Scholz in Prag und seine unerwartete Rede: Das wollen wir Tschechen nicht hören!
Der langjährige ehemalige tschechische Ministerpräsident Dr. Vaclav Klaus hat in der Schweizer Weltwoche Ausgabe 25/2022 vom 1. September 2022 die Rede von Bundeskanler Olaf Scholz, die dieser am 29. August 2022 (hier) in der Karlsuniversität von Prag hielt, kritisch kommentiert. Da es bei dieser Kritik auch maßgebend gegen die aberwitzige „Green-Deal-Politik“ der EU geht, die EIKE entschieden ablehnt und bekämpft, drucken wir die Kritik von Vaclav Klaus hier vollständig ab. Wir warteten mit unserem Abdruck auf Bitte von Herrn Vaclav Klaus das Erscheinen in der Weltwoche erst einmal ab und danken herzlich für die Zurverfügungstelung seiner Kritik an EIKE.
Von Vaclav Klaus
Bundeskanzler Scholz ist in Prag zum schlechtesten Moment angekommen. Der Sommer geht zu Ende, die Kinder kehren aus den Ferien zurück, die Eltern sind auf der Suche nach verschiedenen Schulsachen für den ersten Schultag, und dazu herrscht die Inflation. Die Inflation in der Höhe von 17,5 % ist die höchste in unserer Geschichte. Deutschland hat andere Erfahrungen. Wir hatten noch nie eine so hohe Inflation. Besonders die Energiepreise brechen alle Rekorde. Einige tschechische Politiker, insbesondere Politikerinnen, empfehlen, zu Hause dicke Pullover für die Winterkälte zu stricken (nicht zufällig haben dieselben Politiker vor zwei Jahre vorgeschlagen, die Covid-Masken zu Hause zu nähen). Dazu kommt Scholz nach Prag und hält da seine deutsche, aber als „europäisch“ bezeichnete Rede.
Scholz kam nach Prag als – für die meisten Tschechen – neuer, relativ unbekannter Bundeskanzler, der bisher kein Thema der tschechischen politischen und medialen Debatten war. Im Vergleich zu Namen wie Kohl oder Merkel ist er kein Objekt der Stammtischgespräche. Ich weiß nicht, ob er Prag wirklich kennt. In seiner Rede an der Karlsuniversität, die ein paar Stunden vor dem Treffen mit dem tschechischen Ministerpräsidenten stattfand (absichtlich oder aus Zeitmangel?), bewies er gute Kenntnisse der Details der tschechischen Geschichte und der Stadt Prag.
Waren das seine Worte oder die Worte seiner Redenschreiber? Sprach er aufrichtig ober wollte er den Pragern schmeicheln? Als ein authentischer Prager habe ich Prag wirklich sehr gern. Trotzdem war ich mehr als überrascht zu hören, als er sagte, dass gerade Prag eine Stadt ist, „deren Erbe und Gestalt so europäisch sind wie die kaum einer anderen Stadt unseres Kontinents.“ Was sagen die Bürgermeister verschiedener deutscher Städten dazu?
Die Hauptbotschaft von Scholz‘ Rede war die leere Floskel: „Unsere Zukunft ist Europa“. Was soll dieser Satz bedeuten? Was wollte Scholz damit sagen? Dass unsere Zukunft nicht in Asien oder Amerika liegt? Dass wir nicht zu Russland gehören? Nein, er wollte sagen, dass wir „mehr“ Europa brauchen, daß wir mehr über uns in Brüssel, nicht in Prag, Berlin oder Rom entscheiden sollten.
Das wollen die Tschechen nicht hören. Lange Zeit wurde über sie in Wien und in Moskau (sechs Jahre lang auch in Berlin) entschieden. Sie sind deshalb sehr froh, daß sie zusammen mit dem Fall des Kommunismus endlich ihre Selbstständigkeit und Freiheit gewonnen haben, ihre eigene Geschichte selbst zu gestalten. Scholz hat in Prag dramatisch und radikal vorgeschlagen, in Europa „zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen“. Das hat uns so erschrocken, daß wir sein ergänzendes Adverb „schrittweise“ überhört haben. Was bedeutet das Wort „schrittweise“? Morgen, ab dem ersten Januar nächstes Jahres, oder vielleicht später?
Scholz will nicht schrittweise, aber sofort – als vereintes Europa – auf der internationalen Bühne „mit einer Stimme“ sprechen. Dazu missbrauchte er die russische Aggression in der Ukraine. Nicht zum ersten Mal wurde ein Krieg oder eine Krise genutzt, um die Demokratie einzuschränken. Das haben wir schon erlebt. Scholz erwähnte den inhaltslosen Begriff „Europa als Friedensprojekt“, bedauerte aber, dass es nur „innerhalb der Europäischen Union“, nicht außerhalb, d.h. nicht gegenüber dem Rest der Welt angewendet wird. Europa ist aber kein Friedensprojekt. Diese Terminologie ist nur der Ausdruck eines schlechten deutschen Gewissens. Authentische europäische Demokraten und Liberalen – wie die Schweizer – brauchen keine Festung Europas, die sich gegen andere Länder und Kontinente richtet.
Verschiedene „Kleinigkeiten“ seiner Rede möchte ich nicht kommentieren. Was kann man zu dem Gedanken sagen, dass „es ein Glück für uns alle ist, dass heute Präsident Biden im Weißen Haus sitzt“. Ist dessen Unentschlossenheit und Unsicherheit wirklich so gut für uns alle? Ist er wirklich ein Glück? Wir sind schon lange Zeit Opfer der Green-Deal-Politik der Europäischen Union. Können vernünftige Menschen die Idee „mehr Tempo beim Klimaschutz“ gerade heute begreifen und unterstützen? Gibt es „illiberale Demokratie“ gerade in einigen osteuropäischen Ländern oder in der gesamten Struktur der Europäischen Union? Usw.
Scholz schlagt vor, „Brücken zu bauen statt Gräben aufzureißen“. Kann seine Rede in Prag dazu beitragen?