Die neue EU-Taxonomie und der aufgescheuchte Hühnerhaufen der Grünen

Bundesumweltministerin Steffi Lemke reagiert verstört: „Atomkraft ist alles andere als nachhaltig, sie ist eine Risikotechnologie„. Trifft das zu, oder ist es nur abstruser Unsinn?

 

Von Prof. Dr. Horst-Joachim Lüdecke

Was ist passiert?

Die EU beabsichtigt, die Nutzung der Kernkraft und Erdgas zur Stromerzeugung von den Einschränkungen der Weltrettungs-Mafia zu befreien. Deren Methoden sind nämlich subtil. So werden derzeit Firmen im Öl- und Kohle-Explorationsgeschäft von Bankkrediten ausgeschlossen, und viele haben sich deswegen zwangsweise dem grünen Geschäftsweg angeschlossen. Ob das auf Dauer gut geht, ist eine andere Frage.

Nun haben es inzwischen selbst die Dümmsten begriffen (die deutsche Bundesregierung noch nicht), dass Wind und Sonne als wetterabhängige Stromerzeuger für eine Industrienation ungeeignet sowie landschafts- und naturschädigend sind. Frankreich bezieht seinen Strom überwiegend aus Kernkraftwerken, aber diese kommen allmählich ins Alter, und ein kräftiger Strom- und Heizungszuschuss aus Gas wäre daher hochwillkommen (von Kohle traut sich auch dort noch niemand zu sprechen). Die Folge dieser Situation sieht so aus: Da die Brüsseler Führungselite „französisch spricht“, wird der neuen Taxonomie wohl nichts Ernsthaftes mehr im Wege stehen.

Und die europäischen Grünen, vorwiegend die deutschen? Sie schäumen vor Wut und setzen alle Hebel in Bewegung, um dem Kippen ihres Lieblingspfeilers „keine Kernenergie“ noch Einhalt zu gebieten.

Doch auch die anderen Linken im Deutschen Bundestag sind kein Deut besser. Anlässlich der Debatte über den „Atomausstieg“ am 11. November, womit der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie gemeint ist, erlaubte sich der studierte Politologe und SPD Apparatschik Timon Gremmels    seine Gegenrede zum Antrag der AfD, den Ausstieg zumindest auszusetzen bis Ersatz da wäre, mit den folgenden Worten abzuschließen (Weitere Details dazu hier):

„Dann werden wir die Sektkorken knallen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil wir das gut und richtig finden. Es ist ein wichtiges Menschheitsziel, was wir da erreicht haben.“

Und sein Parteifreund SPD MdB Timon Gremmels sagte:

„Für die Sozialdemokratie ist es eine Freudenstunde, wenn am 31. Dezember 2022 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz geht.“

Nun, diese Freudenstunde wird uns noch sehr, sehr teuer zu stehen kommen.

Doch ob dies alles etwas nutzen wird, darf bezweifelt werden – vermutlich wohl nicht. Immerhin vermutet FOCUS online, dass die Empörung nur gespielt sei, weil die Führungen der Grünen, der regierenden Sozialdemokraten und der FDP schon im Oktober Bescheid gewusst hätten, dass die Chancen der Verhinderung praktisch Null seien (hier). Man kann die Angelegenheit aber auch einmal nüchtern und kühl sehen, eine Herangehensweise, die aktuell in Medien und Politik leider nicht vorkommt. Daher helfen wir im Folgenden ein wenig bei der Wahrheitssuche nach.

 

Gefährlichkeit von technischen Methoden

Die Behauptung von Frau Lemke über die angebliche Gefährlichkeit und mangelnde Nachhaltigkeit der Kernenergie findet sich in /1/. Aber nicht nur S. Lemke, die gesamte Führung der Grünen scheint dies zu glauben. Wie sehen die Fakten aus?

Jede technische Methode ist „Risikotechnologie„. Autos, Flugzeuge und Schiffe fordern immer wieder Todesopfer und natürlich ebenso die für jede moderne Gesellschaft unverzichtbare Erzeugung von Energie. Staudämme brechen, tödliche Grubenunglücke beim Kohlebergbau machen immer wieder Schlagzeilen, und es stürzen sogar Monteure von Windrädern und Solarpanelendächern mit tödlichen Folgen ab. Risikofreie Technik gibt es nicht! Entscheidend ist hier nur, wo unter diesem Gesichtspunkt die Kernenergie aufzufinden ist.

Zweifellos sind Havarien von Kernkraftwerken besonders spektakulär, weil ihre schädlichen Folgen (radioaktve Strahlung) weite Flächen und damit sehr viele Menschen betreffen könnten. Dies lässt die friedliche Nutzung der Kernenergie besonders gefährlich erscheinen. Ähnlich, nur nicht ganz so extrem, verhält es sich mit dem Paar Auto – Flugzeug. 300 tödlich verlaufende Verkehrsunfälle mit dem Auto werden von der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen, der Absturz eines großen Passigierflugzeugs mit ebenso vielen Opfern macht dagegen weltweite Schlagzeilen. Es muss daher betont werden: 300 Auto-Todesopfer sind genauso schwerwiegend wie 300 Flugzeug-Todesopfer oder wie 300 Todesopfer einer Kernkraftwerkshavarie – nicht weniger und nicht mehr.

 

Wie ist Gefährlichkeit von technischen Methoden definiert?

In der Energieerzeugung – hier geht es speziell um die Stromerzeugung, denn Kernkraftwerke erzeugen ausschließlich elektrischen Strom – definiert man ihre Gefährlichkeit als

Anzahl von Todesopfern pro TWh (Terawattstunde) erzeugter elektrischer Enregie.

Von Flugzeug- und Auto-Todesfällen kennt man analoge Kriterien als „Todesfälle pro zurückgelegten Kilometern“. Nebenbei: Von dem Kriterium für die Gefährlichkeit von Stromeerzeugungsmethoden nicht abgedeckt ist ihre Umweltschädlichkeit. Nur soviel dazu: Am umweltschädlichsten sind die wetterabhängigen Energien aus Wind, Sonne, ferner auch Energiemais. Dies liegt an ihren unabdingbar zu geringen Leistungsdichten, welche – ebenso unabdingbar – zu viel Material- und Flächenverbrauch nach sich ziehen. Dieses Thema soll hier nicht weiterverfolgt werden, nähere Info dazu in /2/ und /3/.

 

Wie gefährlich ist die zivile Nutzung der Kernenergie?

Dem Autor sind drei gründliche Untersuchungen zu dieser hier maßgebenden Frage bekannt (falls inzwischen noch weitere dazugekommen sind, wird um Mitteilung an EIKE gebeten):

  1. Vom staatlichen Paul Scherrer Institut der Schweiz (PSI) in der Publikation „Severe accidents in the energy sector. Paul Scherrer Institut, Bericht Nr. 98, 16.11.1998″, (https://www.psi.ch/sites/default/files/import/ta/PublicationTab/Hirschberg_1998_ENSAD.pdf). Dieser Bericht vom Jahre 1998 berücksichtigt auch zwar schon das KKW-Unglück von Tschernobyl in 1986, logischerweise nicht aber das von Fukishima in 2011, bei dem übrigens kein einziger Mensch durch radioaktive Strahlung zu Tode kam.
  2. Von Lancet, dem berühmtesten medizinwissenschaftlichen Journal weltweit, die Fachpublikation „Markandya, A., Wilkinsen, P., 2007, Electricity generation and health. Lancet, 370″, https://philippelefevre.com/downloads/Electricity_generation_and_health_(Lancet_2007_Markandya).pdf
  3. Von der Universität Stuttgart die Publikation „P. Preiss, P., Wissel, S., Fahl, U., Friedrich, R., Voß, A., et al., 2013. Die Risiken der Kernenergie in Deutschland im Vergleich mit Risiken anderer Stromerzeugungs-Technologien“, https://www.ier.uni-stuttgart.de/publikationen/arbeitsberichte/downloads/Arbeitsbericht_11.pdf.

Um es kurz zu machen: In allen drei Untersuchungen rangiert die Gefährlichkeit der Kernenergie an letzter Stelle und dies sogar noch mit weitem Abstand. Um dies zu veranschaulichen, nachfolgend das Bild (Fig. 7.2.1) aus S. 236 der oben zitierten Stuidie des Paul Scherrer Instituts. Der Anteil der Kernenergie an Todesopfern ist in der Grafik kaum sichtbar!

Quelle: Bericht des PSI

 

Wie nachhaltig ist die Kernenergie?

Über dieses technische Thema wird in /3/ ausführlich berichtet, daher hier nur wenige Sätze. Die bisherigen Förderreserven von Uran reichen mit den heutigen Standard-KKW noch für grob 100 Jahre. Würde man auf Uran aus dem Meer zurückgreifen (aktuell noch zu teuer), werden daraus mehrere hunderttausend Jahre Reichweite. Thorium, nur in der Erde auffindbar und weit häufiger als Uran, ist dabei nicht einmal berücksichtigt. Es steht freilich fest, dass die Kernenergie nicht bei den heutigen Typen von KKW stehenbleiben, sondern auf Kernkraftwerke der Generation IV umsteigen wird. Diese Reaktoren können als sog. Brüter konzipiert werden, die aus wenig Anfangsbrennstoff fast beliebig viel weiteren Brennstoff „erbrüten“. Ferner kann der Abfall in Generation-IV Reaktoren zu so geringen Resten verbrannt werden, dass das Abfallproblem praktisch verschwindet. Es ist zu betonen, dass die Gen-IV Technologie bereits konkrete Pilotanlagen vorweisen kann (die bereits schon viele Jahre Strom erzeugenden russischen BN-Reaktoren) und nicht nur auf „Hoffnungen“beruht wie die Kernfusion. Mit „Brüten“ verlängert sich die Brennstoffreichweite für beliebig viele KKW der gesamten Menschheit auf Millionen Jahre /3/. Gibt es eine bessere Definition für Nachhaltigkeit?

 

Fazit

Selbst die mehrheitlich grünfreundlichen Medien können nicht mehr verbergen, dass sich grüne Politiker/4/ oft nicht gerade durch überragende Sachkenntnis auszeichnen. Grüner Widerstand gegen die geplante neue EU Taxonomie ist aus diesem Grund und auch aus politischem Selbsterhaltungstrieb nachvollziehbar. „Grün“ wird heute von vielen Mitbürgern mit Natur- und Landschaftszerstörung durch nicht nachhaltige Windräder, mit Verbotsorgien, mit Sprachzerstörung (Genderunsinn) und vor allem mit erfolgreich erzeugter Angst der deutschen Bevölkerung vor der Kernenergie gleichgesetzt. Ferner wird von diesen Mitbürgern vermutet, dass nachhaltig-moderne Zukunftstechnologie gar keine grünen Ziele sind, sondern es den Grünen eher um Unterjochung der Bevölkerung mit Hilfe eines dem Kommunismus verwandten grünen Systems geht. Es wird daher spannend sein zu sehen, ob sich die Grünen aus diesem Schlamassel befreien können und wie lange die Medien als ihre treuesten Verbündeten ihnen noch gewogen bleiben.

Man kann es auch anders ausdrücken: Die wahren und auf Dauer wohl auch erfolgreichen Gegner der Grünen sind keine Politikgegner anderer Couleur, keine bösen Wähler und schon gar nicht unfreundliche Medien. Es sind Physik, Kostenrechnung und das Wetter. Gegen die hat es noch nie jemand geschafft.

 

 

Literaturnachweise

/1/ ZDF Teletext vom 3.Januar 2022.

/2/ Horst-Joachim Lüdecke, Energie und Klima, 4. Auflage, expert-Verlag, 2020.

/3/ Götz Ruprecht und Horst-Joachim Lüdecke, Kernenergie, der Weg in die Zukunft, Schriftenreihe des Europäisches Institut für Klima und Energie, Bd. 7.

/4/ generisches Maskulinum, wir lehnen den Genderunfug konsequent ab.