Die Temperaturen im Oktober und die Klimakonferenz COP26 in Glasgow
von Fritz Vahrenholt
Es gibt auch positive Überraschungen in Glasgow. So etwa die Mitteilung des Global Carbon projects, dass die CO2-Emissionen seit zehn Jahren stagnieren. Trotzdem werden die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 ansteigen.
Zunächst aber wie immer zur Temperaturkurve.
Die Abweichung der globalen Mitteltemperatur der satellitengestützten Messungen vom Durchschnitt der Jahre 1991-2020 stieg im Oktober 2021 auf 0,37 Grad Celsius. Die sich entwickelnde La Niña hat sich noch nicht bemerkbar gemacht. Der mittlerer Temperaturanstieg der letzten 40 Jahre betrug 0,14 Grad Celsius pro Jahrzehnt.
COP 26 in Glasgow : Deutschlands historische Schuld?
In dem illustren Polittheater in Glasgow, bei dem viele Staatenlenker fehlten, dafür aber Leonardo diCaprio und Jeff Bezos angeflogen waren, kamen die schrillsten Stimmen wieder einmal von Greta Thunberg und Luisa Neubauer vom Reemtsma-Clan. Zur geforderten CO2-Emissionminderung lieferte die Schwedin den Beitrag :
„Deutschland hat eine große Verantwortung und eine historische Schuld“.
Der eigentliche Skandal ist aber, dass die ebenfalls in Glasgow anwesende Bundesumweltministerin Svenja Schultze, diese Masslosigkeit nicht in die Schranken gewiesen hat. Summiert man die CO2-Emissionen der letzten 50 Jahre ( das vorher ausgestossene CO2 befindet sich zum größten Teil nicht mehr in der Atmosphäre) so stellt man fest: die USA liegen mit 261 Milliarden t vorn, gefolgt von China mit 226 Milliarden, Russland 89,7, gefolgt von Japan und Indien. Dann folgt Deutschland mit 47,7 Milliarden t, die allerdings auch die hohen Emissionen der DDR, des Staates mit den wohl höchsten pro Kopf Emissionen weltweit mitumfassen. Wäre es zuviel von einer deutschen Bundesministerin verlangt, daraufhinzuweisen, dass in den letzten 40 Jahren kaum ein anderes Land einen größeren Beitrag zur Emissionsminderung geleistet hat als Deutschland mit minus 40 % gegenüber 1990 ? Sollten wir auf diese Leistung nicht mit Stolz verweisen dürfen ?
Während die Emissionen in 2021 gegenüber 2019 in den USA und Europa leicht sinken, nehmen sie in China dramatisch zu. Wie das Global carbon project in Glasgow bekanntgab, hat China in 2021 mit einem Anstieg von 5,5 % seiner Emissionen auf 11,1 Milliarden Tonnen nunmehr 31 % der Emissionen der Welt auf sich vereint.
Das Global carbon project stellt fest :
„Der weltweite Anstieg der fossilen CO2-Emissionen ist vor allem auf die Zunahme des Kohleverbrauchs im Strom- und Industriesektor in China zurückzuführen.“
Nur Greta Thunberg sieht in Deutschland einen der größten Klima-Schurken.
Der Staatschef des Hauptverursachers des CO2-Wachstums ist nicht in Glasgow
Xi Jinping, chinesicher Staatschef, lässt sich wie viele andere Staatschefs in Glasgow nicht blicken. Immer offensichtlicher wird, dass die Strategie Chinas, die CO2-Minderung zur Sache des Westens zu erklären , nicht aufgeht. Bislang hatte China die Chuzpe, als grösste Exportnation der Erde in der Verkleidung eines Entwicklungslandes immer größere Forderungen zur CO2-Senkung an die die westlichen Länder USA, Europa, Kanada oder Australien zu richten. Das Kalkül wurde nicht von jedem durchschaut. Jede grüne Strategie, die die Wettbewerbssituation westlicher Industriebetriebe oder Automobilfirmen durch zusätzliche CO2– Kosten erschwert, war recht, um das Ziel zu erreichen, 2050 die führende Weltmacht zu werden („Zeit und Momentum sind auf unserer Seite„, Xi Jinping, zitiert nach Theo Sommer).
Doch zunächst hat China ein Eigentor geschossen. Die Forderungen Australiens nach einer erneuten unabhängigen Untersuchung der Ursachen der COVID-19 Quelle in Wuhan, beantwortete China mit einem Boykott australischer Waren. Diese lieferten aber nicht nur Wein, sondern vor allen Dingen Kohle nach China. Zum Zeitpunkt des Boykotts warteten 70 Kohleschiffe vor der chinesischen Küste, um abgefertigt zu werden. Sie mussten über einen längeren Zeitraum weltweit umdirigiert werden. Seitdem fehlt China etwa 5 % des Kohleeinsatzes, was sich nach der schnellen Erholung der Industrie in China als unüberbrückbare Lücke herausstellte. Schliesslich musste China sogar Kohle aus den verhassten USA importieren. 153 bereits stillgelegte alte Kohleminen wurden wieder in Gang gesetzt, um 220 Millionen t zusätzliche Kohle pro Jahr zu produzieren. Das ist nahezu das Doppelte dessen, was Deutschland noch verbrennt. Man importiert sogar Kohle aus Nordkorea unter Verstoß gegen UN-Sanktionen.
In der Hälfte des Landes ist Strom rationiert. Produktionen, die für den Export bestimmt sind, werden stillgelegt, wie die Magnesiumproduktion. In vielen Städten werden die Aufzüge in Hochhäusern erst vom 7. Stock aufwärts betrieben. Chinas Schicksal steht und fällt bis auf Weiteres mit der Kohlenutzung.
Vor diesem Hintergund ist die Positionskorrektur Chinas in Glasgow bemerkenswert. Xie Zhenhua, Pekings Chef-Verhandler, erklärte , das 1,5 Grad Ziel sei für viele Nationen zu schwierig einzuhalten. Damit meint er wohl vor allen Dingen sein eigenes Land, das jede dritte Tonne CO2 der Welt emittiert. China versucht sich erneut hinter anderen Entwicklungsländern zu verstecken. Wörtlich Xie Zhenhua:
“ Falls wir uns allein auf 1,5 Grad Celsius fokussieren, zerstören wir den Konsens und viele Länder würden die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangen“.
Damit ist das Paris-Abkommen gemeint. Und um alle Zweifel zu beseitigen :
“ China hätte schon bereits die größtmöglichen Anstrengungen gegen den Klimawandel unternommen.“
Was wie eine petitesse aussieht – 1,5 Grad oder 2 Grad -, ist in den ( aus meiner Sicht fehlerhaften) Berechnungen des IPCC ein Unterschied von nahezu 1000 Milliarden t CO2 noch zusätzlich zulässiger Emissionen. Es bleibt also dabei, China wird seine CO2-Emissionen bis 2030 bis auf 14 Milliarden t CO2 ansteigen lassen. Und hat jemand wirklich geglaubt, dass die in diesem Jahrzehnt gebauten Kohlekraftwerke in 30 Jahren wieder abgebaut werden?
Schaufensterreden aus USA und Europa
Präsident Biden, der in Glasgow vollmundig erklärte, „bis Ende 2022 aus der Finanzierung fossiler Energien im Ausland auszusteigen“, hatte gerade eine Woche zuvor beim G20-Gipfel in Rom die Ölförderländer aufgefordert mehr fossille Energien zu fördern, um den Bedarf zu decken und weiter steigende Energiepreise in den USA zu vermeiden.
Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze („Wir werden 2045 klimaneutral, das sind fünf Jahre früher als die EU“) verheimlichte den Delegierten in Glasgow die Tatsache, dass selbst die rot-grün-gelben Koalitionsverhandler in Berlin mittlerweile einräumen müssen, dass ohne ein massives Bauprogramm von Gaskraftwerken die Stromversorgung in Deutschland nicht aufrecht erhalten werden kann. Um den grünen Schein zu wahren, wird der Zusatz bemüht, dass diese Gaskraftwerke Wasserstoff-ready sein sollen. Das ist aber heute noch illusorisch, denn solche Kraftwerke, die mit reinem Wasserstoff betrieben werden, gibt es noch gar nicht. SIEMENS erklärt, dass sie das Ziel haben, 100 %ige Wasserstoffkraftwerke in 2030 entwickelt zu haben. Zudem stellt sich die Frage, wie dieser Wasserstoff produziert werden wird. Solllte das durch Windkraft passieren, müsste wegen der Verluste auf dem Weg : Windenergie zu Wasserstoff zu Strom viermal soviel Windstrom produziert werden. Für 100 Terawattstunden wären das allein etwa die Vierfache Kapazität der heute im Land stehenden Windkraftanlagen.
Aber auch der Gastgeber Boris Johnson („Es ist eine Minute vor Mitternacht auf der Weltuntergangs-Uhr“), blamierte sich. Da während der Konferenz die Stromerzeugung aus Wind stark abfiel, mussten am 3. November zwei eingemottete Kohlekraftwerke von Drax wieder hochgefahren werden, um die Stromversorgung auch in Glasgow zu retten. Drax liess sich das mit dem exorbitanten Strompreis von 4.000 Pfund pro Megawattstunde bezahlen.
Sensationelle Neubewertung : Die CO2-Emissionen stagnieren seit zehn Jahren – Ozeane und Pflanzen nehmen immer mehr CO2 auf
Die in Glasgow vorgestellten Zahlen des Global Carbon projects zeigen noch eine weitere interessante Entwicklung auf, die den Berichterstattern der deutschen Medien keine Zeile wert war. Wie die folgende Grafik zeigt, sind die CO2-Emissionen seit 2010 etwa gleichbleibend ( grau : Emissionen durch fossile Brennstoffe und gelb : Emissionen durch Änderung der Landnutzung z. B. Waldrodung). Der Grund hierfür ist eine sensationelle Neueinschätzung des Global carbon projects, wonach die CO2-Emissionen durch Landnutzungsänderung im Unterschied zu den bisherigen Schätzungen nicht zugenommen, sondern um etwa 4 % pro Jahr seit 2000 abgenommen haben. Durch den Rückgang der Landnutzungsänderungen und Waldrodungen ist der leichte Anstieg der fossilen CO2 – Emissionen ausgeglichen worden.
Da aber die Ozeane ungebrochen immer mehr CO2 aufnehmen ( dunkelblau, in 2021 etwa 10,6 Milliarden t CO2) und die Pflanzenaufnahme ebenso ansteigt (grün, auf nunmehr 12,1 Milliarden t CO2), sinkt der Verbleib in der Luft. Der jährliche Anstieg ging von 2,5 ppm (2019) über 2,3 ppm (2020) auf 2,0 ppm (2021 geschätzt) zurück. Sicherlich hat in den letzten drei Jahren auch der globale Temperaturrückgang diese Entwicklung begünstigt.
Warum ist diese Momentaufnahme wichtig ? Weil dies erneut bestätigt, dass die Aufnahme der Pflanzen und der Ozeane hauptsächlich von der Konzentration des CO2 in der Luft abhängt. Während also die globalen Emissionen seit 2019 nahezu konstant geblieben sind, nimmt die Aufnahme von Ozeanen und Pflanzen zu, weil trotz gleichbleibender Emissionen die Konzentrationen in der Luft um die oben genannten 2 bis 2,5 ppm pro Jahr angestiegen sind. Obwohl ich das schon oft in diesem newsletter erwähnt habe, wiederhole ich das noch einmal : Würden die Emissionen in grau und gelb halbiert werden, würde der Zuwachs in der Atmosphäre gestoppt. Die hellblaue Fläche in der Grafik würde verschwinden. Es ist eben leider grundfalsch, was das Bundesverfassungsgericht der Politik vorgegeben hat, wonach das CO2 für nahezu immer in der Luft verbleiben würde und man daher eine Nullemission für Deutschland in den nächsten zwei Jahrzehnten festgelegt hat. Siehe hierzu ausführliche Kritik in Vahrenholt/Lüning, „Unanfechtbar – der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck“.