Fünf Gigawatt aus dem Busch
von Hans Hofmann-Reinecke
Darf ein Land, in dem die Hälfte der Menschen in Armut lebt, Maßnahmen ergreifen, um diese Misere zu lindern? Darf es dazu seine Industrie ausbauen und neue Arbeitsplätze schaffen? Darf es zu deren Versorgung neue Kraftwerke bauen? Darf es die mit Kohle aus seinen reichhaltigen Vorkommen betreiben? Oder ist die Vermeidung von CO2 wichtiger als die Würde der Menschen? Südafrika hat darauf eine klare Antwort gegeben.
Keine leichte Aufgabe
Stellen Sie sich vor, Sie sollen ein Kraftwerk bauen. Das ist keine leichte Aufgabe und Ihre erste Frage ist: „Warum?“ Nun, die aktuelle Stromversorgung kann den laufenden Bedarf nicht decken, und Ihr Land leidet unter häufigem Blackout. Zudem soll die produzierende Wirtschaft belebt werden, insbesondere die Schwerindustrie. Das geht nur, wenn die Energieversorgung gewaltig ausgebaut wird.
Nächste Frage: soll’s Atom, Kohle, Gas oder „Alternativ“ werden? Solar und Wind scheiden gleich aus, denn die Hochöfen und Schmiedepressen sollen auch nachts laufen. Und das deutsche Modell, dass man Firmen bei Stromausfall großzügig entschädigt, das geht in Ihrem Land nicht. Das mag in Deutschland eine Weile funktionieren, weil das riesige Schwungrad der Wirtschaft, das über vergangene Jahrzehnte angekurbelt wurde, sich immer noch weiter dreht. In Ihrem Fall aber soll das Rad ja erst einmal in Schwung gebracht werden.
Her mit der Kohle
Ist Atomenergie die Antwort? Immerhin hat man ja bereits zwei Gigawatt davon im Lande – das wäre doch eine gute Lösung. Aber die Abhängigkeit vom Ausland bei Versorgung mit nuklearem Material spricht dagegen. Man muss sich auf Brennstoff verlassen können, der im Lande vorhanden ist und dessen Abbau man beherrscht. Und da bietet sich die gute alte Kohle an, die aktuell schon drei Viertel des Energiebedarfs deckt.
Ihr Job ist also, ein neues Fünf-Gigawatt-Kohlekraftwerk hinzustellen.
Eine weitere Kopfrechnung zeigt Ihnen, dass solch eine Anlage rund 1.700 Tonnen Kohle verbrennt, das ist ein kleiner Güterzug voll. Und zwar pro Stunde! Da sollte man einen zuverlässigen Lieferanten haben, der zudem nicht zu weit weg ist. So jemanden haben Sie ausfindig gemacht, der hat sogar sein eigenes Bergwerk. Mit ihm machen Sie einen Vertrag, dass Sie das Schwarze Gold kontinuierlich per Förderband geliefert bekommen.
Damit ist aber auch der Standort für Ihr Kraftwerk entschieden, und zwar nur sieben Kilometer vom Bergwerk entfernt. Ein glücklicher Zufall will es, dass auch einige Ihrer Großabnehmer in der Gegend sind, oder zumindest nicht weit weg. Und ohnehin kann man den Strom leichter transportieren als die Kohle. Alles paletti also?
Luftkühlung im Buschland
Es gibt da noch ein kleines Problem. Wenn Sie sich so ein typisches Kraftwerk anschauen, sei es Kohle oder Atom, dann sind da meist riesige Türme, aus denen es unaufhörlich dampft. Die stehen nicht zur Dekoration da, sondern sie sind technische Notwendigkeit: Kühlung. Die Türme zu bauen, das ginge an Ihrem Standort zwar problemlos, aber woher soll das Wasser für den Dampf kommen? Das ist in der Gegend Mangelware.
Sie haben Ihr Kraftwerk nämlich mitten im Buschland, etwa 300 km nördlich von Johannesburg platziert, im nördlichen Südafrika, in der Provinz Limpopo. Hier kommen zwar Antilope und Leopard wassermäßig gut zurecht, die industriellen Mengen zur Kühlung Ihres Monsters gibt es jedoch nicht. Aber da kommt Ihnen die Gunst der Stunde und die Kunst der Ingenieure zu Hilfe. Die haben gelernt, dass man Kraftwerke auch mit Luft kühlen kann, und Luft gibt es da oben auf jeden Fall – da haben Sie sich informiert.
Diese Technologie, genannt „Dry Cooling“, gibt es erst seit einiger Zeit und sie hat ihren Preis: Die Investitionen sind höher und der Betrieb der gigantischen Ventilatoren kannibalisiert einen gewissen Teil der vom Kraftwerk gelieferten Leistung. Aber man kann nicht immer alles haben.
Ende gut – alles gut
Da steht es nun Ihr Kraftwerk namens „Medupi“, oder besser gesagt, es läuft seit Anfang August 2021 mit voller Kapazität. Es hat sechs „Blöcke“ zu je 800 Megawatt, macht 4.800 Megawatt, also knapp fünf Gigawatt insgesamt.
Die „Gretchenfrage“
Das arglose Gretchen aus Goethes Drama stellt dem Dr. Faustus ja die Frage: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“. Und so sind Sie dem heutige Gretchen Thunberg eine Antwort schuldig auf deren Frage: „Nun sag’, Medupi, wie hast du’s mit dem CO2?“
Immerhin frisst Ihr Kraftwerk ja pro Stunde 1.700 Tonnen Kohle, und die erzeugen nicht nur Strom, sondern auch jede Menge CO2, und zwar ein Mehrfaches an Tonnen. Wie wollen Sie das rechtfertigen? Sie nehmen mit dem Betrieb des Kraftwerks 1,5° Temperarturanstieg in Kauf, nur um in Ihrem Land Arbeitsplätze zu schaffen und die extreme Armut zu beseitigen? Um den Kindern eine Schulausbildung geben zu können? Um neue Krankenhäuser auf dem Lande zu bauen? Greta wird Sie zurechtweisen: Das ist unverantwortlich!
Nehmen Sie sich ein Beispiel an Deutschland. Da werden die Kraftwerke abgerissen, egal ob nagelneu, egal ob modernste Technologie. Und dafür nimmt man den Ruin der Wirtschaft, der Infrastruktur und der Landschaft gerne in Kauf. Gerade erst wurde Hamburg-Moorburg verschrottet, obwohl es weltweit das effizienteste seiner Art war. Und das hatte nur zwei Blöcke von je 800 MW – im Gegensatz zu Ihren sechs, die jetzt in Ihrem Land hingestellt wurden. Wie kann man das rechtfertigen?
Von Teddys und Elefanten
Ich mache Ihnen einen Vorschlag: wenn ein kleines Kind schreit, weil sein Spielzeug kaputt ist, dann lassen Sie einen Teddy vor seiner Nase baumeln, und es ist wieder happy. Und wenn Greta und Co. über Medupi schimpfen, dann halten Sie denen einfach „Khi Solar One“ vor die Nase. Das ist zwar kein Teddy, aber ein riesiger weißer Elefant. Es ist ein Solarkraftwerk, knapp tausend Kilometer südwestlich von Medupi. Dort stehen über 4.000 gigantische Spiegel, die werfen die Sonnenstrahlen auf einen Topf mit Wasser, der auf einem hohen Turm steht. Das Wasser wird heiß und es entsteht Dampf, mit dem man dann eine Turbine samt Generator betreibt.
Wegen der lästigen Drehung der Erde müssen allerdings auch die 4.000 Spiegel laufend gedreht werden, damit das Sonnenlicht immer den Topf auf dem Turm trifft. Das sind zwar interessante Aufgaben für Ingenieure, aber die ganze Anlage ist leider total unökonomisch. Falls sie funktioniert, dann liefert sie gerade mal ein Prozent von Medupis Output – und das nur tagsüber.
Aber unsere grünen Freunde haben mit solch komplizierten Zahlen ja nichts am Hut. Es kommt auf die Haltung an, und nicht auf das Resultat. Sie verkaufen die beiden Kraftwerke im Doppelpack als „ökologisch ausgewogene und nachhaltige Antwort auf Südafrikas Energiebedarf“.
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