Sich verschiebende Energietrends stumpfen Russlands Erdgas-Waffe ab
Bild rechts: Der russische Pipeline-Alptraum
Russland deckt über die Hälfte des Erdgasbedarfs der Ukraine, und seit 2006 hat Russland zweimal die Lieferungen gekürzt, und zwar wegen Streits über Politik, Preise und verspätete Zahlungen. Diese Lieferkürzungen bekamen auch viele Länder in Europa zu spüren, die von Pipelines abhängig sind, die durch die Ukraine laufen.
Aber Veränderungen des globalen Erdgashandels haben Moskaus Waffe abgestumpft, was den russischen Pipeline-Monopolisten Gazprom gezwungen hat, weltweit die Preise zu reduzieren und der Ukraine etwas mehr Spielraum für Verhandlungen einzuräumen.
Der Schiefergas-Boom in den USA hat Gas exportierende Länder gezwungen, sich nach anderen Abnehmern umzusehen. In Europa, wo man bereits Terminals zur Bearbeitung von Flüssiggas baut, wird man die eigene abnehmende Erzeugung durch Lieferungen aus Ländern wie Qatar aufstocken. Und im Jahre 2012 hat Statoil in Norwegen mehr Gas an andere europäische Nationen verkauft als Gazprom.
„Seit den russischen Lieferbeschränkungen der Jahre 2006 und 2009 hat sich das Rad total gedreht“, sagte Anders Aslund, ein Mitglied am Peterson Institute of International Economics, der Russland, die Ukraine und Kirgistan beraten hat. Aslund weiter: „Es gab einmal eine Zeit, in der die Ukraine und Deutschland den Kampf um die größten Gazprom-Lieferungen untereinander ausfochten. Heute steht Gazprom vor der Herausforderung, überhaupt auf dem ukrainischen Markt präsent zu bleiben“.
Im Dezember hatte Gazprom verlauten lassen, dass es der Ukraine preislich einen Rabatt einräumen würde mit einer Preissenkung von 11,5 Dollar pro 1000 Kubikfuß auf 8,10 Dollar. Aber das brachte die Ukraine nur auf eine Linie mit den Preisen die in anderen Teilen Europas bezahlt wurden. Gazprom sagte, es würde die Preise in jedem Quartal überprüfen, was bedeutet, dass Ende März eine Neufestsetzung erfolgen könnte.
Während veraltete Fabriken und Minen aus der Sowjet-Ära inzwischen effizienter geworden oder außer Betrieb gegangen sind, ist der heimische Gasverbrauch der Ukraine während der letzten fünf Jahre um fast 40 Prozent zurückgegangen. Der Sberbank Investment Research zufolge hat dies die Importe aus Russland halbiert.
Der heimische Verbrauch könnte noch weiter zurückgehen, falls die Ukraine die generösen Subventionen für Erdgas beschneidet, obwohl nur so wenige Haushalte ihre Rechnungen bezahlen, dass dies kaum ins Gewicht fallen könnte. „Die Leute werden vom Nichtbezahlen der niedrigeren Preise zum Nichtbezahlen der höheren Preise übergehen“, sagte Thane Gustafson, leitender Direktor von Russian Energy der Beratungsfirma IHS CERA.
Die Gas-Subventionen und Strafzahlungen liegen im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Probleme der Ukraine und der Spannungen mit Moskau. Selbst wenn die heimischen Verbraucher alles bezahlen würden, würde der staatliche Gaskonzern der Ukraine Naftogaz Geld durch diese Verkäufe verlieren. Dies trägt zu den Zahlungsschwierigkeiten an Gazprom bei. Gazprom hat am 3. Februar gesagt, dass Naftogaz ihr 3,3 Milliarden Dollar schuldet für Lieferungen während der vorangegangen 13 Monate. Die Verluste von Naftogaz werden weiter wachsen, da es das Gas in der heimischen, unter Druck stehenden Währung verkauft, während die Einkäufe in Dollar abgerechnet werden.
„Ein ineffizienter und undurchsichtiger Energiesektor belastet weiterhin schwer die öffentlichen Finanzen und die Wirtschaft“, sagte der International Monetary Fund unter Verweis auf die Energiesubventionen, die im Jahre 2012 7,5% des BIP der Ukraine ausmachten. „Die sehr niedrigen Tarife für heimisches Gas und Fernheizung decken nur einen Bruchteil der ökonomischen Kosten und befeuern eine der höchsten Gasverbrauchsraten in Europa“, sagte der IMF im Dezember.
Langfristig könnte die Ukraine die heimische Erzeugung aber stark ankurbeln. Ende des vorigen Jahres unterzeichnete das Land Schiefergas-Abkommen mit Chevron und Royal Dutch Shell. Jede dieser Firmen wird 350 Millionen Dollar investieren im Rahmen von 5-Jahres-Programmen sowie 10 Milliarden Dollar für die Entwicklung im westlichen Teil des Landes. Allerdings hat Chevron, dessen Block 1,6 Millionen Acres ausmacht [fast 6500 km²], verlauten lassen, dass die Bohrungen noch nicht begonnen haben. Die Firma muss immer noch mit seinem Vertragspartner, dem zumeist staatseigenen Unternehmen Nadra Oles’ka, einige Details klären, sagte der Sprecher von Chevron Kent Robertson.
Die jetzt abgesetzte Regierung hat auch mit einer von Exxon Mobil geleiteten Gruppe verhandelt, die im Schwarzen Meer nach Öl und Gas suchen will. Im Januar, als sich Protestierende auf dem zentralen Platz in Kiew drängten, ist der Vizepräsident von Exxon Mobil für Europa, Kevin Biddle, in die Stadt gereist, um Verhandlungen aufzunehmen.
Inzwischen hat der Aufruhr der letzten zwei Wochen die Gas-Strategie der Ukraine noch konfuser gemacht. „Es gibt derzeit keine Regierung und keine Agenturen, mit denen man verhandeln kann“, sagte Simon Pirani, leitendes Forschungsmitglied am Oxford Institute for Energy Studies. „Wie hoch dies jetzt auf der Prioritätenliste steht, kann man nur raten“.
„Wir haben weiter Hoffnung, dass Verhandlungen … zu geeigneter Zeit wieder aufgenommen werden können”, sagte der Sprecher von Exxon Mobil Patrick McGinn.
Selbst wenn die Geschäfte mit ausländischen Unternehmen Fortschritte machen, muss die Ukraine immer noch etwa die Hälfte seines Gasbedarfs importieren, was bedeutet, dass die Beziehungen zu Gazprom wichtig bleiben.
Während der vergangenen Jahre hat Russland seine Preise für Erdgas an die Rohölpreise angepasst, aber angesichts steigender Gasvorräte und steigender Rohölpreise haben die Verbraucher Widerstand geleistet. Im Jahre 2012 haben viele industrielle Verbraucher und Kraftwerke in Europa zu Kohle gewechselt, und Russland hat zugestimmt, neu zu verhandeln. Die Verbindung zwischen Gas- und Ölpreisen hat etwa die Hälfte der russischen Gasverkäufe gefährdet. Gazprom hat auch zugestimmt, Klauseln in den Verträgen zu eliminieren, denen zufolge Länder wie Deutschland russisches Gas nur mit der Zustimmung von Gazprom weiter verkaufen dürfen.
Als Folge musste die Ukraine mehr zahlen als die Kunden von Gazprom in Deutschland, und im vorigen Jahr importierte die Ukraine kleine Mengen Erdgas aus Deutschland und Ungarn durch Pipelines in der Slowakei und Polen, sagen Experten. Deutschland kauft sein Gas aus verschiedenen Ländern, aber umgeleitetes russisches Gas hat im Endeffekt anderes russisches Gas untergraben.
„Die Ukraine hat ihren Verbrauch russischen Gases reduziert, was sie weniger verwundbar macht. Auch die kälteste Zeit des Winters ist vorbei. Und es gibt noch eine gewisse Menge Gas in den Speichern“, sagte ein leitender Beamter der Obama-Administration. Allerdings wollte dieser wegen der Sensitivität anonym bleiben. „Die Ukraine befindet sich immer noch in einer prekären Lage“, fügte er hinzu, „obwohl die Lage sich sehr von der im Jahre 2009 unterscheidet“.
Übersetzt von Chris Frey EIKE