Kann Kalifornien wirklich bis zum Jahr 2030 zu 85% Kohlenstoff-freien Strom erzeugen?
Francis Menton, MANHATTAN CONTRARIAN
[In diesem Beitrag kann man die Termini „Kalifornien“ bzw. „New York“ ohne Weiteres durch den Terminus „Deutschland“ bzw. „EU“ ersetzen! A. d. Übers.]
Im Wettstreit um den tugendhaftesten aller Bundesstaaten in Bezug auf „Kohlenstoff-freien“ Strom findet das Rennen zwischen Kalifornien und New York statt. Im Jahr 2018 hat Kalifornien ein Gesetz mit der Bezeichnung „SB100“ verabschiedet, das bis 2030 einen Anteil von 60 % Strom aus „erneuerbaren Energien“ (und bis 2045 100 %) verbindlich vorschreibt. New York ließ sich nicht lumpen und erließ 2019 sein „Climate Leadership and Community Protection Act“, in dem es sein eigenes gesetzliches Ziel von 70 % Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 (und 100 % bis 2040) festlegt.
Ist also irgendetwas davon realistisch? Oder handelt es sich dabei nur um ein großes Getue, um zu zeigen, dass man mit der aktuellen Mode konform geht, was alles vergessen sein wird, wenn die jetzt scheinbar weit entfernten Fristen näher rücken? Was New York betrifft, so habe ich in mehreren Beiträgen (z. B. hier und hier) dargelegt, dass die angeblich verbindlichen Ziele sowohl hinsichtlich der Durchführbarkeit als auch der Kosten völlig unrealistisch sind und dass die mit der Erreichung der Ziele beauftragten Personen keine Ahnung haben, was sie tun.
Ist Kalifornien weniger ahnungslos?
Die kurze Antwort lautet „Nein“. Allerdings hat eine Schar von „Think Tanks“ gerade einen großen Bericht veröffentlicht, der uns vom Gegenteil überzeugen soll. Der Bericht spricht sich nämlich dafür aus, dass Kalifornien nicht nur sein derzeitiges gesetzliches Ziel von 60 % kohlenstofffreiem Strom bis 2030 erreichen kann, sondern sogar noch ehrgeizigere 85 % – wie die Überschrift der Pressemitteilung, in der der Bericht angekündigt wird, andeutet: „Achieving 85 Percent Clean Electricity By 2030 In California“. Der Bericht selbst trägt den Titel „Reliably Reaching California’s Clean Energy Targets“ [etwa: Zuverlässiges Erreichen der Ziele für saubere Energie in Kalifornien]. Die Think Tanks, die den Bericht verfassen, sind Energy Innovation, Telos Energy und GridLab. Die Autoren des Berichts sind Derek Stenclik und Michael Welch von Telos und Priya Sreedharan von GridLab.
Außerdem ist ein großer „Technischer Überprüfungsausschuss“ mit etwa 13 Mitgliedern vorgesehen. Glauben Sie, dass diese Leute die Experten sind, die sicherstellen werden, dass dieses Projekt ehrliche technische und ingenieurtechnische Antworten darauf gibt, wie die ehrgeizigen Ziele erreicht werden können? Machen Sie sich nichts vor. Fünf der 13 Mitglieder sind kalifornische Energiebürokraten (drei von der California Energy Commission und zwei von der California Community Choice Association); die übrigen sind Umwelt- und „grüne Energie“–Befürworter verschiedenster Art, darunter vom Environmental Defense Fund, Vote Solar, Jas Energies, Sharply Focused und so weiter. Selbst die wenigen, die als „unabhängige Berater“ aufgeführt sind, haben einen Hintergrund in der Befürwortung von Wind- und Solarenergie.
Und dann ist da noch diese bizarre Kombination aus „Haftungsausschluss“ und Offenlegung der Finanzierung:
„Die in diesem Bericht enthaltenen Ansichten geben nicht die Ansichten der Organisationen des technischen Prüfungsausschusses wieder und können nicht einzelnen Mitgliedern des technischen Prüfungsausschusses zugeschrieben werden. Diese Arbeit wurde mit Mitteln von Climate Imperative unterstützt“.
Mit anderen Worten: „Ihr könnt mir nicht die Schuld geben, wenn das alles nicht funktioniert.“ Und haben Sie schon einmal von der Förderorganisation Climate Imperative gehört? Ich auch nicht. Aber ein paar Augenblicke mit einer Suchmaschine werden Ihnen die Antwort geben. Zwei der sechs Mitglieder des Verwaltungsrats sind Laurene Powell Jobs und John Doerr. Ja, das ist die Laurene Jobs, die das Geld von Apple geerbt hat, und der John Doerr von Kleiner Perkins, der gerade eine Milliarde in die Stanford University gesteckt hat, um eine neue Schule für „Nachhaltigkeit“ zu gründen.
Der Bericht ist etwa 89 Seiten lang, und vieles davon ist in scheinbar hochtechnischem Jargon verfasst. Ziel ist es, Sie davon zu überzeugen, dass das Ziel, bis 2030 85 % kohlenstofffreien Strom zu erzeugen, problemlos und mit voller Zuverlässigkeit erreicht werden kann. Wir haben „Modelle“, die alle relevanten Variablen einbeziehen. Wir haben „Stresstests“ für alle möglichen Extremszenarien durchgeführt. Das Folgende stammt aus dem Werbetext für den Bericht, der auf der Website von Energy Innovation zu finden ist:
Die Modellierung von GridLab und Telos Energy zeigt, dass Kalifornien bis 2030 einen Anteil von 85 Prozent sauberer Energie erreichen kann, ohne die Zuverlässigkeit zu gefährden, selbst unter Stressbedingungen. … In der technischen Studie wurden drei Portfolios entwickelt, die bis 2030 zu 85 Prozent aus sauberem Strom bestehen und unterschiedliche Ausbaustufen der Ressourcen und eine beschleunigte Elektrifizierung widerspiegeln. Diese Portfolios wurden unter Stressfaktoren getestet, darunter die Stilllegung von Erdgasblöcken in den [US-]Bundesstaaten, der Ersatz von Kohle im gesamten Westen durch erneuerbare Energien und Energiespeicherung sowie die Nachahmung der Hitzewellen vom August 2020, die zu Stromausfällen führten. Die Studie bewertete alle Stressfaktoren zusammen, einschließlich strengerer als normaler Importbeschränkungen, und kam zu dem Ergebnis, dass das künftige saubere Netz in der Lage ist, der Last unter diesen extremen Bedingungen zu genügen.
Die Botschaft an die Kalifornier lautet also: Investieren Sie in den nächsten acht Jahren Hunderte von Milliarden Dollar an Steuer- und Abgabengeldern im blinden Vertrauen darauf, dass unsere Modelle alles berücksichtigt haben, was schief gehen kann. Übrigens, erwarten Sie von uns keine Kostenprognose – das würde den Rahmen dieses Projekts sprengen.
Wie die Leser hier wissen, habe ich eine einfache Antwort auf diese Art von Fantasien, nämlich: Zeigen Sie mir ein funktionierendes Demonstrationsprojekt, selbst für eine kleine Stadt mit 5000 oder 10.000 Einwohnern, anhand dessen wir die Durchführbarkeit und die Kosten für einen großen Staat mit 40 Millionen Einwohnern beurteilen können. Unnötig zu sagen, dass es so etwas nicht gibt.
Um zu prüfen, ob hinter diesen Bemühungen überhaupt Seriosität steckt, sollten wir uns ansehen, wie die Szenarien des Berichts mit zwei Fragen umgehen: (1) Überkapazitäten und (2) Energiespeicherung.
Es ist ein bescheidenes Verdienst des Berichts, dass er anerkennt, dass die Erreichung des Ziels von 85 % kohlenstofffreier Elektrizität die Beibehaltung eines Restanteils von etwa 15 % an der Stromerzeugung aus Erdgas bedeutet. Aber wie viel Wind- und Solarkapazität wird benötigt, um den Rest zu decken?
Außerdem wird in dem Bericht zumindest teilweise anerkannt, dass große Mengen an Speicherkapazität erforderlich sein werden. Aber wie viel Speicherung und zu welchen Kosten?
Die wichtigsten Informationen zu diesen Fragen finden sich in diesem Diagramm auf Seite 24:
Zum Vergleich: Kaliforniens Spitzenstromverbrauch aller Zeiten erreichte am 24. Juli 2006 50,27 GW. In den letzten Jahren lag der Spitzenwert im Bereich von 46 bis 47 GW. Die derzeitige Erzeugungskapazität aus allen Quellen liegt bei etwa 82 GW, was bereits eine erhebliche Überkapazität darstellt, um mit den Schwankungen der großen Mengen an Wind- und Sonnenenergie fertig zu werden. In den Szenarien des Berichts für 2030 wird der Aufbau von Kapazitäten in der Größenordnung von 140 bis 160 GW vorgeschlagen, was ungefähr dem Dreifachen des Spitzenverbrauchs entspricht. Eine Erdgaskapazität von etwa 30 GW würde fast ausreichen, um den gesamten Durchschnittsverbrauch und etwa zwei Drittel des Spitzenverbrauchs zu decken, aber anscheinend wird vorgeschlagen, sie vollständig instand zu halten und bereitzuhalten, aber etwa 85 % der Zeit abzuschalten.
Bei der Frage, wie viel Speicherplatz für diese Szenarien benötigt wird, zeigt das Diagramm eine Spanne von etwa 20 GW im Szenario „Diverse saubere Ressourcen“ bis zu etwa 25 GW im Szenario „Hohe Elektrifizierung“. OK, aber wie viele Gigawattstunden werden Sie brauchen, und wie viel wird das kosten? Obwohl dies bei weitem die wichtigste Frage ist, die bei allen Bemühungen um den Aufbau eines hauptsächlich auf Wind-/Solar-/Speicherkraft basierenden Elektrizitätssystems beantwortet werden muss, finden Sie diese Frage in diesem Bericht nicht. Wie der Rahmenplan des New Yorker Climate Action Council ist auch dieser Bericht einfach nur inkompetent. (Oder vielleicht sind sich die Autoren des Problems bewusst und vermeiden es, es anzusprechen, weil sie wissen, dass es die Unmöglichkeit des Projekts aufzeigen und die Zahlmeister verärgern würde. Es ist schwer zu sagen, was von beiden.). Die einzige Erwähnung der Energiespeicherung in Gigawattstunden im Bericht findet sich auf Seite 79, wo aus dem Kontext klar hervorgeht, dass die diskutierte Speicherung nur für den tageszeitlichen Ausgleich gedacht ist und nicht einmal ansatzweise die Saisonabhängigkeit der Wind- und Solarstromerzeugung berücksichtigen kann.
Wie hoch werden die Kosten für all das sein? Der Ausbau der Kapazitäten auf ein Niveau, das dem Dreifachen des Spitzenverbrauchs entspricht, die Aufrechterhaltung eines vollständig gewarteten, aber zu mindestens 85 % der Zeit ungenutzten Backup-Erdgassystems und die Hinzufügung ausreichender Speicherkapazitäten, um den saisonalen Schwankungen der Wind- und Solarenergie Rechnung zu tragen? Das Dreifache der Kosten des derzeitigen Systems scheint konservativ. Das Fünffache ist eher wahrscheinlich. Und natürlich geht dieser Bericht nicht auf die Kostenfrage ein.
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Übersetzt von Christian Freuer für das EIKE