Der Strom aus der Steckdose – die Wärme aus dem Rohr!

Woher soll die Fernwärme kommen, wenn fossile Kraftwerke abgeschaltet werden?

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VON FRANK HENNIG

Mit der deutschen Abschaltkaskade der Kohlekraftwerke stellt sich die Frage nach dem Ersatz der entfallenden Fernwärmelieferungen. Sicher ist: Wir werden sehr viel Erdgas brauchen, und es wird durch den Nachfragedruck auch sehr teuer werden.

Der Wärmesektor ist eines der Dunkelfelder der wind- und solarzentrierten Energiewende. Die Feststellung des künftigen Wärmebedarfs und die Frage, wie er befriedigt werden soll, werden im kommunikativen Dunst mit CO2 vernebelt und Fantasiezahlen zu Unmengen billigen Ökostroms am grünen Tisch überlassen.

„Mit Verlaub, mit Atomenergie kann man im Winter nicht heizen. Man sollte uns auch nicht für blöder verkaufen, als wir im Schnitt sind“, sagte Claudia Roth 2009. Den zweiten Satz möchte ich unkommentiert lassen, aber die Behauptung, dass man mit Atomstrom nicht heizen könne, mit Wind- und Solarstrom hingegen sehr wohl, ist physikalischer Unfug. Elektrizität funktioniert ungeachtet ihrer Herkunft. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, mit Strom zu heizen. Immerhin ist der Saft im Draht die höchste Form der Energie und wird oft aus Wärme mit deutlichem Wirkungsgradverlust erst produziert.

Der sogenannte Carnot-Prozess, auf dem die Technologie thermischer Wärmekraftwerke basiert, wird in seinem Wirkungsgrad durch die Temperatur- und Druckdifferenz zwischen Frisch- und Abdampf bestimmt. Ziel sind also einerseits hoher Frischdampfdruck und -temperatur und möglichst niedriger Kondensatordruck. Das derzeit beste verfügbare Material lässt Temperaturen über 700 Grad Celsius zu, was zu einem Prozess-Wirkungsgrad von über 50 Prozent führt. Mehr ist nicht drin und wird auch künftig, vor allem aus Kostengründen, nicht möglich sein.

Kondensationskraftwerke führen den größten Teil der Dampfmenge über die Turbine bis zum Kondensator, dessen Druck durch Rückkühlung über Kühlturm oder Gewässer möglichst niedrig gehalten wird. Erreicht werden dort um die 35 Grad, was im Kondensationszustand einem etwa 97-prozentigen Vakuum entspricht.

Eine deutlich bessere Brennstoffausnutzung lässt sich durch einen Kraft-Wärme-gekoppelten Prozess (KWK) erzielen. Hierbei wird aus Anzapfungen der Turbine Dampf entnommen und über Heizvorwärmer kondensiert. Die Wärme kann in extra Kreisläufen für technische Prozesse und Heizzwecke verwendet werden. Dadurch wird zwar eine geringere Menge des Dampfes bis zum Kondensator abgearbeitet, aber dessen Niedertemperaturwärme wird nicht an die Umwelt abgegeben. Die Heizwärme ist sozusagen preiswertes Nebenprodukt. Auf diesem Prinzip basieren alle großen Fernwärmenetze im Land. Bessere Alternativen sind nur Geothermie-Heiznetze, welche aber ein großes Aufkommen an Erdwärme erfordern, wie es zum Beispiel auf Island der Fall ist.

Die KWK-Technologie ist völlig unabhängig vom Brennstoff möglich, vorzugsweise bei uns in gasbefeuerten Gas-und-Dampfkraftwerken (GuD), weil Gas teuer ist und umso effizienter eingesetzt werden muss. Aber auch Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke koppeln Wärme aus, in China und Russland auch Kernkraftwerke.

Mit der deutschen Abschaltkaskade der Kohlekraftwerke stellt sich die Frage nach dem Ersatz der entfallenden Fernwärmelieferungen. Auch hier gibt es kein Konzept. Röhrenwärme soll durch dezentrale Heizungen ersetzt werden, die wiederum meist Strom benötigen (Wärmepumpen). Da dies insbesondere im Altbaubestand kaum sinnvoll umzusetzen ist, wird zunächst der Brennstoffwechsel von Kohle zu Gas gefördert. Das ist teuer und langfristig preislich nicht kalkulierbar.

Teure Wärme für Leipzig

Die Sachsen seien helle, heißt es. Vermutlich wähnen sich die Leipziger Stadtwerke auf dem Weg dem Morgenrot entgegen, sodass man selbst bei einem noch länger laufenden Kohlekraftwerk wie dem in Lippendorf (Stilllegung 2035) den Wärmeschieber zufahren und auf den thermodynamischen Vorteil verzichten will, um an anderer Stelle teures Erdgas zu verbrennen und die Emissionen in Summe zu steigern.

In Leipzigs Süden bauen die Stadtwerke (Leipziger Volkszeitung vom 13. Januar 2022) derzeit ein GuD-Kraftwerk, das ab Ende 2022 in Betrieb gehen und dank KWK-Umlagesubventionierung auch wirtschaftlich betreibbar sein soll. Allerdings, so gesteht man ein, könnte die Inflation zum Problem werden. Sowohl die Bauleistungen als auch der Gaspreis könnten zu steigenden Preisen führen. Dafür geht man, was die Verschuldung betrifft, bis an die Grenzen und überholt mit 900 Millionen Euro Verbindlichkeiten sogar die städtische Schuldsumme von 700 Millionen. Wie die Rechnung bei offensichtlich weiter steigenden Gaspreisen ausgehen soll, ist offen und dürfte eher nicht für eine Schuldentilgung sprechen. Hoffentlich hält das Morgenrot auch staatliche Rettungsgelder bereit, entweder für die Stadtwerke oder ihre Kunden.

Hauptstadt der Bewegung

Auch in München ist der Hass auf die Kohle gut entwickelt. Bereits 2017 sprach sich bei einem Bürgerentscheid eine Mehrheit von 60 Prozent für die Abschaltung des (Steinkohle-)Heizkraftwerks München-Nord aus. Zunächst wurde das Ergebnis als „Meilenstein aktiver Klimaschutzpolitik“ gefeiert, doch dann grätschte die Bundesnetzagentur mit vermutlich rückwärtsgewandten patriarchalischen Berechnungen dazwischen und stufte das Kraftwerk als systemrelevant ein, sowohl für den Strom als auch für die Wärme. Deshalb entschieden sich die Stadtwerke für den Ersatzbau einer GuD-Anlage.

Zunächst wird das bestehende Heizkraftwerk (HKW) zwecks Emissionsminderung möglichst nur im Teillastbereich betrieben. Das bedeutet, dass der optimale Auslegungs- oder Betriebspunkt der Anlage nicht erreicht wird und die spezifischen Emissionen pro erzeugter Kilowattstunde Strom und Wärme höher sind. Das spielt beim geradeaus denkenden Kohlehasser keine Rolle. Der lehnt auch wie das Bündnis „Raus aus der Steinkohle“ und die zuständige Gemeinde in Unterföhring ein neues GuD-Kraftwerk ab. Man zweifelt die Systemrelevanz an. Schaun mer mal, wo künftig die Wärme herkommen wird.

Brandenburg: Von Kohle zu Gas

In Cottbus ist man schon weiter. Das „alte“, 1999 in Betrieb gesetzte HKW basierte auf einer mit getrockneter Braunkohle betriebenen Druck-Wirbelschichtfeuerung, die sich allerdings in der Praxis zunächst als störanfällig erwies. Nachdem der Betrieb stabilisiert werden konnte, wurde es nun abgerissen und durch mehrere große Erdgas-Hubkolbenmotoren ersetzt. Die Technik also, die man von der Straße vertreiben will, kommt in größerer Dimension zur Strom- und Wärmeerzeugung zum Einsatz. Die Tests laufen, dann wird es in die Reserve gehen, denn die Gaspreise lassen eine Konkurrenzfähigkeit zum langfristig laufenden Vertrag der Wärmelieferungen aus dem Braunkohle-Kraftwerk Jänschwalde nicht zu. Spätestens nach dem dortigen Kohle-Aus 2028 werden dann die Preise neu kalkuliert werden.

In jedem Fall wird der Gasbedarf schon regional in Brandenburg kräftig steigen. Tesla braucht Prozesswärme aus Gas, Arcelor-Mittal in Eisenhüttenstadt wird einen Hochofen auf Erdgas umbauen, die Glaswerke in Drebkau stellen um auf Gas, und am Kraftwerk Jänschwalde selbst soll ein „Innovationskraftwerk“ auf Grundlage einer GuD-Anlage entstehen.

Deutschlandweit ließe sich das erweitern. Prognosen zum künftigen Gasbedarf sind vage, zur Preisentwicklung macht man sich lieber keine Gedanken. Gesichert ist die Prognose: Wir werden sehr viel Erdgas brauchen, und es wird durch den Nachfragedruck auch sehr teuer werden. Das treibt den Strompreis, vor allem aber auch die Heizkosten; mehr als 60 Prozent des Wärmebedarfs stellt Erdgas sicher.

Mehr Gas!

Den größten Sog an den Leitungen würden aber die 30 oder eher mehr großen Gaskraftwerke erzeugen, die zum Ersatz des fehlenden Kernkraft- oder Kohlestroms nötig wären. Die Gewerkschaft IG BCE spricht von 250 „Gasturbinen“ bis 2030, was technisch, ökologisch (Abgastemperatur: 500 Grad) und wirtschaftlich keinen Sinn macht, und vergisst zu erwähnen, dass dies in diesem Zeitrahmen material- und montagemäßig nicht möglich ist. Es wäre der größte mittelfristige Zubau fossiler Kraftwerkstechnik in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Zudem sind die in den Taxonomieregeln genannten Emissionsgrenzwerte technisch nicht erreichbar, solange man nicht große Mengen Wasserstoff dem Erdgas zusetzt.

Der Gedanke, diese Kraftwerke wären schnell bis zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 „idealerweise“ verfügbar, ist einigermaßen verwegen und beruht auf keinerlei seriösen Berechnungen. Sie werden in dieser Zahl auch bis 2038, dem im Gesetz genannten Termin des Kohleausstiegs, noch nicht vorhanden sein. Im Abschlussbericht der Kohlekommission vom Januar 2019 gibt es die Anmerkung, man solle beachten, dass vom Beschluss bis zur Inbetriebnahme eines Gaskraftwerks fünf bis sieben Jahre liegen. Das ist jetzt drei Jahre her und es folgten diesem Hinweis keine Taten.

Der Neubau der Rahmedetal-Autobahnbrücke (A45) an selber Stelle wird „mit Hochdruck“ fünf Jahre dauern. Welches Tempo kann man realistisch für den –zigfachen Neubau von Gaskraftwerken ansetzen, an teils neuen Standorten, mit kompletten Genehmigungsverfahren einschließlich Umweltverträglichkeitsprüfung und Bürgerbeteiligung? Die Frage, wer überhaupt zu investieren bereit wäre und wie der Staat das anreizen müsste, sei hier lieber nicht gestellt.

Wie sicher sind überhaupt künftige Gaslieferungen? Derzeit gibt es vielfältige Vorwürfe an Gazprom wegen angeblich zu niedriger Lieferungen. Indes bestätigen Marktteilnehmer, dass der Riese aus dem Osten gemäß seinen Langfristverträgen liefert, in den ersten neun Monaten 2021 sogar fast ein Drittel mehr als ursprünglich vorgesehen. Dann folgt der Vorwurf, es würde nicht mehr angeboten und die Transitleitungen würden nicht gebucht.

Hier ist das Lesen zwischen den Zeilen hilfreich. Niemand ist verpflichtet, von sich aus etwas anzubieten, wenn ein anderer etwas braucht. Dann müsste der Kunde schon gezielt nachfragen und die Formulierung würde lauten: „Lieferung abgelehnt“ oder ähnlich. Vor dem Hintergrund der niederländischen Beschwerden über zu hohe Gasbestellungen liegt die Vermutung nahe, dass die deutsche Seite vermeiden möchte, bei Gazprom nachzuordern, um die Abhängigkeit nicht zu deutlich werden zu lassen.

Transitleitungen werden nur gebucht, wenn tatsächlich geliefert werden soll. Bei ausbleibender Bestellung wird das natürlich nicht gemacht. Und auch die Politisierung der Speicherfüllstände ist nicht angemessen. Die Speicherbetreiber arbeiten nach wirtschaftlichen Kriterien und leben vom Preisunterschied Sommer/Winter. Zu Hochpreiszeiten im Winter wird kein Betreiber die Speicher auffüllen, man hofft auf sinkende Preise am Ende des Winters.

Natürlich will Russland Druck ausüben. Die Uhr tickt für Gazprom, man kann sich zurücklehnen und die weitere Demontage der energetischen Basis in Deutschland abwarten. Ein so teures Projekt wie Nordstream 2 muss sich rechnen, wirtschaftlich sinnvoll wäre es auch für die EU, die dann Transitgebühren spart. Es ist allemal preisgünstiger, die europäischen Gasspeicher mithilfe der Ostsee-Leitungen aufzufüllen, als durch Festlandsleitungen durch mehrere Transitländer.

Zudem ist es ökologischer, denn das Leitungssystem durch die Ukraine gilt als veraltet, weist mehr Schlupf (Leckagen) auf und höheren Druckverlust. Nordstream 1 ist bereits voll ausgelastet. Aus Handelsgründen wurde zeitweise die durch Polen führende Jamal-Leitung rückwärts beströmt, das heißt, Polen oder Belarus kauften deutsches Gas, weil es offenbar billiger war als das von Gazprom vom Spotmarkt.

Auch wenn ich mich hier wiederhole: Russland hat von uns genau so wenig den Kohleausstieg verlangt wie Frankreich den aus der Kernkraft. Die jetzt entstehende und für uns sehr ungünstige energiestrategische Lage haben mehrere Regierungen unter Merkel bewusst herbeigeführt, und die Ampel setzt diesen Kurs fort.

Andere Länder sichern sich ab. Die Niederlande und Polen verfügen bereits über Flüssiggas-Terminals, Polen ist führend beteiligt an der Baltic Pipe, einer Gastrasse von Norwegen über Dänemark bis an seine Küste, für die es sogar EU-Fördermittel erhält. Das Land will unabhängig von russischem Gas werden und steigt auch deshalb in die Kernkraft ein. Auch die Niederländer wollen mit Blick auf ihre bald ausgeförderten Gasfelder wieder in die Kernkraft investieren.

Wir hingegen werden Unmengen teuren Erdgases brauchen um auch die Grundlast im Stromnetz abzusichern, von Zeiten günstigen Wetters abgesehen. Der Preisanstieg wird die gesamte Lebenshaltung betreffen durch die auf drei Ebenen stattfindende inflationäre Entwicklung:

  • die globale Inflation durch Wirtschaftswachstum, gerissene Lieferketten, temporären und regionalen Mangel;
  • die EZB-Inflation durch Vermehrung der Geldmenge, der keine Ware gegenübersteht,
  • die Grüne Inflation in Deutschland durch Verknappung des Energieangebots und steigender CO2-Steuer.

Klimaneutrale Obrigkeit

Zuständig für diese Fragen der energetischen Zukunft ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima. Dort müssten alle Lampen blinken, und der führende Philosoph Habeck sollte seine Staatssekretäre schon längst in die Spur geschickt haben, um gesicherte Energie für die Zukunft zu organisieren. Stattdessen ist aus dem Ministerium nur die immer gleiche tibetanische Gebetsmühle zu vernehmen: mehr Wind, mehr Sonne. Immerhin hat der Chef schon erkannt, dass es einige Zumutungen fürs Volk geben wird und dies auch kommuniziert. Ob das später als mildernder Umstand belastbar ist, weiß man erst nach dem Crash.

Schon wird Robert Habeck als Klima-Spieler (Bild vom 13. Januar 2022) bezeichnet, der sich auch verzocken könnte. Er spiele alles oder nichts. Ist es Aufgabe eines Ministers, zu zocken? Sein Amtseid sollte ihn zu abgewogenem Handeln verpflichten und nicht zum Hasardeur werden lassen. In Zeiten, in denen niemand mehr persönliche Verantwortung übernimmt, weder für Hochwasseropfer an Ahr und Erft, noch für tote Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und versenkte Milliarden dortselbst, wird man auch einem gescheiterten Spieler Habeck nicht mal ans Gehalt gehen. Aber Sprüche wie „wir werden einander viel verzeihen müssen“ (©Jens Spahn) werden einer wirtschaftlich und sozial abgestiegenen Bevölkerung künftig nicht mehr reichen.

Den Bundestag treiben vorerst andere Sorgen um. Wegen der Pandemie könnten zusätzliche Sitzungen erforderlich sein, die karnevalsbedingte Sitzungspause im Februar droht zu platzen. Sollte es dazu kommen, bleibt wenigstens die Vorfreude aufs kommende Jahr, dann gibt es Cannabis statt Kamelle. Zudem gilt es, die Quote flächendeckend umzusetzen, und die Suche nach einem/r ParlamentspoetIn ist auch noch nicht abgeschlossen.

In Zeiten der europäischen Nuklearwende und absehbarer Strommangelwirtschaft in Deutschland, die auch den Wärmesektor treffen wird, sollte man eigentlich Grundsätzliches diskutieren. Denn auch auf diesem Sektor sind Abschaltungen schon eingeleitet, der Einbau von Ölheizungen ist bereits ab 2026 verboten.

Die Beschäftigung mit schnöder Infrastruktur ist lästig, wenn es konkret wird und wenn Ideologie mit den Realitäten kollidiert. Eines ist sicher: Die Kulturstaatsministerin wird künftig zumindest mit deutschem Atomstrom nicht heizen können; ob das im Schnitt blöd ist oder nicht, sei dahingestellt.

 

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