Umrüsten von Kohlekraftwerken möglich?

In letzter Zeit tauchen immer wieder Pläne auf, ältere Kohlekraftwerke mit Kernreaktoren umzurüsten. Es erscheint notwendig, die Vor- und Nachteile etwas näher zu betrachten.

Von Klaus-Dieter Humpich

Der Ersatz

Bisher war es üblich, vollständig neue Kernkraftwerke zu errichten und anschließend ältere Kraftwerke still zu legen. Vorteil ist die freie Wahl des Standortes und die freie Gestaltung des Kernkraftwerks. Man erhält ein neues Kernkraftwerk (KKW) aus einem Guss. Allerdings ist dies auch die teuerste Lösung. Da der Neubau von KKW unter hohen Investitionen leidet, die zwar zu einem geringen Strompreis über die Laufzeit (heute mehr als 60 Jahre) führen, wird händeringend nach neuen Strategien gesucht. Als ein Weg erscheint die Umrüstung vorhandener Kohlekraftwerke mit SMR (Small Modular Reactor) als Wärmequelle. Man hofft dadurch die notwendigen Investitionen zu senken oder zumindest zu strecken. Grundsätzlich kann man schon jetzt festhalten, daß sich so etwas wahrscheinlich nur bei „jüngeren“ Kohlekraftwerken lohnt, bei denen noch eine Restlaufzeit von Jahrzehnten vorhanden ist. Volkswirtschaftlich dürfte es günstiger sein, diese Kraftwerke bis an ihre (wirtschaftliche) Lebensdauer weiter zu betreiben und erst dann still zu legen. Gleichwohl kann man auf jeden Fall den Standort „retten“ und weiter betreiben.

Der Standort

Jedes Kraftwerk braucht einen „Stromanschluss“, eine Wärmesenke, Betriebspersonal und diverse Infrastruktur. Das Kraftwerk muß seine erzeugte elektrische Energie in das vorhandene Stromnetz einspeisen. Bleibt man bei der vorhandenen Leistung, kann man die Hochspannungsleitungen und die notwendigen Schaltanlagen – sofern sie noch geeignet sind – weiter verwenden. Erste Schwierigkeit hierbei ist nicht technischer Art, sondern liegt in den speziellen Vorschriften für KKW. Der „Stromanschluss“ ist sicherheitsrelevant für die Notkühlung. Es müßten daher inhärent sichere Reaktoren verwendet werden, die keine aktive Notkühlung benötigen. Ähnliche Schwierigkeiten können bei der Genehmigung des alten Standorts entstehen – zumindest, wenn der Standort in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten liegt. Auch hierfür spielt die Sicherheitstechnik eine entscheidende Rolle.

Kraftwerke sind in ihren Gemeinden meist sehr beliebt: Sie bieten gut bezahlte Arbeitsplätze, die Gemeinde bekommt außergewöhnliche Steuereinnahmen und es fällt auch sonst noch einiges ab, um die gute Nachbarschaft zu fördern. Würde ein Kohlekraftwerk in ein KKW umgebaut werden, könnten alle Arbeitsplätze – sofern gewollt – erhalten bleiben. Viele könnten ohne Umschulung weiter arbeiten, einige müßten ihre Fachkenntnisse erweitern. Alles meist sehr kleine Unannehmlichkeiten im Vergleich zur Aufgabe. Wie die Erfahrung zeigt, wurden Gemeinden durch die Schließung überwiegend in den Abgrund gezogen: Die Preise für Immobilien sinken, viele Handwerker verlieren ihre Aufträge und die Einnahmen der Gemeinde sinken bei steigenden Ausgaben.

Jedes Kraftwerk braucht Kühlwasser. Es muß ein ausreichend großer Fluß vorhanden sein, ein See, ein Meeresarm oder eine ausreichende Wasserquelle für einen Kühlturm. Bleibt man in gleicher Größenordnung, kann man die vorhandenen Anlagen des Kohlekraftwerks weiter nutzen. Oft ist das Kühlwasser ein ganz wesentlicher Faktor bei der Standortsuche. Es muß nicht nur Wasser vorhanden sein, sondern es müssen auch alle Umweltauflagen erfüllbar sein. Was aber schon Jahrzehnte problemlos genutzt wurde, kann auch weiter genutzt werden.

Der Turbosatz

Im Turbosatz wird die Energie des Dampfes in elektrische Energie umgeformt. Der Generator wird durch die Turbine angetrieben. Turbine und Generator sind aufeinander abgestimmt (z. B. Drehzahl). Beide stehen auf dem elastisch gelagerten Turbinentisch (auf Federpaketen aus Stahlfedern). Wichtig dabei ist, daß alle drei Komponenten ein System bilden. Unterhalb befinden sich die Kondensatoren, in denen der Dampf durch das Kühlwasser niedergeschlagen wird. Ob Generator und Kondensatoren ohne große Umbauten weiterverwendet werden können, hängt von der Turbine ab.

Die Turbine ist für einen bestimmten Dampfzustand (Druck p und Temperatur t) und einen Massenstrom (kg/s) ausgelegt. Genau hier liegt die Problematik: Kohlekraftwerke sind für möglichst hohe Temperaturen und Drücke ausgelegt. Je höher die Dampftemperaturen, um so besser der Wirkungsgrad und damit um so geringer der Kohleverbrauch. Stellvertretend sei hier das Kraftwerk Boxberg Q genannt, das seit 2000 Strom ins Netz liefert. Es war seinerzeit das modernste Braunkohlekraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 43% bei einer Leistung von 906 MWel. Hierfür ist ein Frischdampfdruck von 260 bar bei einer Temperatur von 540°C und einer Zwischenüberhitzung auf 580°C nötig. Damit ergeben sich bereits die Schwierigkeiten für eine Umnutzung durch Kernenergie:

  • Die Blockgröße erfordert mehrere SMR (Small Modular Reactor, definitionsgemäß mit einer Leistung < 300 MWel), die auf eine gemeinsame Turbine arbeiten müßten. Dies ist kein Vorteil, sondern eher ein Nachteil.
  • Die Austrittstemperatur der Reaktoren muß rund 600°C betragen. Damit fallen alle Leichtwasserreaktoren raus (Druckwasserreaktor 165 bar, 330°C; Siedewasserreaktor 71 bar, 286 °C ).
  • Wegen der notwendigen Austrittstemperatur von ungefähr 600°C kommen nur „zukünftige“ Reaktoren, wie z. B. aus den Familien: Gasgekühlt (z.B. HTR-PM, Xe-100), Salzschmelze (z.B. Kairos, Terrestrial Energy, Moltex Energy Waste Burner) oder Flüssigmetalle (BREST, TerraPower) in Frage. Es gibt noch unzählige andere Projekte, aber die aufgeführten Typen sind bereits auf dem Weg, den „Papier-Reaktor-Status“ zu verlassen. Realistisch betrachtet, dürften aber noch ein bis zwei Jahrzehnte bis zur Reife vergehen.
  • Hat man einen Reaktor gewählt, muß noch ein Dampferzeuger konstruiert werden. Keine einfache Aufgabe, denn auch dieser ist einmalig. Die Dimensionen sind bei der gesamten Dampfmenge von etwa 2400 to/h nicht zu unterschätzen. Sicherheitstechnisch problematisch ist die gewaltige Druckdifferenz von über 200 bar. Undichtigkeiten wirken hier immer in Richtung Reaktor. Es müssen bei der Paarung Kühlmittel des Reaktors / Frischdampf noch ganz neue Fragen bezüglich der Werkstoffe beantwortet werden.
  • Ein besonderer Stolperstein ist noch die bei Kohlekraftwerken übliche Zwischenüberhitzung: Wenn der Frischdampf aus dem Hochdruckteil der Turbine austritt, wird er noch einmal zum Kessel zurückgeschickt und wieder möglichst hoch erhitzt, bevor er in den Mitteldruckteil der Turbine zur weiteren Entspannung eintritt. Bisher hat so etwas noch keiner gebaut. Im Gegenteil, in den Anfangstagen der KKW hat man es mit einer fossilen Überhitzung versucht, da man mit Nassdampfmaschinen noch nicht so weit war.

Zusammenfassung

Die Größenordnung scheint verlockend: 2021 wurden 10244 TWh elektrischer Energie weltweit durch Kohlekraftwerke erzeugt (Stromverbrauch in Deutschland etwa 503,8 TWh). Dazu mußten fast 8,2 Milliarden to Kohle gefördert werden. Man muß es sich noch einmal in aller Ruhe deutlich machen: Weltweit wurde rund zwanzig mal so viel Strom aus Kohle gewonnen, wie ganz Deutschland in einem Jahr (2021) verbraucht hat! Schon das verdeutlicht die Unmöglichkeit, auch nur mittelfristig Kohle durch Kernenergie ersetzen zu wollen. Wenn es auch für manchen „Klimatologen“ eine bittere Erkenntnis sein mag, King Coal wird noch für Jahrzehnte – wenn nicht gar Jahrhunderte – dominieren, ob nun Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigt oder nicht.

Jedes Kohlekraftwerk ist eine Milliardeninvestition. Hinzu kommt noch die Infrastruktur (Bergwerke, Massengutfrachter, Eisenbahnen etc.). Nur eine so dekadente Gesellschaft, wie die Deutsche, kann glauben, daß man ohne Konsequenzen einen solchen Kapitalstock vernichten kann. Andere Gesellschaften haben ganz andere Sorgen, als ausgerechnet die „Klimakatastrophe durch von Menschen freigesetztes CO2“. Der Rest der Welt, wird seine Kohlekraftwerke bis zu deren wirtschaftlichem Ende betreiben. Schließlich sind diese Teil der „Wohlstandsmaschine“, die zur weiteren Entwicklung zwingend nötig ist. Wenn es um die Einsparung von Kohle geht, bleibt auch noch der Weg, alte Kraftwerke mit geringem Wirkungsgrad durch neue zu ersetzen. Es wird sein, wie es immer war, erst wenn der Brennstoff so teuer wird, daß sich Alternativen lohnen, wird die Anzahl der Kohlekraftwerke schrumpfen. So bereits geschehen in den USA, wo (zeitweise) Erdgas günstiger war.

Realistisch betrachtet, kann höchsten der Zuwachs des weltweiten Strombedarfs durch Kernenergie abgedeckt werden. Eine Umrüstung erscheint bestenfalls in Einzelfällen sinnvoll. Die Entwicklung der Kernenergie wird davon unbeeinflußt weitergehen. Es werden weiterhin „große“ Leichtwasserreaktoren gebaut werden und die Entwicklung „kleiner“ Reaktoren wird ebenfalls weiter vorangehen. Sie werden vielmehr ganz neue Anwendungen (z. B Industrie, Nahwärme etc.) und die kostengünstige Beseitigung des „Atommülls“ erschließen. Sie werden somit auch an den Marktanteilen von Gas und Öl knabbern. Der Anteil von Wind und Sonne ist bereits (gerade in Europa) über das sinnvolle Maß hinausgeschossen – da hilft auch kein neues Schlangenöl aus „Grünem Wasserstoff“.

Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors hier