Warum Deutschland Nein zur Kernkraft sagt
Nun, wie es Politikern so oft passiert, wurde sie gezwungen, ihre eigenen Worte durch politische Notwendigkeiten zu kassieren. Eine irrationale Furcht vor der Kernenergie sitzt tief in Deutschland, und Wahlniederlagen für Kanzlerin Merkels konservative Koalition zugunsten der Grünen haben sie davon überzeugt, dass es politisch nicht länger möglich ist, auf Linie zu bleiben. Wie Bismarck auch gesagt haben könnte: das Nein zu nuklearer Technologie mag unrealistisch sein, aber in Deutschland ist es Realpolitik.
Bei der Kernkraftdebatte in Deutschland ging es immer um viel mehr als die jeweiligen Vorzüge bestimmter Arten der Energieerzeugung. Der andauernde Einfluss der Romantik, die Liebe zu Wäldern und die Verehrung der Natur trugen alle zu der hoch emotionalen Atmosphäre bei, in der diese Debatte stattfindet. Die Nazis wussten sich diesen Mystizismus hinsichtlich der Natur zunutze zu machen, und doch haben sie im Geheimen die Entwicklung nuklearer Waffen forciert – obwohl sie die „jüdische“ Physik, auf der diese Technologie basierte, verurteilt haben.
Anders als Japan hat Deutschland kapituliert, bevor Atombomben gegen deutsche Städte eingesetzt worden waren, aber während des Kalten Krieges war die Nation durch die Berliner Mauer geteilt, und die Deutschen wussten, dass ihr Land ein potentielles nukleares Schlachtfeld war. Amerikanische, Britische und Französische Streitkräfte waren mit nuklearen Waffen ausgerüstet, um einer eventuellen Invasion des Warschauer Paktes zu begegnen. Während Konrad Adenauer, nach dem Krieg Kanzler in Westdeutschland, verzweifelt versucht hat, diesem atomaren Klub beizutreten, erlaubten die NATO-Allierten nur, dass Deutschland über Kernenergie verfügen dürfe. Dadurch wurde die sich erholende Deutsche Wirtschaft rasch von billiger Energie abhängig.
Zunächst wurde die Kernenergie als friedfertig angesehen, ganz im Gegensatz zu Kernwaffen. Aber als sich in der deutschen linken Szene der Antiamerikanismus ausbreitete mit dem Nebeneffekt der Studentenunruhen 1968, wuchs der Widerstand zur Kernenergie als Symbol des Kapitalismus, der jetzt mit Militarismus gleichgesetzt wurde.
Mitte der siebziger Jahre haben sog. Bürgerinitiativen damit begonnen, Proteste vor Kernkraftwerken zu organisieren. Ihr Symbol, eine lachende Sonne mit dem Slogan Atomkraft – nein danke! erschien überall auf Stickern und T-shirts. Antinukleare Proteste waren plötzlich cool.
In der Folge wandte sich die öffentliche Meinung in Deutschland Ende der siebziger Jahre gegen die Kernkraft. Mit einiger Verspätung haben die linksextremen Führer der Studentenbewegung mit diesem populären Grund die Grünen gegründet, die erste wichtige Umweltpartei der Welt. Der Terrorismus der Baader-Meinhof-Bande hat sich als Sackgasse erwiesen, aber die Politik des antinuklearen Protestes hatte einen fortdauernden Appeal für die Deutschen der Mittelklasse. In der Propaganda der Grünen waren die in Deutschland stationierten Pershings und Cruise Missiles der NATO von den Kraftwerken, die billigen Strom erzeugten, nicht mehr zu unterscheiden.
Dann kam Tschernobyl. Die Schmelze eines antiquierten sowjetischen Reaktors 1986 erzeugte in Deutschland eine Hysterie, von der sich die Kernindustrie nie wieder richtig erholt hat, trotz der Tatsache, dass sich die Furcht vor radioaktiven Wolken als erheblich übertrieben herausgestellt hat. Grüne Politik bekam neue Impulse: „Rot-grüne“ Koalitionen zwischen den Sozialdemokraten und den Grünen begannen sich in den Bundesländern zu bilden, und 1998 übernahmen die Grünen auch in der Bundespolitik.
Zu dieser Zeit hatte die Klimaänderung als modischer neuer Grund für Umweltaktivisten Fuß gefasst und brachte das Problem mit sich, wie die Energieversorgung ohne fossile Brennstoffe und ohne Kernenergie aufrecht erhalten werden konnte. Trotz ihres Versprechens, alle Kernkraftwerke stillzulegen, hatte die Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen keine Alternative zur Hand, weil die „Erneuerbaren“ ganz einfach nicht in ausreichender Menge billige und zuverlässige Energie zur Verfügung stellen konnten. Nachdem Merkel 2005 in der rot-schwarzen Koalition die Macht übernommen hatte, kehrte sie stillschweigend die Pläne zur Stilllegung von Kernkraftwerken um. Selbst heute erzeugen die landeseigenen Kernkraftwerke etwa ein Viertel allen Stromes in Deutschland.
Jetzt jedoch hat sie eine irreversible Entscheidung getroffen, um ihre Christdemokraten von einem politischen Verband zu distanzieren, der giftiger ist als jeder nukleare Fallout. Dadurch ist sie wieder einmal der Heuchelei, die dieses Thema in Deutschland umgibt, zum Opfer gefallen.
Nehmen wir Iran. Seit Jahrzehnten hat die deutsche Industrie die „friedliche“ Nutzung der Kernenergie im Iran unterstützt, selbst dann noch, als offensichtlich geworden war, dass es das Ziel der iranischen Regierung war, Kernwaffen zu entwickeln. Die Computer, die in den nuklearen Anlagen in Betrieb waren, bevor sie durch den Virus Stuxnet sabotiert wurden, stammten von Siemens. Auf internationalen Konferenzen vertrat Deutschland einen edlen Standpunkt gegen die Weitergabe von Atomtechnologie ebenso wie von Kernkraft, aber in der Praxis hatten die deutschen Exporte immer höhere Priorität als die Sicherheit Israels und anderer Nachbarstaaten des Iran.
Oder nehmen wir Frankreich. Öffentlich sind Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel völlig gegensätzlicher Auffassung zur Kernenergie. Aber in Wirklichkeit bedeutet ihre Entscheidung, aus der Kernkraft auszusteigen, dass Frankreich eine immer größere Menge des deutschen Energiebedarfs während der kommenden Jahrzehnte decken wird. Die meisten Deutschen wissen entweder nicht, dass ein Großteil ihres Stromes aus Frankreich, der Schweiz und Polen importiert wird, oder es ist ihnen egal, solange die Kraftwerke fern von ihren Wohnhäusern stehen. Deutschland ist zu einer Nation nuklearer Feiglinge (nimbys) geworden.
Sollte es uns also kümmern, wenn Deutschland sich dafür entscheidet, dem Energieverbrauch ihrer eigenen Industrie sowie den privaten Haushalten unnötige Kosten aufzuerlegen? Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in Europa, und die Europäische Union hat eine Art, deutsche Vorurteile gegen die übrigen Mitglieder der EU zu fördern. Feinde der Kernkraft werden ermutigt werden, Druck auf andere Regierungen auszuüben, einschließlich unserer eigenen [der britischen], dem deutschen Beispiel zu folgen.
Ironischerweise teilen nicht alle Grünen die Schlussfolgerungen, die Deutschland aus Fukushima gezogen hat. Unser George Monbiot, ein grüner Fundamentalist, wenn es jemals einen solchen gegeben hat, wurde überredet, angesichts des Sachverhaltes der Lage seine Opposition zur Kernkraft fallen zu lassen. Dies ist seine Logik: Sollte ein älteres Kernkraftwerk, inkompetent gemanagt und mit technisch überholten Sicherheitsstandards von einem der schlimmsten Erdbeben der Geschichte getroffen werden und doch kaum jemand dadurch ums Leben gekommen ist, dann müssen wir folgern, dass eine Menge für die Kernkraft spricht.
Nun hat Logik nicht viel mit der Ankündigung von gestern zu tun: die Realpolitik hat die Entscheidung diktiert. Die Enkelkinder der Nazis, lange nach dem Krieg geboren, haben den fatalen Fehler gemacht, das Böse mit einer bestimmten Technologie zu identifizieren, anstatt an die Menschen zu denken, die Nutzen aus dieser Technologie ziehen.
Deutschland ist eines der am meisten bewunderten Staaten der Welt, aber die Deutschen, sind ebenso wie die Bürger anderer Staaten nicht immun gegen irrationale Haltungen. Vernünftige Deutsche haben Anlass genug, sich Sorgen über die Tatsache zu machen, dass jüngsten Meinungsumfragen zufolge fast die Hälfte der Mitbewohner antisemitische Meinungen von sich geben, wie z. B. dass Israel einen Krieg der Ausrottung gegen die Palestinenser führt, oder das „die Juden versuchen, aus ihrer Opferrolle während der Nazizeit Kapital zu schlagen“.
Aber die Deutschen haben keinen Grund, sich vor der Kernkraft zu fürchten. Frau Merkels Beschwichtigung der nuklearen Hysterie verstört weit bis über die Grenzen Deutschlands hinaus, weil sie eine Kapitulation vor dem Irrationalen darstellt, eine Kapitulation der Führerin einer Nation, die einst wissenschaftlich und technisch führend in der Welt war. Das Land von Leibniz und Humboldt, von Goethe und Gauss, erliegt jetzt den Phantastereien zynischer Angstpropheten.
Daniel Johnson, The Telegraph, den Originalartikel finden Sie hier
Übersetzt von Chris Frey
Anmerkungen des Übersetzers: Hier wird also wirklich authentisch eine außerdeutsche Meinung zum deutschen Wahn beschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Stimme die Einzige in dieser Richtung ist.
Gerade vor ein paar Tagen stand in der „Süddeutschen“ zu lesen, wie gespannt das Ausland auf Deutschland blickt. Das ist offenbar auch wieder verzerrt oder bestenfalls einseitig beschrieben, für mich ein weiterer schwerer Schlag gegen die Glaubwürdigkeit einer Zeitung, die unter den seriösen Blättern in Deutschland vor langer Zeit einmal führend war.
Es ist schade, dass ich nicht auch die französische oder andere Sprachen beherrsche, um auch dort die Medienlandschaft auf Kommentare zu diesem Thema abzuklopfen.
Dank an Herrn Rassbach, der in einem EIKE-Kommentar hier den Link gebracht hat!