Atomkraft – Das Tabu, Brauchen wir Kernkraftwerke? Eine Rezension

von Horst-Joachim Lüdecke

Der Autor des Buchs „Atomkraft – Das Tabu, Brauchen wir Kernkraftwerke?“, Prof. Martin Schlumpf, ist Musiker und Komponist. Sein Buch beschäftigt sich mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie (Kernkraftwerke) – mit besonderer Betonung der Schweizer Verhältnisse. Es enthält Beiträge – im Buch als Exkurse bezeichnet – von Simon Aergerter, Johannis Nöggerath, Alex Reichmuth, Hans Rentsch, Walter Ruegg und Markus Sauer, welche die Berufe von Mathematiker, Physiker (hier insbesondere mit den Ausrichtungen Kernphysik, Strahlenbiologie, Werkstoff-Physik) bis hin zur Ökonomie abdecken.

Damit ist das Buch schon einmal ein fundamentaler Kontrast zur deutschen Ethikkommission, die keinen einzigen Kernenergie-Fachmann aufwies, sondern nur ein Sammelsurium von komplett fachfremden Leuten. Sogar ein Philosoph und zwei hochrangige Kirchenvertreter waren darunter (hier).

Der Autor der vorliegenden Rezension, Prof. Dr. Horst-Joachim Lüdecke, ist Physiker und hat in Kernphysik vor mehr als 50 Jahren promoviert, als die Nutzung der Kernkraft in Deutschland dabei war richtig Schwung aufzunehmen. Seine Industrietätigkeit und spätere Professur an der HTW Saarbrücken hatte mit Kernenergie dann nichts mehr zu tun. Dennoch ist er Koautor seines Fachkollegen Dr. Ruprecht, dem Miterfinder des Dual Fluid Reaktors DFR (hier), in dem vor 5 Jahren herausgebrachten Sachbuch „Kernenergie, der Weg in die Zukunft“. Beide Bücher, das Buch von Martin Schlumpf in der Schweiz und unseres in Deutschland haben gemein, dass in beiden Ländern große etablierte Verlage anscheinend nicht den Mut aufbringen, neutrale Sachbücher über die Kernkraft in ihre Verlagsprogramme aufzunehmen. Nicht dem grün-roten Mainstream folgend und kühl die Realität schildernd war es in der Schweiz der mutige Verlag Königstuhl (hier), im deutschen Fall der Tvrbuchshop des Verlegers Dr. Holger Thuß. Dass es Fakten über die zivile Nutzung der Kernkraft in weiten Teilen der deutschen wie der Schweizer Bevölkerung bislang schwer hatten, ist bei einer Propaganda von DDR-Qualitäten gegen die Kernkraft verständlich.

Inzwischen scheint sich die Situation zu entspannen. Die Energieknappheit durch jahrzehntelangen Rückbau, Verhinderung und Abschaltung von fossilen Kraftwerken und insbesondere von Kernkraftwerken, aber insbesondere ein für sichere Stromversorgung völlig ungeeigneter und extrem naturschädigender Ausbau von Wind- und Sonnenenergie haben das Blatt gewendet. In der deutschen Bevölkerung hat eine neue Akzeptanz der Kernenergie eingesetzt. Selbst die aktuelle Regierungs-Ampel hat die Realität vermutlich inzwischen zur Kenntnis genommen. Sie kann aber das unbedingt notwendige und langfristig vorausplanende Umschalten nicht vornehmen, weil sich die grüne und rote Wählerklientel immer noch im viele Jahrzehnte erfolgreichen Propaganda-Modus gegen die Kernkraft befindet und nicht so einfach aus dieser Nummer wieder herauskommt.

Es ist zu hoffen, dass sich dies nun nachhaltig ändert – die Welt macht es uns schließlich vor -, wobei das Buch von Martin Schlumpf im gesamten deutschsprachlichen Raum – zumindest aber in der Schweiz – einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Die dunklen Zeiten, in denen sich z.B. der deutsche Ravensburger Verlag nicht zu schade war, das Machwerk „die Wolke“ zu drucken, welches sich in fast ans Kriminelle reichenden Faktenverdrehungen und Angstmacherei über die Kernenergienutzung austobt, scheinen sich dem Ende zuzuneigen. Das immer noch gültige Faktum „Über kein Thema wird in Deutschland so gelogen wie über die Nutzung der Kernenergie“ wird hoffentlich nach und nach einer der Zukunft und Realität zugewandten Berichterstattung über die Wahrheit weichen.

Der Inhalt des Buchs von Martin Schlumpf

Aus den sieben Geleitworten des Buchs von Dr. Eduard Kiener (ehem. Direktor des Bundesamts für Energie), Hans-Ulrich Bigler (Präsident Nulearforum und Vorstandsmitglied Nucleareurope), Dr. Irene Aegerter (Physikerin), Didier Sornette (Prof. em. on the Chair of Entrepreneurial Risks at ETH Zürich), Dr. Matthias Horvath (Präsident der Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute), Vanessa Meury (Präsidentin Energie-Club Schweiz) und schließlich Markus Somm (Chefredakeur Nebelspalter.ch) ist nachfolgend das der Physikerin Dr. Irene Aegerter herausgegriffen, weil insbesondere Frauen für die grüne Angstmache anfällig zu sein scheinen und eine weibliche Fachkraft hier am besten für die Vermittelung der Fakten sorgen kann:

„Als Gründungspräsidentin der Women in Nuclear (WiN), die nun schon 30 Jahre alt ist und immer noch wächst und in über 100 Ländern mit über 35.000 Mitgliedern aktiv ist, freut es mich, dass Martin Schlumpf mit seinem Buch den deutschsprachigen Lesern zeigt, dass nur mit Kernenergie der Ersatz der Fossilen Energien erreicht werden kann. Für WiN stand immer der Dialog – vor allem mit Frauen, aber nicht nur – über alle Aspekte der Stromversorgung im Vordergrund: Technische, wirtschaftliche, sicherheitsrelevante aber auch emotionale Themen und vor allen die Ängste vor Radioaktivität und Kernenergie werden angesprochen. Wir versuchen die Menschen zu informieren, etwas, was Martin Schlumpf mit seinen eingängigen Grafiken auch macht. Ich wünsche dem Buch den nötigen Erfolg, damit man auch im deutschsprachigen Raum einsieht, dass Sonne und Wind Kernenergie nicht ersetzen können.“

Nach Beurteilung des Autors der vorliegenden  Rezension werden alle im oben zitierten Inhalt des Buchs angesprochenen Teilthemen gründlich, sachlich korrekt und auch für Laien gut verständlich behandelt. Der Leser erhält ein weitreichendes Gesamtbild über die heutigen Kernkraftwerke und ihre Vorzüge gegenüber anderen Methoden zur Erzeugung elektrischen Stroms. Daher hier keine Buchkritik, sondern nur 6 Anregungen für die nächste Auflage des Buchs:

  1. Kern oder Atom? Im Titel benutzt das Buch den Begriff „Atom“, weiter im Buch wird es dann uneinheitlich. Ein Atom hat eine Elektronenhülle, der Kern besteht aus Nukleonen (Protonen und Neutronen). Fossile Verbrennung betrifft ausschließlich die  Atomhülle, Kernenergie dagegen ausschließlich den Atomkern. Man sollte daher nicht über das Stöckchen der Grünen springen, die bewusst von „Atom“kraftwerken reden, um die Gefährlichkeit einer Atombombe perfide mit Kernkraftwerken gedanklich zu assoziieren. Ein Kernkraftwerk kann aus prinzipiellen physikalischen Gründen niemals explodieren wie eine Atombombe (auch hier ist der Begriff Atom eigentlich falsch). Es sollte stets Kernkraftwerke und Kernkraft lauten, der Begriff Atom sollte hier nicht mehr verwendet werden. Im Buchtitel ist dies wohl nicht mehr zu ändern, im Buchtext aber schon.
  2. Die Windenergie sollte gegenüber der Fotovoltaik stärker thematisiert werden, ist doch ihr Naturschaden ungleich höher.
  3. Eines der wichtigsten Themen – welche Stromerzeugungsmethode verursacht die geringste Anzahl von Opfern pro TWh – könnte gründlicher behandelt werden. Die Grafik auf S. 66 ist schwer lesbar, und die Gegenüberstellung mit CO2-Emssionen unklar, denn CO2 ist ein Inertgas, das nicht tödlich ist. Es gibt dagegen folgende Veröffentlichungen, die sehr genau und komplett das Thema abdecken, wie die Kernenergie in Sachen Gefährlichkeit im Vergleich mit anderen Methoden der Stromversorgung einzuordnen ist. Diese sollten in einer Neuauflage berücksichtigt werden, insbesondere in einem Schweizer Buch sollte der extrem sorgfältige und umfangreiche Bericht des Paul Scherrer-Instituts nicht fehlen:

A) Severe accidents in the energy sector. Paul Scherrer Institut, Bericht Nr. 98, 16.11.1998, https://www.psi.ch/sites/default/files/import/ta/PublicationTab/Hirschberg_1998_ENSAD.pdf

B) Markandya, A., Wilkinsen, P., 2007, Electricity generation and health. Lancet, 370.,  https://philippelefevre.com/downloads/Electricity_generation_and_health_(Lancet_2007_Markandya).pdf

C) P. Preiss, P., Wissel, S., Fahl, U., Friedrich, R., Voß, A., et al., 2013. Die Risiken der Kernenergie in Deutschland im Vergleich mit Risiken anderer Stromerzeugungs-Technologien, https://www.ier.uni-stuttgart.de/publikationen/arbeitsberichte/downloads/Arbeitsbericht_11.pdf

D) Youtube von Prof. Andreaus Pautz https://www.youtube.com/watch?v=O6UOG8AbTxA  ,ferner  https://www.energiestudiengruppe.ch/vortragsunterlagen/

E) Wie viele Opfer forderte Tschernobyl wirklich? ZEIT Online, Hartmut Wewetzer, 21.April 2011, https://www.zeit.de/wissen/2011-04/tschernobyl-gesundheitsfolgen-bericht

  1. Die zu kurze Übersicht mit der Überschrift „Genügend Uran für mindestens 250 Jahre“ auf S. 45 des Buchs sollte besser durch eine vollständigere Übersicht über Uranreserven und Uranressourcen ersetzt werden. Dazu die Analyse aus unserem Buch „Kernenergie, der Weg in die Zukunft“ im Wortlaut – kann gerne von uns übernommen werden – zitieren natürlich vorausgesetzt.

… Vergleichen wir die Zahlen des Uranverbrauchs jetzt einmal mit den Vorkommen. Der Verbrauch eines Menschen bei hypothetischer Vollversorgung mit Uranstrom und dem heutigen Prozedere des Betriebs und der Brennstoffbehandlung beträgt, wie erwähnt, 15 kg Natururan in 80 Jahren, also ca. 0,2 kg/Jahr. Geht man von heutigen Uranpreisen von ca. 100 € pro Kilogramm aus, so kann man bei den aktuellen Vorkommen noch 5,4 Millionen Tonnen kostendeckend fördern. Dies entspricht dann ca. 28 Mrd. Personenjahren. Eine voll nukleare Stromversorgung von 7 Mrd. Menschen könnte damit gerade einmal 4 Jahre durchgeführt werden. Tatsächlich ist der weltweite Durchschnittsverbrauch an Elektrizität nur ein Viertel von dem in Deutschland, und nur 16% sind nuklear erzeugt, so dass bei einem „Business as usual“ die Vorräte 100 Jahre halten würden. Diese Zeitspanne, irgendetwas zwischen 4 und 100 Jahren, ist von Kernkraftgegnern oft als Argument der ohnehin zwangsweisen Aufgabe der Kernenergienutzung infolge Brennstofferschöpfung zu hören.

Könnte man jedoch die restlichen 99% des Urans nutzen, die bei den heutigen Reaktoren wie oben gezeigt nichts mit der Stromerzeugung des Reaktors zu tun haben, so würde sich die Brennstoffreichweite auf 10.000 Jahre erhöhen. Auch arbeiten heutige Reaktoren bei relativ niedrigen Temperaturen und haben deshalb nur einen elektrischen Wirkungsgrad von 35%. Moderne Gaskraftwerke erreichen da bereits 60%, und es gibt kein physikalisches Prinzip, das eine Steigerung des Wirkungsgrads auch bei Kernkraftwerken verbietet. Eine weitere Verdopplung der Reichweite ist also nicht unrealistisch. Man sieht also, dass die Ausnutzung des Urans eine wesentliche Rolle spielt. Dass thermische Reaktoren nur weniger als 1% nutzen, ist prinzipbedingt und kann sich bei diesen Reaktortypen kaum steigern lassen. Bei zukünftigen Kernkraftwerken, die es als Prototypen zum größten Teil bereits gibt oder sogar gab, sieht die Situation dagegen ganz anders aus. Die meisten von ihnen arbeiten mit einem schnellen Neutronenspektrum und können somit das gesamte Uran nutzen. Einige von ihnen haben auch eine höhere Betriebstemperatur und können somit den Wirkungsgrad erheblich steigern. Schon mit diesen Prototypen würde sich die Reichweite des Urans auf 20.000 Jahre erhöhen, wenn man von einer Wirkungsgradverdoppelung ausgeht. Bei einer derart effektiven Nutzung spielen die Brennstoffkosten nur noch eine untergeordnete Rolle. Man kann dann Uran auch aus Meerwasser extrahieren], was die Förderkosten nur etwa verdreifacht, aber vieltausendfach größere Ressourcen erschließt.

Die Brennstoffreichweite würde sich dabei auf Hunderte Millionen Jahre erhöhen!

Als Argument gegen Kernkraft sind die zu geringen Uranvorkommen daher nicht geeignet. Wir haben nämlich gesehen, dass die Brennstoffreichweite vom Verbrauchs-Szenario und von den Reaktortypen abhängt. Die Argumentation bei solchen Diskussionen wird dabei sogar oft noch auf den Kopf gestellt: Kernkraftgegner führen „wenige Jahre“ an, nehmen dabei aber ein nukleares Vollversorgungsszenario an, das sie selber gar nicht wollen. Befürworter zitieren gerne die „100 Jahre“, nehmen dabei aber implizit das heutige Szenario mit nur magerem nuklearem Ausbau an, den sie ja gerne erhöhen wollen. Dabei ist hier alles sehr einfach: Das zentrale Problem ist die viel zu schlechte Ressourcennutzung heutiger Reaktortypen. Es ist ein Problem, nach dessen Lösung man nicht mehr zu suchen braucht. Diese Lösungen existieren nämlich bereits seit längerer Zeit als real laufende Prototypen und Demonstrationsanlagen.

  1. Etwas mehr Zitate aus der Fachliteratur können nicht schaden.
  2. Die Abbildungen im Buch könnten noch als Abb.xx durchnumeriert werden.

Wir wünschen dem Buch von Martin Schlumpf den besten Erfolg!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beide Bücher stellen die Fakten einwandfrei und allgemeinverständlich dar. Das Schweizer Buch