Das Weltraumspiegel-Wunder: Physik, Ökonomie und der Schein der Investoren-Illusion
[Alle Hervorhebungen im Original]
Der neueste Eintrag in der Ruhmeshalle der techno-utopischen Weltraumfantasien ist Reflect Orbital, ein Start-up-Unternehmen, das bis 2030 4.000 Weltraumspiegel ins All schicken will, um nachts Sonnenlicht auf Solarparks zu strahlen, nach Einbruch der Dunkelheit Getreide anzubauen und sogar die Straßenbeleuchtung in Städten zu ersetzen. Laut einem Artikel von NextBigFuture hat das Unternehmen bereits 20 Millionen US-Dollar an Risikokapital eingeworben und verfügt über einen SBIR-Zuschuss in Höhe von 1,2 Millionen US-Dollar. Der Plan: Leichte Mylar-Spiegel mit einem Durchmesser von jeweils etwa 54 Metern sollen in einer sonnensynchronen Umlaufbahn in etwa 600 Kilometern Höhe über der Erde eingesetzt werden, um Sonnenlicht auf bestimmte Bereiche am Boden zu reflektieren.
Auf dem Papier klingt es wie der Traum eines Bond-Bösewichts, gemischt mit Silicon-Valley-Marketing – „Solarenergie bei Nacht, keine Infrastruktur erforderlich“. Bei genauerer Betrachtung der physikalischen und wirtschaftlichen Aspekte zeigt sich jedoch, dass es sich hierbei eher um eine spekulative Kuriosität als um eine praktikable Energielösung handelt. Wenn überhaupt, reflektiert es nicht das Sonnenlicht, sondern den strahlenden Glanz der Begeisterung der Investoren für Ideen, die grundlegende Arithmetik außer Acht lassen.
Beginnen wir mit den harten Zahlen. In einer Höhe von 600 km würde jeder Spiegel einen Punkt mit einem Durchmesser von etwa 6 km beleuchten – eine Fläche von etwa 28 Quadratkilometern . Die reflektierte Lichtintensität eines 54 Meter hohen Spiegels würde nur 0,04 Watt pro Quadratmeter betragen, was etwa 30.000 Mal schwächer ist als das Sonnenlicht zur Mittagszeit und nur etwa doppelt so hell wie der Vollmond. Das ist das erste Warnsignal: Ein einzelner Spiegel reicht nicht einmal für eine angemessene Leselichtquelle aus.
Um einen nützlichen Leistungsschub für einen Solarpark zu erzielen, müsste das Unternehmen Tausende von Spiegeln auf einen Punkt konzentrieren. Der Artikel schätzt, dass 5.000 Spiegel etwa 200 W/m² oder etwa 15–20 % der normalen Tageslichtintensität liefern würden – kaum genug, um Photovoltaikmodule mit einem Bruchteil ihrer Effizienz zu betreiben. Um dies jedoch kontinuierlich aufrechtzuerhalten, wären über 1.000 Übertragungen pro Stunde erforderlich, da jeder Spiegel nur wenige Minuten lang über den Zielbereich streifen würde. Allein die Koordinationsprobleme würden die Flugsicherung wie ein Kinderspiel erscheinen lassen.
Aus physikalischer Sicht grenzt diese Idee an Selbstparodie. Der Sonnenfluss in der Erdumlaufbahn beträgt etwa 1.360 W/m², aber wenn man diese Energie mit einem 54 Meter hohen Reflektor auf eine Fläche von 28 km² verteilt, entsteht nur ein schwacher Schimmer, kein Sonnenstrahl. Um die volle Sonnenlichtintensität auf dem Boden zu erreichen, würde das Unternehmen Spiegel mit einem Durchmesser von 9 Kilometern benötigen – eine strukturelle und wirtschaftliche Absurdität. Die heute verfügbaren Dünnschichten können in der Praxis vielleicht 150 bis 200 Meter bewältigen, also Größenordnungen weniger als die Physik erfordert.
Selbst wenn man die Physik außer Acht lässt, bricht die Wirtschaftlichkeit unter ihrem eigenen Gewicht zusammen. Der Artikel stellt unverblümt fest, dass für einen 1-GW-Solarpark Batteriespeicher mit etwa 0,05 USD/kWh gegenüber 0,10 USD+/kWh für Spiegelbeleuchtung wirtschaftlich besser abschneiden. Und das noch bevor Startkosten, Spiegelverschleiß und Orbitalwartung berücksichtigt werden. Um 4.000 aktive Satelliten zu warten, müsste Reflect Orbital kontinuierliche Austauschzyklen und steigende Risiken durch Weltraummüll in Kauf nehmen. Die Vorstellung, dass dies mit terrestrischen Lösungen wie Batterien oder Netzverbund konkurrieren könnte, ist, offen gesagt, Wunschdenken.
Dann kommt die ökologische Ironie ins Spiel. Das Unternehmen vermarktet sein Projekt als umweltfreundliche Lösung, aber wie die Leser von NextBigFuture schnell bemerken, wären die unbeabsichtigten Folgen gravierend. Ein Kommentator warnt: „Es ist, als wären diese Leute wild entschlossen, den Nachthimmel zu zerstören … jede Tierart mit circadianem Rhythmus würde darunter leiden.“ Ein anderer bemerkt scharfsinnig die Absurdität des Versuchs, die globale Erwärmung durch eine Erhöhung der Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche zu bekämpfen: „Zeit und Ressourcen in diese Richtung zu investieren, erscheint mir wahnsinnig.“
Dieses Paradoxon verdient in der Tat Beachtung. Wenn man die gängige Klimadiskussion akzeptiert – dass eine Veränderung der Strahlungsbilanz der Erde um lediglich 0,1 % zu einer messbaren Erwärmung führt –, dann ist die Hinzufügung von Hunderten Quadratkilometern reflektierten Sonnenlichts auf der Nachtseite des Planeten ein Umwelt-Experiment von fragwürdiger Sinnhaftigkeit. Der Nachthimmel würde nie wieder wirklich dunkel sein, und das Projekt könnte eine neue Form der Lichtverschmutzung auf planetarischer Ebene mit sich bringen, mit der Astronomen aufgrund von Satellitenkonstellationen wie Starlink schon jetzt zu kämpfen haben.
Aus systemtechnischer Sicht leidet Reflect Orbital unter dem, was man nur als Silicon Valley Space Syndrome bezeichnen kann: der Überzeugung, dass jede physikalische Einschränkung durch cleveres Branding und ausreichend Risikokapital überwunden werden kann. Das Ziel des Startups, langfristig von 4.000 Spiegeln auf 250.000 Einheiten zu expandieren, ist so weit von der wirtschaftlichen Realität entfernt, dass es eher wie eine Pitch-Deck-Fantasie als wie eine technische Roadmap wirkt. Die Spiegel mögen zwar jeweils nur 16 Kilogramm wiegen, aber selbst bei einem Schnäppchenpreis von 2.000 Dollar pro Kilogramm würde der Start von einer Viertelmillion Spiegeln Kosten in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar verursachen. Dennoch behaupten die Gründer, dass sie die nächtliche Solarstromerzeugung mit 20 Millionen Dollar lösen können. Das ist kein Optimismus – das ist Marketing-Theater.
Das größere Problem hierbei ist nicht nur die Unplausibilität des Projekts, sondern auch die wiederkehrende Leichtgläubigkeit der Investoren. Konzepte wie die Reflexion von Sonnenlicht aus dem Weltraum kursieren seit Jahrzehnten, von Experimenten aus der Sowjetzeit bis hin zu Chinas Vorschlag aus dem Jahr 2018, Chengdu mit der achtfachen Helligkeit des Vollmonds zu beleuchten. Jedes Mal sorgen sie für Schlagzeilen, ziehen Finanzmittel an und verschwinden still und leise wieder, sobald die Mathematik aufholt. Die Hartnäckigkeit solcher Vorhaben unterstreicht jedoch, wie wenig Sorgfalt manche Investoren walten lassen, wenn „Klimatechnologie” in einer Pressemitteilung erwähnt wird.
Letztendlich ist Reflect Orbital ein perfektes Beispiel dafür, wie technologischer Enthusiasmus die thermodynamische Realität überholen kann. Die Physik des Unternehmens stimmt nicht, die Wirtschaftlichkeit geht nicht auf, und die Umweltlogik widerspricht den erklärten Zielen. Wenn es gebaut würde, würde es wahrscheinlich mehr zur Orbitalverschmutzung und Lichtverschmutzung beitragen als zur weltweiten Energieversorgung. Aber als Investitionsgeschichte glänzt es – zumindest bis die Investoren erkennen, dass die angebotene Beleuchtung für den Anbau von Nutzpflanzen etwa so nützlich ist wie Mondlicht.
Reflect Orbits Plan, den Nachthimmel zu erhellen, könnte erfolgreich sein – nur nicht in der beabsichtigten Weise. Er wird die wachsende Kluft zwischen technologischer Vorstellungskraft und physikalischen Möglichkeiten sowie die noch größere Kluft zwischen Risikokapital-Träumen und wirtschaftlicher Vernunft beleuchten. Wie ein Spiegel, der das Sonnenlicht einfängt, blendet er kurz – bevor er in der kalten Dunkelheit des Weltraums verschwindet.
Übersetzt von Christian Freuer für das EIKE









