Winter 2023/24 in Deutschland – wie lange hält die frühe Kälte?

Wie 2022 startet der Winter kalt – aber viele Anzeichen deuten eher auf einen relativ milden Verlauf

Stefan Kämpfe

Winter (Dez. bis Feb.) und werden im März 2024 kritisch auf ihr Zutreffen geprüft.

Eine wichtige Klarstellung vorab

Milde Vorzeichen und Modelle überwiegen“ – so lautet diesmal die Quintessenz vor der meteorologisch interessantesten Jahreszeit, dem Winter.

Ein wenig beachteter Vulkanausbruch und seine möglichen Folgen

Die Bauernregeln

Am 11. November traten in weiten Teilen Deutschlands Regenfälle bei oft trübem Himmel auf. „Elisabeth (19.11., diesmal sehr mild, windig, wechselhaft, Schauer) sagt an, was der Winter für ein Mann“. „Wie’s Wetter an Kathrein (25.11., diesmal relativ kalt, wechselhaft, gebietsweise Schnee- und Regenfälle) so wird es auch im Januar sein.“ Solche Regeln haben nur einen sehr groben Wahrheitswert. Wegen der Kalenderreform von 1583 (Wechsel vom Julianischen zum Gregorianischen Kalender) haben sich viele Lostage und Betrachtungszeiträume um etwa 10 Tage nach hinten verschoben, was oft in den Regeln nicht berücksichtigt wurde. Insgesamt lassen die Bauernregeln und die Vorzeichen in der Natur also überwiegend eine milde Winterwitterung erwarten.

Beeinflusst die Sonnenaktivität die Wintertemperaturen?

Dreizehn der zwanzig kältesten Winter nach 1945 in Deutschland traten in der Nähe des SCHWABE-Sonnenminimums auf, nur sieben in der Nähe des Maximums. Hier zeigt sich schon eine gewisse Verzögerung, mit der die Wintertemperaturen der solaren Aktivität folgen.

Insgesamt lässt die Sonnenaktivität 2023 einen normalen bis zu milden Winter erwarten.

Die Zirkulationsverhältnisse: Zumindest anfangs Winter?

diesem Jahr eine Rolle spielt, ist fraglich. Die seit 2018 gehäuften Zirkulationsstörungen, welche aber 2023 die Westdrift weniger lange schwächten als in den Vorjahren, machen gewisse Hoffnungen auf zeitweise winterliches Wetter. Westwetterlagen sind jedenfalls bis weit in den Dezember hinein erst einmal unwahrscheinlich. Wegen der aktuellen Ostwind-Phase der QBO (Erklärung siehe später), muss eine anfangs kältere Winterwitterung in Betracht gezogen werden.

Eine Besonderheit der Spätherbst-Witterung in Europa: Die frühe und dann anhaltende Kälte in Nord- und Mittelskandinavien

Die mittelfristigen Modelle: Kalte erste Dezemberhälfte?

Die verbesserte Kurzfrist- Vorhersagegüte (etwa 1 bis 4 Tage im Voraus) resultierte aus der Entwicklung und Verfeinerung numerischer Modelle, basierend auf Gleichungen der Thermodynamik, in Verbindung mit immer schnelleren Computern sowie mehr und besseren Mess- oder Beobachtungsdaten per Satelliten und Automaten. Für längerfristige Vorhersagen dienen sogenannte Ensemble-Modelle, bei denen man die Ergebnisse mehrerer Modell-Läufe (gerechnet mit leicht variierten Anfangsparametern) mittelt. Sie liefern keine detaillierten Vorhersagen, doch gute Abschätzungen der Luftdruckverhältnisse für etwa eine Woche im Voraus und vage für bis zu 15 Tagen. Die Ensemble- Vorhersagekarte des NOAA (USA-Wetterdienst) vom 25.11. für den 10.12.2023 (noch sehr unsicher) zeigt ein Zentraltief westlich von Island mit südwestlichem Bodenwind über Deutschland, was tendenziell eher normales bis zu mildes Winterwetter bedeuten würde (Quelle: NOAA).

Allerdings zeigen die einzelnen Modell-Läufe des GFS, es gibt deren je mehr als 30 für jeden Startzeitpunkt, naturgemäß mit wachsender zeitlicher Entfernung noch merkliche Unterschiede – sowohl eine Milderung als auch eine Fortsetzung des Winterwetters scheinen möglich – hier zwei gegensätzliche Beispiele (Quellen):

Die aktuelle Tendenz der Wintertemperaturen in Deutschland

Trends erlauben nie Rückschlüsse auf den Einzelfall und keine Extrapolation in die Zukunft. Die Wintertemperaturen entwickelten sich in den letzten gut 30 Jahren in Deutschland und in Zentralengland (Midlands) folgendermaßen:

Trotz der sehr milden Winter 2013/14, 2015/16, 2018/19, 2019/20, 2021/22 und 2022/23 sowie stark steigender CO₂-Konzentration (grüne Linie) stieg das Wintermittel seit 36 Jahren im Gegensatz zum Sommer oder Herbst nur wenig und in Zentralengland fast nicht, weil offenbar in unseren nördlichen Breiten die winterlichen Erwärmungsmöglichkeiten ausgereizt sind. Und die Daten sind nicht wärmeinselbereinigt. Einen sogar kaum steigenden (nicht signifikanten) Trend zeigt die wärmeinselarme Station Amtsberg/Erzgebirge:

Mit einer Wärmeinselbereinigung, welche aber schwierig ist, hätten sich die Winter in West-und Mitteleuropa seit den späten 1980er Jahren also sogar nicht mehr erwärmt.

Die Nordatlantische Oszillation (NAO), die PDO, die AMO, die QBO und der Polarwirbel – berechtigte Hoffnungen auf Winterwetter?

(Quelle):

. Und die sogenannte QBO (Windverhältnisse in der Stratosphäre der Tropen, die etwa alle 2,2 Jahre zwischen West und Ost pendeln), wechselte 2023 fast in allen Schichten zur Ostwind-Phase, was eher für eine Schwächung der milden Westlagen spricht.

Polarwirbel, NAO, PDO, QBO und AMO lassen uns also durchaus Hoffnung auf Kälte.

Verursacht das angeblich verschwindende Arktische Meereis kältere Winter? Für die relativ kalten Winter 2009/10 und 2012/13 wurde das schwindende arktische Meereis, speziell im September, verantwortlich gemacht. Mit etwa 4,37 Millionen Km² gab es im Septembermittel 2023 eine etwas größere Eisfläche, als zum bisherigen Negativ-Rekordmittel von 3,57 Millionen Km² im Sept. 2012 (Daten: NSIDC, National Snow and Ice Data Center der USA). Der Eisrückgang scheint also vorerst gebremst zu sein. Bei AMO- und PDO-Warmphasen wird mehr Wärme in die Arktis eingetragen. Die minimale Eisausdehnung und die geringere Westlagenhäufigkeit der 2000er Jahre „passen“ gut zum AMO-Maximum. Genaueres Zahlenmaterial zur Eisausdehnung liegt leider erst seit 1979 vor (Einführung der flächendeckenden, satellitengestützten Überwachung). Zumindest in diesem relativ kurzen Zeitraum von gut 40 Jahren bestand ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der AMO und der Fläche des winterlichen Arktis-Meereises:

9. Analogfälle (ähnliche Witterung wie 2023)

Das Witterungsverhalten im September/Oktober 2023 (Sept. viel zu warm und zu trocken, Oktober sehr mild und zu nass) deutet ebenfalls auf einen eher milden Winter hin (Vergleichsfall 1982).

2022 erreicht oder überschreitet:

Insgesamt liefern diesmal fast alle Analogfälle wichtige Anhaltspunkte für eine milde Winterwitterung.

Die Wirbelsturm-Aktivität im Nordatlantik und im nördlichen Indik

Die Wirbelsturm-Aktivität gibt auch diesmal keine eindeutigen Winter-Hinweise.

Die Langfrist- Vorhersagen einiger Institute, Wetterdienste und Privatpersonen:

UKMO-Metoffice (Großbritannien): Stand 11.11.2023 Winter (D, J, F) mit erhöhter Wahrscheinlichkeit in ganz Deutschland zu mild (folgende Karte):

Anmerkung: Hier wird nur die Metoffice-Karte mit der Wahrscheinlichkeit des Abweichens vom Median gezeigt. Es gibt zwei weitere. Diese Median-bezogene Wahrscheinlichkeitsaussage zeigt wie die anderen Karten auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für über dem Median liegende Wintertemperaturen besonders über der südlichen Arktis, Teilen des Nordatlantiks sowie im Mittelmeer- und Ostseeraum:

Die aktuellen Karten jederzeit hier

hier).

LARS THIEME (langfristwetter.com) Vorhersage vom 5. November 2023. Alle Wintermonate sollen, hier bezogen auf den Normalwert 1981 bis 2010, zu mild ausfallen, der Januar und Februar sogar sehr mild. Siehe folgende zwei Tabellen (Quelle):

IRI (folgende Abbildung), Vorhersage vom Nov. 2023: Besonders in Norddeutschland leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit für übernormale Wintertemperaturen:

DWD (Offenbach): In Deutschland etwa 0,2 bis 1°C zu mild, die höheren Werte in Süddeutschland, bezogen auf den Klimamittelwert der Jahre 1990 bis 2019, der ca. knappe 1,4°C beträgt (Stand 4. Nov. 2023):

NASA (US-Weltraumbehörde) Karten vom Oktober 2023: Dezember überall unwesentlich zu mild, Januar in Norddeutschland um 0,5 bis 1K, in Süddeutschland um 1 bis 2K zu mild, Februar besonders in Südostdeutschland um mehr als 2K, sonst um 1bis 2K zu mild:

Alle diese experimentellen, nicht verlässlichen Langfristprognosen deuten also einen mehr oder weniger deutlich zu milden Winter an.

Fazit: Die überwiegende Mehrheit der Signale deutet trotz des Kaltstarts einen normalen bis sehr milden Winter 2023/24 an. Besonders der Dezember verläuft auch diesmal anfangs kälter, und es könnte zu Grenzwetterlagen mit ergiebigen Schneefällen auf der kalten Seite über Teilen Deutschlands kommen. Die Vorhersagen der Wetterdienste und Institute tendieren aber, allerdings bei großer Unsicherheit, in Richtung eines mehr oder weniger milden Winters. Berechtigte Hoffnungen auf Kälte machen nur die seit 2018 besonders massiven Zirkulationsstörungen (häufige Blockierung der Westdrift) sowie ein einzelner, markanter herbstlicher Kälteeinbruch Ende November und das Fehlen der Westwetterlagen zum Auftakt des meteorologischen Winters. Insgesamt fällt der Winter 2023/24 nach momentanem Stand also bei großer Unsicherheit normal bis zu mild aus und wird im Deutschland-Mittel auf +1,0 bis +4,0°C geschätzt (LJM 1991 bis 2020 +1,4°C). In den Kategorien „zu kalt“, „normal“ und „zu mild“ stellen sich die Wahrscheinlichkeiten des Winters 2023/24 seit 1881 folgendermaßen dar:

Aktualisierung voraussichtlich Ende Dezember.

Anhang: Die 26 wärmsten Sommer seit 1881 und ihre Folge-Winter (DWD-Daten, Deutsches Flächenmittel)

Zusammengestellt von Stefan Kämpfe, unabhängiger Klimaforscher, am 25.11. 2023