Zweifle nicht, wenn der Regen kommt: Klimajournalismus
Schon vor Jahren machten sich einige Journalisten daran, althergebrachte berufliche Standards zu schleifen und den Haltungsjournalismus zu propagieren. Und jetzt kommt der Klimajournalismus.
Es galt einmal als eine Tugend freier Journalisten, sich um eine möglichst vorurteilsfreie und alle Seiten hinterfragende Berichterstattung zu bemühen. Damit hob sich eine freie Presse von der Parteipresse und dem parteilichen Journalismus in Diktaturen ab, der aus Journalisten eigentlich Propagandisten macht, denn jede Art der einstmals journalistischen Arbeit hatte der Vermittlung der von den Herrschenden verordneten Weltanschauung zu dienen.
Mit Sorge verfolgen Medienkonsumenten schon einige Zeit, dass auch dort, wo viele Jahrzehnte eine freie Presse blühte, immer mehr Medienwerktätige in ihren Werken zuvörderst ihre gute Gesinnung und ihre Unterstützung für eine gute Sache demonstrieren wollen. Für Diskurs bleibt da immer weniger Platz, für eine vorbehaltlose Recherche, die keine Frage scheut, auch.
Spätestens seit der bekannte WDR-Redaktionsleiter Georg Restle vor vier Jahren in der Fachpresse das Zeitalter des „Haltungsjournalismus“ ausrief, wurde das Ende der alten journalistischen Kultur und einst eherner professioneller Grundsätze quasi offiziell eingeläutet. Restle schrieb damals:
„Ganz grundsätzlich glaube ich, dass Journalisten überhaupt wieder über einen werteorientierten Journalismus nachdenken sollten – statt permanent nur abbilden zu wollen, ‚was ist‘.“
Eine Dimension jedes Themas
Auf diesem Wege sind Deutschlands Medienschaffende am letzten Dienstag im April wieder einen entscheiden Schritt vorangekommen. Seit Sommer vergangenen Jahres gibt es ein „Netzwerk Klimajournalismus“. Und dieses Netzwerk hat am letzten Dienstag im April nun eine Charta veröffentlicht, in der deutschsprachige Journalisten den „richtigen“ Umgang mit der Klimafrage fordern. Kerngedanke:
„Die Klimakrise ist kein Thema, sondern – analog zu Demokratie und Menschenrechten – eine Dimension jedes Themas. Klimajournalismus ist daher nicht an Ereignisse gebunden und kann nicht in engen Ressort- und Zuständigkeitsgrenzen stattfinden.
Klimajournalismus greift interdisziplinär auf die Erkenntnisse aus Gesellschafts- und Naturwissenschaften zurück, hat weitere ökologische Krisen wie das Artensterben im Blick und orientiert sich dabei am Stand der Forschung. Angesichts der Dringlichkeit der Krise zeigt Klimajournalismus konstruktiv Lösungen auf, ordnet diese kritisch ein und befähigt so zu einem informierten demokratischen Diskurs.
Klimajournalismus braucht unterstützende Strukturen. Verlage und Sender tragen auf unterschiedlichen Ebenen Verantwortung: Sie sollten ihren Redaktionen Aus- und Weiterbildungen ermöglichen und sich von fossilen Energieträgern und entsprechenden Anzeigen trennen.“
Eines kennt „Klimajournalismus“ offenbar nicht mehr: den Zweifel, obwohl der Triebfeder jeglicher journalistischer Arbeit sein sollte. Im Gegenteil:
„Die Klimakrise ist menschengemacht. Grundlegende Veränderungen unserer Arten zu leben und zu wirtschaften sind umgehend nötig, um die Erderhitzung zu begrenzen. Der Globale Norden trägt durch den Kolonialismus und das Wachstumsparadigma seiner Ökonomien historisch die Verantwortung für die Klimakrise. Klimajournalismus erkennt diese Fakten an und konfrontiert die Verantwortlichen damit, dass sie die Welt in eine irreversible Katastrophe steuern, wenn sie in den nächsten Jahren nicht entschieden handeln.“
Werbung für den Klimawandelkurs
Der Hinweis auf die Tatsache, dass sich das Klima seit der Entstehung des Planeten Erde verändert und der Klimawandel keineswegs ausschließlich menschengemacht sein kann, widerspricht dem Geist des Klimajournalismus wahrscheinlich bereits. Abweichler werden nicht geduldet:
„Klimajournalismus vermeidet “False Balance” und enthüllt die Ausweich- und Verschleierungstaktiken von Personen, Unternehmen und Organisationen.“
Der Verweis darauf, wie wenig die genauen Ursachen des Klimawandels eigentlich erforscht sind und dass es eine Illusion ist, die Menschen könnten per Dekret zur Askese eine maximale Erwärmungsgrenze erzwingen, gehört im klimajournalistischen Kosmos bestimmt zu den zu den „Ausweich- und Verschleierungstaktiken“.
Statt zweifelnde Fragen zu stellen, sollen die Kollegen künftig lieber an der Werbung – um das böse Wort Propaganda zu vermeiden – für den Klimawandelkurs der Regierenden mitwirken.
Wer in der SED-Diktatur lebte, kennt vielleicht noch den Slogan, der auf so manchem roten Transparent vor grauen Fassaden zu lesen war: „Die Beschlüsse des [jeweils letzten] Parteitags sind Richtschnur unseres Handelns“. Hier sollen keine unzutreffenden Vergleiche mit dem SED-Staat angestellt werden, aber trotzdem erinnert sich vielleicht manch Älterer an solch einen Satz, wenn er jetzt liest:
„Das Pariser Klimaabkommen von 2015 und das „Klima-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichtes von 2021 sind für den Klimajournalismus Richtschnur und Leitplanken. In Kombination mit den Pressegesetzen der Bundesländer und dem Grundgesetz ergibt sich für uns daraus eine Verpflichtung zur klimajournalistischen Arbeit.“
Es lohnt sich wahrscheinlich nicht, auf diese recht spezielle Deutung von Grundgesetz und Pressegesetzen näher einzugehen, denn – so zeigt der Duktus des Textes – es geht den Kollegen nicht um Argumente. Vor allem geht es ihnen nicht um möglichst vorurteilsfreie Berichterstattung nach eingehender und in alle Richtungen hinterfragender Recherche. Es werden damit professionelle Grundlagen über Bord geworfen, die für das Funktionieren einer freien Presse eigentlich unerlässlich sind.
Der Bundesregierung und den von ihr finanzierten Institutionen wird der Aufruf zur publizistischen Unterstützung ihres klimapolitischen Kurses auch so manche Förderung wert sein. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten werden ihm in großen Teilen folgen, so wie es schon beim „Haltungsjournalismus“ war. Wahrscheinlich meinen es ganz viele der Kollegen, die diesem Kurs folgen, wirklich ernst, und sie glauben, sie setzten sich für das Richtige und Gute ein. Nur ist der Verzicht auf vernehmliches zweifelndes Hinterfragen unmöglich mit gutem Journalismus zu vereinbaren. Dessen Leitgedanken hatte Hanns Joachim Friedrichs treffend zusammengefasst und er ist weiterhin gültig, so antiquiert er auch klingen mag und so wenig Zuspruch er auch heute in den Redaktionen hat:
„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.“