Erneuerbare Wissenschaft
von Frank Hennig
In der Politik und der sie begleitenden Wissenschaft ist der Glaube fest und das Wissen eher dünn. Zahlen werden so lange verschoben, bis die Energiewende ein Erfolg werden wird – theoretisch.
Flexibilität in Energiewendefragen ist für die interessengeleitete Wissenschaft unabdingbar. Da das Unvermögen der „Erneuerbaren“ kaum noch zu verbergen ist, müssen die Thesen nicht nur permanent wiederholt, sondern auch angepasst werden.
Die jüngsten Entwicklungen auf den Energiemärkten, sichtbar durch Mangel und steigende Preise, haben öffentliches Interesse geweckt. Um Zweiflern zeitnah zu begegnen, gilt es nun, die Richtigkeit des nationalen Wegs der Energiewende zu bekräftigen. „100 Prozent erneuerbare Energie für Deutschland …“ überschrieb im April das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie, die den Weg zeigen und wissenschaftlich begründen will. Gleich im ersten Satz gibt es klare Kante:
„Die auf europäischer Ebene, in Deutschland als auch in vielen Bundesländern, Städten, Gemeinden, Quartieren und kleineren Einheiten vereinbarten Ziele zu Dekarbonisierung, Klimaschutz, Teilhabe und andere führen zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien („100% EE“), da weder fossile noch fossil-atomare Technologien ökologisch wie ökonomisch tragfähige Lösungen sind. Jedoch stellt sich die Frage der Ausgestaltung …“
Das erinnert in der Absolutheit der Formulierung an die Thesen des Politbüros der realsozialistischen DDR, mit denen jede Grundsatzdiskussion von vornherein verhindert werden sollte. Immerhin lernen wir, dass „vereinbarte Ziele“ zu einer „Vollversorgung“ führen werden – offenbar unumstößlich und mit Gewissheit. Also wenn ein vereinbartes Ziel auch zur Realisierung führen würde, hätte es mit Elbphilharmonie, BER und Stuttgart 21 keine Terminprobleme geben dürfen. Von anderen nicht erreichten Zielen wie dem Ausbau des Glasfasersystems, der Digitalisierung oder einer preiswerten Energieversorgung nach Paragraf 1 des Energiewirtschaftsgesetzes ganz zu schweigen. Dass Kohle und Kernkraft keine Lösungen seien, sieht man global zwar anders, aber ideologisch gefestigte deutsche Wissenschaftler dürfen das natürlich ignorieren.
Wie in derartigen Studien üblich, ignoriert man weitgehend den Ist-Zustand und rechnet munter Szenarien bis zum Jahr 2040 hoch. Der dann „exogen vorgegebene“ Strombedarf von jährlich 1.070 Terawattstunden (TWh) soll unter anderem befriedigt werden durch 128 bis 300 Gigawatt (GW) Fotovoltaik (heute 58 GW) und 124 bis 218 GW Windkraft (heute 64 GW). Schon die Angabe der zu installierenden Fotovoltaik in Gigawatt anstelle des physikalisch korrekten Gigawattpeak (GWp) zeigt, wohin die Reise geht, nämlich zum Schieben von Zahlen auf dem grünökologischen Institutstisch, schematisch und eindimensional CO2-zentriert.
GWp beschreibt die Maximalleistung der Paneele bei optimalem Sonnenstand und optimaler Temperatur. Verrechnet mit durchschnittlich zu erwartenden 900 Volllaststunden im Jahr ergäben die 128 GWp am Ende 115 TWh, also gerade ein Zehntel des Strombedarfs, der zudem im Winter am höchsten ist, wo die Sonne kaum liefert. Es ist nicht einmal das Doppelte der heute noch laufenden sechs Kernkraftwerke. Die 124 GW Windkraft – als Minimum – sollen vorrangig dezentral, also an Land verstreut, entstehen. Die Flächenkonflikte dürften allerdings kaum mehr als 80 GW zulassen und selbst bei dieser großen Anlagenzahl käme es zunehmend zur gegenseitigen Verschattung und abnehmendem Ertrag pro Anlage. 124 GW Windkraftkapazität würden im günstigsten Fall etwa 270 TWh Strom bringen, also gerade ein Viertel des Bedarfs.
Wie alle einschlägigen Studien dieser Art ignoriert man die erforderliche Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch und rechnet mit Durchschnittswerten. In der Praxis würde eine Verdreifachung der Wind- und Solarkapazitäten folgende Wirkung haben, hier am Beispiel des Monats Oktober 2021:
Ergebnis wären Zeiten großen bis zu dreifachen Überangebots wie zwischen dem 19. und 23. des Monats, aber auch Zeiten des Mangels wie vom 6. bis 8. Das soll dann offenbar der Wasserstoff richten, für den man einen zusätzlichen Strombedarf von 139 TWh ansetzt, der auch noch national erzeugt werden soll. Das macht dann bei der Wiederverstromung ganze 35 TWh (optimistisch gerechnet) und reicht kaum, längere Täler zu füllen. Tiefer muss man in das Zahlenwerk nicht einsteigen, es ist schlicht nicht plausibel.
Dann bliebe noch das Erdgas, aber selbst das ist verpönt: „Nach dem Kohleausstieg muss jetzt der Ausstieg aus fossilem Erdöl und Erdgas (dessen CO2-Bilanz bei einer Lebenszyklusanalyse noch schlechter ausfällt als die der Kohle) zielgerichtet und zeitnah auf den Weg gebracht werden“, schreibt Professor von Hirschhausen im DIW-Wochenbericht.
Natürlich befasst man sich nicht mit den profanen Fragen von Terminen, Kosten, Finanzierung und der Frage, wo die riesigen Kapazitäten zur Herstellung der Anlagen und die Rohstoffe herkommen sollen. Auch die Auswirkungen eines solchen extremen Ausbaus auf die Rohstoffpreise und auf Flora und Fauna, Wetter und Klima werden ignoriert. Das „Terrestrial Stilling“, das abnehmende Windaufkommen infolge der Vielzahl von Windkraftanlagen wie auch die Austrocknung von Landschaften durch den vertikalen Lufttransport dieser werden auch nur erwähnt. Desgleichen die Hotspots immer größer werdender Freiflächenanlagen der Fotovoltaik, die zu örtlicher Erwärmung und damit Austrocknung führen.
Wie in vielen anderen derartigen Studien werden auch die wirtschaftlichen Wechselwirkungen ausgeblendet. Welcher der Super-Thinktanks sah eigentlich voraus, dass bei steigenden Gaspreisen Düngemittel und AdBlue knapp werden (Anm. der EIKE-Redaktion: AdBlue ist eine flüssige Harnstofflösung, die bei Fahrzeugen mit SCR-Systemen zur Reduzierung der Stickoxidemissionen vor einem speziellen Katalysator eingespritzt wird, dort mit den Schadstoffen reagiert und diese fast vollständig in Wasserdampf und ungefährlichen Stickstoff umwandelt)? Wer hat kalkuliert, welche steigenden Gasverbräuche und -preise der Atom- und Kohleausstieg zur Folge haben werden?
Die deutsche Energiewende bewirkte inzwischen, dass neben „Blitzkrieg“ und „Kindergarten“ auch die „Dunkelflaute“ Einzug in den englischen Sprachraum hielt und den Begriff „dark doldrums“ verdrängt. Sie ist keine deutsche Erfindung, war früher aber bedeutungslos. Nun kommt sie international sprachlich zu Ehren. Im Original liest sich das so: „In fact, according to a study of weather in the U.S. and Germany, these dunkelflauten can last for as long as two weeks.“
Passend gemacht
Gegebenenfalls passt man beim DIW die Theorie nachträglich an geänderte Realitäten an. Frau Professor Kemfert antwortete noch im Juli auf die Frage, ob es möglich sei, den gesamten Energiebedarf Deutschlands aus „erneuerbaren“ Energien zu decken, sehr selbstbewusst: „Ja, es ist technisch möglich, ökonomisch effizient und es ist auch in kürzester Zeit machbar …“ Im November schwenkte sie dann bezüglich des nötigen Wasserstoffs ein. Selbst wenn sofort begonnen werde, die „erneuerbaren“ Energien massiv auszubauen: „Man muss wohl eher in Zeiträumen von zehn bis 15 oder sogar 20 Jahren denken.“
Viel mehr als wissenschaftlich verbrämten Energiewende-Populismus hat das DIW nicht zu bieten. „Hört auf die Wissenschaft“, wird oft gerufen, nicht nur von hüpfenden Kindern. Aber nicht einmal das DIW hört auf die internationale Wissenschaft, deren Erkenntnisse zum Beispiel über das IPCC, den politischen Arm von Klimawissenschaftlern, verbreitet werden. Im 6. Sachstandsbericht vom 9. August 2021 heißt es:
„Die wichtigsten Minderungsmöglichkeiten im Energieversorgungssektor sind die Verbesserung der Energieeffizienz, die Reduzierung flüchtiger nicht-CO2-THG, die Umstellung von Brennstoffen z.B. der Wechsel von fossilen Brennstoffen mit hohen spezifischen THG-Emissionen, z.B. Kohle, zu solchen mit niedrigeren, z.B. Erdgas, die Nutzung regenerativer Energien, die Nutzung von Kernenergie und die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).
Keine einzige der Minderungsoptionen im Energiesektor wird ausreichen, um den Anstieg der globalen durchschnittlichen Temperaturänderung unter 2° über dem vorindustriellen Niveau zu halten.“
[Hervorhebungen vom Autor]
Im Klartext: Nur mit den „Erneuerbaren“ allein werden die Emissionen nicht wirksam begrenzt werden können. Dies wird beim DIW hochmütig ignoriert.
Aber auch das höchste wissenschaftliche Beratergremium der Bundesregierung, der Sachverständigenrat, der durch „Wirtschaftsweise“ besetzt sein soll, schwimmt immer mehr im Flachwasser. In ihrem „Reformplan“ wimmelt es von Plattitüden zu den Themen Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Kritik ist nicht zu finden, dafür der Hinweis auf den hippen Klimaklub der Willigen und die Transformation und dass man die Rente reformieren könne. Versorgungssicherheit und Energiepreise sind kein Thema. Die Angst vor Konkretem war offenbar groß. Mit „neuen Technologien“ sind natürlich nur solche auf Basis alter „Erneuerbarer“ gemeint. Immerhin ist der Rat quotenmäßig korrekt besetzt.
Bei der Frage nach dem akademischen Niveau in Deutschland bleibt oft nur das Echo als Antwort: „Wo?“