Chinas Realismus: Keine Beteiligung an den Klimaschutz-Aktivitäten des Westens – Teil 2 –

Zu dem gleichnamigen umfangreichen Artikel vom 4.12.2021 wird hiermit eine zwei weitere Themen betreffende Ergänzung hinzugefügt.

von Günter Keil

In einer Rundreise durch China hatten wir – meine Frau und ich – zwei Erlebnisse, die gleichfalls zu den besonderen Zuständen in diesem Riesenland und durchaus auch zu dem Thema dieses Artikels gehören – und die doch etwas nachdenklich machen.

Das größte Wasserkraftwerk der Welt – zweifelhafter Gigantismus

Ein sehr beeindruckender Teil war eine Schiffsreise auf dem Jangtsekiang, flussab in Richtung auf die drei Schluchten, die dem Stausee des damals bereits weitgehend fertiggestellten Wasserkraftwerks ihren Namen gaben.
Entlang unserer Tagesstrecke, auf einem Stück des ( insgesamt 6.380 km langen) rasch fließende Stroms, mündeten in ihn zahlreiche Nebenflüsse (es gibt davon insgesamt ca. 700), von denen wir vielleicht ein Dutzend passierten. Ungewöhnlich war deren Anblick: Manche stürzten wie ein Wasserfall vom Steilufer herab – aber es war kein normales Wasser, sondern hellbrauner Schlamm. Das erklärte auch, weshalb unser Schiffsführer beständig einen Schlangenlinienkurs fuhr, denn an den Strudeln konnte man zahlreiche Sandbänke sehen. Und der Jangtse selbst war natürlich ebenso trübe und schmutzig. Da war offensichtlich viel Sand und Erde flussab unterwegs.
Eine Erklärung bot sich bereits damals an: Es war bekannt, dass in China in den zurückliegenden Dekaden ein extremer Raubbau und Kahlschlag an den Wäldern herrschte und dass die Folge schwerwiegende Erosionen waren, die insbesondere den für die Landwirtschaft wertvollen Lößboden mit sich rissen.
Ebenso war bekannt, dass zum Beispiel die geradezu brutalen und gefürchteten Smog-Winter in Beijing durch die Waldvernichtung im Norden der Stadt verschlimmert wurden.
Die Schiffsreise endete etliche Kilometer vor dem Stauwerk. Und man begann zu überlegen, wo denn die offensichtlich riesigen Schlamm-Massen, die sich nun mit dem im Stausee langsam fließenden Jangtse in Richtung Staumauer und Turbinenzugänge bewegten, wohl verbleiben würden. Ihr Absinken im Drei-Schluchten-Stausee würde die Turbinen verschonen, aber dafür würde die Wassertiefe immer weiter abnehmen. Und wann bekämen die Turbinen dann nur noch Sand zu schlucken?
Dann wäre das großartige weltgrößte Wasserkraftwerk, dessen Leistung von 22.500 Megawatt China dringend benötigt wird, im Schlamm erstickt.
Einige Antworten findet man bei Wikipedia 1) :
Das Projekt wurde 1992 durch die Abstimmung im Volkskongress genehmigt – allerdings mit nur einer sehr ungewöhnlichen Mehrheit von zwei Dritteln! Es gab herbe Kritik, aber sie wurde unterdrückt: Das Buch der Projektgegnerin Dai Qing wurde verboten. Sie musste für 10 Monate ins Gefängnis. Gravierende Materialmängel bei der Sperrmauer, durch Korruption verursacht, wurden von Bürgern berichtet. Diese landeten vor Gericht. Dazu schreibt Wiki: „Zwar wird Korruption in China scharf verfolgt; allerdings wird auch verfolgt und vor Gericht gestellt, wer darauf aufmerksam macht.“
Ein nicht vorausgesehenes Problem stellen Unrat und Müll dar, die über diesen Wasserweg entsorgt werden: Es waren im ersten Jahr nach der Fertigstellung 1,3 Millionen Tonnen Müll, die vor der Staumauer zu einem Müllteppich von mehr als 50.000 Kubikmetern mit einer Dicke von 60 cm führten. Jetzt werden täglich ca. 600 Tonnen Müll vor der Mauer abgefischt; jährlich etwa 200.000 Kubikmeter.
Auch zu dem oben bei unserer Reise festgestellten Eintrag von Schlamm gibt es inzwischen Messwerte: Es wurde eine jährliche Belastung von 523 Millionen Tonnen an Treibsand und Sediment gemessen, die der Jangtse mit sich führt.

Dem Bericht zufolge werden andere Staaten, so die USA, keine großen Wasserkraftwerke mehr bauen. Diese imponierenden „Erneuerbaren“ haben ihren Heiligenschein verloren.

Wie es beim Drei-Schluchten-Staudamm einmal enden wird, ist zu befürchten: Wenn das tägliche Ausbaggern des angelieferten Sandes nicht mehr ausreicht, ersticken die Turbinen. Weil der dann immer weiter ansteigende Pegel der Drei-Schluchten-Talsperre zu einem Absaufen der Nebentäler und deren Ansiedlungen führen würde, bliebe wohl nur noch die Sprengung der Staumauer.

Armut und Reichtum – zwei Extreme

Die beiden hier geschilderten Ereignisse erlebten wir gleichfalls auf der o.e. Reise.

Ereignis Nr.1: In einer der vielen Millionenstädte befanden wir uns in einem besseren Restaurant, wie es für westliche Touristen angemessen war.
Von unseren Plätzen konnten wir den Parkplatz überblicken – und das Schauspiel, das sich dann ereignete, gut beobachten. Es begann mit dem Eintreffen eines recht großen, neuen Mercedes. Der Fahrer stieg aus und ging in das Restaurant. Es vergingen ca. zwei Minuten, dann erschien ein schickes BMW-Cabrio und eine Dame verließ es, um ebenfalls in das Restaurant zu gehen. Offenbar die Ehefrau des Mercedes-Mannes. Und kurz darauf traf die dritte, eindeutig zu der gleichen Familie gehörende Person ein: Ein Jüngelchen – im Porsche.
Bei uns hätte dieser Protz-Auftritt beißenden Spott geerntet. Unvorstellbar. Aber in China sieht man das völlig anders: Diese Leute werden bewundert. Sie haben es wahrlich geschafft.
Vermutlich war der Familienchef ein Unternehmer; einer von der neuen Oberschicht in der kapitalistischen Wirtschaft des sozialistischen Chinas. Vielleicht sogar ein Besitzer eines der privaten Kohlebergwerke, über die ich im ersten Teil dieses Artikels geschrieben hatte. Diese Unternehmen sind ja nicht nur Kohle- sondern auch Goldgruben.

Ereignis Nr.2: Unser deutsches Reiseunternehmen hatte sich neben den üblichen China-Attraktionen Verbotene Stadt in Beijing, Terrakotta-Armee in Xian Li-Fluss bei Guilin mit seinen phantastischen Säulenbergen am Ufer, edles Teehaus, Flohmärkte usw. einen besonderen Knüller einfallen lassen: Ein typisches Dorf mitten im platten Lande, dessen Attraktion eine kleine Hirse-Schnaps-Schwarzbrennerei im benachbarten Wald war und das uns im Übrigen einen Eindruck von einem „echt urigen und rustikalen“ Ort vermitteln sollte.
Nach Besichtigung der Destille dann ein Rundgang im Dorf. Als erstes ein kleiner Marktplatz, auf dem ein Mann als Zahn-Experte (eher –Klempner) seiner Arbeit nachging. Er hatte exakt drei Ausrüstungsgegenstände: Einen Schemel für sich, einen für seinen Patienten bzw. sein Opfer und – eine Zange. Wir verzichteten darauf, der Behandlung zuzusehen, was uns sicherlich spätere Alpträume ersparte.
Und dann ging vor uns ein Mann über den Platz, der an Schnüren über seiner Schulter vier dicke tote Ratten hängen hatte. Sein Einkauf. Der Sinn und Verwendungszweck war hundertprozentig klar: Die Familie hatte abends Fleisch in den Schalen. Das gab’s vielleicht nur einmal in der Woche…

Als ich die Berichte über die UN-Klimakonferenz in Glasgow gelesen hatte und mir – weil es dabei vornehmlich um China ging – diese Szene in Erinnerung rief, kamen mir doch verschiedene Gedanken. Diese Menschen in dem Chinadorf vermittelten mit ihrem erbärmlichen Lebensstandard gewiss ein repräsentatives Bild der „rustikal-urigen“ Situation einer riesenhaften chinesischen Landbevölkerung. Das Ausmaß ihrer Armut und die damit verbundenen Konsequenzen sind für Leute wie wir es sind, schlicht unvorstellbar. Das sind aber ausnahmslos auch die Menschen, die ebenfalls wie die westlichen Klimaretter ihren CO2-Fußabdruck auf Null bringen müssten. Aber vielleicht sind sie sogar führend in dieser Mission. Dass sie Kohle verbrauchen, ist unwahrscheinlich; die kostet zu viel. Sie werden mit Holz heizen und so auch ihre Nahrung kochen,. Auch den in China dominierenden Kohlestrom dürften sie kaum verbrauchen, weil dazu ein Dorf einen Anschluss an das Stromnetz haben müsste. Solche Leitungen wären oberirdisch realisiert – aber davon war in dem Dorf nichts zu sehen.

Die wiederholte Erklärung der chinesischen und auch der indischen Regierung, dass die Armutsbekämpfung Vorrang habe, ist keine Ausrede für ein unzureichendes Engagement im sogenannten Klimaschutz. Sie ist bittere Wahrheit, und wenn die Westler diese Armut in all’ ihrer kaum vorstellbaren Wirklichkeit näher betrachten würden, kämen sie von ihrem an andere Länder gerichteten arroganten Weltrettungsdiktat herunter.

Eigentlich müssten die unfreiwillig Klima-korrekten Dorfbewohner Chinas die Vorbilder der West-Klimaschützer sein. Das würde aber bedeuten, dass die EU-Länder und die USA den Lebensstandard der chinesischen Landbevölkerung übernehmen. Das würden sie selbstverständlich weit von sich weisen.

Lit.1: „Drei-Schluchten-Talsperre“. Wikipdia; Stand vom 7.1.2022.
Im Web: de.wikipedia.org/wiki/Drei-Schluchten-Talsperre.