Das Waldsterben ist zurück – zumindest in Deutschland

Noch nie sei es dem Wald so schlecht gegangen wie jetzt, heisst es in Deutschland. Diesmal soll der Klimawandel an den Schäden schuld sein. In der Schweiz reagiert man gelassener auf tote Bäume.

 

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von Alex Reichmuth

In den 1980er-Jahren wurde im gesamten deutschsprachigen Raum das Waldsterben beschworen. Die Zeitungen waren voll mit düsteren Prophezeiungen zur Zukunft des Waldes, auch in der Schweiz. Die Journalisten verwiesen dabei auf Forstwissenschaftler, die davor warnten, der Wald werde schon in wenigen Jahren flächendeckend verschwinden. Wer Zweifel anmeldete, wurde diskreditiert.

Einige Jahre später war der Spuk vorbei. Die dunklen Prognosen hatten sich nicht ansatzweise bewahrheitet. Das Waldsterben war sang- und klanglos aus den Schlagzeilen verschwunden.

«Nur noch jeder achte Baum ohne Schäden»

Doch jetzt ist das Waldsterben, so scheint es, zurück – zumindest in Deutschland. «SchockBericht! Nur noch jeder achte Baum ohne Schäden», schrieb die «Berliner Tageszeitung» vor einigen Tagen und berief sich dabei auf einen Waldschadensbericht des Bundeslandes

Brandenburg. Der Wald sehe zwar schön aus, «ist aber ziemlich kaputt». Es handle sich um «die schlimmste Bilanz» seit 30 Jahren, so die Zeitung. Schuld daran sei der Klimawandel, denn die Dürre der letzten Jahre habe Millionen von Bäumen absterben lassen.

Schon früher in diesem Jahr war der Waldsterbe-Alarm durch das Land gehallt. «Wälder in dramatischem Zustand», verkündete das Erste Deutsche Fernsehen (ARD) im Februar. Nur noch

21 Prozent der Bäume hätten intakte Kronen. «Fast alle Bäume leiden», mahnte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) damals. «Dem deutschen Wald geht es schlechter als je zuvor», behauptete auch der Radiosender «Deutsche Welle». Noch nie seit 1984 sei es um den Wald so schlimm gestanden. «Waldschäden nehmen rasant zu», schrieb die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ).

«Unsere Wälder sind krank»

Auch diesmal können sich die Journalisten auf düstere Warnungen von Wissenschaftlern, Behördenmitglieder und Politikern abstützen. «Die jetzigen Ergebnisse gehören zu den schlechtesten seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1984, die meisten Bäume haben lichte Kronen», schrieb das deutsche Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im letzten Februar mit Verweis auf den Waldzustandsbericht 2020 (siehe hier). «Unsere Wälder sind krank», hielt die damals zuständige Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) fest.

Die Situation sei katastrophal, mahnte auch Irene Seling, Hauptgeschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände: «Der deutsche Wald ist das erste Opfer des Klimwandels». Das Land erlebe gerade «die schwerwiegendste Waldschaden-Situation seit mehr als 200 Jahren», behauptete Michael Müller, Professor für Waldschutz an der Technischen Universität Dresden im Sommer 2020.

«Der Schweizer Wald ist so krank wie nie seit 1984»

Die Umweltorganisationen stürzen sich auf den Wald-Alarm. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland forderte die Bundesregierung auf, «endlich wirksame Klimaschutzmassnahmen» zu ergreifen, um dem Waldsterben Einhalt zu gebieten. «Eine Waldwende ist dringend nötig», schrieb Greenpeace. Es brauche wieder «naturnahe Wälder», die Dürren und Stürmen standhalten könnten.

Weniger schrill tönt es in der Schweiz. Zwar tauchen auch hier hin und wieder Schock-Schlagzeilen auf. «Der Schweizer Wald ist so krank wie nie seit 1984», schrieb das Onlineportal «Infosperber» im Oktober letzten Jahres. «Unsere Wälder verdursten langsam», verkündete SRF im April 2020.

Doch zumindest die Behörden und Forscher bleiben hierzulande auf dem Boden. «Die Ergebnisse des neuen, vierten Landesforstinventars zeigen, dass der Schweizer Wald in guter Verfassung ist», teilte die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Juni 2020 mit. Dem Wald machten zwar Insektenbefall und Krankheiten zu schaffen. Aber er schütze besser vor Naturgefahren wie Steinschlag und Lawinen als acht Jahre zuvor beim letzten Bericht.

Waldsperrung wegen herabstürzender Bäume

Das Landesforstinventar, auf das sich die WSL bezog, stützte sich auf Erhebungen in den Jahren 2009 bis 2017. Nicht berücksichtigt war dabei der heisse und trockene Sommer 2018, der viele Bäume zum Absterben gebracht hatte. Der Hardwald bei Birsfelden im Kanton Baselland musste wegen der Gefahr herabstürzender Bäume sogar vorübergehend gesperrt werden – zum Schutz von Spaziergängern.

Die Eidgenössischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen wollte weismachen, der Anteil der geschädigten Bäume im Schweizer Wald sei zwischen 1983 und 1987 von 14 auf 56 Prozent gestiegen.

Die WSL hat aber auch dazu Entwarnung gegeben. Man stelle zwar einen «gravierenden Wassermangel» fest, wie er im Schnitt alle hundert Jahre in der Schweiz vorkomme, schrieb die Forschungsanstalt 2019. Aber man sehe kein Waldsterben. Es würden lediglich einzelne Bäume sterben, mit lokalen Konsequenzen.

«Bösgläubig oder unbelehrbar»

Das tönt ganz anders als in den 1980er-Jahre, als die Schweizer Behörden Politiker in die Waldsterbe-Hysterie einstimmten. Damals wollte die Eidgenössischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen der Bevölkerung weismachen, der Anteil der geschädigten Bäume im Schweizer Wald sei zwischen 1983 und 1987 von 14 auf 56 Prozent gestiegen, was ungeheuer dramatisch tönte. Diese Anstalt war die Vorgängerinstitution der WSL.

«Man kann es nicht genug wiederholen, unser Wald ist krank, sehr krank», orakelte der damals zuständige Bundesrat Alphons Egli (CVP) im Parlament. Wer das Waldsterben noch in Frage stelle, «der ist nach meiner Auffassung, wenn nicht sogar bösgläubig, doch zum mindesten unbelehrbar, oder er hat ein persönliches Interesse daran, dass nicht wahr sein darf, was er nicht wahrhaben möchte».

Falsche Deutung links-grüner Kreise

Heute erklären Grüne und linke Politiker das plötzliche Verschwinden des Waldsterbens im letzten Jahrhundert gerne damit, dass der Wald damals durch Anstrengungen zur Luftreinhaltung gerettet worden sei. Diese Behauptung machte kürzlich zum Beispiel SP-Co-Präsident Cédric Wermuth in «Feusi Fédéral» (siehe hier).

Diese Deutung ist aber nachweislich falsch. Zwar wurde die Luft ab den 1980er-Jahren tatsächlich sauberer, vor allem wegen des Einbaus von Katalysatoren bei Motorfahrzeugen. Aber es gab nie den Moment, in dem ein Rückgang der Waldschäden beobachtet werden konnte. Vielmehr erkannten die Waldforscher allmählich, dass viele der vermeintlichen Schäden zum normalen Erscheinungsbild des Waldes gehörten.

Die Kronenverlichtung taugte nicht als Indikator

So berichtete die WSL 1998, gestützt auf den Sanasilva-Bericht von 1997: «Nach 15 Jahren Waldschadensforschung ist klar: Der Schweizer Wald ist nicht akut gefährdet». Die Kronenverlichtung, die man jahrelang als Indiz für einen sterbenden Wald gehalten hatte, sei «nur beschränkt als Indikator für die Vitalität der Bäume geeignet».

«Ich bin optimistisch, dass wir die Situation in den Griff bekommen.»

Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrats

Vermutlich wird sich die Aufregung um ein neues Waldsterben auch diesmal bald legen. Immerhin gibt es in Deutschland auch vernünftige Stimmen. Zu ihnen gehört Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrats. «Ich bin optimistisch, dass wir die Situation in den Griff bekommen», sagte er gegenüber der «FAZ». Der Umbau, um die Wälder besser an neue klimatische Bedingungen anzupassen, sei in vollem Gang, und das schon seit vielen Jahren.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizer Nebelspalter hier