Wenn die Liebe fehlt…
Lieblosigkeit führt mit Notwendigkeit zum Chaos – auch in der Energiepolitik.
Edgar L. Gärtner
Als grundkonservativer Mensch habe ich mich immer für den Naturschutz engagiert. Schon in den 60er Jahren (ich war noch Schüler) hat mich der Bürgermeister der kleinen ländlichen Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, zum Vogelschutz-Beauftragten ernannt. Später während meines Biologiestudiums an der Frankfurter Goethe-Universität sah ich das Anliegen des Naturschutzes am besten bei der politischen Linken aufgehoben. Das war wohl ein Missverständnis.
Seit dem Beginn der 70er Jahre publizierte ich regelmäßig über Fragen der Ökologie und beteiligte mich intensiv an der Auseinandersetzung mit der vom elitären Club of Rome in Auftrag gegebenen und von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Simulationsstudie „Die Grenzen des Wachstums“, die lediglich die Aussagen der vom britischen Landgeistlichen Thomas Robert Malthus 1798 anonym veröffentlichten Bevölkerungstheorie in die Sprache des Computerzeitalters übertrug. Es war kein Zufall, dass ich mich dabei vorwiegend marxistischer Argumente bediente. Denn die in meinen Augen konsequenteste Kritik am Malthusianismus wurde im 19. Jahrhundert von Karl Marx und Friedrich Engels formuliert. Malthus und seine zahlreichen Nachfolger sahen die Hauptursache für Armut und Elend in der Welt im Trieb, mehr Nachkommen zu zeugen, als die Erde ernähren kann. Die von ihnen verbreitete Angst vor einer Überbevölkerung wurde diente der Rechtfertigung hartherziger Politik gegenüber den Armen.
Die beiden Säulenheiligen der materialistischen Geschichtsauffassung lenkten die Aufmerksamkeit demgegenüber zu Recht auf die Tatsache, dass Naturgüter erst durch die von Menschen erfundene Technik zu ökonomischen Ressourcen werden, dass es also absurd ist, von einem ein für alle Mal gegebenen Vorrat an Ressourcen auszugehen, die infolge unserer Unersättlichkeit gedankenlos verbraucht werden. Nicht die dümmsten, sondern die mit der intelligentesten Technik ausgerüsteten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln oder Getreidekörner! Kupfer- und Eisenerz, Kohlenwasserstoffe, seltene Erden oder Uran werden erst im Zuge des technischen Fortschritts zu Ressourcen. Auf die Widersprüchlichkeit anderer Argumente von Marx und Engels wurde ich erst später aufmerksam.
Meine optimistische Gegenposition zum fatalen Malthusianismus trug mir bis zur Jahrtausendwende etliche Einladungen zu hochkarätigen internationalen Symposien und Vortrags-Verpflichtungen ein (z.T. erwähnt in meinem Buch „Öko-Nihilsmus“ (2012). Ich hielt Vorträge u.a. in Wien, Prag, Bonn, Zürich, Brüssel, Berlin, München, Tutzing, Barcelona und Porto. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich 1989 auf Veranlassung von Beate Weber, der damaligen Oberbürgereisterin von Heidelberg, auch in einem Naturfreunde-Haus bei Freudenstadt im Schwarzwald referierte. Damals war es also noch möglich, mit linken Naturschützern einigermaßen sachlich über reale Probleme des Umweltschutzes und die „Irrtümer“ des Club of Rome zu diskutieren.
Das änderte sich nach der ersten Konferenz der Vertragsstaaten des Klima-Rahmenabkommens UNFCCC von 1992 (COP1), die 1995 unter Beteiligung von Dr. Angela Merkel, der damals noch kaum bekannten CDU-Bundesministerin für Umweltschutz und Reaktorsicherheit, in Berlin stattfand. (Zu dieser Mammut-Konferenz war ich eingeladen, weil ich dort im Auftrag einer Gewerkschaft eine Podiumsdiskussion leitete.) Ich arbeitete damals als freiberuflicher Berater (Chefredakteur) für den WWF Deutschland. Diesen verließ ich im Folgejahr, als der Verband gegen einige interne Widerstände seitens traditioneller Naturfreunde auf den Klima-Hype aufsprang und sich dabei zunehmend von seiner Kernkompetenz, dem Artenschutz entfernte.
Der schon Ende des 19. Jahrhunderts in Wien gegründete linke Arbeiter-Touristenverein „Die Naturfreunde“ (genauer die „Naturfreunde Internationale“, kurz NFI) mit etwa 350.000 persönlichen Mitgliedern eine der international bedeutendsten NGOs, bietet auch heute noch neben technokratischer Klima-Ideologie und „Antirassismus“ immer noch zahlreiche Aktivitäten in freier Natur an. Anders ist das bei den Grünen aller politischer Parteien, die es u.a. mithilfe (erfundener) Geschichten über Eisbären oder Bienen über Jahrzehnte schafften, den Eindruck zu erwecken, es gehe ihnen um die Bewahrung natürlicher Gemeinschaften von Pflanzen und Tieren. Wirkliche Naturfreunde fremdeln schon seit längerem mit den Grünen, weil bei diesen offenbar nicht Naturliebe, sondern abstrakte Klima-Modelle sowie mit deren Umsetzung verbundene Profiterwartungen das Reden und Handeln bestimmen. Ohne Skrupel nehmen diese dabei auch historisch beispiellose Naturzerstörungen in Kauf. Die Inkompatibilität zwischen der gewachsenen zentralen Stromversorgung und der dezentralen Netzeinspeisung von zufällig generiertem Windstrom droht Deutschland an den Rand des Chaos zu führen.
Aktuelles „Paradebeispiel“ dafür ist die Entscheidung für den Bau von nicht weniger als 18 etwa 240 Meter hohen Windrädern im nordhessischen Reinhardswald, ein bislang kaum zerschnittener Eichen- und Buchen-Naturwald, der die Märchen der in im nahen Kassel wirkenden Gebrüder Grimm inspiriert haben soll. Auf dem Hintergrund des vorher Gesagten ist es verständlich, dass ich geschockt war, als ich davon erfuhr. Der Hessische Rundfunk (HR), für den ich vor Jahren selbst etliche Features zu Umwelt-Themen produziert habe, diffamierte die gegen diesen Frevel aufflammenden Proteste als „Verschwörung“ zwischen „vorgeblichen Naturschützern, Kommunalpolitikern, Querdenkern und Rechtsextremen“, kritisiert Thomas Hartung auf der Internet-Plattform „Ansage“. Von Naturliebe war bei den Berufskollegen des HR, die so etwas sagten, keine Spur auszumachen. Der Wald gilt ihnen offenbar nur als Rohstoff für die Umsetzung abstrakter pseudoreligiöser Klima-Ziele. Die Proteste gegen die Verschandelung eines einmaligen „Märchenwaldes“ erscheinen so als Sicherheitsproblem bzw. als Sünde gegen die neue Staatsmoral.
Die Lieblosigkeit der Windkraft-Freunde geht vor allem darauf zurück, dass sie ein abstraktes Ziel wie die 2015 auf der COP21 in Paris beschlossene Begrenzung der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 °C und an die Notwendigkeit einer „Energiewende“ glauben, auf Biegen und Brechen ansteuern zu müssen. Wie kann man aber eine nicht messbare Durchschnittstemperatur lieben? Lieben kann man nur konkrete Personen oder Dinge. Ein Liebesverhältnis kann sich strenggenommen nur zwischen vernunftbegabten menschlichen Personen einstellen. Denn es kommt bei der Liebe nicht nur auf Gefühle, sondern auch auf den Verstand und den freien Willen an. Man bräuchte für Naturliebe vielleicht einen treffenderen Begriff. Die Franzosen verwenden hier eher die Bezeichnung „Affection“ (Zuneigung, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhen muss). Ich möchte mir aber nicht anmaßen, einen neuen Begriff vorzuschlagen und verwende den bislang üblichen Ausdruck provisorisch weiter. Denn auch wenn für die Wahrheitssuche der Kopf zuständig ist, bleibt die Liebe eine Angelegenheit des Herzens. Für den Wiener Psychiater Raphael Bonelli ist das Herz und nicht der Kopf Sitz des freien Willens. Kurz: Wir Menschen bemühen uns, mithilfe des Kopfes etwas zu begreifen; aber nur mit dem Herzen können wir etwas ernstnehmen.
Liebe ist unsere einzige Ressource, die niemals ausgeht. Wir können sie nicht herstellen, sondern nur empfangen. Für Christen ist die Liebe ein Synonym für Gott. Wie der in Algerien verfolgte Ingenieur und Literat Boualem Sansal unterstreicht, fehlt hingegen das Konzept der Liebe im Islam ganz. Es gibt im Arabischen dafür kein Wort. Die strengen Vorschriften der Scharia allein sollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt herstellen. Kein Wunder, dass in den meisten muslimisch geprägten Gesellschaften tribalistische Gewaltausbrüche an der Tagesordnung sind.
Thomas von Aquin, der größte christliche Theologe und Philosoph des Mittelalters, sah in der Liebe das Synonym für Ordnung. Sein Konzept des „ordo amoris“ hat eine transzendentale Dimension, sollte m.E. aber auch im weltlichen Denken ernstgenommen werden. In der Umgangssprache sprechen wir in der Tat noch heute von Ordnungsliebe, und Unordnung setzen wir mit Lieblosigkeit gleich. Wir fühlen spontan, dass der Bau von Windkraftanlagen in Naturwäldern in jeder Hinsicht dem ordo amoris widerspricht und vermuten, dass hier Psychopathen am Werk waren.
Die französische Mystikerin jüdischer Herkunft Simone Weil hat während des Zweiten Weltkriegs im britischen Exil unter dem Titel „L’Enracinement“ (Die Verwurzelung) eine Grundlegung der Anthropologie entworfen, die nach dem Krieg posthum von Albert Camus veröffentlicht wurde. Darin stellt sie nicht die von der amerikanischen und der französischen Revolution beschworenen Menschenrechte, sondern mit der Bibel begründete allgemeine Menschenpflichten in den Mittelpunkt. Ordnung ist danach nicht nur das halbe Leben, sie ist das erste Lebensbedürfnis, Ausdruck der geistigen und materiellen Verwurzelung der Menschen. Von diesem vorgegebenen Rahmen der natürlichen Ordnung lassen sich dann Menschenrechte ableiten.
Einen anderen Weg als Simone Weil hat der aus Ungarn stammende liberale Ökonom und Investment-Banker Anthony de Jasay (verstorben 2019 in der Normandie) eingeschlagen. In seinem Versuch, den auf John Locke und andere zurückgehenden politischen Liberalismus neu zu fassen, unterscheidet er zwischen dem bisher vorherrschenden losen „Rechte-liberalismus“ und dem auf der Unantastbarkeit des Privateigentums und legitimer individueller Bedürfnisse beruhenden strikten Liberalismus. Darin haben Ideen wie „soziale Gerechtigkeit“ keinen Platz.
Wer die Beliebigkeit der Menschenrechts-Argumentation überwinden möchte, ohne das Heil in diktatorischen Lösungen zu suchen, tut m.E. gut daran, die Vorschläge von Weil und de Jasay ernst zu nehmen. Vielleicht sind beide Herangehensweisen nicht inkompatibel, denn auch bei Simone Weil steht die Freiwilligkeit der Unterordnung unter biblische Gebote hoch im Kurs. Für eine ökologische bzw. ökologistische Zwangsbeglückung der Menschen ist bei beiden kein Platz. Denn ohne Liebe läuft auf die Dauer nichts.