Staatsrechtler Dietrich Murswiek: Der Klima-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts überschreitet die richterlichen Kompetenzen
Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat den Klima-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März scharf kritisiert. In einem auf dem Online-Portal „FAZ-Einspruch“ veröffentlichten Beitrag schreibt er:
„Mit dem Klima-Beschluß vom 24. März 2021 macht das Bundesverfassungsgericht eine vom Bundestag abgelehnte Verfassungsänderung zum verbindlichen Verfassungsrecht. Es macht sich selbst nicht nur zum klimaaktivistischen Politikantreiber, sondern schwingt sich zum verfassungsändernden Gesetzgeber auf. Das hat es in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts noch nie gegeben.“
Murswiek begründet dies wie folgt: Das Bundesverfassungsgericht habe sehr weitreichende und für die Wirtschaft und die Bürger äußerst kostspielige staatliche Pflichten zur CO2-Begrenzung statuiert. Es habe diese Pflichten daraus abgeleitet, dass sich aus dem Grundgesetz (Art. 20a) ergebe, daß aus Gründen des Klimaschutzes nur noch ein „Restbudget“ von 6,7 Gigatonnen zur Verfügung stehe. Das Ziel des Pariser Klimaschutz-Abkommens und des deutschen Klimaschutzgesetzes (Paragraph 1), den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, lasse sich nur einhalten, wenn nach Ausschöpfung des „Restbudgets“ keine Netto-CO2-Emissionen mehr erfolgten. Diese Begrenzung des CO2-Emissionen auf ein nationales „Restbudget“, von dem 2030 nur noch eine Gigatonne übrig sein werde, wenn so viel CO2 emittiert wird, wie nach dem bisherigen Klimaschutzgesetz erlaubt ist, lässt sich nach Auffassung von Murswiek aber nicht aus dem Grundgesetz ableiten.
Das Bundesverfassungsgericht habe im Klima-Beschluss selbst festgestellt, dass aus Art. 20a des Grundgesetzes kein Temperaturziel – und folglich auch kein CO2-Restbudget – ableitbar sei. Dann aber erhebt es das Temperaturziel von Paragraph 1 des Klimaschutzgesetzes in Verfassungsrang, indem es behauptet, der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift das Umweltschutz-Staatsziel des Artikels 20a des Grundgesetzes „konkretisiert“.
Das Bundesverfassungsgericht habe also das Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt, indem es eine einzelne Vorschrift dieses Gesetzes vorher zu einer Quasi-Verfassungsvorschrift hochgestuft habe. Das Bundesverfassungsgericht prüfe somit den übrigen Inhalt des Klimaschutzgesetzes anhand eines Maßstabes, den es sich selbst zuvor geschaffen habe. Paragraph 1 des Klimaschutzgesetzes – das Temperaturziel des Pariser Abkommens – erhalte auf diese Weise einen Status, den es im deutschen Verfassungsrecht gar nicht gibt: Diese Vorschrift könne zwar vom einfachen Gesetzgeber, also ohne die für Verfassungsänderungen erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, geändert werden, habe aber ansonsten Verfassungsrang, und das Bundesverfassungsgericht könne gesetzliche Vorschriften darauf überprüfen, ob sie mit dem Temperaturziel übereinstimmen. Solche Zwitternormen – zugleich einfaches Gesetz und Verfassungsnorm – sind dem deutschen Verfassungsrecht fremd. Murswiek weist darauf hin, dass die GRÜNEN 2018 beantragt hatten, den Artikel 20a des Grundgesetzes um folgende Vorschrift zu erweitern:
„Für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindliche Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes binden alle staatliche Gewalt unmittelbar.“
Das war – nicht nur, aber vor allem – auf das Pariser Abkommen bezogen. Der Antrag wurde vom Bundestag abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht, so kritisiert Murswiek, mache nun mit seinem Klima-Beschluß die von den Grünen beantragte, aber vom Bundestag abgelehnte Verfassungsänderung in ihrem wesentlichen Inhalt zum geltenden Verfassungsrecht. Damit schwinge sich das Bundesverfassungsgericht selbst zum verfassungsändernden Gesetzgeber auf und überschreite damit seine richterlichen Kompetenzen.
Karlsruhe als Klimaaktivist, FAZ-Einspruch 19. Juli 2021