Die Welt diskutiert wieder die Kernkraft. Frankreich, England, Polen und viele andere europäischen Länder legen Pläne für neue Kernkraftwerke auf, nur scheint dieser Zug ohne die Deutschen abzufahren. Ganz im Gegenteil: Während Deutschland in eine selbstverschuldete Energiekrise rutscht, nach Aussage unseres Wirtschaftsministers jede Kilowattstunde zählt, werden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet und verschrottet. Was ist die Natur dieser Energiekrise, und wie könnten die deutschen Kernkraftwerke einen Beitrag zur Linderung leisten?

von Dr. Björn Peters

Die Energiekrise ist selbstgemacht

Zur Jahresmitte 2021 zeigten sich Vorboten einer Energiekrise. Erdgas und CO2-Emissionszertifikate hatten sich seit Jahresbeginn stark verteuert. Die Gründe waren gänzlich durch Politik vorgezeichnet. Der Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine sorgte nur für eine weitere Zuspitzung der Energiekrise, die im Februar 2022 schon fast ein Jahr alt war.

Der Auslöser der Energiekrise war schlechte Witterung. In Brasilien war es zu trocken, Wasserkraftwerke lieferten nicht genug Energie, die stattdessen durch Gaskraftwerke bereitgestellt wurde. In Westeuropa war es die Windkraft, die im ersten Halbjahr 2021 bis zu einem Drittel weniger Energie lieferte als in einem Normaljahr (bspw. in Irland). Spötter sagten, die Natur habe beschlossen, aus der Windverstromung auszusteigen.

Wieder mussten Gas- und Kohlekraftwerke einspringen. Die Nachfrage nach fossilen Energieträgern stieg, mit ihnen die Preise für die fossilen Energierohstoffe. Dadurch, dass mehr CO2 freigesetzt wurde, verdoppelten sich in Europa die Preise für Emissionszertifikate bis zur Jahresmitte auf über 50 Euro je Tonne.

In normalen Zeiten hätten die Gas- und Kohleproduzenten ihre Produktion schnell steigern können, doch weil sie durch aktivistische Finanzinvestoren von privaten und öffentlichen Geldquellen weitgehend abgeschnitten wurden, fehlten ihnen die Mittel für schnelle Investitionen. Dies war seit Mitte der Zehnerjahre das erklärte Ziel einer „Defund“-Bewegung, die von der Wallstreet in New York aus die Finanzierung der fossilen Industrie weltweit stark erschwert hatte.

Sehr problematisch war auch die Haltung der deutschen Politik. Sie hatte seit 1998 gefordert, dass Energieverbrauch verteuert werden müsse. Deswegen wurden die Preissteigerungen des Jahres 2021 von Politikern und Zentralbankern sogar begrüßt. Die Ideologie dahinter: Ist fossile Energie teurer, rechnet sich wetterabhängige Energie besser und die Menschen steigen freiwillig um.

Die selbst erzeugte Energiekrise wurde also nicht bekämpft, sondern durch neue Steuern auf fossile Energieträger noch verschärft.

Die Energiewende beruht auf mehreren Denkfehlern

Leider gibt es mehrere Denkfehler in der Energiewendepolitik, die erst zu der heutigen Krise geführt haben.

Die Energiemärkte sind weltweit vernetzt. Änderungen in Deutschland und Europa haben Auswirkungen auf die Energiemärkte der Welt. Was passiert nun, wenn über staatliche Umlagen fossile Energieträger hierzulande verteuert werden? Verteuert sich Energie, verteuern sich mit ihr alle Waren. Deutsche Produkte werden also weniger wettbewerbsfähig. Die Folge: Seit 2005 stagniert die energieintensive Industrie in Deutschland; investiert wurde anderswo, also in Ländern mit geringeren Umweltauflagen und Energieeffizienz. Die gleichen Güter werden heute also mit mehr Energieeinsatz und Emissionen erzeugt als ohne die Energiewende.

Steigen hierzulande die Kosten von fossilen Energieträgern durch staatliche Eingriffe, sinkt der Verbrauch. Dies führt dazu, dass die Energiemengen, die Deutschland nicht braucht aber weltweit ja produziert werden, andernorts zu geringeren Kosten verbraucht werden. Da etwa vier Fünftel der Menschen weltweit in Ländern leben, die sich nicht an Maßnahmen zur Dekarbonisierung beteiligen, verpufft der deutsche Beitrag daher vollständig.

Noch schlimmer: Eigentümer von Öl- und Gasfeldern oder Kohlegruben würden ohne staatliche Eingriffe ihre Energierohstoffe so nutzen, dass auch ihre Kinder und Enkel davon noch leben können. Drängt die Politik auf ein schnelles Verbot der Nutzung dieser Energierohstoffe, müssen die Eigentümer in möglichst kurzer Zeit möglichst viel von ihnen zu Geld machen, bevor das Verbot in Kraft tritt. Auf diese Weise steigt sogar die Produktion von fossilen Energierohstoffen, beispielsweise bei Braunkohleminen in Deutschland.

Halten wir den zentralen Denkfehler der Energiewende fest: Eine systematische Verteuerung von Energieverbrauch hat keinerlei Vorteile für die Umwelt oder fürs Klima. Der Umstieg auf nicht-fossile Energieträger wird erst gelingen, wenn umweltfreundliche Technologien am Markt verfügbar sind, die Energie zu geringeren Kosten und in ähnlichen Mengen wie fossile Energieträger bereitstellen. Solche Technologien würden sich am Markt auch völlig ohne staatliche Eingriffe durchsetzen.

Der Atomausstieg schadet Deutschland und Europa

Vier Fünftel der Energie, die die Menschheit benötigt – heute wie vor fünfzig Jahren – stammen aus fossilen Energieträgern und weniger als fünf Prozent aus wetterabhängigen Energiequellen wie Wind und Sonneneinstrahlung. Sollen die fossilen Energiequellen ersetzt werden, müssten die wetterabhängigen Energiequellen also mehr als verzwanzigfacht werden. Dies wäre nur möglich, wenn gänzlich neue Speichertechniken zur Verfügung ständen, die zu geringen Kosten und Energieverlusten den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage leisten könnten. Da es diese Speichertechniken noch nicht gibt und womöglich physikalisch nicht möglich sind zu bauen, wird es eine erfolgreiche Energiewende nur mit Kernkraft geben.

In Deutschland wird dieser Weg bislang durch den seit zwei Jahrzehnten verfolgten Atomausstieg erschwert. Die Zustimmung zu ihm bröckelt allerdings. Sämtliche aktuelle Umfragen zeigen eine Mehrheit von rund zwei Drittel der Deutschen für Kernkraft, 40% würden gar neue Kernkraftwerke bauen.

Dies wäre sehr hilfreich in der jetzigen Energiekrise. Diese wird durch stark gestiegene Preise für Kohle, Öl, Gas und CO2-Emissionszertifikate angezeigt. Preise sind nach volkswirtschaftlicher Theorie ein Knappheitssignal. Hohe Preise signalisieren Knappheit, niedrige gute Verfügbarkeit eines Guts.

In einer Energiekrise hilft also alles, was das Energieangebot ausweitet, und jede weitere Verknappung von Energie verschärft sie.

Die Bundesregierung hat dies erkannt, wischt ihre Klimaziele beiseite und fährt massiv bestehende und bereits stillgelegte Kohlekraftwerke wieder an, erhöht damit allerdings den CO2-Ausstoß und verknappt CO2-Emissionszertifikate. Der Nebeneffekt: Die europäischen Nachbarn bezahlen diese Politik über gestiegene Preise für Kohle, Gas und CO2-Zertifikate mit, und dies ist ihnen auch zunehmend bewusst.

Dabei gäbe es weitere umweltfreundliche und sogar preisgünstigere Maßnahmen zur Ausweitung des Energieangebots. In der Reihenfolge der zeitlichen Verfügbarkeit sind dies die Weiternutzung der letzten sechs noch betriebsbereiten Kernkraftwerke, die Nutzung heimischer Gasvorkommen, der weitere Ausbau wetterabhängiger Energiequellen und die Entwicklung der dafür notwendigen Speichertechniken sowie der Bau neuer Kernkraftwerke.

Will man Kohle weiter nutzen, könnte eine in Deutschland verbotene Technik zum Einsatz kommen, die Abscheidung von CO2 aus den Abgasen von Kohle- und Gaskraftwerken, die Verdichtung und die Einlagerung in tiefen Gesteinsschichten, wo sich das Kohlendioxid innerhalb von wenigen Monaten fest an das Wirtsgestein bindet.

Der Verzicht auf fast alle dieser Technologien wird die Energiekrise weiter anheizen. Er hat das Potenzial, die deutsche Wirtschaft so stark zu beschädigen, dass viele Unternehmen unwiederbringlich zerstört werden. Eine Beendigung des Atomausstiegs wäre also nicht wünschenswert, sondern eine dringende Notwendigkeit.

Ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ist möglich

Weite Teile der Politik sind sich darüber im Klaren, dass an einer Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke kein Weg vorbeiführt. Allerdings gibt es gerade aus der SPD und von den Grünen etliche Stimmen, die mit fachlich nicht nachvollziehbaren Argumenten eine Laufzeitverlängerung strikt ablehnen.

Dabei würden einfache Änderungen am Atomgesetz ausreichen, damit die Kernkraftwerke über das Jahresende hinaus weiterbetrieben werden könnten. Zumindest sprechen keine technischen oder betrieblichen Gründe dagegen. Der TÜV, der die Kernkraftwerke täglich (!) inspiziert und daher bestens kennt, hat selbst den Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerken bestätigt, noch so sicher zu sein wie vor der Abschaltung. Brennelemente können neu geordert werden, westliche Lieferanten haben sich dazu bereiterklärt. Mitarbeiter können aus der Frühpensionierung zurückgeholt werden. Der Aufwand für technische Maßnahmen, die einen Weiterbetrieb ermöglichen würden, ist begrenzt.

Die Kosten für technische Wartungen, Brennstoffbeschaffung und die Wiederanstellung von Mitarbeitern für alle sechs Kernkraftwerke bewegen sich in der Größenordnung einer Milliarde Euro, die bei den derzeitigen Strompreisen in wenigen Wochen wieder hereinverdient würden. Die Betreiber haben sich bereiterklärt, die Kernkraftwerke weiter am Netz zu halten, „wenn die Politik dies wünscht“.

Es geht dabei nicht um Kleinigkeiten. Fehlt die Stromproduktion aus den letzten sechs Kernkraftwerken, die im Jahr 2021 insgesamt 64 TWh erzeugt haben, fehlen mehr als elf Prozent der deutschen Stromproduktion. Der Ersatz des Atomstroms durch Kohlekraftwerke wird CO2-Mehremissionen von rund 70 Millionen Tonnen jährlich bewirken.

Es wird daher darauf ankommen, die letzten sechs Kernkraftwerke zu retten, damit den deutschen Sonderweg zu beenden und die Energiepolitik wieder nach Europa zu führen.

Der Beitrag erschien zuerst beim Deutschen Arbeitgeberverband hier

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