Ungleiche Brüder – das wissenschafts(un)gläubige 21. Jahrhundert

von Hans Hofmann-Reinecke

Ein Mann von 25 Jahren hat bereits sehr eigene Charakterzüge. Sein Lebenslauf weist Leistungen oder auch Verfehlungen auf, für die nur er selbst verantwortlich ist. Man wird ihn taxieren und an Gleichaltrigen messen.

Auch unser Jahrhundert wird demnächst 25, ein guter Zeitpunkt also, um Bilanz zu ziehen und Vergleiche mit Altersgenossen anzustellen. Dazu möchte ich unser 21. Jahrhundert einem älteren Bruder gegenüberstellen: dem Neunzehnten. Vergleichen wir also, was von 1800-1825 hervor gebracht wurde mit den Leistungen der Jahre von 2000 bis heute.

Atome und Elemente

War das junge 19. Jahrhundert ein Musterknabe oder eine Rabauke, ein Frohgeist oder ein Misanthrop? Eins ist sicher, der junge Mann hatte deutlich geniale Züge.

Im Jahr 1803 formulierte John Dalton die Theorie, dass alle Materie aus Atomen besteht und dass deren Masse bestimmt, um welches Element es sich handelt. Aus Masse 1 wird beispielsweise Wasserstoff und 12 ergibt Kohlenstoff. Der Russe Dimitri Mendelejev baute darauf das Periodensystem der Elemente auf, welches das Fundament für die moderne Chemie wurde. Der dänische Physiker Hans Christian Örsted wiederum entdeckte damals, dass elektrische Ströme Magnetfelder erzeugen, und Michael Faraday zeigte, dass diese Magnetfelder, wenn sie sich verändern, elektrischen Strom induzieren. Diese Erkenntnisse bescherten uns den Strom, der heute aus den Steckdosen kommt.

Aber auch auf die Philosophen waren kreativ: Goethe vollendete 1808 seinen „Doktor Faustus“, Schopenhauer veröffentlichte „Die Welt als Wille und Vorstellung“ und Hegel die „Phänomenologie des Geistes.“ Das waren sehr anspruchsvolle Werke, aber für die Leserschaft von damals offensichtlich interessant genug, sodass noch heute Straßen nach den Autoren benannt sind.

Eine Hübsche, die alles zeigt

Doch nicht nur der kühle, logische Verstand war damals kreativ, auch für die schönen Sinne wurden bleibende Werke geschaffen: Beethovens 5. Klavierkonzert, ein musikalisches Monument für die Ewigkeit, hatte 1811 Premiere, und für Opernfreunde schrieb er „Fidelio“, während Rossinis „Barbier von Sevilla“ 1816 uraufgeführt wurde. Derweil malte Delacroix die furchtlose Marianne, welche, Trikolore in der Faust, das Volk in die Freiheit führte. Francisco de Goya wiederum porträtierte 1800 die „maja desnuda“, die Hübsche, die alles zeigt, und vier Jahre später malte er sie nochmals, diesmal im Negligé.

Zu der Zeit war Alexander von Humboldt in Südamerika unterwegs und bestieg 1802 in Ecuador den knapp 6.000 Meter hohen Chimborasso, den damals höchsten von Menschen erklommenen Gipfel.

Soweit eine kleine Auswahl aus den „Sternstunden der Menschheit“, welche das erste Quartal des 19. Jahrhunderts hervorbrachte. Aber kann es mit den Leistungen mithalten, die unser 21. Jahrhundert bislang hervorgebracht hat?

Ein diverser Boxkampf

In musikalischer Hinsicht wegweisend ist im frühen 21. Jahrhundert der Geschmack des deutschen Staatsoberhauptes. Er empfahl 2018 die Werke von „Feine Sahne Fischfilet“.

Die schönen Künste Europas wiederum erlebten 2024 einen Höhepunkt zur Eröffnung der Olympiade in Paris. Das Motto war: „Wir kommen zwar nicht ganz an Leonardo ran, aber wir können ihn auf jeden Fall lächerlich machen.“ So bestückte man in einer Montage die Figuren des Abendmahls mit ausgesucht abstoßenden Gestalten. Es war eine groteske „Hommage“ an das vielleicht größte Genie aller Zeiten und eine Ohrfeige für die Christen dieser Welt, von denen man keine Vergeltung befürchten musste.

Als Willkommensgruß an die Jugend aus aller Welt zu sportlichen und friedlichen Spielen zeigte man aus allen Perspektiven die Enthauptung einer schönen jungen Königin aus dem späten 18. Jahrhundert. Den genialen Schöpfern dieser lustigen Idee war offensichtlich entgangen, dass die internationalen Athleten aus Kenia oder Pakistan keine Ahnung hatten, wer das junge Opfer wohl wäre, und warum es diese unfreundliche Behandlung verdient hat. Egal – der Schöpfer selbst wird seinen Witz schon verstanden haben, und das ist ja die Hauptsache.

Ein Irrtum, so alt wie die Menschheit

Aber das 21. Jahrhundert hat dafür mit einem Irrtum aufgeräumt, der bis in alt-testamentarische Zeiten zurückgeht: die schicksalshafte Bestimmung ob Mann oder Frau, ob Adam oder Eva. Vergessen wir, was Siegmund Freud oder Friedrich Nietzsche zu dem Thema gesagt haben, hier kommt die die Wahrheit, die mit der Millionen Jahre alten, bösartigen Lüge aufräumt. Heute wissen wir, dass jeder selbst bestimmen kann, ob er Mann oder Frau ist, und zwar einmal pro Jahr. Entscheidend sind nicht etwa anatomische Kleinigkeiten, sondern der amtliche Eintrag im Pass.

Das bringt uns zurück zur Olympiade 2024. Da kann sich ein Mike Tyson, der sich plötzlich so weiblich fühlt, auf Michelle umtaufen lassen und ist von diesem Moment an eine legitime Frau. Im Ring trifft er dann auf eine altmodische Boxerin mit 44XX Chromosomen, die er vor den Augen der Welt ein paar Sekunden krankenhausreif prügelt. Das ist gelebter Feminismus des 21. Jahrhunderts.

Die Meister und der Kleister

Und wie steht es um die schönen Künste im frühen 21. Jahrhundert ? Sie sie sind in den Händen und Gesäßen der Straßenkleber angekommen. Deren ursprüngliche Devise war ja „Wir haben zwar keine anständige Arbeit, aber wenigstens hindern wir die anderen auf dem Weg dorthin“. Diese Maxime wurde dann konsequent auf einer höheren kulturellen Ebene fortgesetzt. Man klebte sich fortan nicht mehr an den Asphalt, sondern an kulturelle Schätze der Vergangenheit, mit zwinkerndem Einverständnis der jeweiligen Museumsdirektionen.

Bei dieser Vielfalt an kulturellen Höhepunkten dürfen wir die Wissenschaften nicht vergessen. Das frühe 21. Jahrhundert erlebte eine Sternstunde, welche in die Annalen der Forschung eingehen wird. In einem chinesischen Labor entwickelte man ein Virus, das auf mysteriöse Weise den Weg in die Freiheit fand, um sich dann, dank geschickter genetischer Optimierung, rasch über den Planeten auszubreiten. Der medizinischen Forschung gelang es dann mit überraschender Geschwindigkeit, in „warp speed“, einen Impfstoff zu entwickeln, der dem Virus zwar nichts anhaben konnte, dafür aber den Menschen ein Kaleidoskop an hässlichen Nebenwirkungen bescherte. Der ärztliche Schwur „Primum non nocere“ (zuallererst keinen Schaden anrichten) war zu „Lucrum non nocet“ mutiert (Gewinn schadet nicht).

Vom Atlantik in den Pazifik

Wir hatten ja behauptet, dass ein Mann von 25 Jahren Charakterzüge angenommen hat, die ihn kennzeichnen; und dass sein Lebenslauf dann Leistungen oder auch Verfehlungen aufweist, für die nur er selbst die Verantwortung trägt. Da sind bei den beiden Brüdern, dem frühen 19. und dem frühen 21. Jahrhundert, doch einige Unterschiede zu beobachten. Es gibt da aber noch ein interessantes Zwillingsexperiment: Beide Brüder wurden einem identischen Schicksalsschlag von höherer Gewalt ausgesetzt. Wie würden sie in dieser identischen Situation verhalten?

Am 20.11.1817 schrieb der Präsident der ehrwürdigen Royal Society of London an die Admiralität seiner Königlichen Hoheit Georg III. folgenden Brief:

„Es wird Ihrer Lordschaft zweifellos zur Kenntnis gelangt sein, daß in den zirkumpolaren Regionen eine beträchtliche, für uns derzeit unerklärliche Klimaveränderung stattgefunden haben muss, durch die die Strenge der Kälte, die seit Jahrhunderten die Meere in den hohen nördlichen Breiten in einer undurchdringlichen Barriere aus Eis eingeschlossen hat, in den letzten zwei Jahren stark nachgelassen hat.

(Dies) beweist hinreichend, dass neue Wärmequellen erschlossen worden sind, und gibt uns Anlaß zu der Hoffnung, daß die arktischen Meere jetzt zugänglicher sind, als sie es jahrhundertelang waren, und daß in ihnen jetzt Entdeckungen gemacht werden können, die nicht nur für den Fortschritt der Wissenschaft, sondern auch für den künftigen Verkehr der Menschheit und den Handel ferner Nationen von Interesse sind.“

Bei Potemkin zu Hause

Kurz gesagt: Der Präsident der königlichen Forschungsgesellschaft teilte mit, dass sich in den nordpolaren Regionen eine Wärmequelle unbekannten Ursprungs aufgetan hätte, welche die unerbittliche Kälte, die bislang das Polarmeer durch Barrieren aus Eis verschlossen hielt, zunehmend mildern wird. Das ermögliche Entdeckungen, die nicht nur für den Fortschritt der Wissenschaften interessant sind, sondern auch für die Mobilität der Menschheit und den Handel zwischen entfernten Nationen.

Schon damals, 1817, gab es also Global Warming, man verfolgte mit Optimismus dessen Segnungen für die Schifffahrt, und hoffte, dass eines Tages die Fahrt vom Atlantik in den Pazifik möglich würde, ohne das gefürchtete Kap Hoorn runden zu müssen. Man begegnete diesem Phänomen mit einer anderen Haltung, als dies im 21. Jahrhundert der Fall ist. Heute muss alles für die „Rettung des Klimas“ geopfert werden. Aber könnte es nicht sein, dass eines Tages die geheimen Dokumente zum Thema Erderwärmung ebenso aufgedeckt werden, wie kürzlich die Corona-Protokolle? Und dass uns dann vor Augen geführt würde, welchem gigantischen Schwindel wir aufgesessen sind?

Welche Charakterzüge also können wir dem jungen 21. Jahrhundert zuschreiben? Ich behaupte, der junge Mann hat sich mit dem von Papa geerbten Geld ein Potemkin’sches Dorf zurecht gezimmert, und er ist zu feige, um der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Er ist vom „Virus Vulgaris Wokensis“ befallen, der ansteckender ist, als die schlimmste Omikron-Variante, und der schließlich zur Einbuße aller kognitiven Fähigkeiten führt. Für das Krankheitsbild ist es typisch, dass der auf auf sein Leiden angesprochene, eine Salve von Schmähungen von sich gibt, gespickt mit Vokabeln, die auf Rassismus und Faschismus anspielen. Und was denkt er über den erfolgreichen Bruder aus dem 19. Jahrhundert, mit dem wir ihn verglichen haben? Von dem hat er noch nie gehört, aber der war bestimmt ein Nazi.

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