Temperaturen und CO2 bis 500 Millionen Jahre zurück und kleine Tricks

von Prof. Dr. Horst-Joachim Lüdecke

Mittlere Erdtemperaturen und atmosphärische CO2-Konzentration über hunderte Millionen Jahre zurück zu ermitteln ist nicht einfach. Es lässt sich nur über sogenannte Proxydaten bewerkstelligen wie beispielsweise für Temperaturen über zeitabhängige Verhältniswerte von der Sauerstoffisotope 16O und 18O (hier) in Seewasserkarbonaten. Diese Methode wurde im paper von Christian Vérard und Jan Veizer [1] 2019 angewendet. Die erstellte Temperaturkurve reicht mehr als 500 Millionen Jahre zurück (Bild 1)

Bild 1: Globale Mitteltemperatur über etwa 500 Millionen Jahre zurück. Das delta18O der rechten y-Achse gibt die Sauerstoffisotopenverhältnisse an, die linke Temperaturachse zeigt die zu delta18O proportionalen Temperaturen. Der grauschattierte Bereich ist die hohe Ungenauigkeitsmarge der Temperaturkurve. Bild entnommen der Veröffentlichung [1].

Es gibt noch weitere Temperatur-Studien über derartig große Zeitspannen, wobei oft der bereits genannte Geophysiker J. Veizer (hier) mitbeteiligt war, der mir aus beidseitigem E-Mail-Austausch persönlich bekannt war. Bis jetzt sind mir keine Temperaturkurven des Phanerozoikum (hier) mit wesentlichen Abweichungen von der in Bild 1 gezeigten Zeitreihe bekannt.

Mit dem Blick auf die aktuelle CO2-Hypothese einer vermuteten anthropogenen globalen Erwärmung bestand ein weiterer Schritt in der Fachliteratur darin, zeitlich zugehörige CO2-Kurven den Temperaturreihen  gegenüber zu stellen, um Schlüsse auf Gegenwart und Zukunft zu ermöglichen. Die erste Referenz für phanerozoisches CO2 war der Klimaforscher Robert A. Berner (hier). In seiner Studie [2] von 2002 findet sich die atmosphärische CO2-Konzentration – genauer ihr Verhältnis zum vorindustriellen Wert von 280 ppm – bis knapp vor 600 Millionen Jahren. Sie ist in Bild 2 gezeigt.

Bild 2: Atmosphärische CO2-Konzentration bis knapp 600 Millionen Jahre zurück als Verhältnis zur vorindustriellen Konzentration von 280 ppm (rote Kurve). Die Ungenauigkeiten reichen bis +-50%. Bild entnommen aus der Veröffentlichung [2].

Im Jahr 2017 kam eine detailliertere CO2-Zeitreihe von Gavin L. Foster et al. [3] hinzu, die aber nur bis etwa 400 Millionen Jahre zurück reicht und in Bild 3 gezeigt ist. Auch bei ihr sind wieder die hohen Fehlermargen zu beachten. Stellt man die Unsicherheiten in Rechnung kann zwar von einer Verbesserungen der Kurve in Bild 2, aber nicht von einer maßgebend neuen Kurve die Rede sein.

Bild 3: Atmosphärische CO2-Konzentration (blau) bis etwas über 400 Millionen Jahre zurück. Bild entnommen aus der Veröffentlichung [3].  

Vergleicht man die Temperaturkurve in Bild 1 mit der CO2-Kurve in Bild 2 erkennt man bereits mit dem bloßen Auge, dass keine gute Korrelation von T und CO2 vorliegt. Das Gleiche gilt auch noch, wenn man anstelle der CO2-Kurve von Bild 2 die etwas detailliertere in Bild 3 nimmt. Noch immer ist daher die Kernaussage zahlreicher populärer Darstellungen von Temperatur T und CO2 für das Phanerozoikum gültig, dass keine gute Korrelation von T und CO2  vorliegt. Ein Beispiel für solche Darstellungen findet sich hier. Der Grund für die schlechte Korrelation von Temperatur und CO2 im Phanerozoikum liegt in der zyklischen Natur der Temperaturreihe, die 2003 von Nir J. Shaviv und Jan Veizer in einer bahnbrechenden Arbeit mit dem Klimaeinfluss der kosmischen Strahlung erklärt wurde [6]. Die Zyklenlänge beträgt dabei grob 150 Millionen Jahre. CO2-Zeitreihen weisen diese Zyklen nicht auf!

Aufgabe der Wissenschaft ist, das Bekannte zu verbessern oder gar umzuwerfen und durch Besseres oder Neues zu ersetzen. In diesem Sinne sieht sich offenbar die Studie der Autoren Emily J. Judd et al [4] von 2024. In ihr wird eine neue Temperaturkurve vorgestellt, die laut Textneschreibung mit der CO2-Kurve in Bild 3 verglichen wird. In Bild 4 ist die von Judd et al erstellte neue Temperaturkurve gezeigt. Sie unterscheidet sich zwar in Teilen von der T-Kurve in Bild 1, einen maßgebend neuen Verlauf weist sie aber nicht auf.

 

Bild 4: Die neue von Judd et al aufgestellte Temperaturkurve des Phanerozoikum.

Was die von Judd et al verwendeten CO2-Kurve btrifft, so steht im paper „The CO2 reconstruction is largely based on the data from Foster et al (das ist die hier angegebene Quelle [3] bzw. Bild 3) in the Paleozoic and Mesozoic, and the data from Rae et al in the Cenozoic [5]. Die Daten von Rae reichen allerdings nur bis 66 Millionen Jahre zurück. Figure 5 in der Arbeit von Rae et al zeigt keine mit dem Auge erkennbaren Unterschiede zur CO2-Kurve von Foster et al. Fazit: Judd et al vergleichen wie schon erwähnt ihre neue Temperaturkurve (Bild 4) mit der CO2-Kurve von Foster et al (Bild 3), wobei letztere grob der CO2-Kurve von Berner (Bild 2) entspricht.

Glücklicherweise hat bereits die inzwischen bekannt gewordene CO2-Coalition (hier, hier) die neue Judd et al – Temperaturkurve zusammen mit den CO2-Daten von Berner in einer schön gestalteten neuen Grafik eingetragen und mir daher mühsame Grafikarbeit erspart (Bild 5).

Bild 5: Phanerozoische Temperaturen von Judd et al (Bild 4) und CO2 von Berner (Bild 2). Von guter Korrelation kann immer noch keine Rede sein. Daran ändert sich auch nichts, wenn man anstelle der Berner CO2-Kurve die von Foster et al in Bild 3 nimmt. Bildquelle CO2 Coalition.

Eine Verbesserung durch detailliertere Temperatur- und CO2-Daten kann man Judd et al angesichts ihrer Fleißarbeit sicher nicht absprechen. Der maßgebende Kernpunkt, nämlich die schlechte Korrelation von Temperatur und CO2, ändert sich mit ihrem paper aber nicht, zumindest schon deswegen nicht, weil phanerozoische CO2 – Kurven keinen 150  Millionen Jahreszyklus aufweisen.

Auch kleine Verbesserungen sind in der Wissenschaft nicht nur wichtig sondern sogar die Regel. Wirkliche Umbrüche sind dagegen extrem selten. Damit könnte man die Arbeit von Judd et al nun zur Seite legen und sich anderen Themen widmen.

Leser allerdings, die sich aber Mühe gemacht haben das paper von Judd et al vollständig zu lesen, kommen vermutlich aus dem Staunen nicht heraus. Die vor dem eigentlichen Teil „Research Article“ im paper aufgeführten Abschnitte Introduction, Rationale, Results und Conclusion erzählen nämlich eine völlig andere Geschichte. Judd et al behaupten Folgendes:

  1. In Results: Die Werte ihrer neuen Temperaturkurve variieren zwischen 11° und 36 °C über die letzten 485 Millionen Jahre, und diese Spanne sei größer als die aller bisherigen Rekonstruktionen!
  2. Nochmal in Results: Es gäbe eine gute Korrelation zwischen Temperatur und CO2 im Panerozoikum!
  3. In Conclusion: CO2 sei der dominante Treiber des phanerozoischen Klimas, hier also von Temperatur.

Diese Aussagen sind angesichts der oben geschilderten Ergebnisse im paper von Judd et al mehr als überraschend und verlangen eine Überprüfung. Enthält das paper von Judd et al vielleicht doch maßgebend Neues?

Zu Punkt 1: Zur Überprüfung braucht man nur die neue Temperaturkurve in Bild 4 mit der alten in Bild 1  zu vergleichen und die Ungenauigkeiten zu berücksichtigen. Die von Judd et al angegebenen Grenzen 11° – 36 °C stimmen dann für beide Kurven grob überein. Die Behauptung im paper von von Judd et al über einmalig hohe aufgefundene Grenzen trifft daher m.E. nicht zu!

Zu Punkt 2 und 3: Zur Überprüfung suche man zuerst im paper von Judd et al das gut korrelierte Analogon zum schlecht korrelierten in Bild 5. Es findet sich als Fig. 4 Teilbild A, das hier als Bild 6 A noch einmal separat gezeigt ist.

 

Bild 6: Mit Teilbild A wollen Judd et al die gute Korrelation von Temperatur und CO2 belegen. Das Auge scheint es zu bestätigen.

Was stimmt da nicht? Zuerst einmal ist die CO2-Kurve in Bild 6 A eine andere als die im Text von Judd et al behauptete Kurve von Foster et al. Dazu reicht bereits das unbewaffnete Auge. Welche CO2-Kurve hier von Judd et al genommen wurde bzw. wie diese Kurve entstand, wird im Text des papers nicht gesagt. Das ist aber noch nicht alles. In Bild 6 A sind die Skalen der beiden verglichenen Kurven unnötig zusammengequetscht, um dem Auge etwas nachzuhelfen.

Das ist prinzipiell nicht verwerflich, weil die Pearson-Korrelation (hier) gegen beliebige lineare Transformationen der verglichenen Zeitreihen immun ist. Man kann sie mit beliebigen Faktoren multiplizieren, oder in der y-Richtung beliebig verschieben, und man kann ihre Skalen beliebig stauchen oder strecken. Die Pearson-Korrelation der beiden Zeitreihen ändert sich dadurch nicht. Der Trick ist gut bekannt. Man knetet die Skalen so lange und verschiebt die Kurven geeignet in y-Richtung, bis das Auge eine „bessere“ Korrelation meldet, obwohl die wirkliche Korrelation die gleiche geblieben ist. Natürlich soll dieses „Verfahren“ den Autoren Judd et al hier nicht unterstellt werden.  Besser wären aber bei etwas mehr Höhe für die Grafik Bild 6 A voll die Grafikhöhe ausnutzende Skalen gewesen.

Dies führt weiter zur wissenschaftlichen Kritik am paper von Judd et al. Eine detaillierte Begründung für die Verwendung der in ihrer Herkunft nicht ausreichend spezifizierten CO2-Kurve in Bild 6 A wäre unabdingbar gewesen. Der Begriff „Korrelation“ von T und CO2 wurde im Abstract des Judd et al papers explizit benutzt. Zumindest eine Diskussion über die Gründe der bisherigen schlechten Korrelation von T und CO2 in früheren Veröffentlichungen im Gegensatz zu der nun angeblich guten Korrelation wäre angebracht gewesen, denn schließlich sind die o.g. Punkte 2 und 3 als Werbung für das paper zu verstehen. Nichts dergleichen ist in der Arbeit von Judd et al zu finden.

Als Schlussbemerkung sei auch einmal auf weniger beachtete Ursachen der Schwankungen der mittleren Globaltemperatur über alle Zeitskalen hingewiesen. Verglichen mit der CO2-Hypothese werden sie nur stiefmüterlich in der Fachliteratur behandelt und unzureichend mit Forschungsmitteln versehen. Die hier zitierten Arbeit von Shaviv und Veizer ist bereits ein erstes Beispiel für den phanerozoischen Zeitbereich. Die allgemein akzeptierte Milankowitsch-Theorie für die Eiszeiten der letzten 2 Millionen Jahre ist ebenfalls zu nennen (hier folgt das CO2 übrigens der Meerestemperatur um etwa 1000 Jahre und kann daher nicht Ursache der Temperaturen sein [7]).

Für die wichtigeren kürzeren Zeitspannen bis hin zu wenigen Jahrzehnten ist aber bislang noch viel zu wenig geschehen. Der Schwerpunkt wissenschaftlicher Forschung sollte sich vorteilhaft allmählich etwas weg von der Erforschung des immer noch weitgehend unbekannten Klimmaeinfluss durch anthropogenes CO2 auf die Erforschung natürlicher Klimaeinflüsse verlagern. Als die interessantesten Themen sind der zyklischen Klimaeinfluss der Sonne über kosmische Strahlung und Wolkenbildung (hier) und die Klima- und Wetterauswirkungen der inzwischen immer besser bekannten und dokumentierten Ozeanzyklen zu nennen.

Quellen

Hinweis: alle hier aufgeführten Quellen sind in Google Scholar zu finden. Dazu nur den Titel der Arbeit ins Suchfenser eingeben. Alle hier angegebenen Arbeiten haben ein freies pdf, dazu rechts oben auf pdf klicken.

[1] Vérard, C. & Veizer, J., 2019. On plate tectonics and ocean temperatures. The geological society of America.

[2] Berner, R.A., 2003. The long-term carbon cycle, fossil fuels and atmospheric composition. Nature, 426.

[3] Foster G.L. et al., 2017. Future climate forcing potentially without precedent in the last 420 million years, nature communications, 8:14845.

[4] Emily J. Judd et al., 2024. A 485-million-year history of Earth’s surface temperature. Science 385, 1316.

[5] Rae, J.W.B. et al., 2021. Atmospheric CO2 over the past 66 Million years from marine archives. Annual Review of Earth and planetary sciences,  49:509-41.

[6]  Shaviv, N.J. & Veizer, J., 2003. Celestrial driver of phanerozoic Climate? GSA today, 13.7, 4-10.

[7] Caillon, N. et al., 2003. Timing of atmospheric CO2 and Antarctic temperature changes across Termination III. Science, 299(5613), 1728-1731.