Überhitzte Anti-AKW-Propagandisten: Wegen der Wärme im Juni soll Frankreichs Atomkraft in die Krise geschlittert sein – wussten Medien und Grüne. Das Gegenteil ist richtig
Alexander Wendt, Die Weltwoche
Die sommerliche Hitzewelle rollte in Deutschland schon vor einigen Tagen aus. Die Katastrophen-Propaganda kühlt nicht ganz so schnell ab, zumal twitternde Grünen-Politiker und einige ihnen zugetane Journalisten die wenigen Hochtemperaturtage für eine ganz spezielle Behauptung nutzten.
«AKW-Hitzeflaute: Schluss jetzt mit dem Gefasel vom Wiedereinstieg», donnerte der Autor der Illustrierten, Rolf-Herbert Peters, am 1. Juli. «In Frankreich stehen wieder Atomkraftwerke still», klagte der Grünen-Abgeordnete Audretsch und schob den seltsamen Satz nach: «‹Wir rechnen mit sehr vielen künftigen Hitzewellen›, sagt eine Sprecherin. In Zukunft könnte zum Beispiel das Kraftwerk Chooz 100 Tage/Jahr ausfallen.» Um welche Sprecherin es sich handelt und für wen sie spricht, teilte er nicht mit. Genauso wenig, wie viele der 57 Nuklearkraftwerke in Frankreich ihre Leistung drosseln: nämlich 2.
Die üblichen grünen Nachredner meldeten sich praktisch inhaltsgleich.
Nur herrscht in Frankreich wegen der minimalen Leistungsreduzierung weder eine Stromnot oder gar eine «AKW-Hitzeflaute», noch ergibt sich daraus auch nur das geringste Argument, Deutschland sollte nicht wieder zur Kernkraft zurückkehren. Denn die Kernkraftwerke hierzulande mussten aus bautechnischen Gründen, um die es gleich gehen soll, selbst in heissen Sommern sehr viel weniger Rücksicht auf Kühlgewässer nehmen als die französischen. Vor allem aber: Kernkraft, das zeigen alle Daten sehr deutlich, bleibt auch an den heissesten Tagen des Jahres die zuverlässigste Art der Stromerzeugung überhaupt.
Zunächst einmal: Die Betreiber fahren die Kraftwerke nicht herunter, weil das «Kühlwasser zu heiss» wäre. Mit dieser Formulierung suggerierte Spiegel online am 2. Juli seinen Lesern in einem Text über die kurzzeitig gedrosselten Atommeiler Beznau in der Schweiz, die Kernkraftwerke bekämen ein Problem, wenn das Flusswasser eine bestimmte Temperatur erreicht. Noch plumper und falscher versucht es die schon mehrfach wegen Faktenverdrehungen aufgefallene Annika Joeres in der Zeit: «Frankreichs Atomkraftwerke überhitzen».
Die Journalistin veröffentlicht nicht nur für die Zeit; bei der teils staatsfinanzierten Plattform Correctiv schreibt sie als «Senior-Reporter».
Die Leistungsreduktion der Atomkraftwerke in der Schweiz und Frankreich geschieht in Wirklichkeit, um Tierwelt und Fauna in den Flüssen zu schonen, im Fall von Beznau die der Aare, deren Temperatur 25 Grad nicht überschreiten sollte. Das Kraftwerk käme technisch auch mit wärmerem Flusswasser zurecht, genauso wie die Anlagen in Frankreich, von denen keine einzige «überhitzt». Ganz nebenbei bringt der Spiegel in seinem Text noch eine Extra-Desinformation für seine Leser unter: «Die Schweiz», heisst es da, «möchte längerfristig aus der Kernenergie aussteigen.» Genau das Gegenteil trifft zu. Für einen Kernkraftausstieg existiert weder in der Politik noch in der Bevölkerung eine Mehrheit, es gibt auch keinerlei relevante Diskussion im Land darüber. Im Gegenteil: Ende 2024 kündigte Energieminister Albert Rösti an, durch eine Überarbeitung des entsprechenden Gesetzes solle das bisher noch herrschende Neubauverbot für Kernkraftwerke demnächst fallen.
Dieses Verbot kam 2017 durch eine Volksabstimmung zustande. Die Laufzeit des 1969 in Betrieb gegangenen Kraftwerks Beznau verlängerten die Behörden bereits bis 2032, die deutlich jüngeren Meiler in Leibstadt und Gösgen dürften bis weit in die Jahrhundertmitte Strom liefern. Auch die Volksmeinung unterscheidet sich in dieser Frage deutlich von der von 2017: Eine Mehrheit stellt sich mittlerweile gegen das Neubauverbot.
Zurück zu Frankreich: In seinem «Gefasel»-Text räumt der Stern-Autor zwar ein, dass die kurzzeitige Drosselung von wenigen Reaktoren in Frankreich sich so gut wie gar nicht auf die Stromerzeugung im Nachbarland auswirkt: Die Leistungsreduzierungen, die es fast in jedem Sommer gibt, verringern die theoretisch mögliche Ausbeute des Kernkraftwerkparks im Jahr um durchschnittlich 0,3 Prozent.

«Doch die sehr langgestreckte Statistik täuscht, kommentiert der Stern-Schreiber das sommerbedingte Minus von 0,3 Prozent im Jahresverlauf. Natürlich «täuscht» an der Zahl überhaupt nichts. Sie passt ihm schlicht nicht, weil sich daraus auch mit allem rhetorischen Gefuchtel keine «AKW-Hitzeflaute» herbeischreiben lässt.
Damals standen tatsächlich zeitweise 29 von damals 56 Reaktoren still, die meisten, weil Korrosionsschäden beseitigt werden mussten, einige auch wegen turnusmässiger Wartungsarbeiten. Das gehäufte Problem mit korrodierten Rohren ergab sich, weil der Betreiber EDF die Arbeiten vorher lange aufgeschoben hatte. Sommerwärme beziehungsweise Klima spielten für diesen temporären Ausfall also keine Rolle.
In diesem problematischen Jahr 2022 drosselten ausserdem fünf Atomkraftwerke ihre Leistung, um die Gewässer zu schonen, nämlich Golfech, Saint-Alban, Bugey, Blayais und Tricastin. Sie liefen allerdings weiter. Aber selbst in dieser Ausnahmephase kam es in Frankreich nicht zu Stromengpässen. Und das nicht, weil Deutschland mit seinem Grünstrom die Lücke gestopft hätte, wie es mehrere Medien behaupteten.
Wie immer hilft der Blick auf die Zahlen weiter: Frankreichs Atomkraftwerke erzeugten 2022 trotz der schwierigen Bedingungen gut 275 Terawattstunden Strom, die Gaskraftwerke etwa 45 Terawattstunden. Der Stromimport belief sich gerade auf 16,2 Terawattstunden – alle Lieferländer zusammengenommen. Gleichzeitig exportierte Frankreich aber auch Elektroenergie nach Italien und in die Schweiz. Allein die Exporte nach Italien überstiegen 2022 die Strommenge, die Deutschland ins französische Netz schickte. Bei der angeblichen Rettung des Nachbarn durch deutsche Windräder handelt es sich um eine Legende.
«Solche Hitzeflauten für AKW werden zunehmen, da sind sich die Klimaforscher einig», heisst es in dem Text aus Hamburg. Da es sich bei den «AKW-Hitzeflauten» genauso wie bei den Führertagebüchern um eine exklusive Schöpfung des Stern handelt, gibt es weit und breit keinen seriösen Wissenschaftler, der sich dazu äussert. Folglich nennt der Text auch keinen Namen. «Die Klimaforscher» bilden hier – wieder einmal – eine Untergruppe der berühmten Grösse «die Wissenschaft». Allerdings braucht Autor Peters auch gar keine Autoritäten als argumentative Stütze – er betreibt nämlich selbst eine Art Klimasonderwissenschaft, wenn er schreibt:
«Das sollten alle bedenken, die immer wieder das Hohelied der Kernkraft singen und den deutschen Wiedereinstieg fordern. Der Klimawandel schreitet voran, man kann ihn nicht mehr wegreden. Die Flüsse sind auch so warm, weil die Meere nicht mehr richtig abkühlen und damit die Luft weniger kühlen, die über das Festland streicht.»
Die Flüsse sind warm, weil die Meere warm sind, und der Wind – in Deutschland übrigens in der Regel aus der Richtung West und Südwest – dient als grosser Temperaturregler: Mit diesen Erkenntnissen steht Stern-Peters als stolzer Solitär da.
Kleiner Hinweis: Die warmen Junitage verdankte Deutschland dem Vordringen von Saharaluft in unsere Breiten – ein zwar seltener, aber keinesfalls singulärer Vorgang. Die Vorstellung, ein solcher Warmluftstrom in beträchtlicher Höhe würde heruntergekühlt, wenn das Mittelmeer ein paar Grad kälter wäre, wirkt fast schon originell. Der Stern-Text schliesst mit dem Appell, es bloss nicht dem Nachbarn auf der anderen Seite des erhitzten Rheins gleichzutun:
An den Ausgangspunkt – dass Atomkraftwerke ihre Leistung ja gerade drosseln, damit sie Gewässer nicht weiter erwärmen – scheint sich der Autor gar nicht mehr zu erinnern. Für die Aussage «Atomkraftwerke sind Teil des Klimaproblems, folgt also dem deutschen Weg» werfen wir wieder kurz einen Blick auf zwei Zahlen, nämlich den Kohlendioxidausstoss pro Kilowattstunde in Frankreich und in Deutschland am 2. Juli 2025. Der beträgt im vorbildlichen Windrad-, Solar- und Kohlekraftwerksland, in dem Stern, Zeit und Spiegel erscheinen, 211 Gramm, in Frankreich mit seinem Atomholzweg dagegen 33 Gramm je Kilowattstunde.

Zwei kleine Punkte kommen noch dazu. Erstens: Der Stern leitet aus seiner erfundenen «AKW-Hitzeflaute» in Frankreich schon in der Überschrift die Behauptung ab, deshalb müsse das «Gefasel» über einen deutschen Atom-Wiedereinstieg aufhören. Er schliesst also von Frankreich auf die Bundesrepublik und beweist damit wieder einmal seine harte Faktenresistenz. Denn etliche, wenn auch längst nicht alle linksrheinischen Atomkraftwerke benötigen in der Tat grössere Mengen an Flusswasser zur Kühlung ihres Kondensators. Die meisten deutschen Anlagen kühlten nach einem anderen System – entweder per Naturzug-Nasskühlturm oder mit einem Kreislaufsystem.
Ganz nebenbei: Nuklearkraftwerke brauchen eine Wärmesenke, aber nicht zwingend ein Gewässer zur Kühlung. Die Anlage Palo Verde in Arizona befindet sich in der Wüste, weit entfernt von jedem Nass.
Und dann drängt sich noch die Frage auf, die man sich von Stern bis Zeit gar nicht erst stellt: Wie sieht es eigentlich mit der Lieferzuverlässigkeit von Solar und Wind aus? Zum Ersten: Bei jedem Grad über 25 Grad Celsius büssen Solaranlagen 0,38 Prozent ihrer Leistung ein. In den heissen Junitagen reduzierten sie also hitzebedingt ihre Leistung zwangsweise, wie es die Kernkraftwerke in Frankreich und Beznau in der Schweiz freiwillig taten. Lange stationäre Hochs mit entsprechend wenig Luftbewegung lassen auch die Windkraftproduktion regelmässig zusammenschnurren. Und: Erdrotationsbedingt drosseln Solaranlagen ihre Produktion jeden Abend um exakt 100 Prozent.
Da die Grünen und ihre Begleitmedien Kernkraft gegen eine Bevölkerungsmehrheit ausschliessen und Speicher eben nicht «noch und nöcher» (Claudia Kemfert) zur Verfügung stehen, müssen gerade an heissen Tagen, aber auch in der winterlichen Dunkelflaute Kohle- und Gaskraftwerke einspringen. Oder eben Stromimporte aus Frankreich. Seit der Abschaltung seiner Kernkraftwerke führt Deutschland deutlich mehr Strom ein als aus. Der Saldo von Ex- und Import betrug 2024 minus 28,3 Terawattstunden.
Der Fraktionsvize folgte hier dem üblichen Drehbuch für diese Fälle: Er zieht den völlig berechtigten Einwand ins Lächerliche, ohne in der Sache darauf überhaupt nur einzugehen. Für den eigenen 10-Prozent-Anhang genügt das vermutlich.
Wer sich über die Stromerzeugung im Nachbarland informieren möchte, findet hier übrigens aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Quellen Daten fast in Echtzeit.
Die oben genannten Medien können vermutlich nicht anders: Nahezu jeder Text zu Energieerzeugung, der deutschen Energiewende und Klima enthält grobe Verzerrungen, Auslassungen und Falschbehauptungen. Besonders wild geht es regelmässig beim Thema Kernkraft zu: Hier gibt es in den wohlmeinenden deutschen Redaktionen generell weder Rücksicht auf Logik noch auf Statistiken.
Es bleibt dabei: Die beiden grössten Feinde des deutschen Haltungsjournalismus heissen: Zahlen und Fakten.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Onlineportal Publico sowie Tichys Einblick.
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Ich habe diesen Beitrag auf Weltwoche.ch gefunden, und von dort, die freundliche Genehmigung zur weiteren Veröffentlichung auf Eike bekommen. Damit möglichst viele Bürger davon erfahren.