Auch abseits der ganzen Plagiate ist das neue Wahlkampfbuch „Jetzt: Wie wir unser Land erneuern“ nicht uninteressant, weil es zeigt, wie die Kanzlerinnenkandidatin und ihr Umfeld ticken, und mit welchen Tricks die „Die Arbeit tun die anderen“*- Partei versucht, sich Steuertransfers und Privilegien zu sichern.

* Zitat von Alexander Wendt.

Gerade macht ein Video die Runde, in dem man Plagiatsjäger Stefan Weber und TV-Köchin und Grünen-Abgeordnete (EU) Sarah Wiener streiten sieht. Der Vorwurf an Weber: Er kümmere sich um ein paar „vergessene Fußnoten“ und nicht um den Inhalt. Weber entgegnet kühl, Wiener habe den Sachverhalt nicht verstanden.

Wahrscheinlich weiß sie sehr wohl, was Sache ist, und argumentiert deswegen um den heißen Brei. Einen wahren Kern hat Wieners Aussage dennoch: Man muß sich einfach einmal um den Inhalt von „Jetzt“ kümmern.

Eigentlich hatten wir vor, nach Plagiaten zu stöbern, auch auf Englisch. Da aber Dr. Weber viel effizienter ist, und die x-te abgeschriebene Stelle keinen Neuheitswert mehr hat, gehen wir zu den Aussagen Baerbocks.

Was schon auf der ersten Seite auffällt: Das Buch hat ein Profi-Ghost verfaßt, aller-höchst-wahrscheinlichst. Wie die Leser nicht nur von Danisch.de wissen, hat Baerbock in 25 Jahren so gut wie gar nichts veröffentlicht. Ein paar Artikel als Schülerin/Studentin für die Hannoversche Allgemeine, ansonsten: nichts. Keine Masterarbeit in London, die auffindbar wäre, keine Dissertation, keine „völkerrechtliche“ Studie. Heißt, schon aus Gründen fehlender Erfahrung wäre sie wohl gar nicht in der Lage, ein lesbares Buch zu erstellen.

Der Ghost ist gut, weil er alle Tricks der heutigen Publizistik kennt. Das Buch fängt an mit einer „menschelnden“ Geschichte  – Baerbock wohnte vor Potsdam mal in Ostberlin in der Nähe des Alexanderplatzes gegenüber einem bekannten Gebäude, auf dem das originelle Motto prangt:

Dieses Haus stand früher in einem anderen Land.

Ist zwar von Jean-Remy von Matt, einem Westler-Werbeguru, gibt aber so ein schönes halb-revolutionäres Wende-Gefühl. Dieses erste Bild gibt schon den roten Faden des Buches vor: Die Kanzlerinnenkandidatur von A.C.A.B. als eine Art neue Wende in einem Staat, auf den sich der Mehltau der Merkel-Ära gelegt hat. Die verehrte Kraftwerkabschalterin Merkel wird natürlich nicht namentlich erwähnt; und auch nicht die DDR-artigen Probleme, die Herostrata ihrem und den Nachbarländern beschert hat.

Im Gegenteil; Baerbock zielt eher darauf ab, daß die Kabinette Merkel die Klimapolitik nicht entschieden genug vorantrieben. Die echten Probleme wie explodierende Sozialkosten, Sozialeinwanderung, importierter Terrorismus, Desindustrialisierung, Bildungskatastrophe, Autoritarismus, Entdemokratisierung, werden höchstens in Einzelfällen touchiert, aber die Schuldigen nicht benannt. Gut – das ist man ja zum Teil selbst. Zitate:

[Die Politik] war geprägt von Mutlosigkeit und einem zaghaften Auf-Sicht-Fahren statt Weitblick. Als könnten wir trotz fundamentaler globaler Veränderung, trotz eines Auseinanderdriftens der Gesellschaft im Grunde so weitermachen wie bisher. (…)

Jede gute Politik beginnt damit, sich der Wirklichkeit zu stellen. Realitäten anzuerkennen, um sie zu verändern. (…)
Die Überzeugung, daß demokratische Politik der Ort ist, an dem wir um eine bessere Zukunft für uns alle ringen, bestimmt mein Handeln.(…)

[Reichstag 1933:] Hier wurde das Ermächtigungsgesetz beschlossen, mit dem die Demokratie sich selbst abschaffte und eine Diktatur begründete. (…)

Unsere Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie nicht selbst garantieren kann und die nicht auf ewig garantiert sind (…).

Demokratische Macht wird nur auf Zeit verliehen. Sie muß immer wieder neu begründet und behauptet werden. Sie wird verteilt und kontrolliert. Regeln sind verbindlich und gelten unabhängig von Personen. Fehler können korrigiert werden, weil es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt.

Es erscheint schon zynisch, wenn die Grünen-Chefin formuliert wie ein AfD-Abgeordneter bei der Regierungsschelte, in Wirklichkeit aber das Gegenteil meint, nämlich das exakte So-Weitermachen, Umverteilen von unten nach oben, Ermächtigen, Entdemokratisieren, Desindustrialisieren und Wirklichkeit-ignorieren wie bisher. Allerdings noch forcierter als das regierende Kabinett Merkel.

Das Buch ist aber neben der Propagierung von Coronismus, Klimarettung, EU-Zentralismus und anderen Totalitarismen erkennbar für die Mitte der Gesellschaft geschrieben. Baerbock lobt ihre Großmutter und deren Generation, die das Land nach dem Krieg wieder aufgebaut hätten; und die mutigen DDR-Bürgerrechtler. Das ist schon bemerkenswert, da Trümmerfrauen-Rhetorik sonst eher Sache der Union war; und die Wende in der DDR war gerade den Grünen überhaupt nicht recht. Claudia Roth zum Beispiel warnte 1989/90, daß die Massenwanderung von sozialismusfeindlichen Trabifahrern die Sozialsysteme der Bonner Republik überfordern würde (2015 sagte sie das nicht). Man sieht, hier ist eine neue Generation von Grünen am Drücker, die sich mit zumindest einigen Realitäten arrangiert. Was die Ausbildung angeht, hat sich aber nichts geändert: Wie Fischer, Roth, Göring-E. et alii ist Baerbock ja praktisch beruflos.

Um auch Leser, die nicht zu den oberen zehn Millionen, dem Grünenmilieu, gehören, anzusprechen, schreibt sie (bzw. der Ghost) ab und an eine kleine Grußadresse an den Arbeiter. So meint sie zum Beispiel, daß die Regierung in der P(l)andemie-Maßnahmenkrise die „Konkurrenzfähigkeit des deutschen Einzelhandels gegenüber digitalen Plattformen“ (Amazon…) nicht genügend gestärkt habe. Zum Teil reitschustert sie sogar ein bißchen, wenn sie kritisiert, daß unser Gesundheitssystem zu sehr auf Wirtschaftlichkeit „heruntergestutzt“ sei. Im zweiten Kapitel „Der Mensch im Mittelpunkt“, geht sie sogar ausdrücklich auf ihre soziale Seite ein und äußert Verständnis für Arbeitnehmer aus der Industrie, die angesichts ihrer ökologischen Great-Reset-Pläne um ihre Jobs fürchten. Lösungen. nennt sie wohlweislich nicht – vergißt aber nicht zu erwähnen, daß sie einmal bei einer Tafel und im Impfzentrum ausgeholfen habe.

Und das langsame Internet, das erwähnt sie, weil es irgendwie jeden nervt. Fast schon lustig ist es, wenn Baerbock „moderne Polizeiwachen“ fordert; das dürfte in grünen Kreisen geradezu sauer aufstoßen. Aber gut, ist ja Wahlkampf, muß sie halt sagen.

Nach der schönen Wendegeschichte mit dem Haus erzählt Baerbock ein bißchen von sich selbst; von ihrem Berufsalltag, ihren kleinen Töchtern, ihrem emanzipierten Mann, ihrer bodenständigen und früher unterprivilegierten Großmutter. Durchaus geschickt, Persönliches lesen Parteifreunde und Interessierte gern. Sie hält sich auch weitgehend mit ihren Hochstapeleien zurück – negativ fällt nur die „Völkerrecht“-Sache im Umschlagstext auf; da hätte der Verlag vorsichtiger sein müssen, die Lebenslaufkatastrophe war schon bekannt bei Drucklegung.

Richtig böse sind die Passagen zur angeblichen Klimakatastrophe, deren Verhinderung, die „Klimaneutralität“, eine „gerechtere Gesellschaft und den Erfolg auf den Märkten der Zukunft“ verspreche. Das ist schon obszön, da längst bekannt ist, daß Klima-Umverteilung die Reichen noch reicher macht und niemand auf dem Planeten unsere Photovoltaik-Windrad-Technologie haben will, weil außer Deutschland und vielleicht den Biden-USA kein einziger Staat auf der Erde ernsthaft CO2-Emissionen auf Null bringen will. Schönes aktuelles Beispiel: Die Berliner Firma Rocsun von XR-Chefin Annemarie Botzki, die robuste PV-Elemente für Böden anbot, ist pleite. Außer Förderspesen nix gewesen.

Im dritten Kapitel „Verändern, um es besser zu machen“ geht es sogar nur um das Haupt-Wahlkampfthema der Grünen, die Rettung des Klimas. Zitate:

Die Wirklichkeit sehen. (…) Wir können die Grundlagen für einen klimagerechten Wohlstand legen.

Wir wissen: Wenn Die Kippunkte im Klimasystem erreicht sind, leben wir in einer anderen Welt.

Jaja, das unentdeckte Land, die Zukunft. Ob jemand vom PIK mitgeschrieben hat? Das Institut ist ja nur ein paar Kilometer von Baerbocks Wohnung entfernt. Wahrscheinlich aber nicht – Anders Levermann hatte den Kippunkten in der taz schon eine Absage erteilt.

In einigen Passagen gibt sie, das überrascht, wieder einmal ihre altbekannte Ahnungslosigkeit beim Thema Energie („Stromspeicher im Netz“) zum Besten:

Im Strombereich gibt es mit den erneuerbaren Energien sehr ausgereifte und direkt einsetzbare Alternativen.

Immerhin:

Im Verkehr ist das nur bedingt der Fall, und hier wiederum macht es einen großen Unterschied, ob Menschen in der Stadt oder auf dem Land wohnen.

Und ob man reich und grün, oder Geringverdiener ist, möchte man hinzufügen. Tut sie sogar selber gewissermaßen:

[Die Politik,] die ökologische Modernisierung sozial gestaltet, damit sie für alle funktioniert – für die Stahlarbeiterin in Salzgitter, den Pendler aus der brandenburgischen Prignitz oder den SGBII-Bezieher im bayrischen Tirschenreuth.

Glaubt man sofort, oder? Um ihre Expertise in sachlichen Fragen unter Beweis zu stellen, wiederholt das Buch alte unbewiesene Behauptungen wie die Klimawandelfolge der Buschbrände in Australien, oder den gewaltigen Eisverlust Grönlands (im Sommer, aber das vergißt sie, zu erwähnen…). Zwar hat der Weltklimarat bereits gesagt, daß Extremwetter wie Sturmfluten nicht häufiger werden; das Buch arbeitet aber trotzdem mit der Behauptung, da es so schön zur gerade aktuellen ARD/ZDF-Linie paßt.

Um Druck aufzubauen, wird das Extremwetter als erhebliche Wirtschaftsgefahr dargestellt, die die Wettbewerbsfähigkeit bedrohe (welche sagt sie nicht); und daher würde Klimaschutz mehr Arbeitsplätze retten als vernichten – ein echter Wettbewerbsvorteil (Details nennt sie nicht).

Im vierten Kapitel geht es um dies und das, um Infrastruktur, die böse AfD, Stadt und Land, Gesundheitsversorgung, Sport, Digitalisierung, Steuern. Also teils neutrale Themen, die schon Merkel ab und zu gerne nutzte, um von den selbstgemachten Problemen abzulenken und ein paar Lippenbekenntnisse in die Mikrofone zu diktieren. Im vorletzten und fünften Kapitel behandelt der Ghost mit seiner Auftraggeberin auf rund 50 Seiten die Themen EU, Weltpolitik, Flucht und Migration, Völkerrecht (das mußte wohl…), die UNO („VN“ im Buch), Donald Trump, China und Digital-Terrorismus. Gerade hier wirkt das meiste schon von der Formulierung her fremdgeschrieben, weil Baerbock bekanntermaßen fast keine internationale Erfahrung hat – was für grüne Funktionäre ungewöhnlich ist, wenn man zum Beispiel an Kollegin Luisa Neubauer-Reemtsma denkt. Baerbock stammt aus Niedersachsen, studierte im nahen Hamburg, war mutmaßlich gar nicht ein Jahr durchgängig in London, und wohnt seit den Nullern im beschaulichen Potsdam, der Puppenstube der Berliner Elite. Keine bekannten Weltreisen, nur ein Auslandsjahr mit 16 in Florida. Da sie auch nicht so richtig studiert hat, hat sie wohl außerhalb ihres weißen deutschsprechenden Bürger- und Akademikermilieus kaum Erfahrung mit anderen Kulturen und Ethnien.

Abschließend muß man sich fragen, wieso der geschickte Ghost überhaupt so viel abgekupfert hat. Vielleicht saß er ab und zu mit AB zusammen und forderte ein bißchen Input, um Authentizität zu simulieren, und sie gab ihm in ihrer Not Angelesenes. Oder, das ist wahrscheinlicher, es mußte schnell gehen. Zwar steht der Wahltermin im September fest; aber vielleicht hat man das Buch vor allem zur Abwehr des Lebenslaufdebakels lanciert, um die Kandidatin als ernsthafte Visionärin darzustellen. Da das Werk nur 238 Seiten <A5 mit recht großen Buchstaben hat, war es wohl schnell geschrieben.

Nebenbei: Am 6.7. wurden im Buch schon 43 neue auffällige Fragmente gefunden.

Interessant auch, daß das Buch „Jetzt“ trotz des jungen Alters bereits einen umfangreichen Wikipedia-Artikel hat. Wer mag ihn geschrieben haben? Die grüne Parteizentrale, oder einsame Wölfe wie unser Andol? Mittlerweile schreiben dort aber viele andere mit, die erkennbar kritisch eingestellt sind, weil die Plagiatur den größten Raum einnimmt. Vermutung: Grüne haben den Artikel zu Reklamezwecken eingestellt, und dann sanmmelten sich die Kritiker. Da viel zu viele mitschreiben und damit tatsächlich einmal etwas Demokratie in einem politisch relevanten Artikel existiert, kann man ihn nicht einfach wieder stillegen oder die Kritik rauslöschen. Deswegen entbrannte am 2. Juli eine regelrechte Editierschlacht, die bis dato andauert. Schauen Sie sich einmal die Dokumentation der Änderungen an, das sind Tausende in einer Woche.

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