Strahlentod in Hiroshima: Was wissen wir nach 76 Jahren?
Dr. Lutz Niemann (Vorwort)
Das Wort „Hiroshima“ ist gleichbedeutend für einen der bisher größten Schrecken der Menschheitsgeschichte. Tatsächlich sind Kernwaffen ein wirklicher Horror, vor dem die Menschheit unbedingt geschützt werden muß. Zweimal fielen Kernwaffen auf Städte, das waren Hiroshima und Nagasaki in Japan, wodurch der zweite Weltkrieg in Fernost beendet wurde. Es gibt einen guten bebilderten Bericht zu der ersteren Explosion von einem exzellenten Fachmann, Herrn Dr. Walter Rüegg aus der Schweiz. Dieser ausführliche Bericht soll hier der interessierten Fachwelt zur Verfügung gestellt werden, er wird im Anschluß an die folgende kurze Zusammenfassung als pdf lesbar angehängt.
Von Dr. Walter Rüegg
Am 6. August 1945, um 8:15, fiel eine Uranbombe mit einer Sprengkraft von 15’000 Tonnen TNT auf Hiroshima. Im Stadtzentrum starben die Bewohner einen 4-fachen Tod: Druckwelle, Hitzestrahlung, Feuersturm und radioaktive Strahlung. Letztere forderte mit Abstand die wenigsten Opfer (weniger als 10%, inklusive Langzeitopfer), trotzdem wird sie am meisten gefürchtet. Zur Zeit der Explosion befanden sich etwa 300’000 Menschen in Hiroshima. Rund ein Drittel starb an den akuten Folgen (die Mehrzahl auf Grund von schweren Brandwunden durch Hitzestrahlung und Feuersturm), ein weiteres Drittel wurde verletzt und zum Teil auch bestrahlt, erholte sich aber. Das letzte Drittel blieb unverletzt. Die bestrahlten Überlebenden (rund 54’000) werden in der grössten medizinischen Studie aller Zeiten fortlaufend gründlich untersucht, bis heute. Viele der stark bestrahlten Überlebenden wurden strahlenkrank, praktisch alle erholten sich in 1-2 Monaten und führten anschliessend ein gesundheitlich normales Leben. Im Alter stieg aber die Krebsrate etwas steiler an als bei unbestrahlten Personen.
Leider (oder besser gesagt zum Glück) ist es recht schwierig, die Langzeitfolgen einer Bestrahlung zu bestimmen. Der Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass die Folgen von kleinen und mittleren Dosen relativ klein sind und in den natürlichen Variationen der Gesundheit, insbesondere der Krebsrate, untergehen. Rauchen, Trinken, Chemikalien, Viren, Entzündungen, Ernährung, Übergewicht, Bewegung, Umwelt, sozio-ökonomischer Status, Stress und genetische oder epigenetische Faktoren wirken oft stärker krebsfördernd. Ein sorgfältiger statistischer Vergleich zwischen den bestrahlten und den unbestrahlten Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki ergab bis heute etwa 1000 zusätzliche Krebstodesfälle, ein Maximum von 20-30 Fälle pro Jahr wurde um 2010 erreicht. Daraus wurde berechnet, dass eine Schockbestrahlung von 20% der tödlichen Dosis (1 Sv) die Krebsrate im Alter um etwa 10% erhöht. Die bestrahlten Überlebenden starben aus diesem Grunde im Mittel etwa 4 Monate früher. 2021 lebten noch rund 10’000 aus der Gruppe der bestrahlten. Das Durchschnittsalter ist 84 Jahre, nicht wenige sind über 100 Jahre alt, bei guter Gesundheit. Klar ist: Ein schlechter Lebenswandel (Rauchen, Trinken, Bewegungsmangel, Übergewicht, Diät…) ist für die Überlebenden gefährlicher als die Strahlung.
Neben den Langzeiteffekten zeigten sich auch Kurzzeiteffekte: Eine heftige Bestrahlung zwischen der 8. und 15. Schwangerschaftswoche konnteeine Mikrozephalie auslösen, dadurch wurde vor allem die spätere geistige Entwicklung der Kinder negativ beeinflusst. Knapp 5% von insgesamt 467 bestrahlten Föten waren davon betroffen. Die gute Nachricht: Es wurden keine Missbildungen beobachtet wie z.B. beim Medikament Contergan welches um die 10‘000 schwere Missbildungen verursachte. Die noch bessere Nachricht: Auch bei den 77’000 Nachkommen der Überlebenden fand man weder eine erhöhte Missbildungsrate noch sonstige spätere negative Wirkungen, selbst nicht bei Kindern von sehr stark bestrahlten Eltern.
Die Resultate der Untersuchungen der Opfer der beiden Bomben gelten heute als die zuverlässigste Quelle über die Wirkungen von radioaktiven Strahlen, zumindest bei Schockdosen. Klar scheint, dass kleine bis mittlere Schockdosen (bis etwa 0.5 Sv oder 10% der tödlichen Dosis) kaum einen Einfluss auf die Gesundheit haben. Schliesslich bestrahlt uns die Natur im Laufe des Lebens mit durchschnittlich 0.35 Sv (in der Schweiz, gemäss Bundesamt für Gesundheit), mit Spitzen von weit über 1 Sv. Trotzdem liegen heute die Grenzwerte bei extrem tiefen 0.001 Sv/Jahr (0.02% der der tödlichen Dosis), man beruft sich auf das Vorsorgeprinzip und auf die Hypothese der linearen Dosisabhängigkeit ohne Schwelle («auch die winzigste Dosis könnte ein – winziges – Risiko darstellen»). Wir leben im Zeitalter der Forderung nach Null Risiko – und vergessen, dass das Risiko zu sterben 100% beträgt.