660
[3]
STUTTGARTER ZEITUNG 10. Juni 2016: Weltweit einzigartig: Naturstromspeicher Strom kommt aus Wind und Wasser
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.weltweit-einzigartig-naturstromspeicher-strom-kommt-aus-wind-und-wasser.f24f65e2-a907-4a6b-84b7-f201335b8ca7.html
[4]
Ruhrkultour: “Naturstromspeicher” – Der Erfolg eines Lügensystems
„Naturstromspeicher“ – Der Erfolg eines Lügensystems
[5]
Deutsche WINDGUARD: KOSTENSITUATION DER WINDENERGIE AN LAND IN DEUTSCHLAND UPDATE
[6]
Homepage NATURSPEICHER: Broschüre: Der Naturstromspeicher Wir speichern Strom mit Wasser
[7]
phbBB, Projekt Gaildorf: BMUB: Neues Projekt "Naturstromspeicher Gaildorf"
http://pbb.53rv3r.de/viewtopic.php?p=1426Nachdenken
[8]
BMUB Projektbeschreibung
http://www.umweltinnovationsprogramm.de/sites/default/files/benutzer/36/dokumente/internetbeitrag_naturstromspeicher_gaildorf.pdf
[9]
Klimaretter.Info: Biogasanlagen: Vom Koch zum Kellner
http://www.klimaretter.info/forschung/hintergrund/21804-biogasanlagen-vom-koch-zum-kellner