geschrieben von Chris Frey | 30. März 2024
Endet mit diesem zeitigen Lenz die Pause der Frühlings-Erwärmung in Deutschland?
Stefan Kämpfe
Seit Ende Januar herrschen fast durchweg viel zu hohe Lufttemperaturen in Deutschland. Das ließ die Natur um 3 bis 4 Wochen zeitiger erwachen – doch scheint diese damit keine Probleme zu haben. Im Gegenteil – bislang war eine bemerkenswerte Blütenfülle zu bestaunen, und auch die angeblich sterbenden Insekten zeigten sich besonders zahlreich. Doch ob uns die vorzeitige Wärme erhalten bleibt und der Lenz ab diesem Jahr nach einer Erwärmungspause wieder milder wird, bleibt unklar.
Das Frühlingserwachen 2024 in Bildern
Abbildung 1: Schon Mitte Februar in Vollblüte – die Winterlinge. Dieses Hahnenfußgewächs besiedelt dank der Wärme immer größere Flächen.
Abbildung 2: In Gärten, Parkanlagen und siedlungsnahen Wiesen breitete sich der Elfen-Krokus in letzter Zeit auffallend stark aus. Auch er scheint von der Erwärmung zu profitieren.
Abbildung 3: Stets sehr zahlreich und diesmal schon zur Monatswende Februar/März erblühend – der Märzenbecher. Er kommt, ähnlich wie der Winterling, sowohl im besiedelten Bereich, als auch in der Wildnis bestens zurecht.
Abbildung 4: Die streng geschützte Kuhschelle erscheint auf Halbtrockenrasen zur Mitte des Erstfrühlings. Wie allen anderen Frühblühern auch, schadeten ihr die trocken-heißen Sommer der jüngsten Vergangenheit nicht.
Abbildung 5: Auf kontinentalen Halbtrockenrasen der Steppen Innerthüringens blüht zur Mitte des Erstfrühlings das seltene Frühlings-Adonisröschen. Weil es konkurrenzschwach ist, wird es durch sommerliche Dürren, welche die Gräser und manche Gehölze schwächen, gefördert und konnte so trotz oft fehlender Beweidungs- und Entbuschungsmaßnahmen bis heute überleben.
Abbildung 6: Vollblüte der oft aus Unterlagen des Obstbaus verwilderten Kirschpflaumen in der zweiten Erstfrühlingshälfte. In der Steppenzone Thüringens standen sie diesmal schon am kalendarischen Frühlingsanfang in Vollblüte. Ihre Früchte reifen nach den Süßkirschen, bei einigen Wildlingen auch erst im September/Oktober. Die gelben, roten oder schwarzvioletten, kleinen, meist reichlichen kugeligen bis ovalen Früchte sind gut essbar – wenngleich etwas herber als Kirschen oder Pflaumen. Weil sie Hitze und Dürre bestens vertragen, breiteten sie sich in den letzten Jahrzehnten stark aus.
Abbildung 7: Die Vollblüte des Hohlen Lerchensporns leitet vom Erst- zum Vollfrühling über. Er ist in manchen edellaubholzreichen Wäldern, manchmal auch in verwilderten Gärten und Parkanlagen zu finden.
Obwohl dieser März 2024 sehr mild ausfiel, der bisherige Rekordhalter (2017 mit 7,2°C) könnte sogar noch knapp überflügelt werden, verringerte sich der Vegetationsvorsprung, welcher Ende Februar noch 20 bis 25 Tage betrug, bis Ende März auf deutlich unter 20 Tage. Weil nämlich im fortschreitenden Frühlingsverlauf immer mehr Wärme liebende Arten erscheinen, wird mehr Wärme benötigt – die anfangs sehr großen Vegetationsunterschiede nivellieren sich vom Vor- bis zum Vollfrühling, selbst bei weiterhin deutlich zu warmer Witterung. Ein Vergleich des Verlaufs der drei Jahreszeiten Vor-, Erst- und Vollfrühling verdeutlicht das eindrucksvoll.
Abbildung 8: Abnehmende Varianz und abnehmende Verfrühungstrends vom Vor- über den Erst- zum Vollfrühling in Weimar. Die Apfelblüte wurde für 2024 auf den 5. April geschätzt; selbst wenn sie einige Tage eher oder später eintreten sollte, so ändert das an der Grundaussage nichts.
Von der Verfrühung profitieren besonders die typischen Vor- und Erstfrühlingsblüher, denn diese Jahreszeiten verlängerten sich in unserer aktuellen Warmzeit am meisten. Auch der phänologische Frühling insgesamt, er beginnt mit der Hasel- und endet mit dem Beginn der Holunderblüte, verlängerte sich merklich.
Abbildung 9: Entwicklung der Dauer des phänologischen Frühlings in Tagen am Beobachtungsort Weimar seit 1990.
Besonders zeitig beginnende Frühjahre sind tendenziell länger als spät beginnende, in denen die Natur den Vegetationsrückstand oft zumindest teilweise noch aufholt. Aber völlig abgebaut wird der Vorsprung nach einem Frühstart meist nicht. „Je eher im Lande der Schlehdorn blüht, desto zeitiger der Schnitter zur Ernte auszieht“ – diese alte Bauernregel hat also einen wahren Kern. Insgesamt sorgt die Natur aber dafür, dass trotz der erheblichen Wärme keine extremen Vegetationsverfrühungen eintreten können – die oft geäußerten Befürchtungen, die Klimaerwärmung brächte alle Naturvorgänge aus dem Takt, sind unbegründet!
Der nach 1988 erwärmungsträge Frühling in Deutschland – verleiht ihm der warme Auftakt 2024 neuen Schwung?
Betrachtet man nur die Zeit ab dem Klimasprung 1988, so erwärmten sich Sommer und Herbst enorm, besonders nach der Mitte der 1990er Jahre. Der Winter erwärmte sich nur leicht, der Frühling kaum.
Abbildung 10: Temperaturverlauf aller meteorologischen Jahreszeiten im DWD-Flächenmittel 1988 bis 2023. Nur Sommer und Herbst erwärmten sich auffallend stark, der Frühling praktisch kaum. Zur besseren Darstellung in einer Grafik wurde das Sommer-Mittel um 6 Kelvin (°C) abgesenkt und das des Winters um 5 K angehoben – Trend und Amplitude bleiben dabei unverändert.
Bei einer Analyse des Gesamtzeitraumes (1881 bis 2023) unterscheidet sich der Lenz hinsichtlich der Gesamterwärmung nur unwesentlich von den übrigen Jahreszeiten. Noch etwas stärker erwärmten sich der Winter (aber hauptsächlich bis 1988) und der Sommer (hauptsächlich nach 1988), beim Herbst fand sogar fast die gesamte Erwärmung erst nach 1988 statt. Dem Frühling fehlte also (bislang) nur die Erwärmung nach 1988.
Abbildung 11: Temperaturverlauf im meteorologischen Frühling (März bis Mai) seit 1881. Ähnlich, wie bei den anderen Jahreszeiten, gab es mehrere Phasen: Anfangs eine sehr kühle mit Erwärmungstendenz bis ins frühe 20. Jahrhundert, zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine relativ warme, dann wieder eine kühle von den 1960er bis in die mittleren 1980er Jahre, ehe mit dem Klimasprung 1988 die aktuelle Warmphase begann.
Alle Daten sind mehr oder weniger stark von diversen Wärmeinseleffekten belastet, welche sich im Frühling/Sommer besonders stark auf die Temperaturentwicklung auswirkten. Aber was beeinflusst nun die Frühlingstemperaturen in Deutschland wesentlich? Kohlendioxid (CO₂) ist es nicht – sehr wohl aber beeinflussen Sonnenscheindauer und Großwetterlagenhäufigkeiten die Frühlingstemperaturen.
Abbildung 12: Seit 1988 nur noch leichte, nicht signifikante Frühjahrs-Erwärmung in Deutschland bei merklich zunehmender Besonnung. Immerhin ein reichliches Drittel der Gesamtvariabilität der Lenz-Temperaturen wird von der Sonnenscheindauer bestimmt (Bestimmtheitsmaß B=38,6%). Die Wirkung der zunehmenden Besonnung scheint ausgereizt.
Abbildung 13: Leichte Häufigkeitsabnahme der im Frühling meist warmen Tage mit südlichem Strömungsanteil (rot) und der Zentralhochlagen (gelb-grün). Kühle nördliche Lagen häuften sich jedoch (blau). Wetterlagen-Klassifikation nach HESS/BREZOWSKY.