Erdgas wird knapp und teuer – Denken ohne Denkverbote: Kernkraft, Kohle, Fracking?
Röhrengas oder Flüssigerdgas? Import woher und wie viel? – Fragen über Fragen. Die energiepolitischen Entscheidungen der Vergangenheit haben uns stark abhängig gemacht. Lässt sich das ändern?
Von Frank Hennig
Seit Jahrzehnten arbeitet deutsche Politik daran, den Energiemix einzuengen. Während andere Länder in die Kernkraft einsteigen, sie ausbauen oder moderne Kohletechnologie nutzen, fahren wir in die andere Richtung und fokussieren auf Naturenergien geringer Dichte, die erratisch anfallen. Für den „Übergang“ wurde Erdgas noch toleriert. Jetzt wird dieses teuer und knapp. Was nun?
Ein Denken ohne Tabus, also ohne Denkverbote, kündigte Klimaminister Habeck an. Das würde erfordern, unvoreingenommen und ideologiefrei sowie ohne die Schranken einer Klimapolitik zu denken, die in ihrer Absolutheit in die Irre geführt hat. Sein tabuloses Denken über die Kernkraft beendete er schnell, nachdem er sich die Gefährlichkeit der Technologie von seiner Parteigenossin und Umweltministerin Steffi Lemke, einer ausgebildeten Zootechnikerin, bestätigen ließ. „Der Anteil der Atomenergie kann und wird problemlos durch erneuerbare Energien ersetzt werden“, verkündete Frau Professorin Claudia Kemfert 2012 im Magazin der Hans-Böckler-Stiftung. Das wirkt nach. Stattdessen wurde der Großteil des entfallenden Stroms durch Kohle und eben auch Gas substituiert. Nun denkt der Klimaminister weiter bis zum nächsten Tabu.
Die Nutzung fossilen Erdgases mit dem Hauptbestandteil Methan (CH4) galt bis vor Kurzem als Königsweg hin zu einer dekarbonisierten Wunschwelt. Die Abschaltungen von Kern- und Kohlekraftwerken und auch der zunehmende Einsatz im Wärmemarkt ließen die nötigen Gasmengen steigen, allein der Import aus Russland wurde über die letzten zehn Jahre fast verdoppelt. Die im Grunde logische Folge war der Bau der Nord-Stream-2-Leitung, die weiteren Mengenzuwachs gut abgesichert hätte.
Das ist vorerst Geschichte, wie auch der Plan, weiter abzuschaltende Kraftwerksleistung durch Erdgaskraftwerke zu kompensieren. Das war die Empfehlung der Kohlekommission, auf der das Kohleausstiegsgesetz aufbaute. Schätzungen gehen von 23 bis 40 Gigawatt Gaskraftwerksleistung aus, die bis 2030 zu installieren wäre, was 30 bis 50 größeren Gaskraftwerken entspricht. Sollte man nun bis zu diesem Zeitpunkt ganz aus der Kohle aussteigen wollen – und die Grünen halten an diesem Passus aus dem Koalitionsvertrag fest –, müsste diese Zahl nochmals verdoppelt werden. Eine Hochrechnung des daraus entstehenden Gasbedarfs habe ich noch nirgendwo finden können, auch nicht in energiewendefreundlichen Studien, von politischen oder Mietwissenschaftlern der Ökobranche.
Vermutlich glaubt man, sich mit Quantitäten des Erdgases nicht beschäftigen zu müssen, da ja „bald“ auf Wasserstoff umgestellt werden soll. Nun weiß man, dass es den grünen Wasserstoff erst ab 2030 geben wird, erzeugt aus zunächst bescheidenen zehn Gigawatt Elektrolysekapazität, wovon bei Wiederverstromung etwa 2 bis 2,5 Gigawatt resultieren. Das entspricht der Leistung von etwa zwei Kernkraftwerken. Da ahnt der halbwegs interessierte Bürger, dass wir das Erdgas und wohl auch die Kohle noch länger brauchen werden.
Da das Röhrengas aus Russland nun reduziert oder besser ganz abgeschafft werden soll, stellt sich die Frage nach den Alternativen. Politiker mit besonders wenig Überblick behaupten rundweg, man könne es vor allem durch LNG (liquified natural gas – verflüssigtes Erdgas) ersetzen, und auch hier macht man sich wenig Gedanken, geschweige denn überschlägige Kalkulationen.
Zunächst wartet niemand auf den LNG-Kunden Deutschland. Länder wie Japan und China haben langfristige Bestellungen ausgelöst, die den Lieferanten Planungs- und Preissicherheit geben. Wir wären also Neukunde am Markt, selbst in Europa, da wir ausländische Entlade-Terminals nutzen müssten. Nur um die voll betriebene Nord-Stream-1-Leitung zu ersetzen (55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr), müssten beispielsweise rund 20 LNG-Tanker permanent zwischen den USA und Deutschland pendeln und ständig zwei Tanker an Terminals regasifizieren, was etwa 20 Stunden in Anspruch nimmt. Diese Tanker sind pro Stück in der Herstellung rund 200 Millionen Euro teuer und werden nur gebaut, wenn Langfristverträge vorliegen.
Man müsste also für kurzfristige Lieferungen die Transportkapazitäten aus bestehenden Verträgen herauskaufen und mangels eigener Terminals in anderen europäischen Ländern anlanden. Und natürlich wäre das Gas teurer und die Gesamt-CO2-Emissionen lägen auf dem Niveau der Braunkohle.
Bodenschätze im eigenen Land
Die Entwicklung Deutschlands zum Industriestaat basierte auf einheimischen Energierohstoffen: Stein- und Braunkohle, später auch heimisches Erdöl und Erdgas. Auf welche dieser verpönten und politisch bekämpften Quellen könnte man noch zurückgreifen? Die heimische Steinkohleförderung ist nicht reaktivierbar, die Braunkohleförderung wird nach dem Erschöpfen der jetzt genutzten Felder auslaufen. Tagebauerweiterungen oder Neuaufschlüsse sind politisch nicht durchsetzbar, auch würde kein Unternehmen hier mehr investieren wollen. Die Entscheidungen der vergangenen Jahre haben eine Umkehr unmöglich gemacht. Die Grünen forderten seinerzeit den „unumkehrbaren“ Atomausstieg, das ist ihnen vorerst gelungen, sogar was den Ausstieg aus der Förderung deutscher Kohle betrifft.
Worauf könnte man unter den aktuellen Bedingungen noch zurückgreifen, was gibt unsere einheimische Erdgasförderung eigentlich noch her? Die Produktion sank von 18 Milliarden Kubikmetern (2003) auf fünf Milliarden 2018. Der Abwärtstrend hält an, und wohl schon vor 2030 dürften die Felder konventionell ausgefördert sein. Möglich wäre eine Aufschließung der Restmengen durch EGR-Technologien (enhanced gas recovery), indem CO2 eingepresst und damit die Lagerstätten unter Druck gesetzt werden. In Kanada wird das unter Nutzung der CO2-Abtrennung aus Rauchgasen von Kohlekraftwerken praktiziert. Das CO2 ist dann nicht mehr zu entsorgender Abfall, sondern wird nachgenutzt und verbleibt schließlich im Wirtsgestein des fossilen Erdgases.Das ist in Deutschland kaum vorstellbar, da es dagegen erheblichen politischen Widerstand geben würde und zudem kein CO2 in größeren Mengen zur Verfügung steht. Alternativ wären fortschrittliche Fördermethoden anwendbar, die sich aus Horizontalbohrverfahren in Kombination mit dem Einbringen von Wasser oder Dampf anwenden ließen. Dabei würden die Poren im Gestein aufgebrochen und große Lagermengen könnten erschlossen werden. Insgesamt hält man auf diese Weise 450 Milliarden Kubikmeter Gas aus Kohleflözen und 2.300 Milliarden Kubikmeter aus Schiefergestein für erschließbar, was die Versorgung Deutschlands für Jahrzehnte sichern würde.
Es gibt nur ein Problem: Man nennt es „hydraulic fracturing“ oder im deutschen Sprachgebrauch „Fracking“. Im energiepolitischen Diskurs ist das ein unmittelbar der „Atomkraft“ folgender Trigger-Begriff, der in grünen Kreisen ein solches Entsetzen auslöst, wonach jede rationale Diskussion unmöglich wird.
Chemie für Energie
Mehrere Mythen untermauern die Ablehnung dieser Technologie. Vor allem werden Chemikalien ins Feld geführt, die eingepresst werden müssen. Welche sind das?
Die eingebrachte unter hohem Druck stehende Flüssigkeit besteht zu 99,5 Prozent aus Wasser und Sand, die restlichen Stoffe sind ein Gemisch aus Zitronensäure, Chlorwasserstoff (das auch in Schwimmbädern zum Einsatz kommt), Glutaraldehyd (in Desinfektionsmitteln enthalten), Guarkernmehl (im Speiseeis zu finden), Isopropanol (im Deo enthalten), Borsäure (auch in der Seife), Ammoniumpersulfat (in Haarfärbemitteln enthalten), Kaliumchlorid (Bestandteil des intravenösen Tropfs), Natriumkarbonat (benutzt beim Geschirrspülen), Äthylenglykol (auch für Enteisungsmittel verwendet), Dimethylformamid (in Plastik vorkommend), Ammonium-Bisulphit und Petroleum-Destillat (beide in Kosmetika zu finden).
Als weiterer Vorbehalt wird die Gefahr von Erdbeben angeführt. Seismische Bewegungen, die über das Maß derjenigen aus konventioneller Förderung hinausgeht, sind allerdings noch nicht festgestellt worden. Die Gefahr der Gefährdung des Trinkwassers wird immer wieder thematisiert, gefrackt wird aber weit unterhalb dieser Ebene und damit unterhalb der Deckgebirge. Bilder eines brennenden Wasserhahns, bekannt aus dem Film „Gasland“ von 2010, heizten die Diskussion an. Es konnte jedoch nachgewiesen werden, dass natürliche Gasvorkommen das Trinkwasser verunreinigten, lange bevor in der Region gefrackt wurde.
Es gibt keine Geologen, die das Fracking prinzipiell ablehnen. Die globale Anwendung, auch in Europa, führte nicht zu bekannten Umweltschäden. Ein Vorteil der Anwendung in Deutschland bestünde darin, vorhandene Förderstätten weiter nutzen zu können, ohne für weitere konventionelle Förderung neue erschließen zu müssen. Zudem könnte das Gas sofort ins Netz eingespeist werden, ohne es für weite Transporte energieaufwändig verflüssigen zu müssen.Das „hydraulic fracturing“ stellt eine Form der Hochtechnologie im Bergbau dar, entsprechend qualifiziert und verantwortungsbewusst ist damit umzugehen. Amerikanische Umwelt-Praktiken sind möglicherweise auf Europa nicht übertragbar. In der Altmark bei Salzwedel gibt es schlechte Erinnerungen an die Gasförderung aus DDR-Zeiten und die umweltschädliche Entsorgung von Bohrabwässern. Die internationalen Erfahrungen von heute zeigen, dass ein verantwortlicher Umgang mit den anfallenden Stoffen umweltverträglich möglich ist.
Im Rahmen der deutschen Energiewende-Ideologie bildete sich eine breite Abwehrfront gegen jede Energiequelle, die nicht Wind oder Sonne zur Grundlage hat. Gegen die Nutzung von LNG und der Fracking-Technologie kämpfen vor allem die deutsche Umwelthilfe (DUH), die Grünen in Schleswig-Holstein und Vereine wie „Kein CO2-Endlager“, deren Gründungsanlass zwar abhanden gekommen ist, die aber nun gegen die Empfehlung des IPCC zur Abscheidung und Speicherung von CO2 ankämpfen und die Einlagerung des Gases unter der Nordsee verhindern wollen.
Erfolgreich wurde der Widerstand in die deutsche Gesetzlichkeit eingebracht. Seit Februar 2017 verbietet die „Regelungsabsprache Fracking“ die kommerzielle Nutzung.
Staatlicherseits wird nun von den Grünen in typischer Bigotterie gefracktes Gas aus dem Ausland akzeptiert. Auch importierter Atom- und Kohlestrom führt nicht zu Diskussionen, wenn nur der deutsche Vorgarten „rein“ bleibt.
Die Nutzung der Fracking-Technologie wäre eine Option, dem absehbaren Energiemangel in Deutschland wirksam zu begegnen. Sie ließe sich relativ kurzfristig realisieren. Im Zusammenspiel mit dem Erhalt von Steinkohlekraftwerken entstünde so ein Sockel an stabiler Stromproduktion (in der Sprache der Bundesnetzagentur „dargebotsunabhängig“). Dadurch wäre auch die Wärmeversorgung zu verträglichen Preisen gesichert, Methan als Rohstoff für die chemische Industrie sowie zur Düngemittelproduktion ausreichend vorhanden und man wäre unabhängig von außenpolitischen Einflüssen.
Nötig ist ein Denken ohne Denkverbote. Verfestigte ideologische Weltbilder stehen dem entgegen. Eine beginnende Energiemangelwirtschaft wird neues Denken erzwingen. Vor allem ein Denken ohne Tabus.
Der Beitrag erschien zuerst bei TE hier
Passend dazu dieser Artikel
„Deutsche Umwelthilfe“ stoppt Braunkohletagebau in der Energiekrise