Schiefergas-Boom erfasst Osteuropa
Investitionen bzgl. Öl und Gas fluten die Region in einem Ausmaß, das seit dem Fall der Berliner Mauer nicht beobachtet worden ist. Der englisch-holländische Riese Royal Dutch Shell RDSB.LN -0.43% PLC, Total SA TOT -1.01% in Frankreich und ConocoPhillips COP +0.15% in den USA haben Ausbeutungsrechte in Polen erworben, wo dem Polish Geological Institute zufolge gegenwärtig geschätzte Reserven liegen, die den Bedarf an Erdgas des Landes für 35 bis 65 Jahre decken können.
Ähnliches gilt für die Ukraine. TNK-BP-Holding, ein Joint Venture von BP BP.LN -2.33% PLC sowie eine Gruppe russischer Investoren planen, 1,8 Milliarden Dollar in Schieferprojekte an einem halben Dutzend Stellen in der gesamten Ukraine zu investieren. Im Juni zahlte die italienische Firma Eni SpA E -1.37% eine nicht genannte Summe für einen Anteil von LLC Westgasinvest in der Ukraine, welches über etwa 1500 Quadratmeilen [fast 4000 km²] Land mit Schiefergasvorkommen verfügt. Und die Chevron Corp., CVX -0.09%, welche seit 2009 mehr als 6250 Quadratmeilen [ca. 16 000 km²] potentieller Schiefergas-Leasings erworben hat, sagt, dass sie mit der Ukraine zusammenarbeitet und über ein Abkommen zur Aufteilung der Produktion verhandelt.
Willkommene Alternative
Zumindest teilweise ist die Motivation in der Region, sich mit diesen Partnern zusammen zu tun, offensichtlich: um unter Russlands Daumen hervorzukommen. Einer Studie der Unternehmensberatung KPMG zufolge wird 69% des in Zentral- und Osteuropa verbrauchten Gases importiert, fast alles aus Russland. Eine Reihe von Streitigkeiten über Transitgebühren zwischen Russland und der Ukraine – dem hauptsächlichen Gaskorridor nach Osteuropa – hat einige Länder veranlasst, sich nach anderen Versorgungsquellen umzusehen.
Chevron: Erkundungsbohrung für Schiefergas von Chevron in Polen
Die Großen bringen Schlüsseltechnologien mit sich, die in Nordamerika erfolgreich getestet worden waren, wie das horizontale Bohren und hydraulisches Brechen – die Freisetzung des Gases durch den Beschuss von Gestein mit Sand, Chemikalien und Wasser.
Aber eine Reihe von Hindernissen hat sich in den Weg gestellt. Zuallererst ist unklar, ob die potentiellen Lagerstätten so groß sind wie ursprünglich erhofft. Im Juni sagte die Exxon Mobil Corp. XOM -0.42%, es würde die Erkundungsbemühungen in Polen stoppen, nachdem sich zwei frühe Bohrungen als kommerziell unrentabel herausgestellt haben.
Der große Fischzug
Die meisten Firmen haben sich jedoch entschlossen zu bleiben.
„Wir haben keine Pläne, unsere Aktivitäten zurückzufahren”, sagt Ian MacDonald, ein Vizepräsident bei Chevron, zuständig für die Ausbeutungs- und Produktionsstrategie in Europa, Eurasien und dem Nahen Osten. MacDonald schätzt, dass es drei bis fünf Jahre dauern wird, bis man erkennen kann, ob Gaslagerstätten in Osteuropa rentabel sind.
Chevron: Suche nach Schiefergas mittels seismischer Wellen durch Chevron in Polen
Wie in den USA haben Umweltaktivisten auch hier heftig gegen das hydraulische Brechen oder Fracking protestiert. Bei dieser Technik wird viel Wasser verbraucht, was die Befürchtung aufkommen ließ, dass an manchen Stellen das Trinkwasser knapp werden würde. Das Wasser ist auch mit Chemikalien vermischt, so dass man befürchtet hat, das Trinkwasser werde verseucht.
Im Januar hat Bulgarien einen Entschluss annulliert, Chevron – das versichert, seine Technologien seien darauf ausgerichtet, die Kontamination zu verhindern – eine Lizenz auszustellen und verfügte ein Moratorium bzgl. weiterer Bohrungen nach Schiefergas. Auch Rumänien hat die Erschließung von Schiefergas gestoppt; die Tschechische Republik überlegt sich einen ähnlichen Schritt.
Wenn die Erschließung erlaubt wird, müssen sich die Großen auch noch mit den öffentlichen und privaten Landbesitzern abgeben, anders als in den USA, wo Mineralrechte das alleinige Eigentum der Letzteren sind.
Eingeschlossen
Eine andere Herausforderung wird den russischen Griff über die Vorräte lockern. Moskau kontrolliert die Pipelines der Region. Viele Aufkäufer in Osteuropa sind auch an Lieferverträge mit dem russischen Gasriesen Gazprom gebunden, und zwar bis zu 25 Jahre lang – was es in einigen Fällen unökonomisch macht, nach einem neuen Versorger zu suchen.
Einige Schätzungen nehmen für die Erschließung von Schiefergas in Osteuropa viel höhere Kosten an als in den USA. Schlumberger Ltd. zufolge kostet eine Schiefergas-Bohrung in Polen fast dreimal so viel wie in den USA – oder 11 Millionen Dollar für eine Tiefe von 2000 Metern. Und Schiefervorkommen liegen in Europa im Mittel etwa 1,5 mal tiefer als in den USA, was dem Oxford Institute for Energy Studies zufolge mächtige Bohrplattformen, mächtigere Pumpen und mehr Fracking-Flüssigkeiten erfordert.
John Avaldsnes, ein Öl- und Gasmanager für Ernst & Young Europa, warnt, dass niemand erwarten sollte, dass Schiefergas in Osteuropa über Nacht zu einem Strom wird. „Es wird keine Revolution wie in den USA stattfinden“, sagt er, „aber eine Evolution, die sich langsam entwickelt“.
Mr. Faucon is a reporter for Dow Jones Newswires in London. He can be reached at benoit.faucon@dowjones.com..
Link: http://online.wsj.com/article/SB10000872396390443866404577565244220252020.html
Übersetzt von Chris Frey EIKE