Der Wärmeinseleffekt (WI) in Deutschland – viel mehr als nur inselhaft wirksam – Teil 2
WI-Effekte in unterschiedlichster Form betreffen heute weite Flächen des Landes und befeuern die Klimaerwärmung
Teil 2: Der städtische Wärmeinseleffekt (UHI) – wie wachsende Bebauungen und Versiegelungen Deutschland einheizen
Stefan Kämpfe
Wissenschaftliche Erkenntnisse zum UHI
Der UHI hängt vor allem von der Einwohnerdichte ab. Je mehr Einwohner sich eine gleich große Fläche teilen, desto stärker ist tendenziell der Erwärmungseffekt.
Der UHI-Effekt lässt sich sehr gut aus dem All anhand der Satelliten-Daten erkennen; besonders die Oberflächentemperaturen sind in den Großstädten und Ballungsräumen deutlich erhöht.
Außer der Einwohnerdichte beeinflussen Dichte, Art und Weise der Bebauung, Durchgrünung und Wirtschaftsweise die UHI-Intensität wesentlich.
UHI ist also nicht gleich UHI, das zeigen auch Untersuchungen von KÄMPFE zur Großstadt Berlin.
Auf die umfangreichen meteorologischen Auswirkungen des UHI wie Hitze- und Dunstglocke, Luftchemie, Wind- und Niederschlagsbeeinflussung, Änderung des Strahlungshaushaltes und Luftfeuchteminderung, soll hier nicht umfassender eingegangen werden. Zwei Beispiele anhand der Großstadt Berlin zeigen jedoch, wie sich der UHI-Effekt auf die Lufttemperaturverteilung an windschwachen Strahlungstagen sowie auf die Niederschlagsverteilung auswirkt:
KÄMPFE hat anhand des DWD-Messnetzes zahlreiche Untersuchungen zum WI- und UHI-Effekt durchgeführt. Dabei ging es unter anderem um die jahreszeitliche Größenordnung des UHI-Effektes, wozu großstädtische und eher ländliche Stationen miteinander verglichen wurden.
Es gibt also keinen jahreszeitlich-intensitätsmäßig einheitlichen UHI, lediglich die erhöhte UHI-Affinität des Aprils fällt bei allen drei Vergleichen ähnlich aus. Nun war zu klären, ob sich die Stadt-/Umland-Differenzen seit den frühen 1990er Jahren verändert haben; doch auch da zeigt sich kein einheitliches Bild.
Diese drei Vergleiche sind keinesfalls repräsentativ für das UHI-Verhalten in ganz Mitteleuropa; dennoch werfen sie viele Fragen auf. Erstens die nach den großen Differenz-Schwankungen von Jahr zu Jahr in Berlin, obwohl hier jeweils drei Stationen gemittelt wurden, und die sehr geringen bei dem südlichsten Stationspaar (Wien). Zweitens das unterschiedliche Trendverhalten – sollte die Abnahme in Berlin aufgrund des ausufernden Speckgürtels im Umland und/oder der dort stark ausufernden, erwärmend wirkenden Nutzung der Wind- und Solarenergie erfolgt sein? Die leichte Differenz-Zunahme bei Jena minus Dachwig kann der wachsenden Boomtown Jena geschuldet sein – oder sie resultiert aus meteorologischen Effekten (das für Nebellagen sehr anfällige Saaletal könnte überdurchschnittlich von der in den letzten drei Jahrzehnten im gesamten Flachland Deutschlands erfolgenden Häufigkeitsabnahme des Nebels profitiert haben – aber auch der UHI dürfte den Nebel öfters „wegheizen“). Dagegen spricht aber das jahreszeitliche Verhalten: Im Herbst/Winter nahmen die Differenzen zwischen Jena und Dachwig leicht ab; im Frühling/Sommer jedoch deutlich zu. In Berlin nahmen die Differenzen in allen Jahreszeiten merklich ab; am stärksten jedoch im Sommer. In Wien gab es nur im Winter und Frühling eine geringe Differenzabnahme; Sommer und Herbst blieben fast unverändert.
Die zunehmende Bebauung und Versiegelung in Deutschland befeuert auch den UHI-Effekt
Trotz all der vollmundigen Phrasen unserer Politiker zur ökologischen Wende und zum Klimaschutz werden in Deutschland jeden Tag noch immer etwa 58 Hektar, das sind stattliche 580.000 Quadratmeter (die Fläche von fast 1.500 Kleingärten) versiegelt; dort kann vom Boden kein Wasser mehr gespeichert und somit auch keine kühlende Verdunstung mehr wirksam werden (Niederschlagswasser wird meist in die Kanalisation abgeleitet). Jede Sekunde wird in der Bundesrepublik Deutschland 5,22 m² Boden neu als Siedlungs- und Verkehrsfläche beansprucht (Quelle). Allerdings beinhaltet Siedlungs- und Verkehrsfläche auch unversiegelte, teils begrünte Flächen wie Vor- und Hausgärten, Erholungsflächen, Friedhöfe oder begrünte Straßenränder. Von 1992 bis 2019 vergrößerte sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche von 40.305 auf 51.489 Km² – eine Zunahme um fast 28% in nur 28 Jahren. Längerfristig liegen leider keine genauen Zahlen vor, doch liefert die Entwicklung der Einwohnerzahlen Deutschlands wichtige Indizien. Diese stieg von etwa 41 Millionen im Jahre 1871 auf etwa 83 Millionen im Jahre 2020 – eine Verdoppelung in 150 Jahren. Die aussagefähigere Einwohnerdichte (Einwohner je Km²) beträgt heuer etwa 233 EW/Km² und dürfte sich seit der Zeit des Kaiserreiches sogar deutlich mehr als verdoppelt haben, weil besonders mit den enormen Gebietsverlusten nach 1945 viele Vertriebene in das verbleibende, kleinere Staatsgebiet umsiedeln mussten. Aber jeder Einwohner benötigt neben Wohnung und Beruf auch Verkehrs-, Einkaufs- und Freizeitflächen; hinzu kommt der erheblich gestiegene Lebensstandard. All das benötigt Energie zum Arbeiten, Heizen, Kochen, für Körperpflege, Heimelektronik, Fortbewegung, Gesundheitswesen und Freizeitaktivitäten, die letztendlich als Abwärme in die Umwelt gelangt. Noch viel bedeutsamer sind aber die geänderten Energieflüsse infolge der Nutzungsänderungen, vor allem der Bebauungen und Versiegelungen. Im Folgenden sollen einige Beispiele veranschaulichen, wie stark die Bebauung ausuferte, und wie die zunehmende Einwohnerdichte die Temperaturen mit beeinflusst haben könnte. Werfen wir zuerst einen Blick auf die mittelgroße, wirtschaftsschwache und nur von Kultur, Kleingewerbe und Tourismus lebende Stadt Weimar. Diese hatte um 1945 in etwa so viele Einwohner, wie gegenwärtig – zwischen 62.000 und 65.000 (wobei der heurige Stand nur durch 1993 eingemeindete Ortsteile gehalten werden konnte und erst seit den späten 2000er Jahren wieder eine leichte Zunahme erfolgte). Aber die bauliche Entwicklung zeigt nahezu eine Verdoppelung der Bauflächen seit 1945 im heutigen Stadtgebiet und in unmittelbar angrenzenden Gemeinden.
Die meisten Neubauflächen liegen in Hauptwindrichtung südwestlich, westlich und nordwestlich des alten Stadtgebietes, was klimatisch besonders problematisch ist, denn bei den dominierenden Westwinden gelangt dann schon vorgewärmte Luft in die Stadt. Man achte besonders auf die riesige Neubaufläche des Gewerbeparks Ulla/Nohra/Obergrunstedt südwestlich der Stadt, wo auch ein riesiger, stark heizender Solarpark entstand.
Problematisch war und ist auch die bauliche Nachverdichtung im älteren Stadtgebiet, weil hierdurch viele weitläufige Villengärten oder Grünanlagen ganz oder teilweise verlorengingen.
Starke Erwärmung an der Wetterstation Potsdam – auch wegen baulicher Verdichtungen und stark steigender Einwohnerzahlen?
Seit über einhundert Jahren (1893) wird auf dem Telegrafenberg in Potsdam eine Wetterstation betrieben; bis Ende 2019 galt sie als Säkularstation. Das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) schreibt dazu vollmundig: „Die Säkularstation ist weltweit die einzige meteorologische Station, die über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren ein derart umfassendes Messprogramm ohne Lücken aufweisen kann… . Das Datenmaterial ist nachgewiesenermaßen homogen. Bis heute wurden die historischen Beobachtungsbedingungen beibehalten. Dazu gehören: Standorttreue – keine Stationsverlegung, keine Änderungen des Messfeldes. Unveränderte Umgebung… .“ Doch am 31.12.2019 wurde die hochgelobte, angeblich so exakte und weltweit einzigartige Station aufgegeben – zwar führt der Deutsche Wetterdienst (DWD) die Aufzeichnungen fort, aber nicht mehr mit den alten Instrumentarien und Beobachtungszeiten und -methoden. Aber schon ein Blick auf das historische Messfeld zeigt: So ganz entsprach es nicht den strengen, alten Regularien – gepflasterte Wege um die Station und nur teilweise Rasenbewuchs statt weitläufiger Kurzgrasflächen; dazu hohe Bäume, welche einen „Garteneffekt“ erzeugen könnten, in nicht allzu großer Entfernung.
Zunächst war also zu prüfen, wie sich die Potsdamer Reihe im Vergleich zum DWD-Deutschlandmittel entwickelte, dazu wurden die Jahreswerte gewählt:
Und wie sieht es mit der angeblich so unveränderten Umgebung aus? Da gibt ein Lageplan zur baulichen Entwicklung des Telegrafenberges Auskunft:
Da gab es also jede Menge baulicher Veränderungen; und ein Blick auf das Google-Luftbild zeigt die geringe Entfernung zwischen dem Telegrafenberg und der stark wachsenden Stadt Potsdam:
Die baulichen Erweiterungen sowie die Nähe zur Stadt könnten vor allem das Verhalten der mittleren Minima in Potsdam beeinflusst (erhöht) haben. Ein Vergleich mit der nicht weit entfernten, ebenfalls an einem Hügel gelegenen DWD-Station Lindenberg ergab für die sommerlichen mittleren Minima folgendes Bild:
Und schließlich war noch zu prüfen, ob vielleicht die gestiegenen Einwohnerzahlen Potsdams einen Gleichlauf mit dem Gang der Lufttemperaturen aufweisen (keine eindeutige Kausalität, aber ein wichtiges Indiz):
Betrachtet man nur die Zeit ab 1988, so erwärmte sich Deutschland um knapp über 1 K, Potsdam aber um fast 1,4 K. Die Einwohnerzahlen der brandenburgischen Landeshauptstadt stiegen zuletzt stark; von knapp 130.000 im Jahre 2000 auf über 182.000 im Jahre 2020. Sehr wahrscheinlich steigt bei windschwachen Wetterlagen städtische Warmluft zum Telegrafenberg auf und erhöht die Temperaturen – außerdem könnte es eine gewisse Fernwirkung der wachsenden Millionenstadt Berlin geben.