Die Mühsal mit den Gaskraftwerken

Um die Stromversorgung Deutschlands nach 2030 zu sichern, braucht das Land Dutzende von teuren Not-Gaskraftwerken. Doch noch immer ist nicht klar, unter welchen Umständen die EU die dazu notwendigen Beihilfen akzeptiert. Derweil läuft der Regierung die Zeit davon.

Von Peter Panther

Nein, in der Haut von Katherina Reiche (CDU) möchte man nicht stecken: Die Wirtschaftsministerin muss die Energie- und Klimaziele, an denen das Kabinett Merz festhält, verteidigen – also das Ende der Kohlekraft und die Klimaneutralität bis 2045. Gleichzeitig weiss die erfahrene Energiemanagerin natürlich sehr genau, dass die Erreichung dieser Ziele illusorisch ist, wenn man nicht gleichzeitig die Wirtschaft Deutschlands vollends zerstören will. Reiche muss also gute Miene zum bösen Spiel machen.

Die grösste Mühsal, das sie derzeit hat, ist wohl die mit den geplanten Gaskraftwerken. Hier ist die Situation vertrackt: Deutschland braucht unbedingt Backup-Kapazitäten in grosser Menge, die dann einspringen, wenn Wind- und Solaranlagen wegen Dunkelflauten keinen Strom liefern. Ohne diese Kraftwerke ist der Ausstieg aus der Kohlekraft, der notwendig ist für die Erreichung der Klimaziele, unmöglich zu vollziehen.

Reiche bezeichnete den Bedarf an Not-Kraftwerken im letzten Frühling auf mindestens 20 Gigawatt. Das sind etwa 40 grosse Kraftwerksblöcke.

Von einem Betrieb mit Wasserstoff hört man nicht mehr viel

Bereits Robert Habeck (Grüne) musste als Vorgänger von Katherina Reiche eingestehen, dass es ohne Backup-Kraftwerke nicht geht – wobei er den Bedarf noch auf 12,5 Gigawatt bezifferte. Die Bundesnetzagentur hingegen sprach sogar von einem Bedarf von bis zu 35,5 Gigawatt im Jahr 2035, was 71 grossen Gasblöcken entspricht.

Habeck suggerierte der Öffentlichkeit, diese neuen Kraftwerke könnten kurz nach dem Start mit klimaneutralem Wasserstoff statt mit Gas betrieben werden. Von Reiche hört man diesbezüglich nicht viel – was nicht erstaunlich ist, schliesslich ist von einem Wasserstoff-Netz in Deutschland weit und breit nichts zu sehen. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern.

Das Problem, das nach Habeck nun auch Reiche beschäftigt, ist, dass diese Backup-Kraftwerke furchtbar teuer sind. Denn sie dienen als Lückenbüsser-Kapazitäten, die im Wesentlichen nur dann laufen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Damit sind sie niemals rentabel zu betreiben. Der Staat will darum einen sogenannten Kapazitätsmarkt schaffen, in dem die Bereitschaft, Strom zu liefern, abgegolten wird. Konkret muss der Staat den künftigen Betreibern horrend hohe Beihilfen zuschaufeln, damit sich diese überhaupt finden lassen. Gemäss Schätzungen sind für 40 Gaskraftwerke bis zu 32 Milliarden Euro notwendig.

Die EU hat ein Problem mit den Beihilfen

Deutschland ist gewillt, die entsprechenden Kosten an die Stromkonsumenten zu überwälzen – denn eine andere Lösung ist nicht zulässig. Das wird den Strompreis um weitere zwei Cents pro Kilowattstunde verteuern. Dieser liegt für Haushalte bereits bei rekordverdächtigen 40 Cents und wird der Energiearmut im Land kräftig Vorschub leisten.

Doch die EU hat ein Problem mit dem Kapazitätsmarkt. Denn damit gehen eigentlich unzulässige Eingriffe des Staates in den Energiemarkt einher. Damit die Wettbewerbshüter der Union die Beihilfen doch akzeptieren, stellen diese eine ganze Reihe von Forderungen – unter anderem, dass eine Umstellung der Kraftwerke auf Wasserstoff absehbar ist. Diese Zusicherung kann Reiche aber wegen der erwähnten Probleme nicht geben.

Mittlerweile verhandeln die EU und Deutschland seit Jahren über die Beihilfen und den Kapazitätsmarkt. Und noch immer ist die Sache nicht geklärt. Derweil drängt die Zeit – und wie: Damit die CO₂-intensiven deutschen Kohlekraftwerke, die heute oft als Reserve dienen, planmässig stillgelegt werden können, muss ein grosser Teil der neuen Backup-Gaskraftwerke schon 2030 in Betrieb gehen. Doch alleine die Bauzeit solcher Anlagen beträgt fünf Jahre. Selbst wenn alles am Schnürchen läuft, ist dieser Fahrplan kaum einzuhalten.

Bei der Lieferung von Gasturbinen bestehen lange Wartezeiten

Katherina Reiche kündigte ursprünglich an, die ersten Ausschreibungen für die Backup-Kapazitäten noch in diesem Jahr zu starten. Doch nun ist «frühestens» vom zweiten Quartal 2026 die Rede. Denn solange der Streit mit der EU um die Beihilfen nicht entschieden ist, können auch keine Kraftwerke ausgeschrieben werden.

Es gibt ein weiteres Problem: Selbst wenn die Ampeln für die neuen Kraftwerke auf Grün stehen und Investoren gefunden sind, könnte es zu jahrelangen Verzögerungen kommen. Denn bei der Lieferung von Gasturbinen bestehen Wartezeiten. Der Grund ist, dass derzeit viele Länder solche Turbinen bestellen – im grossen Stil zum Beispiel die USA. Darum haben die Konzerne Siemens Energy, General Electric und Mitsubishi, die hier den Weltmarkt beherrschen, auf absehbare Zeit keine freien Kapazitäten mehr.

Es wird sich wohl diese Situation ergeben: Die geplanten Gas-Reservekraftwerke gehen, wenn überhaupt, nur mit grosser Verspätung ans Netz. Die Verzögerungen können sehr wohl fünf bis zehn Jahre betragen. Während dieser Zeit müssen die besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke am Netz oder zumindest in Bereitschaft bleiben.

Katherina Reiche muss sich weiter durchwursteln

Die Folge wird sein, dass der deutsche Strom so CO₂-intensiv wie fast nirgendwo in Europa bleibt. Deutschland kann seine Klimaziele damit buchstäblich rauchen. Netto-Null bis 2045 wird noch viel unmöglicher zu erreichen sein, als es sowieso schon ist. Die Grünen in Deutschland wird das insgeheim wohl weniger schmerzen, als sie zugeben. Denn sie haben das ihr ideologisches Hauptziel bereits erreicht: den Atomausstieg.

Die Kernkraft hat einst 30 Prozent zur Stromversorgung des Landes beigetragen. Die 17 Werke, die fast alle vorzeitig vom Netz genommen und verschrottet wurden, könnten heute viel zu einer klimafreundlichen Versorgung beitragen. Energiefachleute vermissen sie schon jetzt schmerzlich

Doch Atom ist in Deutschland vorläufig Geschichte, und damit muss Katherina Reiche schauen, wie sie sich weiter durchwurstelt. Die neueste Meldung in dieser Sache, die im «Spiegel» zu lesen war: Berlin verhandelt mit Brüssel nur noch über 12,5 statt 20 Gigawatt an Gas-Reserveleistung. Die EU-Kommission ist offenbar nicht bereit, eine grössere Menge zu akzeptieren.

Ob sich die Stromversorgung Deutschlands mit dieser reduzierten Menge sichern lässt, ist fraglich. Womöglich müssen sich die Stromkonsumenten daran gewöhnen, dass von ihnen bald «Flexibilität» verlangt wird. Das heisst, sie müssen ihren Strombezug vermehrt nach dem Angebot richten – konkret nach der Sonne und dem Wind.

Während Reiche versucht, die Quadratur des Kreises zu schaffen, wird sie in Deutschland bereits als «Gas-Ministerin» gescholten. Ihre «Fokussierung» auf Gaskraftwerke wirke «aus der Zeit gefallen», lästerte der «Spiegel». Die Mühsal geht weiter.