Die Serie schwerer Winterstürme 2022 – eine Folge des Klimawandels?
Stefan Kämpfe
Die Serie schwerer Stürme im Hochwinter 2022 bedarf einer Erklärung. Doch offenbar sind solche Stürme eine durchaus normale „Begleitmusik“ unserer Winter, weil in dieser Jahreszeit die Temperaturgegensätze zwischen niederen und hohen Breiten stets am größten sind. Und sie häuften sich in der jüngeren Vergangenheit auch nicht – im Gegenteil. Diese stürmischen Zeiten sollten eigentlich rosige Zeiten für die Windstromerzeugung bedeuten – doch dem ist nicht so.
Schwere Winterstürme – alles schon mal dagewesen!
Vor 60 Jahren, am 16./17. Februar 1962, ertranken bei einer der schwersten Naturkatastrophen in Deutschland, der Hamburger Sturmflut, über 300 Menschen. Noch verheerender war der „Holland-Orkan“ vom 31. Januar bis zum 1. Februar 1953. Er betraf große Teile der niederländischen und der englischen Küste sowie in geringerem Ausmaß Belgien und forderte mehr als 2.400 Opfer. Doch am schlimmsten waren vermutlich die durch Winterstürme ausgelösten Marcellus-Fluten, welche jeweils am 16. Januar 1219 und 1362 wüteten. Bei der von 1362 starben vermutlich mehrere zehntausend Menschen; der gesamte Küstenverlauf in der Deutschen Bucht änderte sich schlagartig, weil mehr als 100.000 Hektar Land weggespült wurden. Rungholt, der damals größte Handelsort des Nordens, auch „Atlantis des Nordens“ genannt, ging unter. Aber wir erinnern uns: Vor nur einem Jahr verlief der Winter sehr windschwach; Näheres dazu hier.
Trotz stürmischer Zeiten im Hochwinter 2022 – die Windstärke nahm eher ab
Anders, als bei den Temperaturdaten, sind langfristige Aufzeichnungen der Windstärke sehr rar; und oft liegen sie nur in Beaufort vor (reale Geschwindigkeitsangaben in m/s oder Km/h wären aussagefähiger). Der Meteorologe KLAUS-ECKHART PULS beschäftigt sich unter anderem intensiv mit dem Klima und der Sturmflut-Häufigkeit an der Nordsee. Er fand eher eine Häufigkeitsabnahme schwerer Stürme und Sturmfluten; Näheres dazu hier. Doch wie sieht es im Binnenland aus, und was beeinflusst das winterliche Windverhalten? Das soll anhand der bis zum Winter 1893/94 zurückreichenden Winddaten von Potsdam, verknüpft mit einer Häufigkeitsanalyse der besonders windigen zyklonalen West-, Südwest- und Nordwestlagen sowie der NAO dargestellt werden.
Näheres zur Definition der NAO finden Interessierte in der Mitte dieses Beitrages. Während größere Stürme zwischen Ende Oktober und Ende Dezember 2021 ausblieben, häuften sie sich im Hochwinter 2022. Ein Blick auf den Verlauf der täglichen NAO-Werte bis zum 18. Februar zeigt, warum diese Entwicklung so kommen musste:
Wie der Abbildung 1 zu entnehmen ist, änderte sich die NAO völlig unabhängig von einem angeblich CO2-bedingten Klimawandel – sie wies gegenwärtig, um 1990 und um 1915 auffallend hohe, in der Mitte des 20. Jahrhunderts (oft sehr kalte, flaue Winter) aber sehr niedrige Werte auf. Mangels eines DWD-Flächenmittels der Windgeschwindigkeit berechnete der Autor ein Windmittel aus 25 norddeutschen Stationen von der Küste bis zum Nordrand der Mittelgebirge; das Ergebnis sieht so aus:
Über die Ursachen der momentan beschleunigten Zonalzirkulation (Westlagen) kann man nur mutmaßen. Neben den schon erwähnten hohen NAO-Werten kommt die momentan wieder etwas stärkere Sonnenaktivität in Betracht; möglicherweise auch das in diesem Winter recht kräftige Flächenwachstum des arktischen Meereises.
Stürmische Zeiten bedeuten einen Überfluss an Windenergie – Pustekuchen!
Eigentlich sollten ja Dank der Stürme paradiesische Zeiten für Windstrombetreiber herrschen – doch das gilt nur sehr eingeschränkt. Denn erstens müssen die Windkraftanlagen für den viel häufiger vorkommenden schwächeren Wind um 6 m/s (entspricht etwa 20 bis 25 Km/h) optimiert sein, und zweitens können sie nie mehr als ihre Nennleistung, welche schon bei etwa 40 Km/h Windgeschwindigkeit erreicht wird, liefern – egal, wie stark der Wind weht. Schlimmer noch – in sehr stürmischen Zeiten mit mehr als etwa 90 Km/h Windgeschwindigkeit, müssen sie, zum Schutz vor Zerstörung, aus dem Wind gedreht und abgeschaltet werden. Mit anderen Worten: Der stärkste Sturm mit der höchsten Leistungsdichte liefert kein einziges Kilowatt Strom! Der Blick auf die bisherige Stromproduktion in diesem sehr windigen Februar ist demzufolge ernüchternd: Ohne konventionelle Kraftwerke, welche die volatile Windstromerzeugung ausgleichen, geht es nicht, und die enormen Schwankungen der Windstromerzeugung erfordern ein ständiges, hektisches Eingreifen in das Stromnetz (Redispatch-Maßnahmen).
Bei dem Sturmtief „Ylenia“, welches am 17. Februar tobte, kam es für tausende Haushalte in Brandenburg zu stundenlangen Stromausfällen. Zwar kann das bei schweren Stürmen immer mal passieren, aber im Zuge der Energiewende erhöht sich die Anfälligkeit des Stromnetzes für Störungen enorm. Wen dieser Wind nervt: Das Schlimmste scheint überstanden. Ein paar schwächere Sturmtiefs folgen noch, doch mit dem nahenden Frühling sinkt das Temperaturgefälle zwischen Arktis und Tropen wieder, dauerhaft schwerster Sturm pausiert dann mindestens bis zum Herbst.
Stefan Kämpfe, unabhängiger Klimaforscher