Illusionen im Cockpit führen zu Katastrophen – auch in der Politik?
von Hans Hofmann-Reinecke
Im Juni 2009 stürzte Air France 447 auf dem Weg von Rio nach Paris in den Atlantik, wobei alle 228 an Bord ihr Leben verloren. Die Crew hatte ihren riesigen Airbus 330 für unzerstörbar gehalten. Könnte es sein, daß die derzeitigen Piloten und Pilotinnen im Cockpit des Flugzeugs „Deutschland“ unter einer ähnlichen Illusion leiden? Oder haben die vielleicht gar keine Fluglizenz?
Keine Nähe zur realen Katastrophe
Manche Entscheidungsträger sind sich nicht dessen bewußt, daß ihre Fehlleistungen ins Verderben führen könnten. Über Jahre agierten sie in einem erprobten System, dessen innere Logik für Stabilität und Sicherheit sorgte, in dem kleinere Abweichungen vom Sollzustand spontan korrigiert wurden. So haben sie nie miterlebt, daß man in die Nähe einer realen Katastrophe gekommen wäre. Sie sagten sich vielleicht, daß dieser Erfolg ein Ergebnis ihrer richtigen Entscheidungen gewesen sei, aber im Grund ihres Herzens halten sie das System für „unkaputtbar“.
Auch moderne Verkehrsflugzeuge sind solche Systeme. In ihr Design sind die Erfahrungen aus unendlich vielen Betriebsstunden eingeflossen und dank Kritik und Anregungen Tausender Piloten und Ingenieure gab es kontinuierliche Verbesserungen. So werden weltweit jährlich zig Millionen problemlose Starts und Landungen absolviert, von Piloten, die nicht alle das Format von Charles Lindbergh oder Neil Armstrong haben. Moderne Airliner sind Wunderwerke von Perfektion und künstlicher Intelligenz, aber es führt in die Katastrophe, wenn man sie für unzerstörbar hält, so wie einst die Titanic.
Eis über dem Äquator
Der Air France Flug 447, ein Airbus 330, war auf dem Weg von Rio nach Paris, als er nachts über dem Atlantik in der Nähe des Äquators in Gewitterwolken geriet, die sich hier auch in großer Höhe bilden können. Das führte zu Turbulenzen und dazu, daß die außen am Rumpf angebrachten Drucksensoren vereisten. Der Autopilot des Flugzeugs erhielt nun falsche Angaben über die Geschwindigkeit, und er tat das, wofür er in solch einem Fall programmiert ist: Er schaltete sich ab und übergab die Kontrolle an den „echten“ Piloten.
Nachts und in Wolken gibt es keinerlei visuelle Anhaltspunkte, die einem verraten, wo oben und unten ist, und auch das normale Körpergefühl läßt einen im Stich. Der Pilot, der jetzt sie Kontrolle übernimmt, weiß in diesem Moment nur, daß irgend etwas kaputt ist, dass er jetzt steuern und das Flugzeug in der Luft halten muß, ohne zu wissen, wie schnell es fliegt. Das ist zwar eine Situation, die im Simulator regelmäßig trainiert wird, aber es ist eine andere Sache, wenn es hoch am Himmel passiert und wenn das Leben von ein paar hundert Menschen auf dem Spiel steht.
War der Pilot seiner Aufgabe gewachsen?
Eine Ewigkeit, in der niemand eingriff
Die Leistung der anfangs zwei und dann drei Piloten im Cockpit des Airbus ist später an Hand der vom Meeresgrund geborgenen black boxes minutiös rekonstruiert worden.
Fakt ist, dass der „Pilot Flying“, der Pilot am Steuer, in einer ersten Reaktion die Nase des Flugzeugs so hoch nahm, dass die Strömung über die Tragflächen abriß, dass es zu einem „Stall“ kam, durch den das Flugzeug aufhörte zu fliegen und Richtung Ozean fiel. Das war natürlich ein schwerer Fehler – das Erstaunliche ist aber, dass weder der andere Pilot im Cockpit, der „Pilot Monitoring“, noch der Kapitän, der eine Minute später dazu kam, dagegen etwas unternahmen. Es gab zwar Kommentare und Ratschläge, aber niemand griff körperlich in die Kontrollen ein, um die Nase des Flugzeugs nach unten zu drücken und den Stall zu beenden. Wie konnte das sein? Immerhin ging es hier um Leben und Tod, man war nicht im Flugsimulator.
Das Flugzeug fiel nun aus rund elf Kilometer Höhe weiter Richtung Ozean. Der Fall dauerte über drei Minuten. Das ist eine Ewigkeit, in der das Flugzeug hätte abgefangen und gerettet werden können. Aber keiner der beiden anderen Piloten griff beherzt ein, sie verhielten sich eher wie Zuschauer, sie konnten nicht glauben, dass das die Wirklichkeit war, denn sie hatten noch nie so etwas erlebt. Im Grunde ihres Herzens hielten sie ihren Airbus 330 für unzerstörbar – too big to fail.
Ein Ziel in den Wolken
Das Flugzeug namens Bundesrepublik war viele Jahre recht gut auf Autopilot unterwegs. Natürlich gab es hin und wieder Turbulenzen, in denen ein echter Pilot eingreifen mußte, aber es kam nie zu einem Notfall. Seit einiger Zeit aber – und zwar schon seit länger als drei Minuten – sitzen Personen im Cockpit, die entweder mutwillig oder aus Unkenntnis der Zusammenhänge in den Flug eingreifen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.
Da werden gerade mal ein paar Triebwerke abgestellt, die Flughöhe ändert sich nach belieben und das Ziel ist irgendwo in den Wolken. Ja, daß es Inkompetenz an den Schalthebeln der Macht gibt, das kam schon immer mal vor. Aber warum läßt man sie derzeit so lange gewähren? Warum greift niemand ein? Wann machen wir die längst überfällige Zwischenlandung um die Crew auszutauschen? Das „May-Day“ ist doch überdeutlich zu hören.
Auch das hier ist keine Video-Spiel, auch hier er geht um Leben und Tod. Und wir wollen doch nicht, daß eines Tages dieselben letzten Worte aus dem Cockpit des Flugzeugs mit dem Namen „Deutschland“ zu hören sein werden, wie bei dem tragischen Unglück von AF447.
Der Cockpit Voice Recorder hat sie aufgezeichnet :
„Putain… on va taper. C’est pas vrai!“ (Sch…, wir crashen. Das kann nicht wahr sein!)
Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors ThinkAgain. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.