von Wolfgang Meins

Worum genau geht’s im Folgenden? Zunächst um die Auswirkung der Umgebungstemperatur auf das Sterberisiko, dann um die gesundheitlichen Konsequenzen einer – wodurch auch immer bedingten – (zu) niedrigen Raumtemperatur.

Der eine oder andere Leser mag sich vielleicht noch vage an meinen Beitrag erinnern, in dem es auch um eine breit angelegte internationale Studie zu der Frage ging, welcher Anteil an den weltweiten Todesfällen auf „nicht optimale“ bzw. ungünstige zu hohe oder zu niedrige Temperaturen zurückzuführen ist. Die betreffende, 2015 hochrangig in Lancet publizierte Untersuchung kam damals auf Grundlage der Analyse von gut 88 Millionen Todesfällen der Jahre 1985 bis 2012 zu durchaus überraschenden Ergebnissen, die so gar nicht zum apokalyptischen Narrativ des Klimawandels passen: Demnach waren 7,71 Prozent der Todesfälle auf ungünstige Temperaturen zurückzuführen, davon 7,29 Prozent auf zu kühle und nur 0,42 Prozent auf zu warme – was einem Verhältnis von 17,4 : 1 entspricht. Kurz zusammengefasst: Die Kälte ist hier eindeutig der Bösewicht, nicht aber die Wärme.

Im vergangenen Jahr erschien – in Lancet Planetary Health – eine ganz ähnliche, aber noch größer dimensionierte Studie über den Zeitraum 2000 bis 2019. Bei Untersuchungen dieser Art ist zu berücksichtigen, dass die Stärke des Zusammenhangs zwischen Temperatur und Sterberisiko nicht nur von der Qualität der medizinischen Daten – die nicht für alle Länder oder Regionen vollständig vorliegen – abhängt, sondern auch von geographischen, klimatologischen und sozioökonomischen Faktoren. Im Vergleich der verschiedenen großen Weltregionen fällt das Zahlenverhältnis von kälte- zu wärmebedingten Todesfällen ausgesprochen unterschiedlich aus, mit der größten Differenz zwischen Ost-Europa einerseits und Sub-Sahara Afrika andererseits, dazu unten mehr.

Segensreiche Auswirkungen des Klimawandels?

Insgesamt zeigt die aktuelle Studie im Vergleich zur eingangs genannten in der Tendenz ganz ähnliche Ergebnisse: Insgesamt 9,43 Prozent aller Todesfälle konnten auf „nicht-optimale“ Temperaturen zurückgeführt werden, davon 8,52 Prozent auf zu kalte und 0,91 Prozent auf zu warme – einem Verhältnis von 9,4 : 1 entsprechend. Die Ergebnisse für Deutschland sind nicht separat aufgeführt. Für Gesamt-Europa beträgt das Kälte- zu Wärmetoten-Verhältnis 3,7, für West-Europa 4,3. Im Vergleich dazu fällt dieses Verhältnis für Afrika mit 46,5 drastisch höher aus. Spitzenreiter bei den kältebedingten Todesfällen ist Sub-Sahara Afrika mit einem Verhältnis von 66 – damit um den Faktor 20 höher im Vergleich zu Ost-Europa (3,3). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die kältebedingten Todesfälle in Afrika weniger direkte Temperaturfolge sein dürften, sondern in besonderer Weise vermittelt werden dürften über schlecht isolierte Unterkünfte, ungenügende Heizmöglichkeiten, nicht angemessene Bekleidung und schlechte medizinische Versorgung und vielleicht auch durch bestimmte medizinisch relevante biologische Unterschiede.

Es gibt noch ein weiteres Ergebnis, das es wert ist, hervorgehoben zu werden: Im Vergleich des Zeitraums 2000 bis 2003 mit 2016 bis 2019 ging die kältebedingte Sterblichkeit insgesamt um 0,51 Prozentpunkte zurück, während die wärmebedingte lediglich um 0,21 Prozentpunkte zulegte. Die globale Erwärmung scheint sich unterm Strich also positiv auf das temperaturabhängige Sterberisiko ausgewirkt zu haben, jedenfalls für den untersuchten Zeitraum. Von Klimakatastrophe kann zumindest auf diesem Gebiet folglich keine Rede sein.

Allerdings fällt in der aktuellen Studie die relative Dominanz der Kältetoten um knapp die Hälfte geringer aus (9,4 versus 17,4). Woran könnte das liegen? Mehrere Erklärungen bieten sich an, vorrangig der eben erwähnte relativ stärkere Rückgang des kältebedingten Sterberisikos über die Zeit. Ferner sind forschungsmethodische Unterschiede zwischen den beiden Studien zu berücksichtigen. So wurden in der aktuellen Untersuchung nicht alle Todesursachen berücksichtigt, sondern aus bestimmten Gründen nur ausgewählte Diagnosen. Zudem unterscheiden sich die Stichproben in ihrer regionalen und nationalen Zusammensetzung, und auch die naturgemäß recht komplexe statistische Datenanalyse erfolgte nicht einheitlich.

Wird es bald in den eigenen vier Wänden ungemütlich kalt?

Bekanntlich konfrontiert uns die Natur in Deutschland immer wieder einmal mit nicht-optimalen Umgebungstemperaturen – mal zu warmen und mal zu kalten. In den eigenen vier Wänden oder am Arbeitsplatz war das für die Allermeisten bisher allerdings kaum ein Problem, vor allem nicht in Bezug auf Kälte. Derzeit spricht allerdings Einiges dafür, dass in der kommenden kühlen Jahreszeit die Beziehung zwischen Innen- und Außentemperatur deutlich enger werden könnte, wenn nämlich der Raumtemperatur mangels Heizenergie nichts anderes übrig bleibt, als sich stärker an die kühle Umgebungstemperatur anzupassen.

Auch wenn Deutschland ein Frieren für den Frieden in nächster Zukunft voraussichtlich noch erspart bleiben wird, zeichnet sich doch ab, dass durch die politischen Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die zahlreichen unerwünschten Wirkungen der famosen deutschen Energiewende rascher und stärker eintreten werden, als bisher anzunehmen war. Es ist damit an der Zeit, das Augenmerk nicht nur auf die daraus drohenden ökonomischen Verwerfungen zu richten, sondern auch auf mögliche gesundheitliche Auswirkungen, etwa infolge von zu niedrigen Raumtemperaturen.

Gibt es eine Raumtemperatur, deren Unterschreiten bei längerer Exposition das Sterberisiko erhöht? Die einschlägige Forschungslage, der Leser mag es erahnt haben, ist mau. Die schwerpunktmäßige wissenschaftliche Beschäftigung mit den ungünstigen gesundheitlichen Auswirkungen von Kälte kann ja angesichts des bekanntlich unmittelbar bevorstehenden Verbrennens von Erde und Menschheit nicht hoch im Kurs stehen. Das wird auch daran deutlich, dass die vor wenigen Jahren vorgelegte Bestandsaufnahme der WHO zu den medizinischen Kälterisiken in Wohnungen und Häusern sich in ihren wesentlichen Passagen auf bereits 1987 publizierte, im Internet nicht verfügbare Quellen stützt. Und, dass die WHO bereits vor fünf Jahren eine Aktualisierung ihrer Empfehlungen – auf der Grundlage von noch durchzuführenden Studien – in Angriff nehmen wollte, die aber bis heute nicht vorliegt. Da versteht es sich von selbst, dass beim Umweltbundesamt, das sich ansonsten zu jedem, aber wirklich jedem Umweltrisiko äußert, zu den gesundheitlichen Risiken von (zu) kühlen Innenräumen absolute Funkstille herrscht.

Das kältebedingt erhöhte Sterberisiko wird nicht in erster Linie verursacht durch ein Erfrieren, etwa bei extrem kalten Temperaturen, wobei die spezielle Problemgruppe der Obdachlosen hier nicht berücksichtigt werden soll. Vielmehr erhöht kaltes Wetter das Risiko von Atemwegserkrankungen und kann vorbestehende Lungen- und Herz-Kreislauferkrankungen verschlimmern und so Lungenentzündungen, Blutdruckkrisen, Herzinfarkte und Schlaganfälle auslösen. Dementsprechend sind ältere Menschen besonders gefährdet, zumal deren Anpassungsfähigkeit an Kälte herabgesetzt ist, ähnlich wie es auch bei Neugeborenen der Fall ist, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.

Es ist noch gar nicht so lange, aber doch immerhin schon 25 Jahre her, dass eine mittlerweile offenbar sanft entschlafene medizinische Forschungsgruppe namens „The Eurowinter (!) Group“ Daten aus sechs europäischen Regionen präsentierte: Ab einer Umgebungstemperatur von 18 Grad, die sich – besonders bei schlechter Isolierung und ungenügender Heizleistung – deutlich auf die Zimmertemperatur auswirkt, nimmt das Sterberisiko z.B. in Athen mit jedem weiteren Minusgrad um 2,2 Prozent zu. Das ist beachtlich und auch mit darauf zurückzuführen, dass sich kalte Winter in Bezug auf das Sterberisiko in wärmeren (z.B. Athen) Regionen ungünstiger auswirken als in kühleren (z.B. Süd-Finnland). Bei genauerer Analyse wurde das Sterberisiko dabei vorrangig befördert durch niedrige Wohnzimmertemperaturen – in Athen im Mittel lediglich 19,2 Grad – und eingeschränkte Heizmöglichkeiten im Schlafzimmer.

Der Klima-Sound des Deutschen Ärzteblattes

Die WHO empfiehlt eine Zimmertemperatur von mindestens 18 Grad, hält diesen Rat aber auf Grund des lückenhaften und möglicherweise veralteten Forschungsstandes zu recht für nur mäßig („moderate“) begründet. Eine nicht näher quantifizierte höhere Zimmertemperatur sei erforderlich für vulnerable Gruppen, namentlich ältere Menschen, Kinder und chronisch Kranke, vor allem für solche mit Herz-Lungen-Erkrankungen.

Zu dem geringen Stellenwert, den die Kälte als Gesundheits- oder auch Sterberisiko mittlerweile in weiten Teilen der Medizin einnimmt, passt ausgezeichnet auch das Online-Recherche-Ergebnis des Autors im Deutschen Ärzteblatt (DÄ): Die äußerst allgemein gehaltene Suche nach dem Begriff „Kälte“ im Titel ergab letztlich nur zwei Treffer, sieht man von Arbeiten ab, die sich mit den Vorteilen von Winterreifen bei Eis, Schnee und Kälte beschäftigen. Der eine Treffer aus dem Jahr 1984 – aus dem Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe Fürstenfeldbruck – beschäftigt sich mit der Rettung Verunfallter, etwa Lawinenopfer. Der andere aus dem Jahr 1970 (!) trägt den immer noch zutreffenden Titel: „Viren lieben Kälte“.

Bleibt die Frage, wie viele Treffer die Recherche beim DÄ nach „Klimawandel“ im Titel auslöst? Immerhin 56. Der letzte Artikel datiert aus dem März 2022: „Klimawandel: Schutz vor der Hitze“. Hören wir doch einmal kurz hinein, in den typischen DÄ-Klima-Sound: „In Deutschland ist die Hitze die größte Bedrohung für die Gesundheit, auch wenn darüber hinaus auch Gefahren von anderen Extremwetter-Ereignissen wie Überschwemmungen, Starkregen oder Waldbränden ausgehen.“ Hier handelt es sich ganz offensichtlich um eine schwere, bereits chronifizierte und wahrscheinlich therapieresistente Form des Follow the ScienceSyndroms.

Der Beitrag erschien zuerst bei ACHGUT hier

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