Die Erderwärmung rettete über eine halbe Million Menschen allein in England und Wales
Die britischen Behörden rechnen vor, dass wegen höherer Temperaturen in den letzten 20 Jahren über 550’000 Menschen weniger gestorben sind, als erwartet werden konnte – allein in England und Wales. Die Erderwärmung entwickelt sich in gemässigten Zonen zu einem Segen.
von Alex Reichmuth
Wer sich auf Medienberichte abstützt, muss zum Schluss kommen, dass wegen des Klimawandels unzählige Menschen ums Leben kommen. «Immer mehr Hitzetote durch Klimakrise in Deutschland», titelte der «Spiegel» (siehe hier). Das Magazin «Geo» schrieb: Ohne rigide Massnahmen zum Klimaschutz «könnten bis zum Ende des Jahrhunderts 83 Millionen Menschen zusätzlich sterben» (siehe hier). Schlagzeilen machte letztes Jahr auch eine Studie unter Beteiligung der Universität Bern, wonach 37 Prozent der hitzebedingten Todesfälle auf die menschengemachte Klimaerwärmung zurückzuführen seien (siehe hier).
Solche Meldungen fokussieren oft nur auf einen schmalen Ausschnitt der Wirkungen der Erderwärmung. So wird zum Beispiel verkannt, dass mit steigenden Temperaturen auch weniger kältebedingte Todesfälle zu erwarten sind, oder dass die Menschen generell sehr geschickt darin sind, sich auf veränderte klimatische Bedingungen einzustellen.
Potenziell tödliche Atemwegserkrankungen und Infektionen
Zu interessanten Resultaten ist nun das britische Amt für Nationale Statistik (Office for National Statistics, ONS) in einem Bericht gekommen, der vor einigen Tagen publiziert worden ist. Das ONS hat untersucht, wie sich die klimabedingte Sterblichkeit in den Jahren 2001 bis 2020 in England und Wales entwickelt hat. Dabei erfasste es alle Todesfälle, deren Ursache eine Temperaturabhängigkeit zeigen. Es sind dies insbesondere Atemwegserkrankungen und Infektionen, die bei Kälte mehr zum Tragen kommen, sowie Herzkreislauf-Probleme und Infarkte, die bei Wärme häufiger werden (siehe hier).
Das ONS stellt fest, dass die Durchschnittstemperaturen im untersuchten Zeitraum höher als früher waren. So war es von 1991 bis 2020 um 0,9 Grad wärmer als von 1961 bis 1990. Aus den vorherrschenden Temperaturen schätzte das Amt ab, wie viele kälte- oder wärmebedingte Todesfälle in jedem Jahr zu verzeichnen waren.
Jährlich 27’755 Todesopfer weniger
Das Resultat: Während es 2001 noch 993 klimabedingte Todesfälle pro 100’000 Einwohner gab, waren es 2019 nur noch 771. (2020 waren es pandemiebedingt mit 830 wieder etwas mehr). Insgesamt, so hat das ONS berechnet, kamen in England und Wales von 2001 bis 2020 darum 555’103 Personen weniger wegen Kälte oder Hitze ums Leben. Das sind durchschnittlich 27’755 pro Jahr.
Die starke Abnahme an klimabedingten Todesfällen liegt auch an besserer Anpassung an Temperaturextreme und an besserer Gesundheitsversorgung.
Bemerkenswert ist: Die Zunahme von warmen Tagen während der Monate Juni bis September hat zwar insgesamt zu 1643 zusätzlichen Hitzetoten geführt. Diese Zahl bleibt aber um Grössenordnungen hinter der Abnahme der Todesfälle wegen weniger kalten Tagen zurück. Diese Erkenntnis widerspricht auch der immer wieder vorgebrachten Behauptung, die Zahl der Hitzetoten steige schneller, als die Zahl der Kältetoten abnehme.
Kurz gesagt hat die Erderwärmung also weit über einer halben Million Menschen das Leben gerettet. Allerdings liegt die starke Abnahme an klimabedingten Todesfällen nicht nur an höheren Temperaturen, sondern gemäss ONS auch an besserer Anpassung an Temperaturextreme, an besserer Gesundheitsversorgung und an «Verbesserungen der sozioökonomischen Umstände».
Die Menschen schützen sich immer besser
Das ONS warnt zugleich, dass der Trend zu weniger klimabedingten Todesfällen in den nächsten Jahrzehnten drehen könnte, falls Grossbritannien vermehrt von extremer Hitze getroffen werde. Allerdings: Es gibt mehrere Studien, die belegen, dass selbst die hitzebedingten Todesfälle in den letzten Jahren tendenziell abgenommen haben – trotz steigender Temperaturen. Konkret wissen sich die Menschen immer besser vor Hitzewellen zu schützen, etwa mit einer isolierenden Bauweise, der Einplanung von mehr Grünflächen oder dem vermehrten Einsatz von Klimaanlagen (siehe hier).
Wenn der Klimawandel in den letzten zwei Jahrzehnten allein in England und Wales einer halben Million Menschen das Leben gerettet hat, kann man daraus ableiten, dass es in den Ländern der gemässigten Klimazonen insgesamt viele Millionen sein müssen. Denn der Effekt, dass die kältebedingten Todesfälle stärker abnehmen als die hitzebedingten zunehmen, dürfte auch in anderen europäischen Ländern, in Amerika und in weiten Teilen Asiens spielen. In diesen Zonen sind zudem wegen der steigenden Temperaturen höhere Ernteerträge zu erwarten, sodass sich der Klimawandel insgesamt als Segen erweisen dürfte.
Der Beitrag erschien zuerst beim Schweizer Nebelspalter hier