Currywurst-Zertifikate
Wie die Schule nämlich erklärt hat, hat sie sich brav für den Ausflug „Klimazertifikate“ gekauft, so dass zwar weiterhin irgendwie Dreck in die Luft geblasen wird (die Schätzungen von Schule und der Umweltorganisation „Atmosfair“ liegen zwischen 150 und 214 kg CO2 pro Schüler und Tag), aber der verschwindet ja quasi dafür, dass ein anderer seinen Ruß eben nicht in die Atmosphäre bläst. Das nennt sich ausgleichende Gerechtigkeit.
Es gibt diesen netten Souvenir-Witz aus Berlin, wo man „Berliner Luft“ in Flaschen oder Dosen kaufen kann, wenn man denn gerne an dem Geruch von Berlin schnuppern möchte. Ungefähr so muss man sich das mit dem Zertifikathandel vorstellen. Wie funktioniert er eigentlich, der Zertifikathandel und was kommt da gegebenenfalls auf die Bürgerinnen und Bürger und Bürgenden dieses Landes zu? Genügt es, einen Garten zu haben und dafür ein hübsches Zertifikat zu erstellen, das man dann jemandem, der keinen Garten hat, verkaufen kann, damit er weiter den alten Volvo fahren kann? Kann jeder denn durch ökologischen Landbau saubere Luft erzeugen, die er dann in Form eines Zertifikats seinem Nachbarn zum Geburtstag schenkt?
Der Zertifikatehandel ist dem Grunde nach ziemlich simpel. Ich möchte das Prinzip anhand von Currywurst erklären, weil es mir wurst ist. Weil ich alt bin. Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung möchte, dass jeder „irgendwie in Deutschland Lebende“ pro Jahr maximal eine Currywurst isst. Dann weiß das statistische Bundesamt, dass in Deutschland maximal 83 Millionen Currywürste gegessen werden können. Mehr Currywürste gibt es nicht und das ist auch unerwünscht. Ziel: maximal 83 Millionen Currywürste.
Bei Fathma und Florian sinnlos
Nun erhält jeder Bürger mit einer Steuernummer einen Gutschein für eine Currywurst. Den kann er einlösen, sobald er seine Currywurst holt, oder er isst eben keine Currywurst und hat dafür einen Gutschein, der bei ihm zuhause neben dem Rabattmarkenheftchen von Uschis Nagelstudio in der berühmten „muss ich auch noch wegräumen“-Box liegt.
Gläubige Muslime und Hindus und gläubige Vegetarier dürfen aus religiösen Gründen keine Currywurst essen, so dass in etwa fünf bis sechs Millionen Gutscheine völlig umsonst versendet wurden. Die liegen jetzt bei Fathma und Florian sinnlos zuhause herum. Hinzu kommen noch einmal (geraten) zehn Millionen Menschen, die entweder zu jung oder zu alt oder zu abseits von einem Currywurststand wohnen – und Herbert Grönemeyer. Wir haben also jetzt 16 Millionen Gutscheine für Currywürste, die eigentlich nicht benutzt werden. Auf der anderen Seite tummeln sich jetzt so Leute wie ich, die Currywürste zwar nicht unbedingt für kulinarische Offenbarungen halten, aber gerne als Äquivalent zu amerikanischem Fastfood nutzen möchten. Mir wäre also eine Currywurst zu wenig, mein Gutschein wäre gleich weg.
Der Staat eröffnet jetzt das Internetportal „Currywurst“. An und in dieses Portal stellen nun die Nicht-Wurst-Esser ihre Gutscheine ein und erhalten entweder vom Staat das reguläre Geld für den Gutschein oder sie oder der Staat versteigern diese. An so Leute wie mich. Wenn ich nun also weiß, dass ich einmal im Monat eine Currywurst esse, muss ich mir Zusatzgutscheine entweder über dieses Portal kaufen oder ich bin pfiffig genug, Süleymans von Gegenüber ihren Gutschein abzukaufen oder abzuschwatzen.
Habe ich nun meine zwölf Gutscheine beisammen und merke, dass ich sie nicht brauche, weil ich plötzlich (wegen Grönemeyer) eine herbe Currywurstallergie bekommen habe, dann biete ich meine überzähligen Gutscheine wieder auf jenem Portal an. Natürlich kann ich auch spekulieren, dass beispielsweise die Nachfrage nach Currywurst in den Wintermonaten steigt. Dann kaufe ich mir im Frühjahr so viele Gutscheine wie möglich und halte sie bis meinetwegen Oktober. Meine potenziellen Kunden und ich wissen jedoch, dass es Schlag 1.1. nächstes Jahr wieder 83 Millionen Gutscheine geben wird und jetzt habe ich entweder Glück, und die Wurstsüchtigen zahlen mir sehr harte Euros für die Restwürste des Jahres, oder ich habe Pech und alle warten auf das kommende Jahr. Eine böse Sache, wenn das Zertifikat am 1.1. wertlos wird, interessant, wenn ich die Wurstgutscheine ins nächste Jahr übertragen kann. Theoretisch kann ich mir so sogar eine Altersvorsorge mit der Spekulation auf Currywurstnachfrage aufbauen. Ich brauche nur genug Gutscheine und genug Wurstesser.
An verschwiegenen Autobahnraststätten gefälschte Currywürste
Der Staat hätte auf jeden Fall sein Ziel erreicht, denn es wären in diesem Jahr ja keine 83 Millionen Currywürste über den Tresen gegangen. Ich hätte ja meine paar Gutscheine nicht eingelöst. Damit hätte der Staat sein Wurstziel erreicht. Natürlich nur offiziell. Inoffiziell gäbe es nämlich illegale Currywursthändler aus dem ehemaligen Ostblock, die an verschwiegenen Autobahnraststätten entweder gefälschte Currywürste verkauft hätten oder Currywürste aus dem Ausland gefuttert hätten. Und der ein oder andere hat vielleicht auch einen Metzger gekannt, der ihm quasi schwarz und am Staat vorbei eine Currywurst gemacht hat.
Die Metzgerei Müller übrigens, die bisher ein Kontingent von 12.000 genehmigten Currywürsten zur Herstellung hatte, teilt dem Staat mit, dass sie künftig nur noch 3.000 Currywürste herstellen wird. Jetzt hat der Staat sozusagen noch 9.000 Wurstgutscheine in der Hand, für die es aber keine Gegenwurst gibt. Dieses Kontingent kann er jetzt entweder unter den anderen Metzgereien versteigern oder er behält sie für sich, in der Hoffnung, dass wenigstens 9.000 Gutscheininhaber ihren Gutschein nicht einlösen.
Die Metzgerei Müller könnte jetzt aber auch Fake-Zertifikate ausstellen, weil sie künftig Tofu- statt Currywürste anbietet und jedem, der es möchte, ein Bestätigungszertifikat für einen nicht benutzten Currywurstgutschein ausstellen – maximal natürlich 9.000 Stück.
Ich für meinen Teil würde aber lieber die zwölf Currywürste essen. Ich hätte dabei sogar ein gutes Gewissen, denn dafür hätte ein anderer eben keine Currywurst gegessen, so dass unter dem Strich der Obergrenze kein Schaden entstanden und das Currywurstziel erreicht worden wäre.
Über dem Strich habe ich die Currywurst aber eben gegessen. Und wieder ausgeschieden. Faktisch war sie also trotzdem da. Aber ich hatte ein kulinarisches Erlebnis ohne schlechtes Gewissen.
Dieser Zertifikatehandel lässt sich übrigens nicht nur für Currywürste und CO2-Emissionen einrichten, er geht, wie im Krieg die Kleidungs- und Lebensmittelbezugsmarken, für so ziemlich alle Dienstleistungen, Waren und Güter, die der Staat limitiert sehen möchte. In diesem Sinne sollten eigentlich auch Wahlstimmen handelbar sein. Dann könnten die, die eh nicht wählen gehen, ihren Stimmzettel meistbietend verkaufen und wir hätten endlich nahezu 100 Prozent Wahlbeteiligung und eine schwingende Konjunktur für die Nichtwähler.
Und es wäre interessant, zu wissen, welche Partei die Reichen dann an die Macht wählen. Für die Linke wäre es das jedenfalls gewesen. Alternativ könnte die Regierung auch sagen, welche Obergrenze sie für jede Partei festlegen möchte und dafür dann Wahlgutscheine ausgeben. Wobei dann ein Wahlgutschein für die AfD aufgrund der 5 Prozent-Hürde wesentlich teurer als ein CDU-Gutschein wäre, die ja sowieso immer die gleiche Kanzlerin stellen. Da ist es eben wurscht.
mehr Geschmacksverirrungen des Autors gibt es auf www.politticker.de
Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Zuerst erschienen bei der Achse des Guten.