Winter 2022/23 – der Scharfrichter unserer Energieprobleme?

Viele Unklarheiten – aber zumindest im Frühwinter zeitweise Kälte

Stefan Kämpfe

Winter (Dez. bis Feb.) und werden im März 2023 kritisch auf ihr Zutreffen geprüft.

Eine wichtige Klarstellung vorab

Ein wenig beachteter Vulkanausbruch und seine möglichen Folgen

Die Bauernregeln

Am 19./20. November traten in Teilen Deutschlands die bislang stärksten Fröste dieses Datums seit Aufzeichnungsbeginn auf, was auf weitere winterliche Kälteeinbrüche hindeutet, aber nichts über die Januar-Witterung aussagt. „Elisabeth (19.11., diesmal zu kalt, in der Landesmitte sonnig, sonst gebietsweise Schneefälle) sagt an, was der Winter für ein Mann“. „Wie’s Wetter an Kathrein (25.11., diesmal relativ mild, oft trüb, gebietsweise Regen) so wird es auch im Januar sein.“ Solche Regeln haben nur einen sehr groben Wahrheitswert. Wegen der Kalenderreform von 1583 (Wechsel vom Julianischen zum Gregorianischen Kalender) haben sich viele Lostage und Betrachtungszeiträume um etwa 10 Tage nach hinten verschoben, was oft in den Regeln nicht berücksichtigt wurde. Insgesamt lassen die Bauernregeln und die Vorzeichen in der Natur also überwiegend milde, aber auch ein paar kalte Phasen erwarten.

Beeinflusst die Sonnenaktivität die Wintertemperaturen?

Dreizehn der zwanzig kältesten Winter nach 1945 in Deutschland traten in der Nähe des SCHWABE-Sonnenminimums auf, nur sieben in der Nähe des Maximums. Hier zeigt sich schon eine gewisse Verzögerung, mit der die Wintertemperaturen der solaren Aktivität folgen.

Insgesamt lässt die Sonnenaktivität 2022 einen normalen bis zu milden Winter erwarten.

Die Zirkulationsverhältnisse: Zumindest anfangs Winter?

Für längerfristige Vorhersagen muss man die Zirkulationsverhältnisse vorhersehen können, was kaum möglich ist. Im Herbst 2022 war die Zonalzirkulation im September überwiegend sehr schwach, im Oktober und November etwas kräftiger, aber ebenfalls teils deutlich gestört – eine Folge der oft negativen NAO-Werte. Ob die seit der Jahrtausendwende zu beobachtende leichte Abnahme der Westlagenhäufigkeit in diesem Jahr eine Rolle spielt, ist fraglich. Die seit 2018 gehäuften Zirkulationsstörungen, welche auch 2022 die Westdrift oft lange schwächten oder gar blockierten, machen gewisse Hoffnungen auf zeitweise winterliches Wetter. Westwetterlagen sind jedenfalls bis weit in den Dezember hinein erst einmal unwahrscheinlich. Wegen der aktuellen Westwind-Phase der QBO (Erklärung siehe Punkt 7), muss eine später eher mildere Winterwitterung aber in Betracht gezogen werden.

Die mittelfristigen Modelle: Gemäßigte bis sehr kalte erste Dezemberhälfte?

Die verbesserte Kurzfrist- Vorhersagegüte (etwa 1 bis 4 Tage im Voraus) resultierte aus der Entwicklung und Verfeinerung numerischer Modelle, basierend auf Gleichungen der Thermodynamik, in Verbindung mit immer schnelleren Computern sowie mehr und besseren Mess- oder Beobachtungsdaten per Satelliten und Automaten. Für längerfristige Vorhersagen dienen sogenannte Ensemble-Modelle, bei denen man die Ergebnisse mehrerer Modell-Läufe (gerechnet mit leicht variierten Anfangsparametern) mittelt. Sie liefern keine detaillierten Vorhersagen, doch gute Abschätzungen der Luftdruckverhältnisse für etwa eine Woche im Voraus und vage für bis zu 15 Tagen. Die Ensemble- Vorhersagekarte des NOAA (USA-Wetterdienst) vom 27.11. für den 10.12.2022 (noch sehr unsicher) zeigt eine Tiefdruckzone vom mittleren Nordatlantik bis zum westlichen Mittelmeer und eine Hochdruckzone von Grönland bis Kleinasien mit östlichem Bodenwind über Deutschland, was tendenziell eher normales bis zu kaltes Winterwetter bedeutet (Quelle: NOAA):

(Quellen)

Die aktuelle Tendenz der Wintertemperaturen in Deutschland

Trends erlauben nie Rückschlüsse auf den Einzelfall und keine Extrapolation in die Zukunft. Die Wintertemperaturen entwickelten sich in den letzten gut 30 Jahren in Deutschland und in Zentralengland (Midlands) folgendermaßen:

Trotz der sehr milden Winter 2013/14, 2015/16, 2018/19, 2019/20 und 2021/22 sowie stark steigender CO2-Konzentration (grüne Linie) stieg das Wintermittel seit 35 Jahren im Gegensatz zum Sommer nur wenig und in Zentralengland fast nicht, weil offenbar in unseren nördlichen Breiten die winterlichen Erwärmungsmöglichkeiten ausgereizt sind. Und die Daten sind nicht wärmeinselbereinigt. Einen sogar etwas fallenden (nicht signifikanten) Trend zeigt die wärmeinselarme Station Amtsberg/Erzgebirge:

Mit einer Wärmeinselbereinigung, welche aber schwierig ist, hätten sich die Winter in West-und Mitteleuropa seit den späten 1980er Jahren also sogar wieder geringfügig abgekühlt.

Die Nordatlantische Oszillation (NAO), die PDO, die AMO, die QBO und der Polarwirbel – noch vage Hoffnungen auf Winterwetter?

(Quelle).

. Und die sogenannte QBO (Windverhältnisse in der Stratosphäre der Tropen, die etwa alle 2,2 Jahre zwischen West und Ost pendeln), wechselte 2022 fast in allen Schichten zur Westwind-Phase, was eher für eine Stärkung der milden Westlagen spricht.

Polarwirbel, NAO, PDO, QBO und AMO lassen uns zumindest vage Hoffnung auf Kälte.

Verursacht das angeblich verschwindende Arktische Meereis kältere Winter? Für die relativ kalten Winter 2009/10 und 2012/13 wurde das schwindende arktische Meereis, speziell im September, verantwortlich gemacht. Mit etwa 4,87 Millionen Km² gab es im Septembermittel 2022 eine deutlich größere Eisfläche, als zum bisherigen Negativ-Rekordmittel von 3,57 Millionen Km² (Sept. 2012) und in den Jahren von 2015 bis 2020 (Daten: NSIDC, National Snow and Ice Data Center der USA). Die leichte Erholung der Meereisbedeckung setzte sich also fort. Bei AMO- und PDO-Warmphasen wird mehr Wärme in die Arktis eingetragen. Die minimale Eisausdehnung und die geringere Westlagenhäufigkeit der 2000er Jahre „passen“ gut zum AMO-Maximum. Genaueres Zahlenmaterial zur Eisausdehnung liegt leider erst seit 1979 vor (Einführung der flächendeckenden, satellitengestützten Überwachung). Zumindest in diesem relativ kurzen Zeitraum von gut 40 Jahren bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen der AMO und der Fläche des winterlichen Arktis-Meereises:

2, sondern vermutlich mehr Sonnenschein (siehe folgende Abbildung):

9. Analogfälle (ähnliche Witterung wie 2022)

Das Witterungsverhalten im September/Oktober 2022 (Sept. zu nass und etwas zu kühl, Oktober extrem mild und etwas zu trocken) deutet eher auf einen Wechsel sehr milder und kälterer Phasen im Winter hin und lässt noch alle Witterungsmöglichkeiten offen.

2021 erreicht oder überschreitet:

Die Hurrikan-Aktivität (Nordatlantik) und Zyklonen- Aktivität (nördlicher Indik)

Die Wirbelsturm-Aktivität gibt auch diesmal keine eindeutigen Winter-Hinweise.

Die Langfrist- Vorhersagen einiger Institute, Wetterdienste und Privatpersonen:

UKMO-Metoffice (Großbritannien): Stand 11.11.2022 Winter (D, J, F) mit erhöhter Wahrscheinlichkeit in ganz Deutschland zu mild (folgende Karte):

Anmerkung: Hier wird nur die Metoffice-Karte mit der Wahrscheinlichkeit des Abweichens vom Median gezeigt. Es gibt zwei weitere. Diese Median-bezogene Wahrscheinlichkeitsaussage zeigt, wie die anderen Karten auch, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für über dem Median liegende Wintertemperaturen besonders über der südlichen Arktis, Teilen des Nordatlantiks sowie dem Nord- und Ostseeraum:

.

hier.

LARS THIEME (langfristwetter.com) Vorhersage von Anfang November 2022. Alle Wintermonate sollen, hier bezogen auf den Normalwert 1981 bis 2010, zu mild ausfallen, der Januar und Februar sogar sehr mild. Siehe folgende zwei Tabellen (Quelle):

IRI (folgende Abbildung), Vorhersage vom Nov. 2022: Besonders in Norddeutschland leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit für übernormale Wintertemperaturen:

DWD (Offenbach): In Deutschland etwa 0,5 bis 1°C zu mild, bezogen auf den Klimamittelwert der Jahre 1990 bis 2019, der ca. knappe 1,4°C beträgt (Stand 3. Nov. 2022):

NASA (US-Weltraumbehörde) Karten vom November 2022: Dezember in Nordostdeutschland etwas zu kühl, sonst normal, Januar besonders in Nord-, Februar besonders in Südostdeutschland deutlich zu mild:

hier (Europe T2m, ganz unten in der Menütabelle; E3 ist der aktuellste Eingabezeitraum):

Die Mehrzahl dieser experimentellen, nicht verlässlichen Langfristprognosen deutet also einen eher normalen bis deutlich zu milden Winter an.

Fazit: Äußerst widersprüchliche Signale deuten einen etwas weniger milden Winter 2022/23 an, der das sehr milde Niveau seines Vorgängers also wahrscheinlich verfehlen wird. Besonders der Dezember verläuft diesmal kälter. Die Vorhersagen der Wetterdienste und Institute tendieren aber, allerdings bei großer Unsicherheit, in Richtung eines mehr oder weniger milden Winters. Berechtigte Hoffnungen auf Kälte machen die seit 2018 besonders massiven Zirkulationsstörungen (häufige Blockierung der Westdrift) sowie einzelne, markante herbstliche Kälteeinbrüche und das Fehlen der Westwetterlagen zum Auftakt des meteorologischen Winters. Insgesamt fällt der Winter 2022/23 nach momentanem Stand also bei großer Unsicherheit kälter als sein Vorgänger aus und wird im Deutschland-Mittel auf minus 1,0 bis +3,0°C geschätzt (LJM 1991 bis 2020 +1,4°C). In den Kategorien „zu kalt“, „normal“ und „zu mild“ stellen sich die Wahrscheinlichkeiten des Winters 2022/23 seit 1881 folgendermaßen dar:

Aktualisierung voraussichtlich Ende Dezember.

Anhang: Die 25 wärmsten Sommer seit 1881 und ihre Folge-Winter (DWD-Daten, Deutsches Flächenmittel)

Zusammengestellt von Stefan Kämpfe, unabhängiger Klimaforscher, am 26.11. 2022