Deutschlands Stromversorgung wird zur Sollbruchstelle – von Fritz Vahrenholt
Auch wenn sich die globale Temperatur gegenüber dem Juli kaum geändert hat, bleibt der Abkühlungstrend doch intakt. Die amerikanische Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA sieht für diesen Winter eine kühle LA NINA im Pazifik aufziehen, was zu einem Rückgang auch der globalen Temperaturen führen wird. Die Abweichung vom langjährigen Mittel der Satellitenmessungen beträgt im August 0,39 Grad Celsius.
Was hatten wir bis jetzt? Die Bürger in Deutschland wurden systematisch falsch über die Folgen der Energiewende informiert. Wie schrieben die ostdeutschen Betriebsräte kürzlich an den Kanzler: „die politischen Versprechungen eines grünen Wirtschaftswunders sind nur Schall und Rauch. Realität ist, das noch nie soviel gute Arbeitsplätze bedroht sind wie heute.“
Die Ministerin knüpft in Ihrem lesenswerten 10-Punkte-Programm an diese Kritik an: „Die Energiewende kann nur durch Pragmatismus und Realismus gelingen.“
Über Altmaier titelte der Spiegel : Altmaier schließt Kernenergie für alle Zeiten aus. Das Endlager versprach er für 2030.
Gabriel 2017 zur Energiewende : Davon profitieren langfristig alle: Wirtschaft, Politik und vor allem Verbraucher.
Zutreffend stellt sie weiter fest, dass Solar- und Windkraftwerke häufig über den Bedarf produzieren. Das bedeutet, dass bei Überproduktion Solaranlagen und Windkraftwerke kostenträchtig abgestellt werden müssen oder als Abfallstrom über die Grenzen mit Milliardenzuzahlungen verschenkt werden. Im Monitoringbericht 2025 (S.68) sieht man die ganze Fehlentwicklung in seiner ganzen Pracht:
Über verlorenene Industriearbeitsplätze kein Wort
Die größte Änderung nimmt Ministerin Reiche in der Schätzung des Strombedarfs bis 2030 vor. Während die Ampelkoalition noch von 750 Terawattstunden träumte, liegt ihre Schätzung im unteren Bereich von 600 bis 700 Terawattstunden, weil sie einen schwächeren Hochlauf von E-Autos, Wärmepumpen aber auch den Rückgang der energieintensiven Industrie in Deutschland berücksichtigte. Eine Zielerfüllung durch Abbau der Industriearbeitsplätze sollte die Wirtschaftsministerin mit Sorgen erfüllen. Stattdessen findet sie kein Wort in Ihrem 10 Punkte-Plan über den seit Jahren anhaltenden Verlust an Industriearbeitsplätzen durch die Energiewende.

Doch das genau passiert im Augenblick. Jede Woche gibt es Meldungen über Stillegungen von Industriebetrieben oder Verlagerungen ins Ausland auf Gund zu hoher Energiekosten. Noch in der Koalitionsvereinbarung hieß es im Hinblick auf die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz „Wir stärken den Rechenzentrumsstandort Deutschland als Leuchtturm Europas.“ Wenige Monate später übersteigt nach Angaben der Mainova die Nachfrage an Netzanschlüssen für Rechenzentren im Frankfurter Netzgebiet – 1/3 der Leistung aller Rechenzentren ist hier konzentriert – das verfügbare Leistungsangebot. E.DIS, Verteilnetzbetreiber in Brandenburg und Mecklenburg- Vorpommern liegen 170 Anfragen für Rechenzentren mit einer Leistung von je 20 bis 320 MW vor, von der die Mehrzahl nicht bedient werden kann. Der Westnetz GmbH, dem größten Verteilnetz Deutschlands, liegen für NRW, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen Anfragen von Rechenzentren in Höhe von 10 000 MW vor. Die gesicherte Leistung sowie die Netzkapazität fehlen weitgehend. KI -Zentren, die gesicherte Leistung rund um die Uhr benötigen, werden an Deutschland vorbeigehen.
Deutschland steuert auf eine Versorgungslücke zu
Bundeswirtschaftsministerin Reiche weist im Begleitschreiben zur Kabinettvorlage ihre Ministerkolleginnen und -kollegen darauf hin, dass es „unter bestimmten Annahmen zur einer Versorgungslücke kommen könne“ . Im Jahre 2030 könnte die Stromnachfrage „in wenigen Stunden am Strommarkt nicht vollständig gedeckt werden“. Schon Robert Habeck hatte in seinem Entwurf des Kraftwerkssicherheitsgesetzes 12 500 MW Gaskraftwerke gefordert. Die Koalitionsvereinbarung vom Mai 2025 sprach dann von 20 000 MW fehlender gesicherter Leistung, die durch Gaskraftwerke gedeckt werden müsse. Nun sind es 22400 bis 35 000 MW, die zugebaut werden sollen.
Denn bis 2035 sollen folgende Kohlekraftwerke vom Netz:
Weisweiler, Jänschwalde, Boxberg, Niederaußem, Neurath, Schkopau, Lippendorf, Altbach, Heilbronn, Herne, Bergkamen, Rostock, Karlsruhe, Hamburg-Tiefstack, Wilhelmshaven, Berlin-Reuter, Walsum-Duisburg, Gelsenkirchen-Scholven, Staudinger, Groß-Krotzenburg, Weiher-Saarland, Bexbach, Zolling, Völklingen, Mannheim, Karlsruhe-Rheinhafen 7.
Die grüne Traumwelt ist geplatzt, übrig bleiben Milliardenkosten und ein Versorgungsrisiko, schreibt Heinz Steiner in report 24. Die fehlenden 35 000 MW Gaskraftwerkskapazität bedeuten übrigens 70 neue Gaskraftwerke. Sie müssen mit zusätzlichen LNG-Importen befeuert werden. Kommen die LNG aus Übersee, so ist der umgerechnete äquivalente CO2-Ausstoss der Kette Erdgasförderung-LNG-Verflüssigung-Transport-Verbrennung im Gaskraftwerk sogar größer als die CO2-Emissionen der stillzulegenden Kohlekraftwerke.(Howarth 2024)
Die Kosten für 15 000 MW Gaskraftwerke wurde in 2024 mit etwa 27 Mrd. € nötiger Subventionen beziffert. Für 35 000 MW Gaskraftwerke wären es über 60 Milliarden €. Falls die EU die Subventionen durch den Steuerzahler aus dem Bundeshaushalt nicht genehmigt, müsste der Strom in Deutschland mit einer weiteren Abgabe in Höhe von 3,7 €ct/kWh belegt werden. Soviel zu den Sprüchen, dass Solar und Wind die Stromerzeugung immer günstiger macht.
Die Gesamtkosten der Energiewende bis 2045 beziffert Frontier economics mit 4800 bis 5400 Milliarden Euro. Dem DIHK-Präsident Peter Adrian ist zuzustimmen, wenn er sagt, es brauche dringend ein Umdenken in der Energiepolitik. Aber wir brauchen nicht nur ein Umdenken, wir brauchen ein Umsteuern. Dies wird aber erst möglich sein, wenn wir uns von den selbstzerstörerischen Zielen des europäischen Alleingangs in der Klimapolitik lösen.