Absurder Opfervergleich*

Zu Unrecht ist der Publizistin Carolin Emcke vorgeworfen worden, sie habe in einer Videobotschaft zum Parteitag der Grünen antisemitisch argumentiert. In ihrer Rede hatte Emcke vor einer radikalen Wissenschaftsfeindlichkeit gewarnt. „Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden“, erklärte Emcke, „und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen und die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“

Es ist davon auszugehen, dass Emcke sich dabei auf diejenigen Forscher bezog, die die These vom menschengemachten Klimawandel vertreten. Diese gehen, anders als Emcke in ihrer Rede orakelte, keineswegs ein Risiko ein, zum Opfer von Verfolgung zu werden.

Nur wenige Tage vor dem Parteitag der Grünen hatte beispielsweise der Bundespräsident den Physiker Hans Joachim Schellnhuber mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Schellnhuber ist hierzulande einer der bekanntesten Verfechter der These eines menschengemachten Klimawandels. Skeptiker dieser These machen dagegen andere Erfahrungen.

Als beispielsweise das „Europäische Institut für Klima und Energie“ (EIKE) 2019 in München eine Klimakonferenz veranstalten wollte, zog ein Vermieter die Zusage für den Veranstaltungsort wieder zurück. Zur Begründung hieß es von der Hotelgruppe: „ein Leugnen des menschengemachten Klimawandels“ sei mit ihren Wertvorstellungen nicht vereinbar.

Diese Sichtweise ist faktisch zur Staatsdoktrin geworden. Statt Wissenschaft als Prozess eines ständigen Diskurses und Hinterfragens von Hypothesen zu verstehen, wird immer öfter die bedingungslose Anerkennung eines „wissenschaftlichen Konsens“ eingefordert. Die Instrumentalisierung des Wissenschaftsbegriffs weckt Erinnerungen an die Herrschaftspraxis in der DDR. Dort begründete die SED ihren Herrschaftsanspruch damit, dass die Staatsideologie des Marxismus/Leninismus auf einer wissenschaftlichen Basis stehe.

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)*  Anmerkung der EIKE-Redaktion :
Dieser Aufsatz ist zuerst erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung;  25. Juni 2021, S.8; EIKE dankt der PAZ-Redaktion sowie dem Autor Norman Hanert  für die Gestattung der ungekürzten Übernahme, wie schon bei früheren Artikeln :   https://www.preussische-allgemeine.de/ ; Hervorhebungen im Text: EIKE-Redaktion.

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Milliardenfacher Insektentod an Windrädern*

Der Rückgang landlebender Insekten ist ein globales Phänomen mit sehr unterschiedlichen regionalen Ausprägungen. Das ergab eine von einem internationalen Forscherteam am Deutschen Zen-trum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig, der Universität Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführte Metastudie, die bereits im April letzten Jahres veröffentlicht wurde.

Dabei wurden erstmals Daten aus 1676 Orten weltweit ausgewertet, um Veränderungen der Insektenzahlen, nicht der Arten, zu untersuchen. Die Daten wurden zwischen 1925 und 2018 erhoben. Die Analyse ergab einen Rückgang der landlebenden Insekten um jährlich 0,92 Prozent, was einem Rückgang von 24 Prozent innerhalb der letzten drei Jahrzehnte entspricht.

Dagegen stieg die Zahl der Wasserinsekten wie Libellen und Köcherfliegen zuletzt um 1,08 Prozent pro Jahr. Das wird auf Gewässerschutzmaßnahmen zurückgeführt.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und zunehmend seit 2005 werden die stärksten Rückgänge der Insekten für Teile der USA und Europas verzeichnet, und zwar vor allem für Deutschland. Der stärkste Rückgang wurde bei fliegenden Insekten wie Schmetterlingen, Wildbienen und Schwebfliegen beobachtet, die bei der Bestäubung vieler Pflanzen einen wichtigen Beitrag leisten. Vom Insektenschwund unmittelbar betroffen sind insektenfressende Vögel.

Eindeutige Studie des DLR

Ohne Insekten würden die Ökosysteme zusammenbrechen, und die Erde wäre unbewohnbar für Menschen. Die wesentlichen Ursachen für diese dramatische Entwicklung sind bekannt: die intensive Landwirtschaft mit Überdüngung und hohem Pestizideinsatz, die Zerstörung von Lebensräumen durch Bodenversiegelung sowie nach neuerer Erkenntnis auch die sogenannte Lichtverschmutzung bei Nacht in den Städten. Da die meisten Insekten nachtaktiv sind, lassen schätzungsweise eine Milliarde Insekten ihr Leben in einer einzigen Sommernacht an Deutschlands Lichtquellen. Allen Faktoren ist gemein, dass sie mit den Aktivitäten des Menschen zusammenhängen.

Durch eine 2019 veröffentlichte Studie von Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist als weiterer Faktor des Insektensterbens die Wechselwirkung von Fluginsekten und Windturbinen bekannt geworden.

Eine Modellrechnung führte zur Annahme, dass die Größenordnung der von Windturbinen geschlagenen Fluginsekten relevant für die gesamte Insektenpopulation sein könnte. Die Forscher empfahlen, die Verluste näher zu untersuchen. Anlass der Studie waren die Überreste von Fluginsekten an Rotorblättern, die zu hohen Einbußen beim Wirkungsgrad der Windkraftanlagen führen können und die Entstehung einer Reinigungsindustrie für Rotorblätter zur Folge hatten. Der Zusammenprall der Fluginsekten mit den bis zu 60 Meter langen Rotorflügeln und ihre tödliche Verwirbelung durch die arbeitenden Turbinen geschieht während der Wanderbalz der Insekten. Dabei nutzen Insekten starke, gleichmäßige Luftströmungen in Höhen bis zu 2000 Meter gleichsam als Fahrstuhl, um zur Eiablage in ihre Brutgebiete zu gelangen. Wissenschaftler bezeichnen diese Schicht als „Insektenmigrationsschicht“. Dieser wichtige Lebensraum wird auch von Vögeln und Fledermäusen genutzt. Durch den milliardenfachen Insektentod an Windrädern kurz vor der Eiablage könnten sich exponentielle Verlustraten für die Insekten ergeben.

Kein Verträglichkeitsnachweis

Es ist bezeichnend, dass das alarmierende Ergebnis der Studie in den Medien sogleich vielstimmig zerredet wurde. Auch im Maßnahmenpaket des Bundesumweltministeriums zur Rettung der Insekten vom letzten Oktober ist der Insektenschlag durch Windturbinen nicht berücksichtigt worden, was der Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) schwer anzulasten ist. Forscher beklagen, dass es immer noch keinen Verträglichkeitsnachweis von Windanlagen gegenüber Fluginsekten gibt. Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Berlin, hat in einem im Januar veröffentlichten Aufsatz darauf aufmerksam gemacht, dass Scheimpflug-Lidarmessungen bei arbeitenden Windrädern eine hohe Insektenaktivität in der Risikozone der Turbinen bestätigen. Seine Forderungen an die Politik: Wir müssen verstehen, wie die Anziehung der Insekten durch Windräder wirkt, desgleichen die Interaktionen von Insektenfressern, Vögeln und Fledermäusen, mit Windturbinen. Wir müssen ferner die Schlagraten von Insekten durch Windräder mit Bezugsgrößen in Verbindung bringen, um zu ermitteln, wie stark diese zum Niedergang der Insektenpopulationen beitragen. Und wir brauchen Erkenntnis darüber, in welchem Umfang die Insektenverluste durch Windräder zur Veränderung der Ökosysteme beitragen.

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)*  Anmerkung der EIKE-Redaktion :

Dieser Aufsatz ist zuerst erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung;  4. Juni 2021, S.4; EIKE dankt der PAZ-Redaktion sowie der Autorin Dagmar Jestrzemski  für die Gestattung der ungekürzten Übernahme, wie schon bei früheren Artikeln :   https://www.preussische-allgemeine.de/ ; Hervorhebungen im Text: EIKE-Redaktion.

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Die Klimabewegung ist eine Religion*

Sein Buch «Apocalypse Never – why environmental Alarmism hurts us all» brachte im vergangenen Sommer eine kühle Brise in die aufgeheizte Klimadebatte, kühle Vernunft. Der amerikanische Wissenschaftspublizist Michael Shellenberger zeigt in seiner Analyse, die mittlerweile in siebzehn Sprachen vorliegt, anhand Dutzender von Beispielen, warum die Weltuntergangs-Warnungen der Klima-Aktivisten falsch sind, ja schädlich für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Im Gespräch hier räumt er auf mit den überrissenen Erwartungen an erneuerbare Energien wie Wind und Solar. Der 49-jährige Shellenberger zählt zu den renommiertesten Wissenschaftsautoren und ist auch in der Politikberatung in mehreren Ländern engagiert.

Weltwoche: Herr  Shellenberger, die USA kehren unter der Regierung Biden zurück zum Pariser Abkommen und versprechen, den Ausstoss ihrer Treibhausgase gemäss den Pariser Zielen zu reduzieren. Welchen Effekt erwarten Sie? Ist das gut für die Welt?

Michael Shellenberger: Der Effekt ist gleich null.  In den USA sind die CO2-Emissionen seit dem Jahr 2000 stärker  zurückgegangen als in jedem anderen Land der Welt. Verglichen mit 2005, beträgt der Rückgang jetzt 22 Prozent, das Pariser Ziel für die USA lag bei 17 Prozent. Es wurde also weit übertroffen. Und zwar aus Gründen, die nichts zu tun haben mit dem Pariser Abkommen.

Weltwoche: Aus welchen Gründen?

Shellenberger: Fracking und  Erdgas  sind entscheidende Stichworte. Erdgas verursacht etwa halb so viel CO2-Emissionen wie Kohle, und so bringt die seit längerem laufende Verlagerung weg von Kohle, hin zu Gas eine erhebliche Entlastung. Unter Trump erfolgte die Verlagerung ebenso schnell wie unter Obama, die Emissionen sanken sogar beschleunigt.

Weltwoche: Und was ist nun die Wirkung des Pariser Vertrags?

Shellenberger: Das Pariser Abkommen ist reine Public Relations.  Und mehr als das wird es auch nie sein, ein Beschäftigungs-Programm für Diplomaten.

Weltwoche: Dann sind die Bemühungen zur Stärkung des Pariser Prozesses auch für die ganze Welt eine reine  Zeitverschwendung?

Shellenberger: In gewisser Hinsicht ist es sogar schlimmer, weil dies der Idee Vorschub  leistet, es sei vor allem Sache der Bürokraten, über Energieangebote, -nutzung und Güterproduktion in den jeweiligen Ländern zu entscheiden.

Weltwoche: Aber der Staat hat bezüglich Umweltschutz und Energieverwendung doch bestimmte Aufgaben, oder nicht?

Shellenberger: Die weitaus wichtigste Grösse mit Blick auf die Energie ist deren Preis, denn dieser bestimmt das Wirtschaftswachstum. Umweltqualität wird verbessert durch effizientere Kraftwerke, Anlagen und Fahrzeuge, nicht durch Ankündigungen an Uno-Konferenzen.  Die Politik kann durchaus einen günstigen Einfluss ausüben. Die  US-Regierung etwa förderte die Fracking-Revolution, was zu billigem Erdgas und dadurch zu einem Ersatz der Kohleverbrennung sowie drastisch sinkenden CO2-Emissionen führte.

Weltwoche: Die Europäer sind aber nicht auf dieser Schiene.

Shellenberger: Nein, sie stehen zurzeit vor der  Frage ,  ob sie Erdgas  sowie    erneuerbare Energien  wie Solar und  Wind ausbauen oder  ob sie die Kernenergie stärken sollen.

Weltwoche: Für Kernenergie sieht es in Deutschland und der Schweiz schlecht aus.

Shellenberger: Da hat die Politik sie verbannt, aber in den Niederlanden, in Grossbritannien oder Frankreich laufen Debatten zu deren Ausbau. Ein Vergleich von Deutschland mit Frankreich ist höchst interessant: Pro Elektrizitätseinheit stösst Frankreich nur einen Zehntel der CO2-Emissionen von Deutschland aus, und der französische Strompreis ist halb so hoch. Deutschland hat zusätzlich Schwierigkeiten mit Solar und Wind. Windräder stossen auf viel lokalen Widerstand, und jüngste Meldungen über Zwangsarbeit in China weckten politischen Widerstand gegen den Import von Solarpanels.

Weltwoche: Gerade in Europa besteht aber der Eindruck, dass der ganze Uno-Apparat mit Klimaabkommen, Konferenzen, Weltklimarat und Klimaforschung doch eine Energiewende bewirkt.

Shellenberger: Er bringt PR, die den Druck erhöht, Kernkraftwerke abzuschalten, die wetterabhängigen erneuerbaren  Energieformen  auszubauen und den armen Ländern moderne Nahrungsmittelproduktion und Energiesysteme vorzuenthalten. Das sind die Auswirkungen auf die Welt.

Weltwoche: Es gibt also Gewinner und Verlierer. Wer sind die Gewinner?

Shellenberger: Gewinner sind die Chinesen, die  Solarpanels  produzieren, Schattenbanken wie Blackrock, die das finanzieren, sodann globale  Eliten, die ihr Statusbewusstsein und Überlegenheitsgefühl pflegen, und auch  junge Leute, die sich gegen Eltern, Institutionen und Vorgesetzte auflehnen.

Weltwoche: Und die Verlierer?

Shellenberger: Länder  aus Subsahara-Afrika, weil man sie daran hindert, moderne Energie- und  Ernährungssysteme zu erstellen. In geringerem Ausmass auch Südamerika und  Südasien. Die  Klimadebatte  schadet vor allem schwächeren Leuten und schwächeren Ländern.

Weltwoche: Wehren sich die Verlierer nicht?

Shellenberger: Es gibt Widerstand in unterschiedlichen Formen. Indien etwa setzt weiterhin stark auf Kohle und stellt daneben einfach ein paar Solarpanels auf, um europäische Diplomaten zufriedenzustellen und auch um der Jugend in Entwicklungsländern  das Gefühl zu geben, sie sei Teil der globalen Elite. Entwicklungsländern wäre mit Industrialisierung und verbesserter Organisation viel besser gedient, um der Armut zu entkommen und die Wälder zu schützen.

Weltwoche: Wann kam die ganze Umwelt- und Klimabewegung eigentlich in Gang? Der Erdgipfel in Rio 1992 war ein  Kick – aber woher kam dann die Dynamik?

Shellenberger: Nach meiner Einschätzung hat diese ganze apokalyptische  Klimadiskussion  so richtig an Bedeutung gewonnen, als die apokalyptische Nuklearwaffen-Diskussion auslief. Am Ende des Kalten Krieges fand eine Art Ablösung statt. Bereits die Nuklearwaffendebatte war ihrerseits ein Ersatz für frühere Apokalypsevorstellungen, damals zu Faschismus und Kommunismus. Hinzu kam, dass in den frühen neunziger Jahren auch die Angst vor  Überbevölkerung verblasste und Mainstream-Denker sich dem Klima zuwandten.

Weltwoche: Soll man denn überhaupt etwas unternehmen gegen die Erderwärmung?

Shellenberger: Ja, man muss immer versuchen, von technologisch schlechteren zu fortschrittlicheren Energieträgern zu gelangen: von Holz zu Kohle  und Wasserkraft, von da zu Erdgas  und schliesslich zu Kernenergie. Kernenergie und Erdgas haben grosse Vorteile punkto Verlässlichkeit und Umweltqualität, weit über die Klima-Aspekte hinaus.

Weltwoche: Was ist denn langfristig der erstrebenswerte Energiemix?

Shellenberger: Ich glaube, am  Schluss dieser Energietransformationen  werden wir praktisch zu hundert Prozent Kernkraft haben.  Mit jedem Schritt wird die Wirtschaft weniger Carbon-intensiv: von Kohle zu Erdgas zur Wasserstoffwirtschaft, getrieben durch Nuklearenergie.

Weltwoche: Findet die Kernenergie denn genug politische Unterstützung?

Shellenberger: Ich glaube, es wird eine Weile brauchen.  Das war auch bei Kohle der Fall. Nach der ersten Dampfmaschine  im frühen 18. Jahrhundert  dauerte es fast siebzig Jahre, bis James Watt mit seiner moderneren Dampfmaschine kam. Die Nukleartechnologie ist jetzt 75 Jahre alt, die Nutzung als Energiequelle knapp  sechzig Jahre. Kernenergie ist eine sehr anspruchsvolle Technologie, da ihr primärer Zweck ja die Waffe war.  Deshalb hat sie sich als Energiequelle vor allem über jene Länder verbreitet,  die auch die Atomwaffe besitzen. Dass Frankreich über so viel Kernkraft verfügt, hängt mit seiner Rolle als Atommacht zusammen.  Grossbritannien kann aus dem gleichen Grund ebenfalls gut mit Kernenergie umgehen. In Westeuropa sonst ist dagegen die Angst  davor grösser. Aber ich glaube, diese nimmt mit der Zeit ab.

Weltwoche: Sehen Sie auch bei den modernen Reaktortypen einen Zusammenhang zwischen Atommacht und Energienutzung?

Shellenberger: Das sehe ich so. Die verbindende Beziehung ist der Prozess der Kernspaltung, der zu beherrschen ist.

Weltwoche: Und ist diese Technologie wirklich zuverlässig genug kontrollierbar?

Shellenberger: Bis heute ist das ziemlich gut gelungen. Kernenergie breitet sich nur langsam von Land zu Land aus. Das ist gut so, denn jedes  Mal,  wenn ein neues Land dazukommt, ergeben sich Risiken, die am Anfang am grössten sind. Der gefährlichste Zeitpunkt für Nordkorea war vor einigen Jahren. In der Kernenergieproduktion gab es einzelne Unfälle wie Tschernobyl oder Fukushima, aber diese machten die Branche besser, weniger anfällig.

Weltwoche: Die Hauptkräfte der Umwelt- und Klimapolitik sehen das aber nicht als Lösung. Sie wollen eine radikale Umkehr im Energiekonsum und eine vollständige Abkehr von fossiler Energie bis 2050 oder früher, eine Art Vollbremsung. Sie sagen, die Wissenschaft zeige klar, dass man sofort handeln müsse, sonst sei es zu spät, und das Klimasystem kippe. Es herrscht eine Alarmstimmung, die selbst lokale Parlamente dazu bringt, den Klimanotstand auszurufen.

Shellenberger: Da wird vieles miteinander vermischt. Meiner Ansicht nach ist die  Wissenschaft zum Klimawandel gut fundiert. Sie  besagt,  dass die Erde wärmer wird und dass menschengemachte Emissionen Erwärmung bewirken. Ich finde es  gut,  dass es  Meinungsunterschiede zur Frage gibt, wie gross der Anteil der Menschen daran ist. Nach meiner Einschätzung ist er ziemlich  bedeutend,  die Rolle der CO2-Emissionen bezüglich Treibhauseffekt ist nicht umstritten.

Weltwoche: Also ist der Alarm angebracht?

Shellenberger: Nein. Die Klimawissenschaftler versagen anderswo, nämlich bei der Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen die höheren Temperaturen haben können. Die alarmistischen Warnungen vor katastrophalen Entwicklungen sind völlig abwegig. Wir sehen keine Zunahme der Häufigkeit von Wirbelstürmen, die damit verbundene Anzahl Todesfälle nimmt ab, die Kosten nehmen nicht zu.  Auch bei Trockenheit und Überschwemmungen gibt es keine Steigerungen. Die besten verfügbaren Schätzungen der Entwicklung von Wirbelstürmen im nächsten halben Jahrhundert in den USA  deuten darauf hin,  dass die Frequenz um 25 Prozent abnehmen und die Intensität um 5 Prozent zulegen wird. Fehlinformation  verbreiten Klimawissenschaftler also zu den Auswirkungen der Erwärmung, nicht zur Tatsache der Erwärmung. ›››

Weltwoche: Ohne dramatische Schilderungen von Auswirkungen lassen sich wohl die wissenschaftlichen Daten schlecht verkaufen.

Shellenberger: In meinem Buch «Apocalypse Never» versuche ich, genau zwischen diesen zwei Dingen zu trennen. Die  Erderwärmung ist Tatsache und grossenteils  menschengemacht, das ist das eine. Das andere aber betrifft die Auswirkungen der Erwärmung. Da ist Alarmismus fehl am Platz.

Weltwoche: Wäre es also billiger, die Folgen des Klimawandels zu parieren, als die Erwärmung zu bekämpfen?

Shellenberger: Es hängt davon ab, was Sie mit Bekämpfung der Erwärmung meinen. Wie ich vorhin sagte, haben die USA  ihre CO2-Emissionen mehr als jedes andere Land in der Menschheitsgeschichte innerhalb der letzten zwanzig Jahre verringert. Und in dieser Zeit wurden die USA als Klimabösewicht beschimpft.  Aber jetzt kommt der Clou: Das war mit keiner wirtschaftlichen  Einbusse verbunden – im Gegenteil: Der Erdgaspreis sank, und  das ersparte den Konsumenten Kosten von hundert Milliarden Dollar pro Jahr.  Es ist also noch dramatischer, als wenn man sagt, das eine verursache weniger Kosten als das andere:  Wir reduzierten  CO2-Emissionen,  indem wir saubere Energien billiger machten, also einen Gewinn realisierten.

Weltwoche: Das tönt wie ein Geheimrezept.

Shellenberger: Die einzigen Massnahmen, die wirklich wichtig sind, sind die Übergänge von Energieform zu Energieform: von Kohle zu Erdgas zu Nuklearenergie. Das ist das Zentrale am Ganzen und gar nicht kompliziert.

Weltwoche: Ist diese Lösung nicht allzu bequem, zu billig?

Shellenberger: Es gibt viele Lügen im Zusammenhang mit dem Klima, aber die allergrösste Lüge ist, dass die Bekämpfung des  Klimawandels  ökonomische  Opfer nötig mache.  Das ist nur dann wahr, wenn wir meinen, wir müssten zurückgehen in der Zeit, zurück zu den erneuerbaren  Energieformen.  Wenn wir aber vorwärtsgehen in Richtung Erdgas und Nuklearenergie, dann sind keine Opfer nötig, im Gegenteil, dann schafft man mehr Wohlstand.

Weltwoche: Aber viele würden jetzt einwenden, erneuerbare Energien seien etwas Gutes, denn diese seien näher bei der Natur und man beute die Vorräte nicht aus.

Shellenberger: Ja, genau so ist es. Und deshalb sage ich: Es handelt sich da um eine Religion. Die Bewegungen für erneuerbare Energien und Umwelt bilden eine Religion. Es sind biblische Argumente, die da vorgebracht werden: Wir Menschen lebten seinerzeit in einem harmonischen Zustand mit der Natur, wir verletzten dann die Natur, schadeten ihr, vergewaltigten sie mit  technischem Lernen und Wissen, mit fossilen und nuklearen Brennstoffen. Wir  fielen ab von der Natur, sind Gefallene, schuldig. Wir müssen deshalb aufhören, Fleisch zu  essen. Das ist ein zentraler Punkt in vielen Religionen:  kein Fleisch, kein Vergnügen,  nicht herumreisen,  sonst wird die Welt zugrunde gehen.  Wie es im Buch der  Offenbarungen  festgehalten ist: Die Apokalypse kommt.

Weltwoche: Moment, man kann doch sagen, das Warnen vor der Apokalypse soll Massnahmen zur Abwendung derselben bewirken.

Shellenberger: Ich glaube, der Zweck des  Alarmismus  ist einfach der  Alarmismus selber. Ziel ist nicht die Verringerung der CO2-Emissionen, denn dann würde man Erdgas und Nuklearenergie anvisieren. Die Klimainteressengruppen wollen jedoch Solar- und Windenergie. Warum? Einerseits,  weil man das in Harmonie mit der Natur sieht, und  anderseits,  weil sie  finden,  man müsse Opfer bringen.

Weltwoche: Es müssen Kosten anfallen?

Shellenberger: Ja, und zudem: Die nicht verlässlichen Energieformen brauchen mehr Kontrolle und autoritäre Strukturen. Nehmen Sie die Elektrizitätsnetze. Angebot und Nachfrage lassen sich am besten in Einklang bringen in Systemen mit einer kleinen Anzahl grosser Kraftwerke. Nimmt man nun die erneuerbaren Energien dazu, muss man enorm viele Ausrüstungen, Steuerungen, Beschäftigte und  staatliche  Instanzen hinzufügen. So kann man Kosten generieren und die Leute zum Zahlen zwingen.

Weltwoche: Welche Länder werden die schnellsten sein in der Entwicklung neuer Energieversorgungskombinationen?

Shellenberger: Die reichen, entwickelten Länder befinden sich in einer gewissen Führungskrise, auch die  Biden-Administration, deren  Klimapläne  widersprüchlich sind. Deutschland hat ebenfalls grosse Probleme mit dem Übergang. Die einfachste Antwort auf die Frage ist deshalb: China. Weil dessen Wirtschaft wächst, weil es zentralisiert ist – wobei allerdings die  Interessengruppen für Solar, für Nuklear und für  Kohle einander bekämpfen und die Kommunistische Partei  den Marktkräften wenig Raum gibt.

Weltwoche: Wie sehen Sie denn langfristig die Perspektiven für die Solarenergie? Sonnenlicht ist ja gratis, warum soll man das nicht voll nutzen?

Shellenberger: Jahrelang wurde  erzählt, dass Solarpanels billiger würden, weil das Nutzen von Sonnenlicht zur Erzeugung elektrischer Energie immer effizienter werde.  Solarpanels  sind nun aus drei Gründen billiger geworden: Erstens werden sie subventioniert von China,  zweitens  lässt die chinesische Regierung zu, dass die schmutzigste Form von Kohlenergie zu deren Produktion verwendet wird, drittens ist Zwangsarbeit im Spiel. Nicht technischer Fortschritt drückte den Preis. Und der Rohstoff  Silizium wird nun teurer.  Nach meiner Einschätzung wird Solarenergie immer ein schönes Nischenprodukt bleiben, geeignet für kleinere Anwendungen.

Weltwoche: Aber viele Länder machen ja die Solarenergie zu einem Pfeiler ihrer Versorgung.

Shellenberger: Ich glaube, wenn die Solar-Blase platzen wird, dann werden die Leute aus ihrer Trance erwachen und sehen: Es gibt keinen Weg zu einer von Solarkraft angetriebenen  Wirtschaft.

Weltwoche: Sehen Sie für den Fall, dass die Klimawelle abebben sollte, eine nächste grosse Strömung, die entstehen könnte? Was für eine?

Shellenberger: Im Moment sind es eigentlich zwei Religionen, zwei säkulare Religionen, welche die Szene prägen. Die eine dreht sich, wie gesagt, um Klima und Umwelt. Daneben hat sich eine andere Religion entwickelt, die von den Themen Identität, Rasse, biologisches und soziales Geschlecht und Ähnlichem besessen ist. Die zentrale Idee  ist da, dass bestimmte Menschen eine Opferrolle einnehmen und dass Opfer heilig sind. Ich werde diese neue Religion in meinem nächsten Buch aufgreifen.

Weltwoche: Funktioniert diese Strömung denn ähnlich wie die Umweltbewegung?

Shellenberger: Sie ist etwas anders gelagert, aber  beide Religionen sind sehr stark getrieben durch Eliten, die nach der Aufweichung der früher starken nationalen Identitäten neue zu schaffen  versuchen. Es geht um neue Gruppen, neue Stämme,  neue  Politiken,  moralisch aufgeladene Debatten über Opferrollen. Passt als Schwesternreligion  gut zur Klimabewegung.

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)*  Anmerkung der EIKE-Redaktion  :

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der WELTWOCHE Zürich : | Die Weltwoche, Nr. 22 (2021) | 03. Juni 2021 ;

EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE und dem Autor  Beat Gygi sowie dem Interview-Gesprächspartner Michael Shellenberger(USA) für die Gestattung der ungekürzten Übernahme des Beitrages, wie schon bei früheren Beiträgen :  http://www.weltwoche.ch/ ; Hervorhebungen und Markierungen v.d. EIKE-Redaktion.

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Klimapolitik: Was das Land „klimaneutrale“ Stahlerzeugung kosten würde*

Die Diskussion, welcher Industriezweig durch die von EU und Bundesregierung forcierten „Klimaschutzziele“ besonders gefährdet ist, drehte sich bislang meist um die deutschen Autobauer. Mindestens genauso groß ist aber der Druck auf die hiesigen Stahlhersteller. Die Branche sieht sich in einer aufgeheizten Diskussionsatmosphäre um Klimapolitik in der sehr undankbaren Rolle, in Deutschland einer der größten Kohlendioxid-Produzenten überhaupt zu sein. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums gehen im Bereich der Industrie mehr als 30 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen auf das Konto der Stahlkocher. Abhilfe soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung eine zügige Umstellung der Stahlproduktion auf wasserstoffbasierte Technologien schaffen.

Gefahr von Handelskriegen

In Deutschland wird weniger als ein Drittel des Stahls in der sogenannten Elektrostahl-Route durch Einschmelzen von Stahlschrott erzeugt. Beim weitaus größeren Teil, bei der Primärstahlerzeugung, kommen Kohlenstoffträger wie Koks zum Einsatz. Deren Ersatz durch Energieträger wie Wasserstoff geht mit extrem hohen Kosten einher.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier selbst beziffert die nötigen Gesamtinvestitionen für den Umbau zu einer Kohlendioxid-freien Stahlproduktion in Deutschland auf insgesamt 35 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die deutsche Stahlindustrie erzielte 2019, also noch vor der Corona-Krise, einen Umsatz von rund 39 Milliarden Euro.

In ihrem „Handlungskonzept Stahl“, das im vergangenen Herbst vorgelegt wurde, schätzt die Bundesregierung, dass ein erheblicher Teil der Umstellungskosten schon bis zum Jahr 2030 anfallen wird. Nach einem Treffen mit Vertretern von Stahlherstellern und der IG Metall kündigte der Bundeswirtschaftsminister vorletzten Montag Finanzhilfen für den Umbau der Stahlproduktion in Deutschland an. Um die Stahlproduktion „klimafreundlich“ zu machen, will der Bund für die Jahre 2022 bis 2024 zusätzlich rund fünf Milliarden Euro bereitstellen. Insgesamt kann die Stahlbranche nach derzeitigem Stand in den kommenden 30 Jahren auf zehn bis zwölf Milliarden Euro aus der Staatskasse hoffen.

Die hohen Anfangsinvestitionen zur Umstellung der Stahlerzeugung sind allerdings nur ein Problem: Auch die laufenden Kosten sind bei den dekarbonisierten Verfahren deutlich höher als bei der herkömmlichen Stahlherstellung. Zumindest unter den derzeitigen Bedingungen kann die Stahlproduktion nicht so wirtschaftlich betrieben werden, dass die deutschen Stahlhersteller im harten internationalen Wettbewerb noch standhalten könnten.

Steigende Preise für Stahlprodukte

Die Prognos AG hat Ende vergangenen Jahres eine Studie namens „Klimapolitische Herausforderungen der Stahlindustrie in Deutschland“ vorgelegt, die von der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Auftrag gegeben wurde. Im Fazit der Untersuchung heißt es, dass die Umstellung auf sogenannte treibhausgasarme Verfahren der Stahlherstellung „aus einzelwirtschaftlicher Sicht heute und auf absehbare Zeit für die Stahlhersteller nicht rentabel“ sei. Das Beratungsunternehmen wies vor diesem Hintergrund auf die Gefahr hin, dass es mit der Verteuerung der Stahlproduktion in Deutschland zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland kommt. Langfristig besteht damit die Gefahr, dass es nicht bei einer Anschubfinanzierung mit Steuergeldern bleibt.

Bereits seit 2017 hat die EU Importquoten für Stahl aus China, den USA und anderen Nicht-EU-Ländern eingeführt, mit dem der europäische Stahlmarkt weitgehend abgeschirmt wird. Nach diesem Vorbild könnten künftig auch Importquoten oder Einfuhrzölle für Stahlprodukte kommen, die außerhalb der EU unter „nichtklimaschonenden“ Bedingungen produziert wurden.

Belastung des Steuerzahlers

Dies wäre zwar ein Mittel gegen das Abwandern von Industrieproduktion in Regionen der Welt mit einer weniger restriktiven „Klimapolitik“, sofern denn die Produktion für den Binnenmarkt der EU und nicht für den Weltmarkt erfolgt. Allerdings müssten sich die europäischen Verbraucher dabei auf steigende Preise bei allen Produkten einstellen, in denen Stahl steckt: vom Auto bis hin zum Baustahl. Zudem müsste mit Gegenmaßnahmen aus dem Nicht-EU-Ausland gerechnet werden, was insbesondere die besonders vom Export abhängige Volkswirtschaft Deutschlands treffen würde.

Eine Alternative zum Schutz der Stahlindustrie durch eine Erhöhung der Importzölle wäre die laufende Subventionierung einer Kohlendioxid-armen Stahlproduktion auf Kosten des Steuerzahlers.

Wie bei anderen staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft gäbe es auch diesmal Profiteure. So rechnet sich der niederländische Hafen Rotterdam große Chancen aus, zu einer zentralen Drehscheibe beim Import von Wasserstoff aus den verschiedensten Weltregionen zu werden, darunter auch Australien. Die Niederländer gehen davon aus, dass Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten auf absehbare Zeit gar nicht genug „regenerativer“ Strom aus Wind und Solarkraftanlagen zur Verfügung steht, um die benötigten Mengen von „grünem“ Wasserstoff zu erzeugen.

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)*  Anmerkung der EIKE-Redaktion :  Dieser Aufsatz ist zuerst erschienen in der Preußischen Allgemeinen Zeitung;  14. Mai 2021, S.7; EIKE dankt der PAZ-Redaktion sowie dem Autor Norman Hanert für die Gestattung der ungekürzten Übernahme, wie schon bei früheren Artikeln :   https://www.preussische-allgemeine.de/ ; Hervorhebungen im Text: EIKE-Redaktion.

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Bis Greta Thunberg in ihr Leben trat

In ihrem neuen Roman „Über Menschen“ beschreibt Juli Zeh eine Frau, Dora, Mitte dreißig, Werbetexterin, die während der ersten Corona-Phase 2020 vor ihrem zum radikalen und fanatischen Klima- und Corona Schützer mutierten Lebenspartner, Robert, Biologe mit Hochschulabschluss, Online-Journalist, aus Berlin flieht.

Ziel der Flucht vor Roberts öko-grünen Klima- und Corona-Obsessionen aus ihrem bis dato deutlich zufriedenen Berliner Berufs- und Privatleben ist ein fiktives Dorf in der Prignitz. Dort in „Bracken“ versucht sie, sich neu zu finden und zu sortieren. Sie begründet ein auf sich gestelltes Leben, dessen werktätiger Schwerpunkt sich rasch von der kreativen Home-Office-Arbeit als Werbetexterin verlagert, ein jüngst erworbenes, nahezu baufälliges ehemaliges Gutsverwalterhaus samt großem Flurstück herzurichten und zu bewirtschaften.

Die Begegnungen und Erlebnisse am ländlich-dörflichen, radikal fremden und abgeschiedenen Fluchtziel bilden den größten Teil des Romans. Im Zentrum steht die Entwicklung einer überaus sublimen und eindringlich geschilderten Beziehung zum unmittelbaren Nachbarn. Er heißt Gote und stellt sich selber vor: „Ich bin der Dorf-Nazi“.

Statt einer weiteren Aussteigergeschichte erzählt Juli Zeh die höchst aktuelle Geschichte einer Vertreibung, einer von öko-grüner Klima-Hysterie, Katastrophenleidenschaft und Corona-Phobie erzwungenen Stadtflucht in tiefste ländliche Provinz. Doras Berliner

Hinterlassenschaft bleibt durchgängig präsent. Die Einschübe und Rückblicke zu Beruf, Familie, Stadtleben und natürlich zum verlassenen Partner Robert verleihen den ländlichen Ereignissen wie der aus dem neuen Leben geborenen Anschauung der Welt erstaunliche Tiefe, Maßstab und Schwingung. Statt mit den einleitenden Kapiteln zurück gelassen zu werden, tragen sie den gesamten Roman wie eine mal schwach, mal deutlich durchscheinende Grundierung die letzten Farben auf der Oberfläche eines Gemäldes trägt.

Das gilt an vorderster Stelle für Doras „Beziehungsgeschichten“. Indem sie Dora in der „ländlichen Provinz“ auf Männer mit politisch rechter, rechts-radikaler und nazistischer Gesinnung treffen lässt, scheint die Autorin zunächst ein verbreitetes Klischees zu bedienen. Und dass ausgerechnet der unbestrittene Dorf-Nazi als unmittelbarer Nachbar auftritt, macht das Arrangement – zunächst – nicht origineller.

Aber dies ist nur der allererste, zumal oberflächliche Eindruck. Denn tatsächlich verläuft die tiefgründig erzählte Geschichte dieser Nachbarschaft zwischen Dora und Gote äußerst spannungsreich und erhält besonderes Gewicht durch die Frage:

Wie kann es sein, dass eine hoch sensible, kreative, politisch korrekte Frau, die soeben vor krassester Klimaschutz- und Corona-Radikalität in die Einsamkeit geflohen ist, dort in wachsende menschliche Nähe, gar Partnerschaft zum Dorf-Nazi gerät?

Anfangs mag man Schadenfreude empfinden nach dem Motto: „Vereinsamte Städterin tauscht militant-radikalen Klima- und Corona Schützer gegen radikalen Dorf-Nazi“. Aber für solchen Kitsch lässt die Geschichte keinen Raum. Vielmehr führt sie den Leser, ob gewollt oder ungewollt sei dahingestellt, zu einer fundamentalen Frage:

Zur Überwindung der krassen Klima-, Öko- und Corona-Radikalität ihres Partners Robert fand Dora nur das Mittel des Bruchs samt ihrer Flucht in die Einsamkeit. Wie konnte es ihr dagegen gelingen, die Nazi-Radikalität ihres neuen Nachbarn Gote nicht nur zu ertragen, sondern sogar bis hin zu einer fürsorglichen Partnerschaft zu überwinden?

Juli Zeh schildert Doras Leiden an der Wandlung ihres Partners Robert zum so unverständlichen wie unerträglichen öko-grünen Klima- und Corona-Katastrophiker frei von sentimentalem Pathos in eindringlicher und überzeugender Sachlichkeit:

„Dora weiß nicht mehr, wann es angefangen hat. Sie weiß noch, dass sie schon während Roberts Klimaschützerphase manchmal dachte, dass er übertreibt. Wenn er die Politiker als Volltrottel und seine Mitmenschen als selbstsüchtige Ignoranten beschimpfte. Wenn er sich über Doras Fehler bei der Mülltrennung aufregte, als hätte sie ein Verbrechen begangen. Da schien er ihr manchmal übereifrig und unversöhnlich, und sie überlegte, ob er vielleicht an einer Neurose, an einer Art politischem Waschzwang litt, der aus dem nachdenklichen, sanften Menschen einen Besessenen gemacht hat.“ (Juli Zeh, Über Menschen, München 2021)

Bereits dieser kurze Auftakt benennt wesentliche Merkmale Katastrophen-orientierter Radikalisierung:

Die aktuellen Politiker sind Volltrottel, Versager und dem heraufziehenden Unheil nicht gewachsen. Die nicht dem Katastrophenwahn verfallenen Mitmenschen, besonders die nicht mitmarschierenden Lebenspartner sind selbstsüchtig und ignorant. Sie kapieren nicht die den übereifrigen und unversöhnlichen Sehern von Krise und Untergang offenbarten Gebote der Stunde. Indem sie sich den Untergangs-Besessenen entziehen und sich deren massiv übergriffigen Konzepten der Katastrophenabwehr trotzig widersetzen, handeln sie verbrecherisch.

Weiter heißt es in dieser fulminanten Skizze der Erweckungsgeschichte eines öko-grünen Katastrophikers und Untergangssehers:

„Robert wurde politisch aktiv. In der Online-Zeitung, für die er arbeitete, gründete er ein eigenes Ressort für Klimafragen. Außerdem fing er an, sein Leben zu ändern, ernährte sich vegan, kaufte klimafreundliche Klamotten und ging regelmäßig zu den Freitagsdemonstrationen. Dass Dora nicht mitkommen wollte, verstörte ihn. Glaubte sie nicht an den menschengemachten Klimawandel? Sah sie nicht, dass die Welt auf den Untergang zusteuerte? Die Statistiken hielten Einzug in ihre Gespräche. Robert verwies auf Zahlen, Experten und Wissenschaft.“

Dora reagierte als „Repräsentantin der dummen Masse“. Sie sträubte sich. Sie entdeckte und analysierte eine Fülle von Ungereimtheiten und Widersprüchen in den öko-grünen Argumenten zu den Gründen, den Ausmaßen wie den Therapien der drohenden Flut an Katastrophen. Sie versucht Roberts Gemütszustand zu erahnen, wie er hinter jeder Tüte einen Tornado, hinter jeder Glühbirne eine Überschwemmung und hinter jedem SUV einen Bürgerkrieg sehen mochte. Schließlich pflegt sie den Gedanken, dass der Katastrophenwahn die eigentliche Katastrophe sei. So konnte und wollte sie sich partout nicht überzeugen lassen, sie gab sich trotzig:

„Eher eine Art Trotz, ein inneres Ankämpfen gegen die Verhältnisse. Deshalb musste sie Robert irgendwann sagen, dass er aufpassen solle, ab wann es bei seinen Statistiken nicht mehr um ernsthafte Anliegen, sondern ums Rechthaben gehe.“

Aber Robert „saß vor ihr wie eine Instanz, strahlend und selbstsicher. Über jeden Irrtum, jeden Zweifel erhaben. Angehöriger einer Gruppe, die das Mängelwesen Mensch transzendiert hat,…Robert brauchte sich die Sinnfrage nicht mehr zu stellen. Er hatte sogar den Projekte-Kreislauf überwunden, indem er viele kleine zu erreichende Ziele gegen ein vermutlich unerreichbares Großziel eintauschte.“

Um zu retten, was vielleicht noch zu retten war, beschloss Dora, sich Mühe zu geben. Sie verzichtete auf Fleisch. Sie kaufte im Bioladen ein. Robert zuliebe wechselte sie sogar zu einer politisch-korrekten, extremer Nachhaltigkeit verpflichteten Agentur und akzeptierte dort ein geringeres Gehalt.

Doch das alles genügte dem von Katastrophenglauben und Weltrettungsauftrag Besessenen nicht. Dora musste begreifen, dass es in dieser Sphäre von Erweckung, Glauben und Besessenheit nicht um Rationalität geht. Robert folgt Greta Thunberg, wo und wann immer möglich. In ihrem Banne verliert er jegliches Interesse und die Fähigkeit, sich mit Dora zu unterhalten, gemeinsam die Fakten von allen Seiten zu betrachten und alles, was sich als absolute Wahrheit präsentiert, wieder und wieder auf den Prüfstand des tatsächlich und nachvollziehbar Erkannten zu stellen.

Aber es geht nicht um maßvolle und damit praktikable Veränderungen im Alltäglichen. Wer sich sicher ist, über die peinvolle Prüfung durch Attacken von Katastrophen- und Weltuntergangsangst in den Kreis der Berufenen, gar der Erleuchteten gelangt zu sein und in diesem Bewusstsein die heraufziehenden Katastrophen, den nahenden Weltuntergang als Festmahl genießt, lässt sich nicht abspeisen mit dem Linsengericht einer Alltagskorrektur. Er wird fanatisch, er will die Macht, ohne Wenn und Aber.

Das Opfer der Anderen, der Leugner, der Uneinsichtigen ist deren Freiheit. Sie werden missachtet und beiseitegeschoben. Sie haben ihr Recht auf Selbstbestimmung verwirkt. Andersartigkeit und Selbstbestimmung schrumpfen in der höheren Einsicht der Untergangsfanatiker zum unbedeutenden Relikt, bedeutungslos im Kampf um Alles oder Nichts, unbeachtlich im totalitären Kampf um die Rettung der Welt:

„Schließlich begriff Dora, was er wollte, und das konnte sie ihm nicht geben.Er wollte Gefolgschaft. Er wollte ihr Sträuben bezwingen. Er wollte, dass sie einen Treueschwur auf die Apokalypse leistete, und wurde immer wütender auf ihren heimlichen Trotz.“

Damit ist vorgezeichnet, dass die 2020 aufkommende Corona-Epidemie wie ein Brandbeschleuniger Roberts Katastrophenwahn und Weltrettungsfanatismus endgültig zum Lodern bringen musste. Die allgemeine Panik verschaffte Robert Genugtuung, sein Untergangswahn mutierte zur bereitwillig aufgenommenen Berufung:

„Endlich hat das Warten ein Ende, die Katastrophe ist da. Das Schiff ist leck geschlagen, endlich kann man etwas tun. Alles hört auf ein Kommando, jeder Zweifel wird zur Meuterei. Endlich denken alle dasselbe. Endlich reden alle über dasselbe. Endlich gibt es verbindliche Regeln für eine außer Kontrolle geratene Welt. Endlich geht die verdammte Globalisierung in die Knie…“ 

Robert stürzt sich fanatisch in das Endzeitspiel, „The Walking Dead in Berlin“, er unterwirft Dora einem über die staatlichen Regeln hinausreichenden völligen Lockdown. Damit erzwingt er den endgültigen Showdown:

„Sie fragte noch einmal nach, ob er tatsächlich gerade versuche, ihr das Verlassen der Wohnung zu verbieten. Robert dachte kurz nach, er lachte sogar verlegen. Dann nickte er… Das war der Augenblick, in dem sich in Doras Kopf ein Schalter umlegte. Sie schaute das schwarze Display an und dann Robert, der immer noch vor ihr stand. Sie glaubte, diesen Mann nicht mehr zu kennen. Es gab drei Möglichkeiten: Entweder war sie in einen absurden Film geraten, in dem sie eine Rolle spielen musste, ohne das Drehbuch gelesen zu haben. Oder Robert war verrückt geworden. Oder sie selbst. Dora wollte nichts davon. Sie wollte nur noch weg. Ihr Gehirn kam bei dem, was gerade passierte, nicht mehr mit. Sie spürte keinen Schmerz. Nur Verstörung und einen überwältigenden Fluchtreflex. Sie sagte Robert, dass sie eine Weile woanders leben werde, und packte ihre Sachen.“

In dieser Gemütsverfassung begegnet Dora am Fluchtziel, in Bracken dem mit Robert völlig unvergleichbaren Gote; unvergleichbar bis auf einen Wesenskern: Beiden Männern eignet enorme Radikalität.

Dora begegnet ihrem Nachbarn Gote erstmals an der Trennmauer auf der Grundstücksgrenze. Sie sieht nur seinen Kopf mit sauber rasiertem rundem Schädel, der „glänzt wie eine Bowlingkugel“, Tränensäcken, verwaschenem Blick und Bartstoppeln. Sie schätzt sein Alter auf Mitte vierzig, also etwa zehn Jahre älter als sie selber.

Die Begegnung verläuft außerhalb von Norm und Gepflogenheit. Gote ranzt die neue Nachbarin unvermittelt an, weil deren kleiner Hund in seinem Kartoffelbeet gebuddelt hat, klassifiziert den Hund als „total hässlich“ und wirft ihn bedenkenlos über die Mauer zurück auf Doras Grundstück. Anschließend kommt es noch zur eindrucksvollen Selbstvorstellung mit Handreichung und Bekanntgabe: „Gote, ich bin der Dorf-Nazi“.

Abgesehen von der Gote eigenen durchgängigen Unerzogenheit, Ruppigkeit und seinen oft allzu flotten, beleidigenden Sprüchen erfährt der Leser wenig über die praktische Bedeutung dieser nazistischen Grundhaltung. Einmal singt Gote mit drei weiteren Dorfnachbarn im Bierrausch das Horst-Wessel-Lied. Ein anderes Mal beschimpft er, ebenfalls betrunken, einen homosexuellen Dorfnachbarn als Arschficker und Schwanzlutscher.

Die damit nur grob umrissene Ausgangslage zur Nachbarschaft von Dora und Gote ist nicht dazu angetan, beim Leser die Entwicklung einer engeren Beziehung zwischen den so unterschiedlichen und einander wesensmäßig fremden Nachbar zu erwarten. Aber anders als gegenüber Robert behält Dora gegenüber Gote die Nerven, bekämpft wieder und wieder erfolgreich die aus Gotes Ruppigkeiten, Übergriffen und radikalen Parolen genährten Zweifel, gibt sich und ihrem Nachbarn Zeit und vertraut darauf, dass es ihr erspart, bleiben wird, nach Berlin nun auch in Bracken den Stecker zu ziehen, vor Radikalität zu fliehen. Und die Geduld, gepaart mit großzügiger Anpassungsbereitschaft bei Verteidigung der eigenen inneren Freiheit zahlen sich im Laufe der Geschichte mehr und mehr aus. Dora und Gote werden gewiss kein Liebespaar, aber sie werden ein Paar. Ein Paar das sich gegenseitig unterstützt, hilft und auf einer schwer zu fassenden Ebene „paarhaft“ derart miteinander kommuniziert, dass sich Vertrautheit und wechselseitiges Vermissen bei Abwesenheit des jeweils anderen einstellen. Fast überflüssig zu sagen, dass die besondere Beziehung zu Gote die verbindenden Erinnerungen an Robert mehr und mehr verdrängt.

Es mag dem geneigten Leser überlassen bleiben, mithilfe eigener Lektüre dieses eindrucksvollen Romans „Über Menschen“ von Juli Zeh zu entscheiden, ob er wie der Autor dieser Anmerkungen über die Hürde springen mag zu sagen:

Doras Beispiel ist plausibel. Mit einer gehörigen Portion an Kraft, Toleranz und Menschlichkeit mag es eher möglich sein, sich als Mitmensch an die Seite eines Menschen rechter Gesinnung als an die Seite eines totalitären Katastrophikers zu stellen.