Metall im Doppelwumms
Zuerst veröffentlicht als redigierte Fassung von TichyEinblick
Von Dr.-Ing. Hans-Bernd Pillkahn
Es kommt stahlhart. Das Klimaschutzgesetz im Schlepptau des Grünen Deal zwingt Deutschland in übersehbarem Zeitraum in die Treibhausgas-Senke. Wo da ab dem Jahr 2045 Platz für eine Industrie sein soll, die Metall-Commodities aus Millionen Tonnen Erzen schmilzt, die wir nicht haben, mit gewaltigem Strombedarf, der auch in windstillen Nächten ansteht, und mit Defossilisierungsmetallurgie, die wir derzeit im Technikum verstanden zu haben glauben, ist unerfindlich.
Aktuell der Doppelwumms (für die kleinen Leser!) – Energiewende tot, es lebe die Klimarettung! Mit unbezahlbarem Flüssiggas als Brücke zur Wasserstoffillusion aus inexistentem Strom soll im Märchenland Deutschland die Transformation der Metallindustrie gelingen.
Die Geschichte lehrt, dass Metall, Prosperität, Kultur und industrielle Spitzenleistung Hand in Hand gehen. Zerbricht die hiesige Metallwirtschaft an den politischen Irrungen der Klimarettung, ist der Rest eine Frage der Zeit.
Dass die Metallindustrie von innen korrodiert, gibt der Situation einen leichenbitteren Geschmack. Die Chefs führender Metallunternehmen beschweren sich in einem Brandbrief an die EU über zerstörende Energiepreise. Die sind aber Folge politischer Entscheidungen über die letzte Dekade und die träge Reaktion der Betroffenen darauf. Energiewirtschaft? Verstehen wir nicht. Sechs Billionen Euro für Klimaneutralität? Na und? Zero Carbon Footprint? Machbar! Grüngewaschene Metall-Homepages und ebensolche Industrieverbände bewerben die dekarbonisierte Metallwelt enthusiastisch. Von der bleibt übrig, was von dekarbonisierten Menschen übrigbleibt: ein Häufchen Asche. Jeder Kundige weiß das. Trotzdem will die deutsche Metallindustrie in politischer Unterwürfigkeit zu den ersten gehören, die sich neutralisieren. Nun geht die Sache ihren vorhersehbaren Gang.
Schauen wir uns das am Beispiel der Stahlerzeugung an. Stahl aus eigenen Erzrevieren und Kohle an Ruhr und Saar begleitete über 150 Jahre die volkswirtschaftliche Entwicklung zum Industrieherzen Europas. Eisenharte Unternehmer wie Klöckner, Thyssen, Krupp, Hoesch, Röchling und Korf machten deutsche Stahltechnik mit hervorragend qualifizierten Ingenieuren weltweit führend. Der Autor dieser Zeilen studierte Hüttenkunde, als Deutschland noch Montanland war.
Stahl in guten Zeiten war 10 Millionen Tonnen Langstahl und 30 Millionen Tonnen Flachstahl als Halbzeug. Die Stahlverarbeitung in der langen, Deutschland auszeichnenden Wertschöpfungskette zu high-end Komponenten und Systemen steht hier nicht zur Debatte. Mit zwei Prozent Anteil an der weltweiten Stahlerzeugung sind wir mittlerweile eher kleinwüchsig, die übrigen EU-Partner sind Zwerge. Stahl sollte aber in der richtigen Dosierung da erzeugt werden, wo er gebraucht wird. Es sei denn, er kommt als Konsumtraum der Endverbraucher ins Land.
Flachstahl ist Feinblech für Autokarosserie und Waschmaschine (Bild 1) und kommt über Eisenerz aus dem Hochofen, Langstahl ist im Elektrolichtbogenofen einge- schmolzener Schrott und macht sich von der Betonarmierung bis zum Kugellager verdient. Die Langstähler haben es vergleichsweise einfach. Sie haben schon elektrische Schmelzaggregate, warten auf Freiheitsenergie (ehem. „Erneuerbare“) und haben Herzklopfen, ob sie die auch bezahlen können.
Die Flachstähler müssen sich aber transformieren. Konzentrieren wir uns daher auf Stahlblech. Seit der Einführung von in den USA abgeschauten kontinuierlichen Prozessen der Warmbreitbanderzeugung, des Feinblechverzinkens und des Stahlschrottschredderns in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts waren Neuerungen eingefroren. Mehr Tonnen hieß die Devise. Die Industrie war wegen der in den letzten 30 Jahren beschränkt sichtfähigen Vorstände und latent klammer Liquidität innovationsscheu, mied Risiken und war entscheidungslahm. Die Stähle wurden härter, die Manager weicher. Spätestens bei drohender Einstellung der Kohleförderung hätte man sich Gedanken über die Zukunftsfähigkeit der inländischen Erzverarbeitung, im Fachjargon auch Raffination, machen müssen. Hat man aber nicht. Daher ist die international eingeführte Feinblecherzeugung aus Schrott in Elektrolichtbogenöfen hier zu Lande praktisch ungenutzt, Schrotteinsatzquoten („recycled content“) jenseits der zwanzig Prozent die Ausnahme. Millionen Tonnen Schrott werden jedes Jahr als unbrauchbar aus unserem Eisenerz (förder-) freien Land exportiert. Zirkuläre Wirtschaft, bei anderen Industriemetallen mehr Regel als Ausnahme, wurde klein geschrieben.
Der Stahlbaron ist heute ein Stahlmaharadscha. Hütteningenieure stehen anders als früher unter Weisung von Juristen, Kaufleuten und Hochschul-erfahrenen Beratern, statt zu sagen, wohin die Reise geht. Die Leitung der montanmitbestimmten, also von Räten kontrollierten, Hochofenwerke ist von diesen in die Hände von Energiewende-Erfahrenen oder angedienten linken Politikern gelegt. Richtige Unternehmer, auf ständiger Suche nach Marge und von Existenzsorge und Innovationszwang getrieben, sind offenkundig Geschichte. Die noch klardenkenden Techniker mit Stahl im Blut haben die Marketing-Wirrungen ihrer Unternehmen zu vertreten. Man spürt ihre Verzweiflung fast körperlich.
Während ausländische Flachstahlerzeuger in ihren vor 40 Jahren in Deutschland erfundenen Kleinwalzwerken („Mini Mills“, Bild 2) nahe am Kunden mit einem Drittel Energie und doppelt hoher Produktivität operieren, produzieren deutsche wie zu Großvaters Zeiten. Feinfühlige Reaktion auf kleine Bestelllose immer komplexerer Stähle wird in den mammutösen Wirtschaftswunder-Anlagen mit Beständen und schwacher Lieferleistung erkauft. Die auf Massenfertigung ausgelegten Strukturen von damals sollen die Anforderungen der heutigen Märkte erfüllen und die nicht wettbewerbsfähigen Fixkosten verstecken. Aber es nützt nichts, zurückzuschauen. Schon gar nicht im Zorn.
Bild 3. Elektrolyseur von Shell
Wie sieht also die nahe Zukunft aus? Zornig wird man beim Blick nach vorn. Der Baustein alles Lebens, der Kohlenstoff, ist unisono zum Feind erklärt. Um ihn zu besiegen, braucht es die Transformation. Wasserstoff statt Kohlenstoff heißt die Zauberformel. Allein es fehlt der Zauberstab – mehr als 100 TWh Strom. 20.000 Windräder und mehr müssen Hoffmann´sche Wasserzersetzungsapparate -modern Elektrolyseure genannt- unter Strom setzen. Ist es windstill, helfen nichtexistente Gaskraftwerke aus und verfeuern dabei annähernd zwei Millionen Kubikmeter Erdgas pro Stunde. Wirklich große 100MW-Elektrolyseure (Bild 3), von denen es eine Handvoll weltweit gibt, erzeugen 15.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Wir brauchen aber nahe zwei Millionen Tonnen, um in von niemandem bisher mit Wasserstoff betriebenen Reaktoren (Bild 4) für zwei Milliarden Euro das Stück aus qualitativ hoch anspruchsvollem Eisenerz „grünen“ Eisenschwamm zu machen. Vom Erz weiß im Übrigen auch niemand so recht, wo es herzubekommen ist. Als Brückentechnologie soll in den Reaktoren Erdgas zum Einsatz kommen. Eine Tonne Eisenschwamm braucht rund 250 Kubikmeter Gas. Jetzt kann man´s ausrechnen. Bis zu 10% des deutschen Gasverbrauchs geht dann in Richtung Flachstahl. Spätestens hier versteht der energiewirtschaftlich mittlerweile gebildete Leser, dass die Transformation tot ist. Europas einziger Eisenschwammreaktor aus Korf´schen Hamburger Zeiten in den 70igern des letzten Jahrhunderts ist wegen der Gaspreise stillgelegt. Ein zweiter, fünfmal größerer, ist gerade beschlossene Sache. Ohne mein Steuergeld geht da nichts.
Ist in Deutschland im dritten Fünfjahresplan bis 2035 alles aufgebaut, ist die Volkswirtschaft wenigstens 150 Milliarden Euro ärmer. Rechnen wird sich das nie. Der Return on Investment ist unendlich. Keine Tonne Stahl wird mehr oder zu geringeren Kosten oder als besseres Produkt erzeugt. Transformation geglückt, Patient tot. Denn zur Bezahlung allein der Stromrechnung der Elektrolyseure reicht der heutige Umsatz der Flachstahlerzeuger kaum aus. Wahnsinn pur.
Statt sie zu transformieren, sollten wir die Flachstahlindustrie einfach nur reformieren. Zu einer hochintegrierten Recyclingindustrie. Die politische Illusion der Klimaneutralität dient dabei als Vehikel zur grundlegenden Modernisierung. Reaktionsschnelle und hochproduktive Zwei-Millionen-Tonnen Mini Mills produzieren aus der Schmelzwärme von Elektroöfen und im Wesentlichen mit Schrotten gefüttert („gattiert“) energie- und rohstoffeffizient ausgesuchte Flachstähle allein für Hochtechnologie-Anwendungen. Statt 30 Millionen Tonnen vielleicht die Hälfte. Die Basisversorgung mit Kann-Jeder-Produkten („Commodities“) hat ohnehin längst der Stahlhandel übernommen. Der kauft gern, gut und günstig am liebsten außerhalb der EU ein – wenn er denn dürfte.
Entwicklungszyklen für energieoptimale Verfahren werden gestrafft, neue Techniken zur Aufbereitung von Schrotten eingeführt, Produkte entkompliziert und auf zirkulären Werkstofffluss ausgelegt. Jede Tonne Legierungs- und Korrosionsschutzmetall auf und in Stahlschrott wird genutzt, statt, wie bisher verschlackt oder als Staub verklappt, anschließend exportiert zu werden. Weniger Schlacken, Stäube und thermische Verluste im Abgas entlasten die Umwelt und die Bilanz der Stahlerzeuger. Zirkuläre Metallwirtschaft regelt mit Hilfe künstlicher Intelligenz geringste Kapitalbindung. Stahl wird nicht „green“, aber „clean“.
Eine neue Sau durchs Dorf? Keineswegs. Alles erprobte Techniken, die wir uns in USA, China und auch Indien und von den Aluminium- und Kupferproduzenten in Deutschland zeigen lassen können. Zu wenig Schrott? Dann exportieren wir nicht jedes Jahr 8 Mio. Tonnen und führen eben statt 4 Mio. Tonnen mehr Schrott ein. Beispiel sind die Türken mit 20 Mio. Tonnen Schrottimport.
Zu viele technische Aufgaben in zu kurzer Zeit, Kapitalmangel, Träume ewig Morgiger, Technologiedistanz der Gesellschaft, fachfremde Entscheider, Apparatschiks in den Aufsichtsräten, fehlender Aufbruchswille der Behörden, mangelndes unternehmeri- sches Vertrauen in die Zukunft, wackelige Energieversorgung, schwache Informationstechnik-Struktur und -nicht zuletzt- der Mangel an industriefähig sozialisierten Ingenieuren mit Tatkraft und Entscheidungsfreude dürfen die Aufgabe nicht scheitern lassen.
Geben wir deshalb den Fachleuten und den Spezialisten den notwendigen technologie- offenen Freiraum und endlich wieder die Kompetenz. Setzen wir klare und mutige Randbedingungen und erfüllbare Ziele und lassen „Experten“ außen vor. Machen wir uns gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern klar, dass nur die Leistung der Männer auf Hüttenflur und der Genius der Ingenieure ein gesichertes Dasein schafft. Und weisen wir Hochschullehrer auf den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Pensionserwartung hin. Dann sind sie näher am Problem.
Ich sehe den Niedergang meiner Industrie, für die ich ein langes Berufsleben hart gearbeitet habe, mit großer Wehmut. Starke Strategen, wirtschaftliche Konzepte und konzertierte Arbeit über Unternehmenszäune hinweg und ohne Politik und Compliance- gedöns könnten liefern. Ein Tummelfeld für starke Verbände. Die Lösungen braucht man nicht zu suchen. Sie liegen auf der Hand. Aber sicher nicht in der VEB Stahl AG.
Dann strahlen die Augen eines alten weißen Hüttenmanns wieder.
Ich wage es kaum zu schreiben. So schaffen wir das!
Bild 1: Feinblechcoils Quelle: thyssenkrupp Steel, D
Bild 2: Zwei Millionen Tonnen Mini Mill Quelle: Arvedi, I
Bild 3: Kleiner 10MW-Elektrolyseur Quelle: Shell, D
Bild 4: Weltgrößter Eisenschwamm-Reaktor Quelle: Nucor, USA
Ingenieurbüro
Dr. Pillkahn & Partner
Effizienztechnologien × Wertschöpfungsketten × Unternehmensstrukturen